Ich bin noch tief bewegt von der Antrittsrede des 44. US-Präsidenten. Das hohle nationale Pathos der Bush-Ära ist endlich passé. Obama appelliert ernst und entschlossen an das Beste, das Amerika der Welt und sich selbst zu geben hat. Ein Grund mehr, uns diese Worte von Jürgen Moltmann ins Gedächtnis zu rufen. Vielleicht sind sie aktueller als je zuvor:
Die amerikanischen Bürgerrechte sind von den Menschenrechten abgeleitet und weisen darauf hin, dass »alle Menschen frei und gleich geschaffen sind«. Die USA sind in dieser Hinsicht ein – der erste – Menschheitsstaat. Ihr Anspruch und ihr Versprechen ist der auf Menschenrechten für alle und jeden gegründete Menschheitsstaat, der die Nationalstaaten überwindet und den Weltfrieden garantiert. Darum bleiben die USA in der Geschichte unfertig und unvollkommen, bis dieses politische Experiment der Menschheit mit sich selbst gelingt oder misslingt. Die amerikanische Demokratie ist unvollständig, so lange nicht die ganze Welt für die Demokratie gewonnen worden ist. Das macht dieses politische Experiment zu einem messianischen Experiment. Gelingt es, kommt ein Zeitalter des Friedens für alle Menschen; misslingt es, dann geht nicht nur die menschliche Welt, sondern auch die natürliche Welt in Gewalt, Unrecht und Kriegen unter.
… Die experimentelle Lebenshaltung entspricht der Zukunftsoffenheit der eigenen Geschichte, an die man glaubt. Leben als Experiment heißt, seine Zukunftschancen immer neu ergreifen. das Experiment des Lebens muss angesichts veränderter Situationen dann tatsächlich immer neu »erfunden« werden.
Jürgen Moltmann: Das Kommen Gottes: Christliche Eschatologie S. 200f.
Ich finde Obama ist eine faszinierende Persönlichkeit. Allerdings finde ich den annähernd messianischen Klut, der um ihn getrieben wird eher besorgniserregend.
Die Bemerkungen von Moltmann zur amerikanischen Demokratie kann ich vor meinem persönlichen Wissen über Eschatologie nur wenig nachvollziehen. Wie leicht missbrauchbar der amerikansiche Anspruch ist, haben wir in den letzen Jahren schmerzlich demonstriert bekommen.
Ich denke, das beste, was Menschen auf dieser Erde füreinander tun könne, ist Leid zu lindern und der Not zu begegnen. Mehr werden wir nicht leisten können. Wenn Amerika das tut ist es gut, wenn es das nicht tut, dann ist es eine Katastrophe!
100%ig nachvollziehen kann ich Moltmanns Worte auch nicht, aber mich hat die Antrittsrede bzw. die ganze Zeremonie auch sehr bewegt. Und ich kann sehr gut verstehen, dass viele Amerikaner so enthusiastisch auf Barack Obama reagieren – voller Erleichterung (z.B. darüber, dass es nicht mehr GWB ist, der Amerika regiert und repräsentiert) und Hoffnung auf ein anderes Amerika.
@ Peter: In dem Zitat fehlt in Zeile 8 ein „u“ – ich nehme an, es muss „Darum“ und nicht „Darm“ heißen… 😉
Moltmann ist den USA gegenüber nicht unkritisch. Bush zählt er sicher zu den Schattenseiten. Aber er sieht auch das Potenzial zum Guten, ohne einen Kult draus zu machen. Die USA als Katalysator zum Guten, das wäre doch schon ein echter Fortschritt für die Welt. Und in Obamas Rede klang dieser Aspekt schon sehr deutlich an. „Messianisch“ ist das insofern, als es Gottes Herrschaft (und damit Frieden und Gerechtigkeit für alle) voranbringt, nicht aber im Überlegenheitsanspruch (den haben wir wohl alle gründlich satt).
Ja, Du hast Recht – die USA als Katalysator zum Guten, das klingt gut!
