Schlüsselfragen

Wir hatten es kürzlich schon von den richtigen oder nicht so richtigen Fragen, auf die das Evangelium eine Antwort gibt (oder eben auch nicht). Im Laufe der Geschichte haben sich diese Fragen immer wieder verändert. Luthers Frage nach dem „gnädigen Gott“ ist heute – sagen wir es vorsichtig – nicht mehr ganz so verbreitet wie im Spätmittelalter. Gottes Ferne und Abwesenheit ist vielleicht eher das Thema als sein Zorn.

Auf der anderen Seite ist das Evangelium eben kaum noch als „gute Botschaft“ zu verstehen, wenn es nicht auf die entscheidenden Fragen antwortet. Dabei geht es für die meisten Menschen um mehr als das persönliche Glück, um einen weiteren Horizont der Hoffnung also. Im Zeitalter der globalen Risikogesellschaft würde ich das – stark verkürzt – so zusammenfassen:

Wie kann diese gefährdete und gefährliche Welt heil werden – und wir in ihr?

Ein Evangelium, das nur individuelles Glück für wenige verspricht und dessen Eskapismus das Heil der gesamten Welt ausblendet, ist keine gute Botschaft, sondern nur eine in frommes Vokabular verpackte und leicht vergeistigte Version desselben handfesten Egoismus, der unsere Konsumkultur an den Rand des Abgrunds und gebracht hat und der den Anderen und alles Fremde als Bedrohung empfindet, die ausgelöscht werden muss.

Andererseits: Ein Evangelium der totalen Selbstaufopferung und des Verlusts jeglicher Individualität im Überlebenskampf der Menschheit oder Natur mit ungewissem Ausgang ist auch noch keine gute Botschaft. Und der falsche Trost von einer ohne Gott immer schon heilen Welt klingt auch schal.

Das biblische Evangelium spricht von Gott, der sich einmischt und selbst zum Verlierer wird, um alle zu gewinnen. Das ist die gute Botschaft – die alte Ordnung von Siegern und Verlieren, das System des gnadenlosen Wettlaufs und Konkurrenzkampfs wird auf den Kopf gestellt. Und wer gewonnen wurde, kann im Chaos der Geschichte alles riskieren, um andere zu gewinnen und – egal wie vorläufig und unvollkommen – Heilung weiterzutragen. Heilung für die Kranken und Leidenden. Heilung für die Wunden der ausgebeuteten Schöpfung. Heilung für die Systeme und Ordnungen unseres Zusammenlebens.

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Denkpause

Dunkle Wolken treiben über das Land und werfen eilig noch ihren Schnee ab, bevor sie die Grenze nach Tschechien überqueren. Der Wind hat aufgefrischt, die Straßen sind leer, die Deutschen bleiben zu Hause. In einer kopflosen Republik ohne schützendes Oberhaupt kann man ja nie wissen, wie lange Frieden und Wohlstand noch halten. Wer unbedingt vor die Tür muss, verkleidet sich derzeit sicherheitshalber.

Denkpausen können ja ein Segen sein. Schauen wir doch zur Abwechslung nach Kopenhagen, wo eine veritable Königin regiert und statt einer ratlosen Kanzlerin und einer Bundesversammlung mit schwankenden Mehrheiten die schlichte alte Erbfolge für Kontinuität sorgt.

Und da lesen wir spannende Dinge. Zum Beispiel über den zukunftsweisenden Stadtverkehr in Kopenhagen:

Mehr als die Hälfte der Einwohner fährt mit dem Rad zur Arbeit oder Schule. Bei den Pendlern, die aus dem Umland in die Stadt fahren, liegt die Quote bei 37 Prozent. Bis 2015 soll sie auf 50 Prozent steigen.

55% der Kopenhagener radeln, und zwar nicht aus Idealismus, sondern aus ganz praktischen Gründen: es ist einfach schneller. Aus dem Verkehrsamt heißt es dazu, dass man den Autos Flächen wegnehmen muss. Etwa, indem man Parkplätze in Radwege umwandelt oder Ampelschaltungen so taktet, dass man als Radfahrer mit Tempo 20 grüne Welle hat.

Wenn wir uns eines Tages wieder, gnädig behütet vom präsidialen Wemauchimmer, wieder ins Freie hinauswagen können, dann würde ich solche Dinge auch gern in Erlangen sehen und nicht nach Kopenhagen müssen.

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Zurück treten

Es hilft dann und wann zurückzutreten und die Dinge aus der Entfernung zu betrachten.

Das Reich Gottes ist nicht nur jenseits unserer Bemühungen. Es ist auch jenseits unseres Sehvermögens.

Wir vollbringen in unserer Lebenszeit lediglich einen winzigen Bruchteil jenes großartigen Unternehmens, das Gottes Werk ist.

Nichts, was wir tun, ist vollkommen.

Dies ist eine andere Weise zu sagen, dass das Reich Gottes über uns hinausgeht.

Kein Vortrag sagt alles, was gesagt werden könnte. Kein Gebet drückt vollständig unseren Glauben aus. Kein Programm führt die Sendung der Kirche zu Ende. Keine Zielsetzung beinhaltet alles und jedes.

Dies ist unsere Situation.

