Eine der großen Schattenseiten unserer Zivilisation ist die Einsamkeit und Isolation, die schlimmstenfalls solche Tragödien wie die jüngst in London entdeckte hervorbringen, aber auch viel alltäglicheres seelisches Leid. Wir können erstaunlich lange andere ignorieren und selbst möglichst unbehelligt in unserer jeweiligen Blase bleiben – solange wir keine akute Not erleben. Dieser Rückzug ins Private und auf den eigenen Nutzen schadet jedoch dem Gemeinwesen, was den Rückzug derer, sie ihn sich leisten können, wiederum forciert.
Und so sind es oft Naturkatastrophen, die Menschen zusammenbringen und über allem materiellen Verlust soziales Kapital in Form eines funktionierenden und lebendigen Gemeinwesens hervorbringen. Macy und Johnstone zitieren eine Katastrophenhelferin aus Kanada, die beschrieb, wie die Solidarität mit Tornado-Opfern sich ausgesprochen belebend auch auf die Helfer auswirkte. Es wuchs das Bewusstsein, dass niemand sein Glück allein sich selbst verdankt und dass umgekehrt niemand mit seinem ebenso „unverdienten“ Unglück allein bleiben darf. Freilich ist das kein Automatismus, gerade eine diffuse Wahrnehmung von Gefahr führt oft zum Gegenteil: Misstrauen und Sündenbock-Strategien.
Die gegenseitige Anteilnahme am Leid und der Trauer anderer ist eng verwandt mit dem Bewusstsein, dass wir alle gemeinsam vielfältigen Gefahren ausgesetzt sind. Macy verweist auf die buddhistische Geschichte der Shambhala-Krieger, deren „Waffen“ Einsicht und Mitgefühl sind, und für die der Konflikt zwischen Gut und Böse im Inneren eines jeden Menschen ausgetragen wird. Auch hier lässt sich eine gedankliche Nähe zu ähnlich gelagerten christlichen Vorstellungen (z.B. Epheser 6) erkennen.
Diese Gemeinschaftsbildung geschieht in vier sich erweiternden Sphären:
- Die überschaubare Gruppe, in der ich mich heimisch fühle. Hier gebrauchen die Autoren einen schöne Formulierung, wenn sie von Gruppen schreiben, die die einzelnen darin unterstützen, in der Welt ihren bestmöglichen Beitrag zu leisten. In solchen Gruppen kann die andere Story, in der die einzelnen leben wollen, ausgesprochen, gehört und praktiziert werden. Von da aus kann und muss die Bewegung weitergehen in
- unser gesellschaftliches Umfeld. Dort können aus kleinen Anfängen Initiativen, Netzwerke und Bewegungen entstehen wie Sarvodaya Shramadana in Sri Lanka oder das Transition Movement. Aber auch da bleibt es nicht stehen, schließlich betreffen viele Krisen
- die Menschheit insgesamt, als globale Erscheinung. Letztlich kann sich niemand völlig vom anderen abschotten. Daher ist es wichtig, statt des materiellen Reichtums einzelner Individuen den sozialen Reichtum einer Gemeinschaft zu entdecken, in der jeder willkommen ist.
- Im letzten dieser konzentrischen Kreise treffen wir auf die Erde als die Gemeinschaft allen Lebens, und auch hier geht es zunächst darum, dass wir uns bewusst machen, wie wir mit der uns umgebenden Schöpfung schon immer in einer wechselseitigen Beziehung des Gebens und Nehmens stehen, die viele Menschen freilich sehr einseitig interpretieren.
Sind diese Gedanken theologisch anschlussfähig? Mit dem Heiligen Franziskus können wir Christen hier von Mutter Erde, Bruder Mond und Schwester Sonne sprechen. Und vorgestern habe ich in „Gemeinsam für das Leben“ diesen Satz gelesen: „In vielerlei Hinsicht hat die Schöpfung selbst eine Mission im Blick auf die Menschheit; so hat die Natur zum Beispiel eine Kraft, die Herz und Leib des Menschen heilen kann.“