Nochmal Guardini: An den Grenzen

Die letzten Tage habe ich noch mehr Guardini gelesen und anderen vorgelesen. Scheinbar bin ich nicht der einzige, der sich verstanden und ab und zu auch richtig ertappt fühlt. Wie konnte jemand so klar und knapp ein komplexes, verworrenes Lebensgefühl beschreiben und deuten?

Nehmen wir zum Beispiel nur mal diese Passage:

Dann aber setzt die Krise ein: nämlich ein immer deutlicheres Gefühl für die Grenzen der eigenen Kraft. Der Mensch erfährt, dass es ein Zuviel gibt, an Arbeit, an Kampf, an Verantwortung…
Die Arbeitslast häuft sich. Die Anforderungen werden immer größer. Hinter jeder tauschen wieder neue auf und man sieht kein Ende… Denken wir daran, was es bedeutet, ein Heim aufrecht zu halten; eine Familie zum Gedeihen zu führen; einen Beruf zu verwirklichen; einen Betrieb zu leiten; öffentliche Funktionen zu erfüllen. Was darin alles an Personen, Dingen, Kräften Ordnungen steckt; welche Spannungen, Schwierigkeiten, Widerstände sich geltend machen. Das alles strebt beständig, auseinander zu rinnen (…)

Bisher haben der Ernst, die Entschlossenheit, die Verantwortung für das Gründen, Bauen, Kämpfen das Bewusstsein bestimmt. Nun verliert das alles seine Frische und Neuheit, sein Interessantes und Anspornendes. Man weiß allmählich, was das ist: das Arbeiten und Kämpfen. Weiß, wie die Menschen sich benehmen, wie die Konflikte entstehen, wie ein Werk ansetzt, sich entfaltet und fertig wird, wie eine Menschenbeziehung sich entwickelt, eine Freude erwacht und zerrinnt (…)

Immer mehr enthüllt sich die Armseligkeit des Daseins. Man erlebt Enttäuschungen an Menschen, auf die man Hoffnung setzte. Die Allgemeinheit offenbart eine Stumpfheit und Gleichgültigkeit, ja eine Böswilligkeit, die man früher noch nicht sah. Man sieht hinter die Kulissen und merkt, dass die Dinge viel kümmerlicher sind, als man gedacht hat.

In Anbetracht all dessen geht es darum, sagt Guardini, dass ein so ernüchterter Mensch weder leichtfertig ausbricht, noch sich in die Arbeit flüchtet, noch frustriert nur das Nötigste tut, sondern “jene Bejahung des Lebens vollzieht, die aus Ernst und Treue kommt, und ein neues Gefühl für den Wert des Daseins gewinnt”. Das Ergebnis beschreibt er so:

Menschen dieser Art sind es, auf die sich das Dasein verlässt. Gerade weil sie nicht mehr die Illusion des großen Gelingens, der leuchtenden Siege haben, sind sie fähig, zu vollbringen, was gilt und bleibt. Solchen Wesens sollte der wirkliche Staatsmann sein, der Arzt, der Erzieher in all seinen Formen.
Hier entsteht der überlegene Mensch, der fähig ist, Gewähr zu geben.

Das klingt doch gut. Wäre ich nur schon da…

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Eine Antwort auf „Nochmal Guardini: An den Grenzen“

  1. Hallo Peter,
    ich hab seit einiger Zeit ein Bild für dieses Gefühl, das ich sehr tröstlich finde. Wir sollen ja das Licht der Welt sein und am besten paßt der Vergleich mit ner Kerze, tja und die verbrennt ja so langsam aber sicher, wenn sie ihren Sinn erfüllt. Ich glaub das ist bei uns Menschen ähnlich und wenn ich so meine ersten Falten entdecke (ja auch mit 31 schon:-), oder mich leer und ausgepowert fühle denk ich -für wann oder was denn schonen, wenn das wofür ich brenne gut und richtig ist, dann ist es O.K., wenn manches von mir verbraucht wird. Wenn man sich wo investiert, dann steckt man ja was von sich rein, und das bleibt dann auch dort.
    Grüßle Uschi

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