Joseph – der fromme Ausbeuter

Joseph kam in meiner Kinderbibel vor als Träumer, als leicht verzogenes Kind, als Opfer seiner Brüder, als weiser und frommer Mann, der am Ende vom Pharao (im Grunde freilich von Gott) mit großem Einfluss belohnt wird.

Die hässliche Seite fiel mir erst durch die Lektüre von Richard Horsleys Buch Jesus and the Powers: Conflict, Covenant, and the Hope of the Poor auf. Nachdem Joseph Karriere gemacht hat und die Lagerhäuser durch sieben fette Jahre gefüllt sind, spielt sich folgendes Drama ab, das nicht ohne aktuelle Parallelen ist. Allerdings eben mit Joseph diesmal auf der dunklen Seite der Macht, denn er nutzt die Krise geschickt zur Bereicherung der Aristokratie auf Kosten der Bauern und Handwerker:

Was nun folgte, könnte man als Erpressung im großen Stil bezeichnen, wäre sie uns nicht so vertraut aus den Praktiken heutiger Großkonzerne, die Angebot und Nachfrage manipulieren, während sie nach Auen hin unter dem heiligen, unpersönlichen Gesetz von Angebot und Nachfrage verfahren. Als die Hungersnot ernst wurde und die Menschen nach Getreide riefen, verlangte Joseph im Gegenzug all ihr Hab und Gut, vermutlich also (da Geld noch nicht erfunden war) Edelmetalle, Schmuck und andere bewegliche Wertgegenstände. Als die hungernden Menschen erneut um Korn baten, forderte Joseph von ihnen ihr Vieh (Zugtiere, Herden). Als die verzweifelten Menschen schließlich erneut um Linderung der Not baten, hatten sie keinen anderen Gegenwert mehr anzubieten für das, was sie bekamen, als ihr Land und ihre Arbeitskraft. (S. 21)

In der Bibel lesen wir, wie es weiterging:

Warum sollen wir vor deinen Augen umkommen, wir selbst und auch unser Ackerland? Kauf uns und unsere Äcker um Brot! Wir und unser Ackerland wollen dem Pharao dienstbar sein. Stell Saatgut zur Verfügung, so werden wir am Leben bleiben, wir müssen dann nicht sterben und das Ackerland braucht nicht zu verkommen.

Josef kaufte also das ganze Ackerland der Ägypter für den Pharao auf; denn die Ägypter verkauften alle ihr Feld, weil sie der Hunger dazu zwang. So wurde das Land Eigentum des Pharao. Das Volk aber machte er ihm Leibeigen von einem Ende Ägyptens bis zum andern.

… Nun sprach Josef zum Volk: Seht, heute habe ich euch und euer Ackerland für den Pharao gekauft. Hier habt ihr Saatgut; bestellt nun die Äcker! Vom Ertrag liefert ihr dann ein Fünftel dem Pharao ab, vier Teile aber gehören euch als Saatgut für das Feld sowie als Nahrung für euch, für die Leute in euren Häusern und für eure Kinder.

Da antworteten sie: Du hast uns am Leben erhalten. Wenn wir das Wohlwollen unseres Herrn finden, wollen wir gern dem Pharao als Knechte dienen. So verfügte Josef als gültiges Recht bis auf den heutigen Tag, dass das Ackerland Ägyptens zugunsten des Pharao mit einem Fünftel zu besteuern ist. (Gen 47:19-26)

Freie werden zu Leibeigenen, Steuern werden eingeführt oder erhöht, die freilich auch nach dem Ende der Krise fortbestehen, Ausnahmen gibt es nur für die Eliten, zu denen auch (da versteckt sich die religiöse Dimension) die Priester gehören. reiche werden reicher und Arme ärmer. Die Josephsgeschichte beschreibt hier eine Entwicklung, die im gesamten alten Orient ähnlich verlief. Sie ist insofern brandaktuell, als Oxfam diese Woche meldete, dass ab 2016 das eine Prozent der Reichen auf der Welt mehr haben wird, als die restlichen 99% zusammen.

Die innerbiblische Pointe: Das Sklavensystem, aus dem Mose Israel später mühsam befreit, geht – nach dieser Darstellung im Buch Genesis – unter anderem auch auf Joseph zurück. Also – mein Bild des biblischen Joseph ist nun erst einmal erschüttert.