Wir bringen das Saatgut in die Erde, das eines Tages aufbrechen und wachsen wird.

Wir begießen die Keime, die schon gepflanzt sind in der Gewissheit, dass sie eine weitere Verheißung in sich bergen.

Wir bauen Fundamente, die auf weiteren Ausbau angelegt sind.

Wir können nicht alles tun. Es ist ein befreiendes Gefühl, wenn uns dies zu Bewusstsein kommt.

Es macht uns fähig, etwas zu tun und es sehr gut zu tun.

Es mag unvollkommen sein, aber es ist ein Beginn, ein Schritt auf dem Weg, eine Gelegenheit für Gottes Gnade, ins Spiel zu kommen und den Rest zu tun.

Wir mögen nie das Endergebnis zu sehen bekommen, doch das ist der Unterschied zwischen Baumeister und Arbeiter.

Wir sind Arbeiter, keine Baumeister. Wir sind Diener, keine Erlöser.

Wir sind Propheten einer Zukunft, die uns nicht allein gehört.

Oscar A. Romero, † 1980 (via MinEmergent, deutsch hier gefunden)

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Heilsamer Perspektivwechsel

Der Wiener Theologe Paul Zulehner spricht (unter anderem hier) von einem Perspektivwechsel, der im katholischen Bereich mit den zweiten vatikanischen Konzil eingesetzt hat. Und wir können sagen, dass er auch in Teilen der evangelischen Theologie ähnlich anzutreffen ist und einen dritten Weg zwischen starrem Dogmatismus und der gelegentlich auch kritisierten Selbstsäkularisierung darstellt. Er findet derzeit (freilich: ein paar Jahrzehnte nach dem II. Vaticanum) beispielsweise auch unter Evangelikalen in den USA statt durch Leute wie Rob Bell, hier bei uns lief und läuft das in mehreren Schüben, denke ich.

Es ist die Abkehr von einem Heilspessimismus, von einem moralisierenden Sündenverständnis, von einem Kirchenbegriff, der Gottes Heil auf Insider und Linientreue begrenzt und von einem Missionsverständnis, das primär von Angst vor Strafe und den dazugehörigen Höllenvisionen getrieben wird. Ich habe das hier ja schon gelegentlich angerissen.

Der Ansatzpunkt der Theologie, das Urdatum des Evangeliums, ist nun nicht mehr die Katastrophe des Gefallenseins und die (unbestrittene) Realität von Tod und Zerstörung in der Welt, sondern die Realität der neuen, geheilten Schöpfung in Christus, die alte Kausalitäten aufhebt und Zwangsläufigkeiten durchbricht. Es geht um das „Erbheil“, wie Zulehner es in Anknüpfung an den Begriff „Erbschuld“ nennt, das durch Christi Tod und Auferstehung allen Menschen gilt und das jetzt schon menschliches Leben bestimmen soll. Und so kann Zulehner dann auch fragen:

Was ist die Aufgabe der Kirche? Mit Gott solidarisch zu sein und ihn zu unterstützen bei der Vollendung der Welt.

Ich denke, dieser befreiende Umbruch zu einem zwanglosen und angstfreien und daher weltzugewandtem und weitherzigen Glauben läuft immer noch weiter. Unten habe ich im Kasten Zulehners Übersicht, das Original ist hier zu finden, falls jemand weiterlesen möchte. Aus dieser neuen Perspektive liest sich die Bibel plötzlich erfrischend anders. Ich denke, das beschreibt nebenbei auch schön, was mit dem Begriff „missional“ gemeint ist.

Ausgang der einen Weltgeschichte

Erbheil-Erbschuld

Kirchenbild

Mission der Kirche

heilspessimistisch: massa damnata und die kleine Zahl der Geretteten (Augustinus; vgl. Mt 22,14)

universelle Erbschuldgeschichte und begrenzte Erbheilgeschichte

exklusives Kirchenbild: „extra ecclesiam nulla salus (veritas)“. („Vereinnahmung durch die Kirche“)

Erfassen der Geretteten (mit allen Mitteln). Sicherung des Heils durch strenge Moral.

heilsoptimistisch: Vollendung der Welt im Auferstandenen als „kosmischen Christus“ (Kol 1,15-20; Hildegard von Bingen und viele andere: Zweites Vat. Konzil)

universelle Erbheil- und Erbschuldgeschichte

inklusives Kirchenbild:

„ubi salus (veritas, caritas), ibi ecclesia“

Was rettet ist die geschenkte wahrhafte Liebe, die uns gottförmig macht (Mt 25) („Verausgabung Gottes“)

Licht (enthüllen: leben, erzählen, feiern) und Salz (heilen).

Wer durch Gott von der Angst geheilt ist, kann wahrhaft lieben.

Kirche ist in der Nachfolge des Heilands Heil-Land.

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Mutig führen…?

