Vorgestern war ich zur Einführung unseres neuen Dekans in der proppenvollen Neustädter Kirche. Die wesentlichen Dinge zur Person standen ja schon alle in der Zeitung. Ich hatte eher das Gefühl, dass der “Neue” es sorgfältig vermied, in mit seiner Predigt über den Perikopentext große programmatische Hoffnungen oder Befürchtungen (in der Regel ist es ja immer beides) zu wecken oder sich theologisch und persönlich gleich nach irgendeiner Richtung aus dem Fenster zu lehnen. Aber vielleicht habe ich nur nicht genau genug hingehört und zwischen den Zeilen gelesen…
Also blieben meine Gedanken an den Kleinigkeiten des aufwändig gestalteten Gottesdienstes hängen. Zum Beispiel, dass mich Anfang und Ende unwillkürlich an die Reise der Pinguine erinnerten. Es hätte nur noch einer der Pfarrer im Zug ein Kind auf seinen beiden Füßen unter dem Saum des Talars balancieren müssen. 🙂
Oder dem Introitus, der aus Römer 1,16 zitierte, das Evangelium ist eine Kraft, “die selig macht”. Ein schöner Beleg dafür, dass Lutherdeutsch ein halbes Jahrtausend später nur noch für die Leute einen Sinn ergibt, die damit groß geworden sind. Alle anderen denken an Sprüche wie “Wer’s glaubt wird selig” und assoziieren damit Schönfärberei und Betrug. Oder sie stellen sich jemand mit einem verträumt-verklärten Lächeln auf dem Gesicht vor, der seiner unmittelbaren Wirklichkeit ein Stückchen entrückt ist. Dass es um eine dramatische Rettung geht (um mal die ebenfalls schwierige Übersetzungsalternative “Heil” beiseite zu lassen), darauf kommt man nicht ohne Weiteres.
Ähnlich falsche Assoziationen weckt für mein Empfinden der Begriff “Himmelreich”, der kam auch vor in einem der Choräle. Die Liste ließe sich jetzt mühelos erweitern. Das Ganze ist nun auch gar keine Kritik an diesem Gottesdienst. Ich frage mich nur, wie viel Insider-Code sich die Kirche – jede Kirche – leisten kann und vielleicht auch muss, und wo dieser Code nicht mal mehr für die Insider mehr verständlich ist, ganz zu schweigen von Menschen, die keine kirchliche Sozialisation mitbringen. Heute würde Luther vermutlich anders übersetzen.
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ich denke mal, dass es nicht unnormal ist, dass gruppen auch durch sprache grenzmarkierungen setzen. die jünger fragen jesus, warum er in gleichnissen spreche. und er sagt: damit sie hören und nicht verstehen. – ist doch auch komisch, oder?
und dann die praktische frage, wie man denn aus seiner sprachheimat ausbrechen kann. weil der versuch es zu tun, oft so hilflos und unauthentisch wirkt. noch schwieriger wird es, wenn man hingeht und zu jemandem sagt, dass er seine sprachheimat, die ihm (auch ohne, dass er sie rational versteht!) schutz und geborgenheit gibt, verlassen solle.
es wird immer ein code bleiben. ob es jetzt nun ein bürgerlicher code ist oder ein „strassen-code“.
Also: Ganz persönlich lese ich am liebsten die Lutherbibel, Übersetzung 1984, aber nur eben für mich. Ich habe für meine persönliche Bibellese seit 1993 alle möglichen Überstzungen aus meinem pfarramtlichen Bücherregal ausprobiert: Von Elberfelder revidiert bis hin zu „Hoffnung für Alle“ – auch in Sachen „Volxbvibel“ bin ich kein Kostverächter. Ausprobiert heißt: Einmal im Jahr durchgelesen. Und ich bin wieder zu Luhter zurückgekehrt. Weil ich mal früher in meiner Jugendzeit (ist das aber lange her!) ein Bibelstudium belegt hatte, wo man Verse auswendig lernt. Damit habe ich zur Bibelkundeprüfung alle Komilitonen erschreckt, so dass ich als letzter in den Ring steigen sollte!
ABER!!!!!!!!!!!!!! Wenn es um Gottesdienste geht – angefangen von der Sprache bis hin zur Pinguinkleidung (manche machen auch einen auf Eisbären – die haben dann einen weißen Talar…) da ist das was anderes. Für Einsteiger im Glauben gibt es genug moderne Übersetzungen, die zwar Tiefe vermissen lassen an manchen Stellen. Aber dazu braucht es auch Christen, die auf dem Weg sind, ihren Glauben zu vertiefen und andere da mit nehmen. Und die auch immer wieder in Sachen Straßen – Code oder welchen code auch immer übversetzen. Mein Lieblingsbonmot ist: Jesus hat gesagt: GEht hin und macht zu Jüngern alle Völker – er hat nicht gesagt: Macht sie zu Liturgen. Der Aufbruch aus den liturgischen Grenzen gleicht allerdings einem Aufbruch aus einer liebgewordenen Heimat. Wer aber erst mal einige Schritte an der frischen Luft getan hat, sich den Wind der Zweifler um die Ohren wehen lässt und dann ihre strahlenden Augen sieht, wenn sie Jesus erleben oder ihre ehrlichen und so unliturgischen (manchmal zum Schmunzeln oder zum Schrecken für „Gebetsprofis“) Gebete hört, der will diese Mühe nicht mehr vermissen. Und was alte oder neue Lieder angeht: Im Himmel wird sowieso ein neues Lied gesungen, das noch gar keiner kennt.