Obama kann der Welt keinen Frieden bringen. Die USA sind auch kein Katalysator zum Guten. Nein, echter Frieden ist nur möglich, wenn das innerste Wesen der Menschen verändert wird. Nur Jesus Christus kann echten Frieden bringen, zunächst zu Individuen, bei seinem zweiten Kommen dann auch der ganzen Welt. Der unabhängige Mensch ist durch die Sünde entstellt und nicht friedensfähig, so sehr er sich auch bemüht. Egoismus und Egozentrik machen alle noch so gut gemeinten Bemühungen zunichte. Das gilt auch für Obama. Es gibt nur einen echten Messias, nämlich Jesus Christus!
Um Missverständnisse zu vermeiden: Ich denke nicht, dass Obama ein Messias ist. Das meint auch Motlmann nicht mit dem „messianischen Experiment“. Aber wenn Jesus Frieden bringt, dann benutzt er dafür Menschen. Und Obama könnte einer davon sein.
Jesus benutzt Menschen, um andere Menschen, Individuen, zu erreichen. Es geht ihm zunächst um die Errettung von Individuen, denn sein Reich ist (noch) nicht von dieser Welt. Das Neue Testament spricht nicht von politischen Veränderungen durch „messianische“ Persönlichkeiten. Politische Veränderungen wird der Meister (Jesus Christus) selbst auf die Erde bringen, sie werden so radikal sein, dass sie unsere kühnsten Träume von Weltfrieden in den Schatten stellen. Allerdings wird diese Revolution nicht friedlich daherkommen, sondern in einer apokalyptischen Dynamik die zum Weltgericht, und dann erst zum Frieden führt. Politiker, die von Frieden, Toleranz und Sicherheit sprechen, sind mit Vorsicht zu genießen, da ihre Aussagen (die wir zwar gerne höhren) eher auf einen antichristlichen Geist schließen lassen, als auf den Plan Gottes. Die Welt kommt nicht an der Apokalypse vorbei, nur demütiges Vertrauen auf Gott wir uns durch die schwierigen Zeiten, die uns bevorstehen, hindurchbringen.
Ich habe es schon auf Ilonas Blog geschrieben, aber es gehört vor allem hierher:
Ich glaube, Moltmann ist in diesem Blogartikel massiv mißverstanden worden:
Bei den von peregrinatio wiedergegebenen Passagen handelt es sich um Moltmanns Darstellung des amerikanischen Selbstverständnisses, das Moltmann allerdings gerade ablehnt, weil ein solches “messianisches” Selbstverständnis alleine Christus zukomme!
Es geht hier also um eine massive Kritik Moltmanns an den USA, keineswegs um die Legitimierung der Verbindung christlicher Hoffnung mit einer innerweltlichen Staatsmacht! So betrachtet würde Moltmann (wenn ich ihn das nächste Mal sehe, frage ich ihn …) mahnen, berechtigte (!) Hoffnungen auf eine neue US-Politik nicht mit Kategorien des Evangeliums zu verwechseln.
So wenig es in der Tat schaden kann, wenn die USA für mehr Gerechtigkeit sorgen, so sehr hege ich den Verdacht, daß ein Großteil der Erwartungen und Hoffnungen, die sich jetzt von europäischer Seite an die USA richten, eher Ausdruck eigenen Versagens und Projektion von Schuldgefühlen sind, was die eigene Rolle in der Arbeit für eine gerechtere Welt angeht.
@ Tobias Lampert: Ja, frag doch mal. Ich habe das bei Moltmann im Kontext nachgelesen bevor ich es gepostet habe, und obwohl er die USA auch kritisiert ist das gerade keine rein ablehnend wiedergegebene Darstellung amerikanischen Selbst- und Sendungsbewusstseins, um dessen Ambivalenz er natürlich weiß und die er an anderen Stellen beschreibt. Er sieht das m.E. differenzierter als Du es hier darstellst.
Und was Europa angeht, hier ist das nationalstaatliche Denken (im Osten und Westen mehr als in der Mitte) noch so stark, dass Europa global nicht handlungsfähig ist.
@Peter:
Hmm, ich glaube, was den messianischen Gedanken als solchen im amerikanischen Selbstverständnis angeht, so lehnt ihn Moltmann rundweg ab – ohne dabei in Abrede stellen zu wollen, daß die USA viel bewegen können!