Wolfgang Kessler vom ökumenischen Publik Forum und Autor von Geld regiert die Welt. Wer regiert das Geld? spricht in einem Interview mit Telepolis über das Verhältnis von Arm und Reich in Deutschland, das nun mit wachsendem Einfluss deutscher Politik auch noch mehr zum europäischen Normalfall zu werden droht:

In Deutschland ist in den vergangenen Jahren immer mehr Geld aus hohen Gewinnen, hohen Vermögen und Erbschaften auf die Finanzmärkte geflossen. Deutschland besteuert die Reichen im europäischen Vergleich, sogar im Vergleich mit den USA, eher gering. Wir haben keine Vermögenssteuer, die Erbschaftssteuer ist gering und die Spitzensteuern wurden von 53 Prozent unter Kohl auf knapp über 40 Prozent gesenkt.

Die Auseinandersetzung mit der Finanzmarktlobby scheut die Bundesregierung bis heute, und zwar keineswegs mit überzeugenden Argumenten. Dem Staat entgehen so geschätzte 66 Milliarden pro Jahr. Stattdessen profilieren sich unsere Regierenden auf andere Weise:

Die Regierung hält sich immer dann für mutig, wenn sie unpopuläre Maßnahmen gegen schwächere Gruppen durchsetzt. Sie scheut sich aber seit Jahren, steuerliche Maßnahmen für mehr Gerechtigkeit zu ergreifen, obwohl das Argument der Abwanderung nicht gilt, weil andere Länder viel höhere Steuern in diesen Bereichen verlangen.

Wer also die Gelegenheit hat, seinem Abgeordneten mal ins Gewissen zu reden – das wäre doch ein gutes Thema.

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Entfesselte Worte

Fulbert Steffensky kommentiert kritisch die gelegentlich vorgetragene These, das apostolische Glaubensbekenntnis sei doch eigentlich überholt und klinge befremdlich für heutige Menschen. Dabei vermeidet er es aber, in den starren Traditionalismus zu verfallen, der sich an Formeln klammert und den Protest möglicherweise überhaupt erst ausgelöst hat. Diese Bekenntnisse sind nicht die einzig wahre Art, den eigenen Glauben zu bekennen, aber sie bewahren uns auch davor, die eigene Formulierung der Wahrheit für die einzige wahre zu halten:

Die Glaubensaussagen verlieren immer da ihre Kraft, wo sie als objektive verstanden werden, zu allen Zeiten und von jedem zu machen, unüberhörbar und unberührt von den Zeitläufen und den Schicksalen ihrer Bekenner. Religiöse Sprache ist, wo sie den Namen verdient, eine poetische Sprache, das heißt, dass sie nicht zu hören ist abgelöst von den Sprechenden, von ihren Tränen und von ihrem Jubel. Sie ist gerade keine Einheitssprache, die zu allen Zeiten zwischen Tokio und Lima gilt. Sie ist Auslegung, nicht nur Rezitation eines immer schon Gesagten. Das heißt nicht, dass sie die willkürliche Expression der Gemütslagen von unverbundenen Individuen ist. Wir haben Texte und Traditionen, die unsere Auslegung richten, sie aber nicht beherrschen. […]

Wir sind nicht in die Korrektheit des Glaubensbekenntnisses gefesselt, das ist wahr. Aber wir sind auch nicht in die Kärglichkeit unserer eigenen Sprache gefesselt, wenn wir in die Sprache der Toten fliehen. Wir sind Gast in fremden Zelten, Gäste von großen Lebensbildern. Wir sind humorvolle Gäste, die wissen, dass sie in dieser Sprache nicht ganz zu Hause sind.

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Warten auf Volf (2): Die „Politik der Reinheit“

Passend zum Post von gestern hier ein Abschnitt aus dem 2. Kapitel von Miroslav Volfs Exclusion and Embrace, das demnächst auf Deutsch erscheint. Volf bezeichnet das Streben nach falscher Reinheit als einen zentralen Aspekt von Sünde, den Jesus aufdeckt und bekämpft. Dann wendet er diesen Gedanken auf die Politik an, und es ist immer noch hochaktuell, was er schreibt:

Denken Sie an die tödliche Logik der „Politik der Reinheit“. Das Blut muss rein sein: Nur deutsches Blut soll durch deutsche Adern fließen, frei von aller nichtarischen Kontamination. Das Territorium muss rein sein: Serbischer Boden darf nur Selben gehören, rein sein von allen nichtserbischen Eindringlingen. Die Herkunft muss rein sein: wir müssen zurück in die ursprüngliche Reinheit unserer sprachlichen, religiösen oder kulturellen Vergangenheit, den Schmutz des Andersartigen abschütteln, der sich auf dem Marsch durch die Geschichte angesammelt hat […]. Das Ziel muss rein sein: wir müssen das Licht der Vernunft in jeden dunklen Winkel leuchten lassen oder eine Welt völliger Tugend erschaffen, in der keine moralische Anstrengung mehr nötig ist. Der Ursprung und das Ziel, das Innere und das Äußere, alles muss rein sein: Pluralität und Heterogenität müssen der Homogenität und Einheit weichen.

Ein Volk, eine Kultur, eine Sprache, ein Buch, ein Ziel; was nicht unter dieses allumfassende „Eine“ fällt, ist ambivalent, verunreinigend und gefährlich […]. Es muss entfernt werden. Wir wollen eine reine Welt und drängen die „Anderen“ aus unserer Welt hinaus; wir wollen selbst rein sein und tilgen die Andersartigkeit aus unserem Selbst. Der „Wille zur Reinheit“ enthält ein ganzes Programm zur Ordnung unserer sozialen Welten – von den inneren Welten des Selbst zu den äußeren unserer Familien, Nachbarschaften und Nationen […]. Es ist ein gefährliches Programm, regiert von einer Logik, die reduziert, ausscheidet und abtrennt.

