Neue Reformierte, alte Dualismen

Von all meinen Posts zum Lausanne III Kongress in Kapstadt hat meine Kritik an John Piper die meisten und heftigsten Reaktionen ausgelöst. Rolf Zwick hat mir einen Text von René Padilla zugeschickt, der ein durchwachsenes Fazit zieht. Padilla lobt die bunte Zusammensetzung der Delegierten und die globale Ausstrahlung des Kongresses, er würdigt die Bibelarbeiten und die bewegenden persönlichen Geschichten in den Plenumsveranstaltungen, die Themenvielfalt der Multiplexe und Dialogue-Sessions.

Zugleich kritisiert er jedoch einen Rückfall in den alten Dualismus von Evangelisation und sozialem Engagement als groben Schnitzer – einen von mehreren. Die Bibelarbeit des zweiten Tages hatte diesen aufgehoben, denn in Eph. 2,15 erscheint Christus als „Schalom“ – ein Begriff, der die Versöhnung mit Gott und die sozialen Verhältnisse untrennbar in sich vereint, Gottes- und Nächstenliebe nicht gegeneinander ausspielt.

Dagegen ging die Ganzheitlichkeit der Sendung Christi (oder der missio dei) am Folgetag wieder verloren, und da hat Padilla Piper offenbar genauso gehört wie ich. Er sieht dringenden theologischen Klärungsbedarf im Sinne ganzheitlich-integraler Mission. Hier sein Kommentar in der englischen Übersetzung:

The Bible reading based on Ephesians 3 on the following day threw into relief the urgent need that there is in the Lausanne Movement to clarify theologically the content of the mission of God’s people. In contrast with what had been said on the previous day, the Bible expositor assigned for that day stated that, although the church is concerned about every form of human suffering, she is especially concerned about eternal suffering and consequently is called to give priority to the evangelization of the lost.

Die nötige Diskussion über solche theologischen Fragen – sie wäre mit Sicherheit kontrovers geführt worden – hat auf dem Kongress leider nicht stattgefunden. Das unter Leitung von Chris Rice erarbeitete Capetown Commitment ist, wie Padilla moniert, auch nur verteilt worden, aber nicht besprochen. Als letzten Minuspunkt zählt er dann die Dominanz des westlichen Geldes auf – die Sponsoren haben bei der Programmgestaltung und den Inhalten kräftig mitgeredet.

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13 Antworten auf „Neue Reformierte, alte Dualismen“

  1. der eine gedanke:
    seltsam, dass sowohl bei der lausanne-bewegung als auch beim örk dieses problem auftritt… woran mag das nur liegen?
    der andere gedanke:
    es istnormal, dass, wer zahlt, auch bestimmt – aber ist es auch christlich?

  2. Die Frage, die hier wichtig ist, ist doch folgende: Ist die höhere Gewichtung des postmortalen Leidens gegenüber dem irdischen Leiden biblisch begründbar oder nicht?
    Meines Erachtens ist diese Frage mit einem klaren Ja zu beantworten. Allerdings interessiert es mich Gegenargumente zu hören, denn davon konnte ich bisher kaum welche vernehmen.

  3. @Notizzettel: Wie will man so etwas bitteschön „gewichten“? Weil die Ewigkeit länger ist? Weil es mehr Bibelstellen „für“ die eine Seite gibt? Der Clou ist je gerade, dass die zentralen Begriffe wie Gottesherrschaft, Schalom und ewiges Leben (richtig verstanden…) hier eben beides vereinen und weder trennen noch „gewichten“. Wer gewichten will, tut das eben doch bloß, um letztendlich zu trennen.

    Wenn man in Betracht zieht, dass sowohl Paulus als auch Johannes in ihrer Theologie ohne „die Hölle“ auskommen, und dass Jesus mit „Gehenna“ auch etwas anderes gemeint hat, als was spätere Generation draus gemacht haben, wird Deine These schon etwas wacklig. Am besten mal hier weiterhören.

  4. um die sache noch weiterzudenken… in jüdischer theologie – und vergessen wir nicht, jesus war jude und paulus voll ausgebildeter jüdischer rabbi – werden dies leben und diese welt, bei aller jenseitigen hoffnung, zutiefst bejaht und gefeiert… können wir dahinter zurückfallen?