Werde da bei Gelegenheit aber auch noch einmal genau nachlesen und – so es Moltmanns Gesundheit zuläßt und sich die Gelegenheit ergibt, ihn selbst fragen: wollte demnächst ohnehin ein paar meiner „alten“ Tübinger Profs besuchen. 😉
Es ist doch einfach erfreulich, wenn ein Politiker, der gehört wird, differenzierte Zusammenhänge mit Überzeugung und Kraft ausspricht. Wenn einer qualifiziert an die Traditionen erinnert, die zu den Stärken seines Landes gehören. Und das so, dass man den Eindruck hat, er glaubt selbst daran und es sind nicht bloß rhetorische Pflichtübungen. Natürlich kann sich das am Ende als Täuschung herausstellen, aber in der Regel sind unsere Politiker (genauso wie Obamas Vorgänger) noch nicht einmal zu einer so qualifizierten Täuschung in der Lage.
Ok, in christlichen Kreisen gehen dann die Warnlampen an (wäre ja schlimm, wenn ein normaler Mensch und nicht Jesus etwas durchgreifend Gutes hinkriegen würde). Ein mittelmäßiger Redner/Politiker käme nicht in diese Gefahr.
Moltmann handelt das ja in einer Reihe mit verschiedenen chiliastischen Modellen ab, aber in diesem Abschnitt lässt er bei aller Betonung der Ambivalenz auch gewisse Sympathien erkennen (eher natürlich für ein von Demokraten regiertes Amerika). Ohne Polmeik oder Ironie kann er da schreiben:
Und dass die USA grün werden könnten (wir werden’s sehen…), war damals noch nicht denkbar, das würde ihn vielleicht noch zusätzlich freuen.
@Peter: Die Sympathien für das Konzept einer universalen Repräsentation der Menschheit sind deutlich, da hast Du recht – das ist aber noch nicht der „messianische“ Anspruch, von dem Moltmann hier redet. Dieser besteht in der Idee der Vervollkommnung (!) dessen, was – zu Recht! – bruchstückhaft gewagt wird. Es ist der Wahn, der Mensch selbst könne ein Zeitalter des Friedens aus eigener Kraft heraus errichten und damit sozusagen sein eigener „Messias“ sein, den Moltmann ablehnt.
@Walter: Bei mir gehen da keine Warnlampen an, im Gegenteil. 🙂
Klar lehnt Moltmann den Vollkommenheitsanspruch ab. Darum ging es in diesem Zitat (das daher ja von einem „Experiment“ handelt) für mich auch gar nicht, sondern um die Vorstellung, dass hier die Geschichte einmal in die richtige Richtung läuft. Und wenn Frieden und globale Gerechtigkeit voran kommen, weil diese Nation sich in den Dienst aller stellt und damit ein Zeichen setzt, prima.
In der säkularisierten Fassung von Hegels Fortschrittstheorie schreibt ähnliches heute interessanterweise auch die SZ. Das klingt allerdings deutlich pathetischer…
@Peter: Wollte Dir das gar nicht unterstellen, daß Du die USA als Quasi-Messias betrachtest! 😉 Ich wollte nur darauf hinweisen, daß auch Moltmann nicht so gelesen werden darf.
Die SZ lese ich eigentlich nur noch, wenn ich mich mal wieder richtig schön aufregen möchte. 😀 Erwartungsgemäß platt ist auch dieser Artikel: das Wirken des Hegelschen Weltgeistes wird da (natürlich uneingestanden) nur dem zugeschrieben, der ganz offensichtlich mit den persönlichen Vorlieben des Verfassers übereinstimmt. Hegel hätte demgegenüber wohl ein bißchen mehr Demut vor dem Begriff der aufgeklärten Vernunft gehabt … 😉 Aber lassen wir das, ist ja nicht Thema hier …
Und schwupps – wird auf Anordnung von Messias – äh – Mister Obama die staatliche Finanzierung des Kindermordes wieder in Kraft gesetzt.
Das ist weder experimentell noch gut aber dafür nicht unerwartet…