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Wenn Schweigen keine Option ist

Unter dem gut gewählten Titel Gefährliche Reinheitsphantasien beschrieb die Süddeutsche letzte Woche, wie Homosexuellen an vielen Orten zunehmend das Leben zur Hölle gemacht wird. Oft ist es eine Mischung aus Populismus und einem verkorksten Nationalbewusstsein, aus der die Diskriminierung erwächst, in Russland etwa:

Damit avancieren Homosexuelle – neben Juden und „Kaukasiern“ – endgültig zu einer Minderheit, die hauptsächlich einem Zweck dient: der Abgrenzung jenes schwammigen Gebildes, das populistische Machthaber „die russische Seele“ nennen. Im Gange ist nicht eine Diskussion über Menschenrechte, sondern ein Kulturkampf, in dem Lesben und Schwule von vornherein angezählt sind. Der legislativen Mehrheit gilt Homosexualität als „eine unmusische Krankheit“, als eine Sünde oder beides.

In den USA stänkert Rick Santorum, der republikanische Kandidat, der die engste Verbindung zum fundamentalistisch-patriotischen Flügel des Christentums pflegt, gegen die Zulassung der „Homo-Ehe“ durch den obersten Gerichtshof. Am düstersten jedoch sind die Perspektiven in Afrika: Uganda will zwar nicht mehr die Todesstrafe für ausgelebte Homosexualität, zieht aber alle anderen Register bei rechtlichen Sanktionen, in Südafrika wird trotz liberalerer Gesetze die Praxis des „correctional rape“ (der Vergewaltigung lesbischer Frauen) nur halbherzig verfolgt, und „Im religiös gespaltenen Nigeria gilt der Hass auf Homosexuelle als eines der wenigen Gefühle, das Muslime und Christen eint“, schreibt Tim Neshitov. Proteste aus Europa oder den USA werden von den Afrikanern als neokoloniale Bevormundung abgeschmettert.

Und in der Tat sind diese Konflikte kolonialen Ursprungs. Im 19. Jahrhundert wurden Afrikas Naturvölker für ihre Reinheit und Ursprünglichkeit verklärt (das Motiv spielt aktuell wieder eine Rolle, wenn manche auf die vermutlich ältere und tiefere Weisheit der Maya setzen und vom Untergang der globalen Zivilisation albträumen). Zu anderen Zeiten blickten Europäer auf ein vermeintlich moralisch unterentwickeltes Afrika herab.

Gesetze, die in Afrika Homosexualität kriminalisieren, wurden ursprünglich von Kolonialverwaltungen eingeführt. „Die Kolonisatoren brachten nicht die Homosexualität nach Afrika, sondern deren Ächtung – und Systeme von Aufsicht und Regulierung, um sie zu unterdrücken“, schreiben die US-Forscher Will Roscoe und Stephen O. Murray in „Boy-Wives and Female-Husbands: Studies in African Homosexualities“, einem Buch aus dem Jahr 1998. „Erst als die Einheimischen vergaßen, dass gleichgeschlechtliche Muster einst Teil ihrer Kultur waren, wurde Homosexualität wirklich stigmatisiert.“

Natürlich gibt es diesen postkolonialen Kulturkampf auch auf „christlich“, wo ein vermeintlich „reines“ und vitales Christentum aus Afrika auf einen in seinen Augen degenerierten westlichen Liberalismus trifft, der (so das Klischee) schon vor hundert Jahren vor dem Zeitgeist kapitulierte und seither dahinsiecht. Auch hier kann Homosexualität nicht nur als „unbiblisch“, sondern auch als „unafrikanisch“ (!) bezeichnet werden. Und auch hier stellt sich die Frage, ob diese Schablone verdeckt, dass nun Theologie, Moralvorstellungen und Ideale womöglich reimportiert werden, die von den Missionaren der Kolonialmächte im 19. Jahrhundert exportiert wurden. Postmoderne „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“ – so wie die folgenschwere Unterscheidung von Hutus und Tutsis auch ein europäischer Export war, afrikanischer Tribalismus also mit überholtem westlichen Rassismus zusammenhängt.

Nun scheint es so, dass ein Drohen mit dem Entzug von Entwicklungshilfe den Konflikt eher verschärft. Und vielleicht auch deshalb nicht angemessen wäre, weil wir Unbarmherzigkeit mit Unbarmherzigkeit bestrafen, und es trifft in jedem Fall die Schwachen und die Falschen. Zudem leugnet durch solch ein Vorgehen der Westen seine Mitschuld an der komplexen Vorgeschichte dieser Misere. Muss man also tatenlos zusehen (oder wegsehen), so wie wir das (das hat der Artikel ja leider ausgeblendet) in zahlreichen islamischen Ländern ohnmächtig tun? Afrika lernt (so hoffen wir) allmählich, seinen Binnenrassismus zu überwinden. Vielleicht lässt sich dieser Lernerfolg ja ausdehnen auf andere Bereiche.