  5. … und im Judentum zur Zeit Jesu war noch überhaupt nicht ausgemacht, ob und welche Jenseitshoffnung verbindlich ist, die Zukunftshoffnung fiel also viel diesseitiger aus als im Christentum unter neuplatonischen Einfluss

  6. „Wie will man so etwas bitteschön “gewichten”? Weil die Ewigkeit länger ist?“
    Das wäre mein erster Ansatz. Stellte man mich vor die Wahl, ob ich ein miserables irdisches Leben und dafür ein tolles jenseitiges Leben oder umgekehrt haben wollen würde, so wäre das „Ewigkeit ist länger“-Kriterium ein guter Einstieg. Damit ist keinesfalls ausgesagt, dass es diese gut-schlecht Balance geben muss. Diese (fiktive) Wahl zeigt lediglich, dass ich die Ewigkeit für wichtiger halte, weil sie länger ist. Ich bevorzuge auch einen Jahresurlaub in einem Drei-Sterne-Hotel gegenüber einer Woche in einem Fünf-Sterne-Hotel.

    „Wer gewichten will, tut das eben doch bloß, um letztendlich zu trennen.“
    Du vertauschst die Reihenfolge. Die Gewichtung nehme ich nicht vor um zu trennen, sondern es gibt eine Trennung, die mich zu einer Gewichtung zwingt. Der Tod ist eine Trennwand zwischen Jenseits und Diesseits und (fast) egal welcher Jenseitsvorstellung man anhängt, so ist doch offensichtlich, dass sich das Leben im Diesseits enorm von dem im Jenseits unterscheidet, weshalb erneut eine Trennung naturgegeben ins Spiel kommt.

    Auf Höllenvorstellungen bei verschiedenen neutestamentlichen Figuren einzugehen ist zwar ein spannendes Vorhaben, aber leider nicht in der Kommentarfunktion eines Blogs zu realisieren. Wir sollten hier einfach erstmal stehen lassen, dass es da verschiedene Interpretationen gibt und keine der beiden Seiten grob willkürlich nur etwas in den Text hineinliest.

    @PhsyshBourne: Was jüdische Theologie in dieser Debatte zu suchen hat, erschließt sich mir nicht ganz. Erstens müsste man erst mal definieren was die Aussage „der“ jüdischen Theologie zum Jenseits ist.
    Zweitens stellt sich die Frage, durch welche Veränderungen die jüdische Theologie durch die Zerstörung des Tempels gegangen ist.
    Drittens gilt es zu berücksichtigen, dass die neutestamentlichen Autoren zwar aus dem Judentum kommen, aber eben Christen geworden sind.
    Viertens gebe ich zu bedenken, dass manche theologischen Aussagen von Juden im NT von Jesus auf Schärfste abgelehnt wurden, was zumindest zeigt, dass allein das Etikett „jüdisch“ noch nicht zwingend mit „richtig“ interpretiert werden kann.

    Nun mein Vorschlag am Ende: Selbst wenn wir nicht über die Form der Hölle sprechen: Menschen ohne Vergebung der Sünden werden nicht Anteil an der ewigen Herrlichkeit bekommen, was ein derartig großer Verlust ist, dass irdische Leiden dagegen in gewissem Maße verblassen. Damit kommt eben wieder meine Argumentation von oben ins Spiel: Ich führe lieber ein weniger gutes irdisches Leben, wenn ich dafür auf eine positivere Ewigkeit hoffen kann. Man müsste schon Allversöhner sein, um das abzustreiten.

    1. @Notizzettel: Wenn man wie Du von der Trennung her denkt, bekommt man es, wie Du siehst, nicht mehr zusammen. Das ist aus meiner Sicht gerade der Kardinalfehler – neuplatonische Eschatologie. Bei Jesus, im Judentum und im Epheserbrief ist es ja eben nicht getrennt und ich sehe gar nicht ein, warum ich mich auf solche Spitzfindigkeiten und falsche Alternativen einlassen soll, wie Du sie hier anbietest.
      Ich sehe diese Trennung Diesseits/Jenseits längst nicht so scharf, das sind keine zwei total getrennten Bereiche. Der Dualismus ist für mich unbiblisch (das hat Physhbourne m.E. auch gemeint). Die neue Welt ist ja schon da, wenn auch nicht vollendet. An dem Punkt wird aber die ganze Theologie schief, und darauf legt Padilla zu Recht großen Wert, dass solche Missverständnisse nicht stehen blieben. Man könnte auf die Praxis bezogen sogar mit Recht sagen, dass am Ende Gott alle (und da steht wirklich alle!!!!) Tränen abwischt, das ist seine Aufgabe. Also muss unser Augenmerk dem gegenwärtigen Leid gelten – so sagt es Jesus ja schon in Mt 25 im Gleichnis vom Weltgericht. Zugespitzt gesagt: Da steht ja nicht: „Ich war im Gefängnis, aber ihr habt mir keine Bibeln und Traktate geschickt.“ Wer glaubt, dass Gott am Ende Tränen abwischt, der tut das heute schon, wo er kann, und hält es nicht für eine zweitrangige Sache.

