Die Kirche kann keine Rolle akzeptieren, in der sie Einzelpersonen für eine Art von Nachfolge wirbt, die nur die privaten, familiären Seiten des Lebens betrifft. Um einer Botschaft treu zu sein, bei der es um das Reich Gottes geht, seine Herrschaft über alle Dinge und alle Völker, muss die Kirche den hohen Anspruch auf öffentliche Wahrheit erheben.
Jede Gesellschaft hat ihre “öffentliche Wahrheit” – selbstverständliche Annahmen und Denkvoraussetzungen. Der konservative Weg zurück, eine Restauration “christlicher” Vergangenheit ist nicht möglich. Aber das Beispiel der alten Kirche, die sich vom römischen Imperium nicht auf private Innerlichkeit beschränken ließ und über ihrem Widerspruch gegen dessen Dogma zur Märtyrerkirche wurde, zeigt, dass Anpassung keine Alternative ist. Zumal der liberale säkulare Staat aufgrund seiner inneren Schwäche inzwischen von zerstörerischen Kräften bedroht wird, gegen die er einen schweren Stand hat, zum Beispiel neuer religiöser Fanatismus. Für Christen, die verantwortliche in einer demokratischen Gesellschaft leben, geht es dabei weder um “konstantinische Autorität” (christlicher Staat) noch “vorkonstantinische Unschuld”.
In dieser radikal neuen Situation erscheint es als “unmögliche Möglichkeit”, dass Menschen Gottes Angebot der Rettung verstehen und annehmen. Missionarischer “Erfolg” ist also nicht primär eine Frage der richtigen Techniken und Konzepte, sondern nichts weniger als ein unergründbares Wunder Gottes. Jesus war, wie die Geschichte von der Speisung in Johannes 6 zeigt, weder ein Freund triumphalistischer Machtbeweise, noch ließ er sich sein Verhalten von den Ansprüchen und Bedürfnissen seiner Umwelt diktieren. Ebenso geht es für die Kirche darum, sich der Nöte aller Menschen anzunehmen und zugleich nur dem souveränen Gott allein verantwortlich zu bleiben.
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Der Einfluss der Christen auf das öffentliche Leben führt über die Orts- bzw. Gottesdienstgemeinde (engl. “congregation”):
Wie wird es möglich, dass das Evangelium glaubwürdig wird, dass Menschen zu der Überzeugung gelangen, dass die Kraft, die in menschlichen Angelegenheiten das letzte Wort hat, von jemandem repräsentiert wird, der an einem Kreuz hängt? Ich meine, dass die einzige Antwort, die einzige Auslegung (“hermeneutic”) des Evangeliums eine Gemeinschaft von Männern und Frauen ist, die es glauben und leben.
Jesus schrieb daher kein Buch, sondern sammelte eine Gemeinschaft von Menschen, in der seine Worte weitergegeben und gelebt wurden, und Sakramente, mit denen Menschen in diese Gemeinschaft eingegliedert wurden und aus denen sich das Leben der Gemeinschaft ständig erneuert. Für Newbigin hat das sechs Aspekte:
1. Eine Gemeinschaft, die Gott lobt
Nicht der systematische Zweifel rettet uns vor dem Irrtum. Diese Ansatz hat zu einer Haltung von prinzipieller Respektlosigkeit und übereilter Verdächtigung geführt, in der für Staunen, Dankbarkeit und Ehrfurcht schließlich kein Platz mehr bleibt. (Anders gesagt: Es gibt nichts Heiliges mehr, und alle heiligen Kühe werden umgehend geschlachtet – natürlich von denen, die sie noch nie für heilig hielten und für die damit nichts auf dem Spiel steht). In der christlichen Gemeinschaft dagegen beruht die Würde und Gleichheit aller auf dieser Ehrfurcht vor Gott.
Im christlichen Gottesdienst ist die Sprache der Rechte fehl am Platz, außer wenn sie dazu dient, uns an die Rechte anderer zu erinnern. Was uns betrifft, so bekennen wir, dass wir nicht von Rechtsansprüchen reden können, denn uns ist alles gegeben und alles vergeben und alles verheißen.
