In einem Gespräch zum aktuellen Thema Missionsverständnis kamen mein Gesprächspartner und ich kürzlich auf die Diskussion um das Sühnemotiv in der Verkündigung zu sprechen. Da scheinen sich an manchen Stelle die Fronten unglücklich zu verhärten.
Mein Eindruck ist der: An manchen Orten war über Generationen, wenn nicht über Jahrhunderte, die Sühne, der Opfertod, die Satisfaktion oder das stellvertretende Strafleiden Christi die einzige gängige Metapher für das Geschehen am Kreuz und die Versöhnung von Gott und Menschheit.
Weil heute vieles, was daran früher vielleicht noch selbstverständlich und unmittelbar einleuchtend war, nicht mehr ohne weiteres plausibel ist, und weil die soteriologische Monokultur bei anderen verständlicherweise zu heftigen Allergien geführt hat, ist die klassische Sühnetheorie heute zum Teil heftiger Kritik ausgesetzt. Zumal sie in vielen Ausprägungen ein problematisches, weil beispielsweise gewalttätiges Gottesbild transportiert hat.
Weil die Christen, für die die alten Selbstverständlichkeiten noch bestehen, bisher keinen Anlass hatten, intensiv über alternative Metaphern und Erklärungsmuster nachzudenken, missverstehen sie die Kritik an der gewählten Metapher (Opfer, Sühne, Satisfaktion…) als Forderung nach der Auflösung der Erlösungslehre überhaupt (was sie in den seltensten Fällen ist) und die Forderung nach einer anderen Sprache als Zwang und Verbot des Vertrauten und Gewohnten (hier wird dann leider oft die übliche Political-Correctness-Polemik abgefahren: „… wird man ja wohl noch sagen dürfen!“ – und Kritik mit Zensur verwechselt).
Freilich „darf“ man in den traditionellen Begrifflichkeiten über den Tod Christi und die Erlösung der Welt sprechen. Wer es verantwortlich tun will, sollte sich allerdings der Probleme und Grenzen der damit verbundenen Vorstellungskreise bewusst sein. Mein Gesprächspartner sprach beispielsweise eher beiläufig davon, dass „Gott seinen Sohn opfert“. Interessanterweise findet sich im Neuen Testament diese Aussage so gerade nicht; da ist bestenfalls die Rede davon, dass Christus sich selbst opfert (z.B. in Eph 5,2, Hebr. 5,3). Hier zeigt sich schon, dass sich unsere binnenchristliche Umgangssprache, ohne dass es uns noch auffällt, im Vergleich zu den biblischen Aussagen schon verselbständigt hat (und wenn es in Joh 3,16 heißt, dass Gott seinen Sohn gab, dann ist da nicht von Opfer die Rede und vermutlich nicht einmal von Kreuz und Leiden allein, sondern von der gesamten Sendung des Sohnes, wie der folgende Vers zeigt).
Wenn es also innerhalb gewisser Parameter legitim ist, so zu reden, dann bleibt für alle, denen diese Begriffe ans Herz gewachsen sind, noch das Problem, dass sie damit für viele Adressaten ihrer Verkündigung eine konzeptionelle und möglicherweise auch emotionale Hürde errichten. Es wäre also nicht falsch, aber eben auch nicht in jedem Fall zielführend, weil es der Kultur und Vorstellungswelt der Menschen nicht entspricht, die es hören, und weil es selbst bei denen, die es einleuchtend und plausibel finden, zu problematischen Folgen kommt (etwa, was die Verbindung von Gott und Gewalt oder das Verhältnis von Gottes Liebe und strafender „Gerechtigkeit“ betrifft). Mein Vorschlag, um dieser Verlegenheit zu entgehen, sieht nun so aus:
Wenn wir uns einig werden darin, dass das Sühneopfer nicht die einzige „biblische“ und theologisch angemessene Metapher ist – das gesteht der eine oder andere ja durchaus ein – warum verzichten wir nicht freiwillig auf ihren Gebrauch, und zwar so lange, bis uns andere Bilder, Erzählweisen und Formulierungen genauso locker und unkompliziert über die Lippen kommen oder aus der Feder fließen? Dieses soteriologische Fasten könnte statt zu einem verflachten Verstehen von Kreuz und Auferstehung zu einer Vertiefung der theologischen Einsicht und einer Erweiterung unserer Sprachfähigkeit führen. Das wäre deutlich mehr, als man bei einer bloßen Verteidigung der herkömmlichen Redeweisen gewinnen würde.