Noch ein Gedanke zum heiklen Begriff der Reinheit. Wo Reinheit gefordert wird, da drohen Säuberungen, und die fallen gelegentlich sehr militant aus. Ethnische und kulturelle Reinheit ist in einer globalen Welt noch durch militante Abschottung zu erreichen, indem nämlich die jeweilige Mehrheit (um Mehrheit zu bleiben) alle möglichen Minderheiten ausgrenzt und zu Sündenböcken macht. In solche Reinheitsvorstellungen hat sich Jesus nicht gefügt, sondern so manche Tabus gebrochen. Unabhängig von der Frage, wo man in der Debatte über Homosexualität im Christentum steht – für die Menschenrechte Homosexueller sollte sich daher jeder einsetzen, beharrlich und mit Bedacht. Niemand will schließlich eine Neuauflage von Martin Niemöllers berühmtem Diktum schreiben müssen:

„Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist.

Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Sozialdemokrat.

Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Gewerkschafter.

Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.“

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Männlich/weiblich/wirklich nützlich…?

Wir hatten diese Woche schon eine muntere Diskussion über John Pipers Thesen zu einem „maskulinen“ Christentum. Mein Standpunkt war und ist, dass die Anwendung dieser Begrifflichkeit auf Gott (der der Kirche ein „masculine feel“ verordnet)  ein theologisch problematisches Unternehmen ist, das man aus gutem Grund unterlassen sollte. Ähnlich urteilt auch Scot McKnight als bewusster Evangelikaler:

This is a colossal example of driving the whole through a word (“masculine”) that is not a term used in the New Testament, which Testament never says “For Men Only.” Pastors are addressed in a number of passages in the NT, and not once are they told to be masculine.

Ich will Piper jetzt nicht böswillig in die Pfanne hauen, aber da er sich auch diesseits des großen Teichs einer gewissen Anhängerschaft erfreut, darf man schon einmal einen Blick darauf werfen, was für Vorstellungen von Kirche und Christentum hier befördert werden (die Entscheidung des Bundes der FeG für Pastorinnen mit solchen Diskussionen über den Abfall von der reinen biblischen Lehre liegt ja noch nicht so lange zurück).

Piper hat seine Sicht in acht Thesen gefasst; für alle, die an meiner korrekten Wiedergabe zweifeln, hier erst einmal der O-Ton:

1. A masculine ministry believes that it is more fitting that men take the lash of criticism that must come in a public ministry, than to unnecessarily expose women to this assault.

2. A masculine ministry seizes on full-orbed, biblical doctrine with a view to teaching it to the church and pressing it with courage into the lives of the people.

3. A masculine ministry brings out the more rugged aspects of the Christian life and presses them on the conscience of the church with a demeanor that accords with their proportion in Scripture.

4. A masculine ministry takes up heavy and painful realities in the Bible, and puts them forward to those who may not want to hear them.

5. A masculine ministry heralds the truth of Scripture, with urgency and forcefulness and penetrating conviction, to the world and in the regular worship services of the church.

6. A masculine ministry welcomes the challenges and costs of strong, courageous leadership without complaint or self-pity with a view to putting in place principles and structures and plans and people to carry a whole church into joyful fruitfulness.

7. A masculine ministry publicly and privately advocates for the vital and manifold ministries of women in the life and mission of the church.

8. A masculine ministry models for the church the protection, nourishing, and cherishing of a wife and children as part of the high calling of leadership.

Auf Deutsch und in meinen Worten:

  • Männer verhindern wo immer möglich, dass Frauen beißender Kritik ausgesetzt werden, die die öffentliche Verkündigung des Evangeliums unweigerlich nach sich zieht
  • Männer vermitteln der Kirche „biblische“ Lehre, und zwar „mutig“ und mit großem Nachdruck (!).
  • Männer bringen das „Kantige“ des Evangeliums zur Geltung und reden Leuten ins Gewissen
  • Männer reden über unbequeme Wahrheiten, besonders zu denen, die nicht hören wollen (an erster Stelle steht bei Piper dann auch erwartungsgemäß die Hölle als eine solch unbequeme Wahrheit)
  • Männer machen die „Wahrheit der Bibel“ in Kirche und Welt zu einer dringlichen Sache (das Wortfeld des „Drängens“ wird hier dreimal bemüht!)
  • Männer jammern nicht, wenn sie auf Widerstände treffen beim Versuch, Prinzipen, Strukturen und Pläne für eine fruchtbare Kirche umzusetzen, sondern sie begrüßen das
  • Männer sorgen dafür, dass Frauen in der Kirche mitarbeiten können (NB: von Leitung steht da nichts…)
  • Männer betrachten es als Teil ihrer Leitungsaufgabe, vorbildlich für Frauen und Kinder zu sorgen

Welches Ideal von Mann- und Frausein spricht nun erstens aus diesen Thesen und inwiefern entspricht das zweitens dem Geist des Evangeliums? Zum ersten:

  • „Männlich“ ist der penetrante Streiter für die öffentliche Wahrheit
  • „Männlich“ ist der bibel- und prinzipientreue Erzieher und Lehrmeister
  • „Männlich“ ist der starke Beschützer und Fürsprecher von Frauen und Kindern