2. Eine Gemeinschaft der Wahrheit
Die herrschenden Plausibilitätsstrukturen können nur von Menschen in Frage gestellt werden, die ganz und gar in einer anderen zu Hause sind. Eine Gemeinde, in der man sich regelmäßig an die wahre Geschichte der Menschheit und ihrer Bestimmung erinnert, kann eine gesunde Skepsis fördern, die es uns erlaubt, in der Gesellschaft mitzuwirken ohne deren Selbsttäuschungen zu erliegen. Zugleich darf sich ihre Art, von der Wahrheit zu reden
nicht an den Techniken moderner Propaganda ausrichten, sondern muss die Bescheidenheit, Nüchternheit und den Realismus vermitteln, der einem Nachfolger Jesu angemessen ist.
3. Eine Gemeinschaft, die sich in ihrer Nachbarschaft engagiert
Jede Gemeinde wird durch einen doppelten Bezug bestimmt: Sie ist Gottes Botschaft (“embassy”) an einem konkreten Ort. Keine der beiden Seiten darf vernachlässigt werden. Wenn nämlich Evangelisation oder Diakonie darf an ausgelagerte “Werke” delegiert werden, dann wird Gemeinde nicht mehr als der Ort wahrgenommen, “wo gute Nachricht in gute Taten überfließt”.
4. Eine Gemeinschaft von Priestern und Priesterinnen in der Welt
Der wahre Gottesdienst der Christen findet mitten im Leben der Welt statt. Dort werden Gott “Opfer der Liebe und des Gehorsams” gebracht, dort erweist sich seine Kraft:
Nur so kann das öffentliche Leben der Welt, seine akzeptierten Gewohnheiten und Annahmen, durch das Evangelium herausgefordert werden und unter des prüfende Licht der Wahrheit kommen, die in Jesus offenbar wurde.
Kirchliche Verlautbarungen erhalten ihr Gewicht erst dadurch, dass Christen tatsächlich danach leben und ihren gesellschaftlichen Einfluss geltend machen. Das bedeutet, dass die Gemeinde erstens ein Ort der Zurüstung sein muss, wo diese alltäglichen Herausforderungen aus der Perspektive des Glaubens gemeinsam besprochen und bedacht werden (ein Aspekt, der in der theologischen und praktischen Ausbildung von Pfarrern kaum vorhanden ist). Zweitens muss die Gemeinde ein positives Verhältnis zur Vielfalt und Unterschiedlichkeit der Gaben und Berufungen entwickeln.
5. Eine Gemeinschaft gegenseitiger Verantwortung
Um eine andere soziale Ordnung im Großen zu bewirken, muss man sie schon im Kleinen leben – und dazu den modernen Individualismus überwinden lernen. Sie muss einen Vorgeschmack auf die angestrebte Veränderung vermitteln.
6. Eine Gemeinschaft der Hoffnung
Obwohl der technische Fortschritt anhält, ist der Optimismus, mit dem unsere Gesellschaft in die Zukunft blickt, weitgehend verschwunden. Die Literatur des Westens strotzt vor Nihilismus und Verweiflung. Kein Wunder, dass viele sich einer Spiritualität zuwenden,
in der das Ringen darum, der Bestimmung eines persönlichen Schöpfers zu entsprechen ersetzt wird durch den zeitlosen Frieden pantheistischer Mystik. (…)
Fast alles an der Plausibilitätsstruktur, aus der heraus unsere Gesellschaft lebt, scheint dieser christlichen Hoffnung zu widersprechen. Alles erweckt den Anschein, als sei es absurd zu glauben, dass wahre Macht über alle Dinge in einem gekreuzigten Menschen verkörpert ist. Kein noch so brillantes Argument kann das den Bewohnern der herrschenden Plausibilitätsstruktur vernünftig erscheinen lassen. Daher behaupte ich, dass die einzig mögliche Auslegung des Evangeliums eine Gemeinschaft ist, die es lebt.
Eine Antwort auf „Newbigin (18): Die Gemeinde als Auslegung des Evangeliums“
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