  7. @notizzettel:
    ich finde, wenn es um theologie geht, hat der von peter zu recht angeführte neuplatonismus uns alles andere als gut getan… wir mißverstehen die schrift, wenn wir sie „griechisch“ lesen statt „jüdisch“!
    wie sagte doch schon luther zu recht in den tischreden:
    „die ebräer trinken aus der bornquelle; die griechen aus den wässerlein, die aus der quelle fließen; die lateinischen aber aus den pfützen.“
    warum sollte ich also theologie treiben vom griechischen oder gar lateinischen denken her statt zur quelle gehen und es von dorther zu tun?
    und von daher hat diese frage hier schon etwas zu suchen – als offenlegung theologischer axiome und prämissen.
    ich denke zudem, dass in heutigen glaubensvorstellungen eine menge ballast ist, der nicht genuin dem entspricht, was die schrift erzählt.
    und ich rede dabei noch nicht einmal von römischen irrlehren…
    auch vorstellungen wie seele oder ähnliches haben m.e. wenig mit der נפש zu tun, wie sie die schrift beschreibt… erst recht kursierende jenseitsvorstellungen, wie sie uns heutzutage allerorten begegenen!
    au contraire – die schrift ist merkwürdig zurückhaltend, wenn es um die beschreibung dessen, was da kommen mag, geht.
    was das jüdfische noch ‚mal angeht… die wertschätzung des (diesseitigen) lebens im judentum eignet allen ihren theologischen strömungen… exegetische spitzfindigkeiten des vergangenen jahrhunderts werden das auch nicht ändern… ;-))
    ich finde es wenig hilfreich, darüber zu spekulieren, was die vorstellungen von diesem oder jenem gewesen sein könnte… diese art der leben-jesu-forschung und der damit zusammenhängenden schriftwahrnehmung ist doch nun wirklich längst passé…
    mir ging es jedoch um eine gewisse grundeinstellung zum leben – dem diesseits zugewandt ohne zu vergessen, was da noch kommen mag… und von daher fand ich peters kritik richtig…
    die spannung des schon jetzt und noch nciht ist im jetzt auszuhalten!

  8. und ich finde es auch nicht richtig, das jetzt und das, was da kommen mag, gegeneinander auszuspielen… es bedingt einander vielmehr… christlich finde ich eine solche haltung des „unteren wegs“ jedenfalls nicht…

  9. Ja, es gibt sicher aus Gottes Sicht keine Trennung und auch keine Gewichtung zwischen dies- und jenseitigem Shalom.
    Aus unserer Sicht ist allein die Behauptung, dass man beides nicht trennen darf, aus der Wahrnehmung eines Unterschieds geboren.
    Und auch in unserem praktischen Handeln gibt es einen Unterschied zwischen der Verbreitung des irdischen und des himmlischen Shalom, der Diakonie und Evangelisation. In einen großen Bus passen vielleicht genügend Hirse und Bibeln für ein Dorf, in einen Kleinwagen nicht.
    Natürlich sollte beides zusammen gehören, aber es bleibt, soweit ich sehe, ein „beides“.
    Sobald meine Kapazitäten begrenzt sind, stehe ich vor der Entscheidung, was von beidem ich tun soll. Und diese Entscheidung kann nicht ohne Gewichtung fallen.
    Und da unsere Kapazitäten begrenzt, wir aber mehrere sind, geschieht die Verbindung von beidem meist in Arbeitsteilung, etwa „Ich mach das geistliche, du das soziale“. Das scheint mir aber keine Lösung zu sein.
    Insofern ist der Dualismus nicht überwunden, wenn man betont, das „beides“ zusammengehört und getan werden muss.

    Wie würde eine Verbindung aussehen, die dieses „beides tun“ hinter sich lässt und nur noch „das eine“ tut?
    Gibt es da von den „Fortschrittlicheren“ aus Kapstadt Ansätze?

  10. evangelium teilen bezieht leib und seele und gesellschaft ein, das kann und darf nicht gegeneinander ausgespielt werden, im gegenthum… traurig genug, dass diakonie von kirche als feigenblatt benutzt wird… am ende geht es um’s leben, gemeinsam, miteinander, füreinander… dass wir uns selbst teilen, darum geht es doch beim evangelium teilen, oder? 🙂

  11. „Lustig“ in dem Zusammenhang, dass dort, wo das geschieht, die „nur diakonischen“ Christen den Verdacht hegen, die Diakonie würde missbraucht, um zu evangelisieren.

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