Newbigin (3): Wissen und Glauben

Den systematischen Zweifel zur Methode auf der Suche nach Gewissheit zu machen war das Verdienst von Descartes. Newbigin stellt Anfragen an diesen Ansatz: Erstens ist die Annahme, dass zweifelsfreie Gewissheit überhaupt erreichbar ist, ein großer Glaubensakt. Zweitens sind in Descartes cogito ergo sum nur die Dinge gewiss, die keinen Bezug zur Außenwelt voraussetzen (Einstein sagte, mathematische Sätze seien nur unzweifelhaft, solange sie sich nicht auf die Wirklichkeit beziehen). Drittens sind Ideen und ihre Übermittlung an Sprache gebunden, die nie völlig eindeutig sein wird.

Russells Definition wissenschaftlicher Wahrheitssuche (Beobachtung der ausschlaggebenden Fakten, Deduktion einer Hypothese, Testen der Hypothese an den Beobachtungen) leidet an ähnlichen Problemen: Die Auswahl der Fakten, die betrachtet werden, hängt vom Interesse und Vorverständnis des Wissenschaftlers ab, ist also subjektiv. Wissenschaft hat mit Intuition zu tun:

Höchste Aufgabe des Physikers ist also das Aufsuchen jener allgemeinsten elementaren Gesetze, aus denen durch reine Deduktion das Weltbild zu gewinnen ist. Zu diesen elementaren Gesetze führt kein logischer Weg, sondern nur die auf Einfühlung in die Erfahrung sich stützende Intuition. (A. Einstein, Mein Weltbild, S. 168)

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Einstein und Newton sind Beispiele für die Rolle der Intuition in der wissenschaftlichen Theoriebildung. Schließlich wird Russell auch dadurch widerlegt, dass im wissenschaftlichen Betrieb ständig Experimente nicht genau die Ergebnisse liefern, die theoretisch herauskommen müssten. Eine Theorie wird erst dann über den Haufen geworfen, wenn eine plausiblere Erklärung gefunden wurde und sich in der Diskussion durchgesetzt hat. Wenn es aber keine Wissen ohne Glauben und kein Glauben ohne Wissen geben kann, führt der Versuch, voraussetzungsloses Wissen zu erlangen (also Gewissheit, die keinen Glauben mehr erfordert), ins Leere bzw. in den Nihilismus.

Sinnvoller ist es, Michael Polanyis Begriff impliziten Wissens (tacit knowledge) zu verwenden. Wie ein Chirurg seine Instrumente, so gebrauchen wir Worte und Begriffe in einem gewissen Sinne unkritisch, indem wir uns darauf verlassen, dass sie ihren Zweck erfüllen. bei der Arbeit konzentrieren wir uns nicht auf das Werkzeug, sondern den Gegenstand, den wir damit bearbeiten. Sie entstammen unserer Kultur. Hin und wieder müssen sie überprüft werden. Wissen und Lernen erfordert persönlichen Einsatz, und doch geschieht es mit einer universalen Ausrichtung (universal intent), indem es mitgeteilt, diskutiert und geprüft wird.

Überprüft werden müssen nun auch unsere kulturellen “Brillen”, etwa die genannte Dichotomie von subjektiven “Werten” und objektiven, dafür aber zweck- bzw. wertfreien “Fakten”. Die Physik des 20. Jahrhunderts hat das mechanistische Weltbild überwunden, aber im Bewusstsein vieler sind die Einsichten noch nicht angekommen.

Man hat ernsthaft argumentiert, dass ein Affe mit einer Schreibmaschine – gäbe man ihm die Zeit – durch Zufall alle Werke Shakespeares hervorbringen könnte. Ich habe noch keinen Wissenschaftler sagen hören, dass ein Affe aus Zufall eine Schreibmaschine bauen könnte. Aber das Beispiel ist ein schöner Abschluss, denn die Maschine – ein Lieblingsmodell dieser Art zu denken – ist genau das, was man ohne Bezugnahme auf das Konzept eines Zwecks (purpose) nicht erklären kann. (…)
Eine Maschine, die sich grundlos selbst erschafft ist etwas, das in den meisten Perioden der Menschheitsgeschichte als etwas angesehen worden wäre, das auch die Vorstellungskraft der Einfältigsten übersteigt. (S. 38)

Newbigin folgert, dass die Christen aus der Geschichte, die das Evangelium erzählt, leben müssen, sie “implizit” nutzen, indem wir unser Denken von ihr prägen lassen, um ein tieferes Verständnis der Welt und des Lebens in ihr zu gewinnen.

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