Das alles charakterisiert möglicherweise die Person John Piper ebenso wie den „unverblümten, männlichen Mr. Ryle“ aus dem 19. Jahrhundert, den er seinen Männern als Vorbild vor Augen stellt. Aber ist das denn maskulin – im Unterschied zu allem, was man mit Weiblichkeit verbindet? Besteht in diesen Dingen notwendigerweise ein Gefälle zwischen Frauen und Männern – sind Männer also mutiger, wahrheitsliebender, lehrbegabter und leidensfähiger als Frauen oder sollten sie es zumindest sein, wenn sie Männer „nach dem Herzen Gottes“ sein wollen? Oder doch eher die Kultur des Biedermeier? Und müssen/sollten christliche Leiter (so lässt sich die letzte These ja verstehen) eine große und glückliche Familie haben – Paulus hatte das ja wegen des entbehrungsreichen Dienstes (von dem Pipers erste These vermutlich spricht) in Frage gestellt, und Jesus war meines Wissens auch unverheiratet?

Zwar spricht Piper in seiner Rede durchaus davon, dass Frauen all das auch dürften, was er hier beschreibt, aber schon die erste These deutet an, dass es eigentlich nicht notwendig sein sollte, dass Frauen solche Dinge tun, wie sich öffentlich in Konflikte zu begeben, weil ihnen die Männer diese Arbeit schon abgenommen haben sollten. Erinnert das nur mich verdächtig an die galante Entmündigung der Dame durch den Kavalier?

Zweitens: Wenn überhaupt, dann ist diese Darstellung von „maskuliner Leitung“ in der Kirche einer einseitigen Wahrnehmung geschuldet. Zwei Beispiele nur: Statt Menschen anzupredigen und unter Druck zu setzen spricht Paulus in 2. Kor 5 etwa von der werbenden Bitte des Apostels an die Menschen, sich mit Gott versöhnen zu lassen. Jesus, durchaus ein streitbarer Mensch, kann sich in Matthäus 23 weinend als „Glucke“ bezeichnen, die ihre Küken vor drohender Gefahr retten will. Pipers in aggressiver Diktion gehaltene Thesen lassen dafür wenig Spielraum, da wird für meinen Geschmack eher auf Konformität gedrängt statt auf Mündigkeit.

McKnight verweist als Antwort auf diese Diskussion unter anderem auf ein Buch von Beverly Gaventa mit dem bemerkenswerten Titel Our Mother Saint Paul. Ihr geht es nicht darum, Gott oder bestimmte Verhaltensweisen als maskulin oder feminin zu qualifizieren, sondern zu zeigen, wie Paulus für seinen Dienst an der Gemeinde neben väterlichen auch mütterliche Metaphern verwenden kann: Das Stillen (1Thess 2,7f.; 1Kor 3,1-3), das Gebären (Gal 4,17-20) und die kosmische Wiedergeburt (Römer 8,18ff.) mit den dazugehörigen Wehen.

Ob die Klassifizierung bestimmter hier beschriebener Verhaltensweisen als „maskulin“ uns weiterbringt, darf getrost bezweifelt werden. Auch Frauen sollen selbstverständlich tapfer streiten, mit oder ohne Männer in der Öffentlichkeit stehen oder sich schützend vor Schwächere stellen, gegebenenfalls auch vor in ihrer „Maskulinität“ verunsicherte Männer. Und auch Männer dürfen sich ein Beispiel am mütterlichen Apostel nehmen oder am gluckenden Jesus. Und mit den biblischen Wahrheiten (was auch immer der einzelne darunter versteht) darf man unaufdringlicher umgehen, getrost leiser davon sprechen, als das oben gefordert wird.

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Wenn Worte meine Sprache wären…

Ich habe neulich schon ein paar Leserinnen mit einem Nietzsche-Zitat darüber schockiert, wie Worte „das Ungemeine gemein machen“ können, und (wie mir gesagt wurde, ich konnte es nicht nachprüfen) etliche negative Bewertungen auf Jesus.de gesammelt. Freilich ist es paradox, den banalisierenden Effekt vielen Redens mit Worten zu beschreiben. Trotzdem – legen wir doch noch eine Schippe drauf mit den folgenden Worten von Thomas Merton zum gleichen Thema (und liebe Jesus.de Freaks, ab jetzt lest Ihr auf eigene Gefahr weiter, also bitte beklagt Euch nicht hinterher…):

Wir setzen Worte zwischen uns und die Dinge. Selbst Gott ist zu einem weiteren unwirklichen Konzept im Niemandsland der Sprache geworden, die nicht mehr als ein Mittel der Verbundenheit mit der Wirklichkeit dient.

Das Leben in der Stille, das Schweigen, beseitigt die Vernebelung durch Worte, die der Mensch zwischen sich und die Dinge gebracht hat. In der Stille begegnen wir dem nackten Wesen der Dinge von Angesicht zu Angesicht. Und doch merken wir, dass die Nacktheit der Wirklichkeit, vor der wir uns gefürchtet hatten, weder eine Sache des Schreckens noch der Scham ist. Sie ist in die freundliche Gemeinschaft des Schweigens gekleidet, und dieses Schweigen ist Liebe. Die Welt, die unsere Worte zu klassifizieren, zu beherrschen und sogar zu verachten suchten (weil sie sie nicht fassen konnten), kommt uns nahe, denn die Stille lehrt uns, die Wirklichkeit zu kennen, indem wir sie achten, wo Worte sie beschmutzt haben. (hier gefunden)

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Neue deutsche Coolness?