(Bild: With Famine Crisis, Thousands of Somalis Flee to Ethiopia Refugee Camps, United Nations Photo, Lizenz: creative commons 2.0)

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10 Antworten auf „Joseph – der fromme Ausbeuter“

  1. Die Fakten sind bekannt. Man kann sie jederzeit in der Bibel nachlesen. Sie werden sich auch nie ändern. Was sich jedoch ändert ist unsere Wertung dieser Fakten. So wäre noch vor zweihundert Jahren wohl kaum jemandem eingefallen, die Rechtmäßigkeit dieses Systems in Frage zu stellen: Der Herrscher sorgt für seine Untertanen vor (offenbar hatte sonst niemand dieselbe Idee, was ohne Weiteres möglich gewesen wäre) und wird dafür bezahlt. Natürlich lässt sich darüber streiten, ob diese Bezahlung angemessen ist. Damals tat es Keiner!
    Ich kann allerdings nirgends einen Hinweis entdecken, dass die „Eliten“ von dieser Leibeigenschaft ausgenommen waren!

    1. „Das Volk aber machte er ihm Leibeigen von einem Ende Ägyptens bis zum andern. Nur das Ackerland der Priester kaufte er nicht auf, denn den Priestern steht ein festes Einkommen vom Pharao zu; sie leben von dem festen Einkommen, das ihnen der Pharao gewährt. Darum brauchten sie ihr Ackerland nicht zu verkaufen.“ Gen 47:21-22

      „Das Volk“ sind m.E. nicht die Eliten, wie die Ausnahme der Priester schön zeigt. Wenn sie Land haben, sind sie auch keine Leibeigenen. Sie werden (wie Offiziere und Beamte, auch wenn das nicht erwähnt wird) vom Pharao ja noch bezahlt.

      Später – ab Salomo und seinen Nachfolgern – werden die Propheten ähnliche Entwicklungen (Verlust von Land, Schuldsklaverei) scharf anprangern. Im Bauernkrieg haben wir eine ähnliche Situation. Es stimmt also nicht, dass „es damals keiner tat“, oft wurden diese Stimmen eben auch unterdrückt und ausgeblendet. Wirklich erstaunlich ist hingegen, dass der Protest heute so müde ausfällt.

      1. Ich kann Dir da nicht so ganz zustimmen. Die Priester lebten nicht von ihrem Land, sondern waren ohnehin vom Pharao abhängig („…denn die Priester hatten ein festgesetztes Einkommen vom Pharao, und sie lebten von ihrem festgesetzten Einkommen, das der Pharao ihnen gab;“, Gen 47, 22b). Sie waren also quasi verbeamtet und somit, genau wie die übrigen Beamten und Offiziere, völlig auf die Zuwendungen des Pharao angewiesen und somit in weitaus größerem Maße von ihm abhängig. Von dem in V 24 genannten „Steuersatz“ von 20 % auf die Erträge, welchen die Bevölkerung abzugeben hatte, können bei uns die Meisten wohl nur träumen! 😉

        Bei den Israeliten war die Ausgangssituation vollkommen anders: Hier hatte Gott ausdrücklich verfügt, dass Grundeigentum nicht veräußerbar war. Wurde ein Grundstück verpfändet oder verkauft, so fiel es im Erlassjahr, also spätestens nach fünfzig Jahren, wieder an den ursprünglichen Eigentümer zurück. Schuldsklaverei war ausdrücklich erlaubt, war aber nach Gottes Gebot ebenso im Jubeljahr zu beenden.

        Bei den Bauernkriegen glaube ich nicht, dass die Bauern das System an sich in Frage stellten. Hier ging es lediglich darum, dass die Herrscher jegliches Maß verloren hatten, wodurch die Situation für die Bevölkerung unerträglich wurde – ähnlich wie in wie in Ägypten, als Gott Mose berief.

        Das alles bedeutet nicht, dass ich das Feudalsystem und die Schuldsklaverei für richtig halte. Für mich ist die parlamentarische Demokratie in Verbindung mit der sozialen Marktwirtschaft die derzeit bestmögliche Lösung. Aber ich denke auch, dass wir viele Dinge viel zu einseitig aus der Sicht unserer Wohlstandsgesellschaft sehen und von den tatsächlichen Gegebenheiten oftmals nicht die geringste Ahnung haben. Nach 1. Mose 47,25 fand es das ägyptische Volk übrigens vollkommen in Ordnung, dass sie zu Leibeigenen wurden – eventuell könnte man noch darüber spekulieren, dass der Pharao damit auch eine gewisse Verantwortung übernahm, für den Fall der nächsten Hungesnot vorzusorgen.