Oder, um es mal ganz schlicht und fromm zu formulieren: Jesus hat es verdient, dass wir so frisch, einfallsreich, sensibel und klug wie möglich über das reden, was er für diese Welt bewirkt hat und noch wirkt. Darüber lohnt sich jeder Streit.
Sehr anregende Gedanken. Vielen Dank!
Ich würde zur Deutung der Vielzahl von Bildern zu Jesu Tod gern einen anderen Vorschlag machen, der vermutlich von Deinem gar nicht weit entfernt ist.
Mir scheint, schon den neutestamentlichen Autoren war bewusst, dass keins dieser Deutungsbilder allein ausreicht. Das geht so weit, dass im 1. Petrusbrief die Metaphorik von Freikauf und Opfer sich verbinden (1Petr. 1,18-19), was in jedem anderen Kontext unlogisch war.
Dass die Christenheit sich sehr lange auf ein einziges Bild festgelegt hat, mag daran gelegen haben, dass es für die Menschen früherer Zeiten besonders verständlich war. Damit hat sie aber dem Missverständis Vorschub geleistet, es wäre ein Bild ausreichend, um Jesu Tod zu verstehen. Für das Neue Testament hingegen scheint mir nur die Vielzahl der Bilder eine angemessene Annäherung an dieses Geheimnis zu sein. Sie ergänzen sich zum einen gegenseitig und machen zum andern in ihrer Vielzahl deutlich, dass es unergründlich bleibt.
Diese Dimension würde ich gerne wiederentdecken. Dafür scheint mir die Festlegung auf ein Bild genauso problematisch wie der Verzicht auf ein Bild. Erst in der Vielzahl der verschiedenen Bilder lässt sich die Wichtigkeit, aber auch die Begrenzung jedes einzelnen Bildes erahnen ebenso wie die Größe dessen, worüber geredet wird. Ich zahle damit den Preis, es nicht ganz verstehen zu können, aber gewinne das Bewusstsein, dass es intellektuell nie ganz zu verstehen sein wird.
Wenn ich bei den Hörern das eine Bild (z.B. das des Opfers) als bekannt voraussetzen kann, dann hat ein zeitweiliger Verzicht auf seine Verwendung vielleicht durchaus Sinn. Ich glaube aber nicht, dass ich das bei meinen Leuten voraussetzen kann. In dem Fall würde ich eher möglichst viele der biblischen und eventuell weiteren Bilder verwenden, die uns nur zusammen dem Geheimnis auf die Spur bringen.
Ich sehe gar keinen Widerspruch, Andreas, weil ich ja keinen generellen, sondern nur einen vorübergehenden Verzicht vorschlage. Und den vor allem für jene, die über diesem einen Baum den Wald nicht mehr sehen. Da halte ich ihn dann aber tatsächlich für sinnvoll, um die Engführung zu überwinden.
Es muss ja auch nicht jede Antwort ein Widerspruch sein 😉
eben!
Ist das Problem der verhärteten Fronten nicht nur dann da, wenn man mit, sagen wir mal etwas traditionellen sicherheitsbedürftigen Evangelikalen spricht? – da stellt sich die Frage wie sinnvoll es ist sich mit solchen zu steiten (man bekommt doch eh nur den Ketzervorwurf) 😉
Die meisten anderen Theologen in Deutschland dürften in diesem Punkt zumendest etwas offener sein…
Ja, in dem Segment (die Bekenntnisbewegung zählt tendenziell auch dazu) sind die Empfindsamkeiten sicher groß, weil man ein paar Jehrzehnte bzw. Jahrhunderte Diskussion gar nicht miterlebt hat.
Mir erging es bei der näheren Beschäftigung mit Anselms „Cur Deus Homo“ so, dass ich in einer gut durchdachten (!) Satisfaktionslehre überraschenderweise mehr Potential gesehen habe, als vermutet.
Deshalb noch ein Vorschlag: Vielleicht hilft zur Therapie eines problematisierungsresistenten Gebrauchs des Opferbildes die vertiefende Beschäftigung mit Grenzen und Leistungen dieses „Bildes“? (In der Dialogform bei Anselm kommt ja eine überraschende Anzahl kritischer Anfragen zu Sprache…)
@Alex: Ja, dass man, wie Du sagst, Anselm auch mit großem Gewinn anders interpretieren kann, hat der orthodoxe Theologe David Bentley Hart gezeigt, ich habe das hier schon mal vermerkt: https://peregrinatio.net/2007/12/24/theologie/angenehm-uberrascht
Danke, werde mir das bei Bentley Hart mal anschauen – auch wenn das Buchcover nicht gerade „infinite beauty“ verspricht *schauder*.