Deutschlands neue starke Rolle in Europa führt dazu, dass andere immer wieder alte Nazi-Klischees aufleben lassen. Bisher war man das nur von englischen Zeitungen während eines Fußballturniers gewohnt. In der Zeit fragt Bernd Ulrich sich und uns, wie man darauf am besten reagieren sollte – derzeit nimmt das ja eher zu als ab. Einerseits können wir das leidige Nazi-Kapitel nie für endgültig abgeschlossen erklären, andererseits darf man den allzu durchsichtigen Manipulationsversuchen auch nicht auf den Leim gehen, wenn wieder einmal jemand die Nazi-Karte spielt:

Die deutsche Vergangenheit wird nur dann ganz sicher nicht wiederkehren, wenn die Deutschen sich nie ganz sicher sind, dass sie nicht wiederkehrt. Darum können sich die Deutschen, ihre Politiker zumal, nicht ganz verpanzern, weder gegen Anwürfe von außen noch gegen Anflüge von Selbstzweifeln. Es bleibt da eine wunde Stelle.

Was soll man nun tun? Die anderen bitten, mit diesem Nazi-Mist einfach aufzuhören, uns Deutsche bitte schön in jeder nur erdenklichen Form zu beschimpfen außer in dieser? Ja, das könnte man. Die Deutschen könnten auch zugeben, dass sie geliebt werden wollen (das ist nichts Schlimmes), viel mehr als Franzosen oder Briten, die sich schon selbst ganz gut lieben. Allerdings können sich die Deutschen vor lauter Liebesbedürftigkeit nicht selbst verleugnen, schon weil die anderen sie dann nur noch mehr verachten würden.

Schließlich muss sich eine gewisse Coolness nach außen mit besonders hoher historischer Sensibilität nach innen verbinden. Antisemitismus, Neonazi-Terror, Geschichtsvergessenheit, Anfälle von Arroganz – das sind die wirklichen Gefahren und Verführungen.

 

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Himmlische Alpha-Männchen?

Wenn man die Bibel mit einer patriarchalischen Brille liest, bekommt man patriarchalische Ansichten bestätigt. Das hat in diesen Tagen John Piper wieder einmal bilderbuchmäßig vorexerziert.

Statt zu fragen, inwiefern die Begrifflichkeiten „Vater“ und „Sohn“ und alles weitere in diesem Zusammenhang die patriarchalisch strukturierte Ursprungskultur widerspiegeln, statt zu bedenken, wie sie in deren Kontext zu verstehen sind und ob im biblischen Reden von Gott nicht vielleicht auch ein Keim zur Überwindung dieser Kultur stecken könnte, statt schließlich auch noch die unabdingbare Frage in den Raum zu stellen, ob menschliche Kategorien wie maskulin und feminin auf Gott überhaupt sinnvoll anwendbar sind…

… konstatiert Piper ganz plump eine Präferenz „Gottes“ für das Maskuline, und das kann er dann auch noch gleich mit ein paar Attributen griffig aufschlüsseln und seinen Anhängern als ethische Norm oder spirituelles Ideal vor Augen stellen. Nicht dass ich bisher begeistert gewesen wäre von seinen Thesen, aber dieses Reflexionsniveau ist hatte ich dann doch nicht erwartet.

Gott steht also nicht mehr über der menschlichen Geschlechterdifferenz, sondern mittendrin. Andromorphismen sind ja nichts Neues in der Theologie, auch wenn sie im 21. Jahrhundert aus gutem Grund seltener geworden sind.

Vor allem sind sie – zumal in dieser Form – selbst schlicht unbiblisch. Denn auch wenn von Gott konkret häufig als Vater, Herr etc. die Rede ist, wird die abstrakte Frage, ob und inwiefern er nun „männlich“ oder „weiblich“ sei, weder aufgeworfen noch beantwortet. Vielleicht auch deshalb, weil damals noch genug jüdische Scheu vor dem Namen und Geheimnis Gottes bestand, um ihn aus Testosteronkriegen herauszuhalten. Gottes Namen (das zeigt schon der Plural) enthüllen sein Geheimnis ja nicht etwa, sie bewahren es vor allem.

Dasselbe gilt von Jesus: Nicht seine Männlichkeit, sondern seine Menschlichkeit in ihrem Verhältnis zu Gott ist das große theologische Thema der Alten Kirche. Und auch hier wird im Nizänischen Bekenntnis das Bild menschlicher Vaterschaft (und mit ihm die Kategorien jeglicher Biologie!) komplett gesprengt, wenn es heißt „aus dem Vater geboren (!) vor aller Zeit“

Wenn man im Bestreben, die Bibel so wörtlich wie nur möglich zu nehmen, den metaphorischen Charakter biblischer Sprache und dessen unvermeidliche kulturelle Bedingtheit übersieht, verliert man nicht nur vor lauter Wörtern den Sinn, sondern man wird auch versuchen, die gesellschaftlichen Verhältnisse von damals zu reproduzieren: Piper will, so der Bericht, ja eine erkennbar maskuline Kirche (man fragt sich unwillkürlich: wo bleibt die „Braut“ aus der Offenbarung?). Pipers Repristinierung des Patriarchalen geht also über ihr antikes Vorbild weit hinaus. Er sagt zu viel über Gott und macht ihn dadurch nicht etwas größer, sondern kleiner, zu einer Art transzendenten Alpha-Männchen.

