Diese Woche haben wir einen Abend lang das Thema „Wahrheit“ diskutiert. Eher von der philosophischen Richtung her denn von bestimmten Bibelstellen. Es war recht deutlich, dass der moderne positivistische Ansatz von Objektivität heute nicht mehr trägt. Wir können nicht ernsthaft zurück zu dieser naiven Weltsicht und ihren haarsträubenden Reduktionen (Die Welt/der Mensch/das Leben ist „nichts als…„).
Wahrheit lässt sich aus persönlichen Bezügen herauslösen (die sie immer in gewisser Weise relativieren, wenn auch nicht völlig). Jede Wahrheit ist „irgendjemandes Wahrheit“. Wenn N.T. Wright eine „Epistemologie der Liebe“ vorschlägt, dann wird genau die Illusion neutraler Objektivität aufgegeben. Vielleicht bedeutet es auch, wie Paulus in 1.Kor 13 zuzugestehen, dass unser Erkennen fragmentarisch ist. Deshalb braucht der einzelne die Gemeinschaft, aber auch die verschiedenen (Kirchen-) Gemeinschaften sich gegenseitig und natürlich lernt „die“ Kirche von der sie umgebenden Kultur, selbst wenn diese gar nicht christlich sein sollte – in der Bibel kann Gott durch Esel und heidnische Armeen sprechen, wenn niemand die Wahrheit hören will.
Im Gegensatz dazu erkennt Gott uns schon jetzt völlig. Alle Wahrheit ist also zu allererst Gottes Wahrheit. Nicht einmal unbedingt die (durch bestimmte moderne „Dogmen“ als zeitlos und „objektiv“ deklarierte) Bibel bildet das vollkommen ab. Das Gute daran ist, dass diese Wahrheit dann auch nicht menschlich instrumentalisiert werden kann. Denn Anspruch auf Wahrheit hat in der einen oder anderen Form meistens auch mit Anspruch auf Macht zu tun. Macht aber kann zur Befreiung oder zur Unterdrückung anderer eingesetzt werden und die Geschichte (auch der Christenheit) kennt beides
Erkennen von Wahrheit ist ein höchst riskanter Akt, weil die erkannte Wahrheit mich verändern wird und ich im Erkennen auch selber erkannt (oder vielleicht durchschaut?) werde.
Immer wieder wird aus Epheser 5 zitiert, die Wahrheit müsse in Liebe gesagt werden. Meistens setzen die Ausleger voraus, dass schon klar sei, was wahr ist, und es jetzt nur noch um eine gewisse Diplomatie im Ausdruck geht. Für manche wäre selbst das schon ein gewaltiger Fortschritt. Ist aber die Wahrheit eine Person, so ist sie nie endgültig in Lehr-Sätze zu fassen. Wehe, wenn ich das mit meiner Frau versuchen würde! Ein Gedicht käme schon eher hin, weil es vieles andeutet, aber auch vieles bewusst offen lässt und damit zeigt, dass Worte die um so viel geheimnisvollere Wirklichkeit nur ganz unzureichend abbilden. Sagt man dann Wahrheit lieblos weiter und missbraucht man sie um des persönichen Vorteils willen (wie schön ist es, Recht zu haben…), dann hat man sie schon verloren.
Wir stehen in einer Beziehung zur Wahrheit, in der wir ewig Lernende bleiben. Paulus schreibt, dass er von Christus ergriffen ist und ihm nun hingerissen nachjagt. Er spornt andere an, sich auf dieselbe Bewegung einzulassen. Die Richtung, so Paulus, ist das Kriterium von Vollkommenheit, nicht die Geschwindigkeit oder der augenblicklich erreichte Streckenabschnitt. Auch beim Erkennen gilt offenbar so etwas wie „Qualität vor Quantität“ – kleines Warnsignal für alle Intellektuellen…