        Was die heutige Situation betrifft, so stört es mich nicht, dass ein Prozent der Weltbevölkerung mehr hat als der gesamte Rest zusammen. Das ist es nicht, was die Ungerechtigkeit auf unserem Planeten ausmacht. Viel schlimmer ist das, was sich innerhalb dieser 99 % abspielt. Die „Superreichen“ werden nur allzu gerne zum Feindbild gemacht, um von der eigenen Ungerechtigkeit abzulenken!

        1. Ich finde Deine Positon mehr als nur ein bisschen verwunderlich, Andreas. Wenn das eine Prozent die Hälfte allen Vermögens abschöpft, bedeutet das für alle anderen eine massive Verknappung. Freilich führt die zu Konflikten. Das aber allein den Betroffenen anzulasten, ohne den Hintergrund der Verknappung anzusprechen, ist schlicht zynisch.

          1. Es ist ein Denkfehler, dass das Vermögen mit den Ressourcen gleichgesetzt wird. Aber es ist nun mal nicht so, dass die „Superreichen“ über 99 % aller Ressourcen verfügen und alle anderen keinen Zugriff darauf hätten.

            Den zweiten Denkfehler haben wir unserer Geschichte zu verdanken, genauer gesagt der Idee des Sozialismus, die ja nicht nur „drüben“ im Osten verbreitet wurde:
            Dort wird nämlich behauptet, dass es allen besser ginge, wenn wir nur den Reichen ihr Eigentum wegnähmen. Das letzte Jahrhundert hat nur allzu deutlich gezeigt, dass dies nicht funktioniert. Im Gegenteil: der Lebensstandard der „guten“ Sozialisten stagnierte nicht nur, sondern sank sogar immer weiter, während sich eine neue „Elite“ bildete, die kräftig absahnte. In jedem Land, das die Umverteilung der Güter von oben nach unten praktiziert(e), blüh(t)en Willkür, Korruption und Schattenwirtschaft (=eine Art heimlicher Kapitalismus). Uns armen, ausgebeuteten „Opfern des Kapitalismus“ hingegen ging es immer besser. Zumindest, so lange die Unternehmer erkennen konnten, dass sie vom Wohlstand ihrer Arbeitnehmer profitierten, was ihnen durch staatliche Eingriffe aber immer mehr erschwert wird.

            Die meisten Menschen leiden keine Not, weil ihnen das „böse eine Prozent“ alles wegnimmt. Sie leiden vielmehr darunter, dass ihre Nachbarn ihnen die Lebensgrundlage entziehen. 99 % aller Regionen, in denen Hunger herrscht, sind Kriegsgebiete. Die große Mehrzahl dieser Kriege hat religiöse Ursachen – auch, wenn der Kampf um Ressourcen häufig eine gewisse Rolle spielt. Sklaverei und Menschenhandel sind, mehr oder weniger offen, in den meisten islamischen Staaten ein Thema. Und nicht nur dort. Deutschland hat mit seinem unsäglichen Prostitutionsgesetz eine traurige Vorreiterrolle in der gesamten westlichen Welt übernommen. Gehören WIR etwa zu dem reichen 1 Prozent? Die ach so friedlichen östlichen Religionen sind bei genauerem Hinsehen allesamt Menschen verachtend („Selbst schuld, wenn es ihm so schlecht geht!“)

            Vergessen wir das eine Prozent der Menschheit. Konzentrieren wir uns lieber darauf, was WIR besser machen können. Somit ist allen viel mehr geholfen!

            1. Sag mal, wer bezahlt Dich für solche Kommentare? Können wir diese amerikanische Unsitte lassen, alles als „Sozialismus“ zu diffamieren, was mit Gleichheit und Gerechtigkeit und Eingriffen in einen Markt zu tun hat, der zunehmend und nachweislich nach dem Motto „The Winner Takes it all“ funktioniert? Die Mehrheit der Kriege hat m.E. eher wirtschaftliche als religiöse Gründe, sie werden nur (pseudeo-)religiös legitimiert. In Indien herrscht kein Krieg und jedes Jahr verhungern tausende Kinder dort – der Menschenhandel ist kein primär islamisches Problem, wie Du suggerierst – Entschuldigung, aber das ist mir alles viel zu wirr.

