(Hier geht es zu Teil 1 und Teil 2)
Die Sprache des Konsums ist in den meisten Gemeinden längst angekommen und zeigt an, wie sehr sich die dazugehörige Mentalität verbreitet hat. Als Ausdruck dieser Mentalität lässt sich der folgende Liedtext lesen: „Mein Freudeschenker, mein Heimatgeber, mein Glücklichmacher und mein Schuldvergeber, mein Friedensbringer und mein Worteinhalter, mein Liebesspender bist Du.“ Die Sequenz zusammengesetzter Substantive beschreibt die Gottesbeziehung ausschließlich in der Sprache der Funktionalität und der Wirkung auf das individuelle Wohlbefinden.
Viele Christen kommen in den Gottesdienst, um nach eigenen Worten dort „aufzutanken“, etwas „mitzunehmen“ – aber kaum, um zusätzliche Lasten auferlegt zu bekommen, etwa weil sie dort mit Fragen nach sozialer Gerechtigkeit konfrontiert werden, auf die es keine einfache und schnelle Antwort gibt.
Der ausgewiesene Zweck des Gottesdienstbesuchs ist es in diesem Fall, bis zum nächsten Sonntag möglichst reibungslos zu funktionieren, in der Familie und natürlich auch im Beruf, wo man auf göttlichen Beistand hofft, um auf immer ungewisseren Karrierepfaden doch irgendwie den Aufstieg zu schaffen (oder wenigstens den Abstieg zu vermeiden).
Vom Aufstieg ist interessanterweise auch in vielen modernen Lobpreisliedern die Rede: Um dem erhabenen Gott zu begegnen, muss erst ein spiritueller Höhenunterschied bewältigt werden. Statt den in unsere Welt heruntergekommenen Gott zu feiern, der sich (wie etwa Luther unaufhörlich betonte) nur in aufreizender Niedrigkeit einer Krippe und dem bitterem Leid am Kreuz zu erkennen gibt, dreht sich nun wieder viel um sterile Herrlichkeit und Hoheit, um Glanz und Pracht, Gold und Engel.
Das sind zwar auch alles biblische Aussagen. Aber sie waren ursprünglich trotzige Gesänge im Munde einer gefährdeten Märtyrerkirche. Nun sind es Himmelsvisionen eines Christentums, das in Gott die Steigerung und ultimative Erfüllung seiner Wohlstandsideale zu finden meint, und nicht etwa deren radikale Kritik im Namen einer humanen und gerechten Welt für alle.
Und so vermittelt das bei gleichem Wortlaut eine völlig andere Botschaft. Ein ähnlicher Zwiespalt tut sich auf in zahlreichen Tempel-Analogien, die uns in Liedgut und Liturgie begegnen. Sie verschweigen und verdunkeln geradezu die Bewegung Gottes in die Welt hinaus oder vom Himmel herab und erwecken letztlich den Anschein, man müsse dem Alltag und den Mitmenschen erst bewusst den Rücken kehren, um ihm dann zu begegnen. Wenn man so denkt, dann rechnet man kaum noch damit, dass man Gott anderswo antreffen könnte als im Außergewöhnlichen.
Dazu kommt: Wo in diesem Kontext dann tatsächlich vom Kreuz die Rede ist, da steht es oft für die rückstandfreie Entsorgung unserer Schuld und dafür, dass Jesus die Zeche für uns bezahlt hat, damit wir einigermaßen sorglos und unbehelligt weiterleben können. Vom gegenwärtigen Leid unserer Mitmenschen und Mitgeschöpfe ist dabei nur ganz selten die Rede, wie in dem oben zitierten Text dominiert nicht das „wir“, sondern das „ich“. So droht der Gottesdienst hier drinnen zur Immunisierung gegen das Leid der anderen „da draußen“ zu werden.
(Fortsetzung folgt)
Es könnte daran liegen, dass es „Lobpreislieder“ und keine „Protestsongs“ sind 😉
Dann unterscheiden wir eben systemkritischen oder subversiven Lobpreis (z.B. das Magnificat – warum gibt es eigentlich davon so wenig Neuvertonungen?) und systemkonformen…?
Ja, genauso wie man zwischen Liebesbriefen und Beziehungsratgebern unterscheidet – es ist halt einfach nicht das gleiche.
Und die Frage, welches von beiden im quasi-öffentlichen Raum eines Gottesdienstes besser aufgehoben ist, finde ich auch sehr sinnvoll.
Auch ein treffender Vergleich, bei manchen Liedern dominiert die Sprache der Intimität und generell ist das die Erwartung vieler, aber mit 100+ Leuten steht das in einer gewissen Spannung zum Setting. Oder es ist eben doch jeder für sich allein mit Gott. Geht auch, so wie man in einer Gruppe ja auch gemeinsam schweigen kann. Wobei Schweigen insofern wieder einfacher ist, weil das Intime nicht so ausgebreitet wird.