Frech gefragt: Vielleicht löst diese Impuls als ungewollt kompensatorisches Element zu seiner Gotteslehre einen neuen Schub von Marienverehrung unter den NeoReformierten aus? Die blüht ja wohl nicht ganz zufällig dort, wo Männer die Hierarchie komplett besetzt halten. Für uns Deutsche ist das insofern relevant, als man bei „Evangelium 21“ Pipers Gedankengut eifrig importiert – im Mai wird er in Hamburg erwartet.

Wird nun Gott vermännlicht oder das Männliche vergöttlicht? In jedem Fall kann man zugespitzt sagen: John Pipers Gott sieht ihm seit letzter Woche etwas ähnlicher. Und der Slogan „Desiring God“ bekommt einen neuen Beigeschmack.

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Ein kostspieliges Ja

Brian McLaren schriebt in Naked Spirituality, dass Evangelikale den Wert des Commitment (Zusage, Bindung, Verpflichtung, Hingabe) schon immer verstanden haben. Man ist vielleicht von Geburt aus blond, oder deutsch, oder auch Linkshänder.

Die Beziehung zu Gott ähnelt jedoch mehr einer Ehe: sie erfordert ein bewusstes Ja – ein erstmaliges, das dann zu den unterschiedlichsten Gelegenheiten bekräftigt werden möchte. Manche dieser Situationen und Augenblicke sind alles andere als einfach:

Am meisten zählt unser Ja, wenn wir ungerechte Behandlung statt Lob erfahren für unsere Mühen. Deshalb ist das Thema des Leidens für gute Taten so zentral in allen unseren spirituellen Traditionen.

Ja zu sagen zum Tun des Guten und dann ignoriert zu werden, Ja zu sagen zum Tun des Richtigen und dann missverstanden und kritisiert zu werden, Ja zu sagen zum Handeln aus Liebe und dann geschmäht und sogar gekreuzigt zu werden – das ist das Terrain, auf das wir eines Tages alle eingeladen werden.

Das ist das Ja des nicht mein Wille, sondern dein Wille geschehe.

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Altes Lied, neue Strophen

Das Thema wird offenbar nie langweilig: Die Klage der Frauen über die Männer und die Klage der Männer über die Klage der Frauen. Der Feuilleton-Beitrag „Schmerzensmänner“ von Nina Pauer in der Zeit hat zahlreiche Antworten erhalten, unter anderem von Ina Deter und Johan Korndner in der taz und Christoph Scheuermann vom Spiegel. Persönlich fand ich aber die Replik aus Pauers eigenen „Stall“ am interessantesten. Sie stammt von Meli Kiyak, die zur Qual der Wahl im Zeitalter des totalen Konsums kritisch bemerkt:

In der Generation der 30- bis 40-Jährigen findet sich doch wirklich jeder, jede und alles, je nach Milieu, Bildung, Herkunft, Wohnort. Wer es nicht glaubt, schaue sich um. Es gibt Musikklubs, die nach Musikrichtungen unterteilt sind, es gibt Restaurants, die nur Knoblauchgerichte oder milchfreie Speisen anbieten, es gibt Boutiquen, die für schwangere Frauen ausgerichtet sind, und Kaufhäuser, die ausschließlich Geringverdiener im Blick haben, es gibt Spartenfernsehen, Spartenradio, Spartenbuchhandlungen, Spartenkontaktbörsen […]

Das Überangebot führt allerdings dazu, dass man mit seiner persönlichen Checkliste loszieht: »Wie soll er aussehen, passt er zu meinen Lebensmittelunverträglichkeiten und den Haustieren, wie viele Kinder und Ehefrauen darf er höchstens alimentieren? Wie präsentiert er sich bei Facebook, wie groß, wie dick ist er? Nein, nicht schon wieder einer mit Schuppenflechte, mit dem Letzten musste man auch schon auf gemeinsame Schaumbäder verzichten, und wenn man etwas liebt, dann Schaumbäder…« Allzu verständlich, dass der durch Überfluss verwöhnt Suchende seine Kriterien nicht ausgerechnet bei der Partnerwahl einschränken wird. Also macht man sich auf die Suche nach dem Richtigen, der zum richtigen Zeitpunkt alles richtig macht. Wenn Männer alles prima können, Geld verdienen, renovieren, sich um die Verhütung kümmern, Parfum benutzen, kann es nur noch an Details scheitern. Dann geht es nur um Melancholie, Ratlosigkeit, Nervosität und so. Wer Herrn Optimal und Fräulein Perfekt nicht findet, der schraubt nicht etwa seine Kriterien herunter, sondern verzweifelt gleich grundsätzlich. Wer so tickt, ist kein Mensch, sondern eine Suchmaschine.

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