              1. Lassen wir das. Damit kommen wir nicht weiter. Ich habe übrigens nirgends behauptet, der Menschenhandel sei ein „primär islamisches Problem“, was ja unser Land auch sehr deutlich unter Beweis stellt. Und dass östliche Religionen buchstäblich über Leichen gehen sind habe ich auch erwähnt.
                Es geht auch nicht um „den Sozialismus“. Aber sehr wohl um den sozialistischen Gedanken, dass man nur den „Reichen“ das Eigentum wegnehmen müsse, damit es den Armen besser ginge. Das hat die Geschichte der letzten 150 Jahre mehr als deutlich widerlegt.

                Die auf Dauer erfolgreichsten Unternehmer in Deutschland waren bzw sind allesamt die Inhaber von Familienbetrieben, die sich FREIWILLIG um das Wohl ihrer Mitarbeiter sorg(t)en: Deichmann, Stinnes, Linde, Underberg…, um nur einige zu nennen. Jede Einmischung von außen hat bisher eher zu Verschlechterungen für die Belegschaft geführt. Das hat mit „amerikanischem Kapitalismus“ nicht das Geringste zu tun!

                Ich bleibe dabei: Lassen wir die Reichen reich sein und sorgen wir selber für eine gerechte Behandlung unserer Mitmenschen. Damit ist allen mehr geholfen als mit einem Umverteilungskampf, der nur zu neuer Ungerechtigkeit führt!

              2. Ich kann nicht erkennen, dass die letzten 150 Jahre widerlegt hätten, dass man die Umverteilung von Arm zu Reich durch die Industrialisierung politisch korrigieren muss. Wenn überhaupt, dann hat die (aus der Angst vor einer sozialistischen Revolution geborene) soziale Marktwirtschaft der Nachkriegszeit, die seit 25 Jahren ausgehöhlt und durchlöchert wird, wichtige sozial(istisch)e Ideen aufgegriffen (wie schon Bismarck mit seinem Zugeständnis bei den Sozialversicherungen). Das war also keineswegs völlig freiwillig, wie z.B. Zygmunt Bauman in „Collateral Damage“ schön herausgearbeitet hat. Wie frommer Gutsherren-Kapitalismus, bei dem der Chef die Regeln nach Gutdünken (das nämlich beudetet „freiwillig“ in der Praxis) diktiert, funktioniert bzw. wo er scheitert, lässt sich in Engels‘ „Briefen aus dem Wuppertal“ wunderschön nachlesen. Wenn anständiges Teilen freiwillig ist, schenkt man den Ausbeutern einen Wettbewerbsvorteil durch „Sozialdumping“, und irgendwann sehen sich auch die vergleichsweise Noblen und Gutmütigen „gezwungen“ zu Einschnitten.

  2. Die „Ausgebeuteten“ durften das Land, wie bisher, weiter bewirtschaften und mussten lediglich 20 % ihrer Einnahmen an den Pharao abgeben. Unser heutiges Risiko im 21. Jahrhundert, Haus und Grund zu verlieren, und unsere Abgabenlast sind deutlich höher 😉

  3. „Die innerbiblische Pointe: Das Sklavensystem, aus dem Mose Israel später mühsam befreit, geht – nach dieser Darstellung im Buch Genesis – unter anderem auch auf Joseph zurück. Also – mein Bild des biblischen Joseph ist nun erst einmal erschüttert.“

    Mich wundert, dass noch niemand darauf eingegangen ist. Denn das ist doch ein sehr schönes Beispiel dafür, dass alle biblischen „Helden“, auch die vermeintlich guten, nur ganz normale Menschen waren 🙂

    Finde ich eine sehr erfrischende und befreiende Erkenntnis. Die Bibel zeigt hier und an vielen anderen Stellen einfach nur, wie die Menschen damals versucht haben ihr Leben nach Gottes Maßstäben auszurichten und dabei, genau wie wir, immer wieder gescheitert sind.

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