Seit ich neulich Rob Bells Präsentation gesehen habe, hat mich ein Gedanke beschäftigt: Er hat ein Rechteck und einen Kreis gezeichnet und festgestellt, dass diese Figuren zweidimensional betrachtet nicht vereinbar sind, dreidimensional aber sehr wohl – zum Beweis hielt er seinen Marker einmal längs und einmal quer in die Kamera.
Der Punkt war, dass manche Widersprüche sich auf einer höheren Ebene auflösen. Konkret nannte er dazu etwa die Frage von Prädestination und freiem Willen. Einerseits ist das sehr elegant. Andererseits frage ich mich, ob mit dieser Vermutung nicht auch aller möglicher Quatsch für plausibel im Sinne einer “höheren Logik” erklärt werden könnte. Wo ist sie also sinnvoll und angebracht und wo nicht?
Vorschläge, irgendwer?
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ich habe ein ähnliches bild schon gelegentlich verwendet, unter anderem auch im zusammenhang mit der spannung „gottes souveränität vs. menschliche verantwortlichkeit“. ich denke, dieses bild taugt dann, wenn es um zwei konzepte geht, die beide in sich sinnvoll sind und eine gewisse plausibilität haben, aber unserem denken widersprüchlich vorkommen, so dass scheinbar nur eins von beiden zutreffend sein kann, obwohl für beide vieles spricht. dann hilft die vorstellung von der höheren dimension.
was aber in zwei dimensionen schon quatsch ist, wird in der dritten nicht vernünftig. wenn rob bells marker geknickt oder gebrochen gewesen wäre, wäre er in einer dreidimensionalen aufnahme nicht plötzlich wieder gerade. höhere ebenen heilen nur sinnvolle paradoxien, aber keinen unsinn. und ich denke, das kann man einigermaßen auseinanderhalten.
Die Bewertung einer sinnvollen (oder unsinnigen) Übertragung in die höhere Dimension verlangt ja eigentlich auch die Perspektive der höheren Dimension, insofern empfinde ich das als schwierig… ich empfinde das Beispiel auch weniger als praktische Anweisung denn als Verschiebung im Denken. Vermeintliche Gegensätze nicht gleich als solche zu disqualifizieren, sondern mit der Möglichkeit zu rechnen, dass sie eine Ebene höher durchaus logisch sein könnten. Rob Bell hat hier ja bei C.S. Lewis geklaut, der genauso die mögliche Plausibilität der Dreieinigkeit erklärt hat. Das Beispielt lehrt einem 3D-Menschen also vielleicht ein Stückchen Demut, eine erweiterte Perspektive ohne das direkt ein ein anwendbares Modell der Bewertung gießen zu können.
Vorschläge hab ich bezüglich einer „höheren Logik“/Relativität auch nicht, aber ich kann konkret einen Tipp in Bezug auf „Prädestination/freien Willen“ geben.
Mark Driscoll hält ja gerade ein Predigtreihe zum Thema „Religion saves and nine other misconceptions“ und hat am letzten Sonntag zum Thema Prädestination gepredigt: (http://www.marshillchurch.org/sermonseries/religionsaves/week_03.aspx)
Wirklich lohnenswert. Der kleine Choleriker gibt einen derart schmissigen Abriss von Systematik und Kirchengeschichte in Bezug auf Prädestination, dass es einem die Sprache verschlägt… Würde ich das derart theoretisch machen, würden bei mir die Leute in drei Sekunden die Kirche verlassen… Nun denn…
Das nur als Hinweis… (Vielleicht ist das ja auch eine Relativität.. :))
I think it gives us the freedom to thoughtfully consider whether or not an „either/or“ situation is actually a „both/and“. As with all things, we need to filter for simple truth versus faulty logic that sounds correct in it’s complexity. I wonder if it isn’t better to apply a filter to two possibilities than to never consider a second option – maybe better to wrestle with our beliefs and worldview, confirming and/or debunking assumptions, rather than missing a deeper truth…
@ Haso: Ich meine, dass beide Konzepte nicht nur in sich plausibel sein müssen, sondern auch biblisch-theologisch verantwortbar sein müssen und bin mir sicher, dass du nichts gegen diese Ergänzung hast 😉
Wenn wir das Beispiel aufgreifen mit Gottes Souveränität und menschlicher Verantwortbarkeit, dann ist das ja auch gleichzeitig ein Beispiel dafür, dass wir hier Denkprobleme haben, die die alten Hebräer vielleicht gar nicht hatten, weil sie vielleicht ein Stückchen näher an der Realtität, dass „everything spiritual“ ist, gelebt haben als wir das heute tun. Insofern wäre auch noch einmal zu bedenken, welche Denkprobleme sich aufgrund unserer Begrenzung als menschliche Wesen ergeben und welche aufgrund unserer kulturellen Begrenzungen. Beides ist manchmal schwer auseinanderzuhalten.
