Isaak und Ismael – Prototypen des Streits oder der Versöhnung?

Kein Tag vergeht, ohne dass irgendwo über die Spannung zwischen Islam und westlicher Kultur (was auch immer man dann darunter versteht, liberales Weltbürgertum oder identitäre Isolation) gestritten wird. Und weil Kontrast besser in unserer zerschnipselten Kommunikation besser funktioniert und mehr Aufmerksamkeit auf sich zieht als Komplexität und mühsame Perspektivwechsel, die einen anderen Blick erlauben würden.

Eine (alte) Geschichte, die gerade wieder hoch im Kurs steht, lautet: „Muslime waren schon immer unsere Feinde und das wird auch immer so bleiben. Man kann sie also nur bekämpfen oder bekehren. Ergo gehört der Islam auf keinen Fall zu Deutschland.“ Umgekehrt funktioniert das freilich auch, wenn Christen in Regionen, wo sie in der Minderheit sind, verdächtigt, verfolgt und vertrieben werden.

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Bild: Unsplash.com

Juden, Christen und Muslime berufen sich auf die Herkunft von Abraham. Jener Abraham wurde – darin sind sich alle einig – von Gott erwählt. Der immer wieder aufflammende Streit dreht sich um die Frage, wer seine legitimen Erben sind (und wer nicht). Er ist fast so alt wie Abraham selbst. Genauer: Er beginnt im Verständnis vieler mit Sara und Hagar, Isaak und Ismael, mit zankenden Müttern und getrennten Brüdern.

Doch just in dieser Geschichte findet Jonathan Sacks den Schlüssel für ein friedliches Verhältnis der abrahamitischen Religionen. Nicht, indem er einen alten, sperrigen Text einebnet und modernisierend umdeutet, sondern indem er ihn genau liest, gut hinhört und sich bei den jüdischen Auslegern in Altertum und Mittelalter umschaut. Dabei macht er erstaunliche Entdeckungen. Und deshalb habe ich das entsprechende Kapitel aus Not in God’s Name vor ein paar Wochen zur Grundlage einer Predigt gemacht, weil ich es so hilfreich und wichtig fand.

Vielleicht gilt das ja nicht nur für unsere Gemeinde: Wer mag und etwa 25 Minuten Zeit hat, kann sich hier in den Podcast klicken.

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3 Antworten auf „Isaak und Ismael – Prototypen des Streits oder der Versöhnung?“

  1. Ja, Geschichten sagen oft mehr aus, als theologische Abhandlungen und die eigene Geschichte ist aussagekräftiger als die Selbstbeschreibung. Vielleicht mit ein Grund dafür, daß die Bibel zu weit mehr als der Hälfte aus Geschichten und Erzählungen von Begebenheiten besteht.
    Daß Ismael und Isaak Brüder und beide gesegnet sind, vergessen leider viele immer wieder. Amos Oz ist auch der Meinung, dass es im Nahostkonflikt um einen Bruderzwist geht, der wie unter Brüdern oft zu beobachten, zu seiner Zeit friedlich begelegt werden wird. Bis dahin kann freilich noch viel Wasser den Jordan hinabfließen, aber nicht nur unsere Zeit steht in Gottes Händen.
    Daß auch die Tatsache betonst, daß Isaak und Ismael ihren Vater Abraham gemeinsam begruben, hat mein Herz sehr bewegt. Vielleicht auch, weil ich es zuvor noch nie von einem anderen ausgesprochen gehört habe.

    Danke. Mögen Deine Gedanken von vielen zu Herzen genommen werden.

    1. Danke! Ich verdanke das ja alles Jonathan Sacks. Aber es ist schon erstaunlich bis erschütternd, dass so vieles im Text steht, das nicht an das breitere Bewusstsein der Leser dringt. Manchmal möchte ich sagen: Mit dem zweiten [Blick] sieht man besser…

      Nächsten Sonntag gehts weiter mit Jakob und Esau.

  2. Danke für die mutmachende Predigt!
    Finde auch, dass er sich lohnt: der „zweite Blick“, auf die biblischen Geschichten.

    Ob es da ein prinzipielles Muster in so manchen urgeschichtlichen Brüdergeschichten gibt?

    Ob Gott dem jüngeren Nachkommen, als solchen, welche von vorneherein „schwächer“ und „benachteiligt“ zu sein scheinen einen besonderen Vorrang zu gewähren scheint, um zugleich den Älteren, als Stärkeren, ihre Verantwortung auf zu zeigen, dass wahre Stärke nicht im mißbräuchlichen „beherrschen und unterdrücken“, sondern im „dienen“ besteht?

    * Abel’s Opfer wird angenommen und Kain erfährt „Bewahrung“ vor Blutrache.
    * Isaak’s Erwählung und Ismaels „Bewahrung“ vor dem Verdursten.
    * Jakobs Bevorzugung und Esaus „Befriedung“ vor Vergeltung.
    * Josefs Beförderung und die „Errettung“ seiner Brüder vor dem Verhungern.

    Scheint vielleicht Jesus mit seiner Geschichte vom „verlorenen Sohn“ eine Mustererzählung wieder zu geben, welches in eine ähnliche Kerbe schlägt?
    * Die Wiederherstellung des Erbrechts für den jüngeren, verloren geglaubten Sohnes und die „Belehrung“ des beleidigten älteren Sohnes über seinen Mangel an Empathie.

    Beruht gewaltförderndes, eskalierendes Konkurrenzverhalten auf einem tief sitzenden „BEGEHREN dessen, was des Nächsten ist“, um einen vermeintlichen Mangel/Zurückweisung/Ungerechtigkeit/Beschämung durch Sündenbockmentalität zu kompensieren?

    Beruht gelingende Deeskalation solch destruktiver Reaktionen vielleicht auch auf der Transformation von (materiellem oder ideellen) BEGEHREN, mittels eines Perspektivwechsels, um eine andere Art heilsamer ERFÜLLUNG zu erfahren? Wird dadurch der erlebte „Mangel“ an „geliebt“ und „angenommen sein“ reduziert und die Sinnlosigkeit erkannt, an der Notwendigkeit eines Misstrauen gegenüber dem „Stärkeren“ und „Größeren“ (als Älterem) fest zu halten, welcher nun eher als „aller Diener“ wahrgenommen wird?

    Wie auch immer. Die biblischen Geschichten bleiben offensichtlich nicht nur multiperspektivisch (d.h. interdisziplinär) erhellend, sondern auch multidimensional bereichernd.

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