Letztlich taugt das Modell vielleicht dann, wenn es uns in die Demut führt, nicht jede letzte Frage im Sinne einer runden und abgeschlossenen systematischen Theologie beantworten zu können, sondern mit Spannungen leben zu können. Dazu gehört vielleicht auch die Einsicht, dass es auch theologische Momente gibt, in denen es sich lohnt, nicht weiter zu bohren, sondern Gott die Ehre zu geben, wie es Luther in der Frage nach dem unfreien Willen schließlich tut. Jetzt aber feste Kategorien dafür aufzustellen, wann das der Fall zu sein hat, geht schlechterdings.
Wenn jemand anschauliche Modell dazu benutzt würde, Spannungen aufzulösen und eigene systematisch-theologische Überzeugungen zu verifizieren, dann hätte er sich wahrscheinlich schon selbst auf die höhere Ebene gehieft. Letzteres ist ja scherzhaft mal Barth vorgeworfen worden – Gott habe nach dem Lesen der Kirchlichen Dogmatik dann auch noch einiges über die Trinität erkannt, was ihm vorher unbekannt gewesen war …
Bei der Frage nach der Willensfreiheit (warum ist das eigentlich bloß ein Steckenpferd der westlichen Christenheit?) komme ich auch gerade noch klar mit diesem Ansatz. Würden wir aber alle möglichen anderen Spannungen damit harmonisieren und glattbügeln – etwa die Frage, ob wir eine Eschatologie der Vernichtung oder der Vollendung lehren – dann wird es für mich auf der Ebene, die mir heute zugänglich ist, einfach absurd. Da gibt es dann eben doch nur entweder das eine oder das andere. Bei Fragen der Physik und Geometrie klappt die Analogie der Dimensionen. Meine Lieblingsfrage dazu lautet: war/ist der auferstandene Jesus mehr als nur dreidimensional? Das würde nämlich einiges erklären…
Aber ob geschichtliche Aussagen (also auch manche Widersprüche in der Bibel), ethische Fragen und solche Themen wie Wesen und Charakter (z.B. Gottes Liebe und Zorn) sich nach derselben Logik umformen lassen, da bin ich skeptisch. Und da würde ich manchen Leuten, die nicht sauber denken und argumentieren, dieses Hintertürchen nur ungern offen lassen.
Das Problem an solchen naturwissenschaftlichen Vergleichen ist, dass man sich dann nicht nur einen Teil herauspicken kann, sondern den Vergleich mit allen Konsequenzen durchziehen muss. (Als naturwissenschaftlich geprägter Mensch muss man da bei manchen Predigten tief durchatmen.)
Eine Vorstellung wie im Beispiel von Rob Bell kann durchaus helfen – und da stimme ich mit Simon überein – uns zu einer gewissen Demut zu führen. Man muss sich aber vor Augen halten, dass man damit aus naturwissenschaftlicher Perspektive jenseits des Erklär- und Beweisbaren ist. Im Prinzip ist das noch nicht einmal eine Hypothese, weil sie nicht überprüfbar ist.
In manchen Fällen kann durch so eine Perspektive Demut oder Hoffnung entstehen. Konkret auflösen und erklären kann sie aber nichts. Da ist es dann wichtig, innerhalb der von uns erfahrbaren Dimensionen Erklärungsansätze zu suchen und vielleicht auch einmal die eigene Wahrnehmung zu überprüfen: Ist denn der Widerspruch wirklich vorhanden oder nur von mir so wahrgenommen?