Ich sehe was, was du nicht siehst… ?

Es ist wieder Zeit für eine Runde Piranha-Futter mit Onkel Lindbeck. 😉 Diesmal macht er sich Gedanken über die Versuchung zu religiöser Prahlerei und Imperialismus am Beispiel von Rahners Annahme, dass es „anonyme Christen“ gibt, und schreibt

Es liegt etwas Arrogantes in der Unterstellung, dass Christen wüssten, was Nichtglaubende in den Tiefen ihres Seins erfahren und glauben, und zwar besser, als diese selbst es wissen, und dass daher die Aufgabe von Dialog oder Evangelisation die sei, ihr Bewusstsein dafür zu schärfen. Die Mitteilung des Evangeliums ist nicht eine Form von Psychotherapie, sondern vielmehr das Angebot und der Vollzug, die eigene, geliebte Sprache – die Sprache, die von Jesus Christus spricht – mit all denen zu teilen, die daran interessiert sind (…).

Der Satz „ich weiß genau, du willst es doch auch“ hat offenbar immer etwas Übergriffiges. Klar pointiert Lindbeck hier stark und Rahner würde sich vermutlich sehr missverstanden fühlen. Nachdenkenswert ist der Einwand aber allemal, denn – Rahner hin oder her – die Versuchung zu solchem Denken besteht ja durchaus.

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15 Antworten auf „Ich sehe was, was du nicht siehst… ?“

  1. Danke für den Hinweis auf die Diskussion, die wäre mir sonst durch die Lappen gegangen.

    Die Annahme zu wissen, was andere denken und brauchen, ist leider ein oft gesehenes Muster (und ich nehme mich da gar nicht aus). „Den Menschen, die Jesus nicht kennen, geht es in Wirklichkeit sehr schlecht, sie merken es nur gar nicht. Nur Jesus gibt das wahre, erfüllte Leben.“ Solche Aussagen hört man (zu) oft, und es ist nicht nur anmaßend gegenüber „denen“, sondern schadet auch unserer eigenen geistlichen Gesundheit: Genau in solcher Argumentation offenbart sich eine Sicht von Jesus als Wellness-Bringer statt als Erlöser, und die Aufgabe der Kirche scheint dann zu sein, die Menschen von ihrem Wellnessbedürfnis zu überzeugen – statt auf Jesu Anspruch auf die Welt und auf unser Leben, und auf unsere Erlösungsbedürftigkeit hinzuweisen.

  2. Hhm, liegt diese von Lindberg behauptete Arroganz nicht immer vor, wenn man den Versuch macht etwas Allgemeines über das Wesen des Menschen sagen? Nicht arrogant wäre es dann nur solche Versuche völlig zu unterlassen. Übrig bleibt nur: Entweder dir gefällt mein Sprachspiel oder auch nicht („…die eigene, geliebte Sprache…“). Das ist mir zu wenig…

  3. Hi Peter!

    Du siehst ja schon an den Kommentaren: Das Stück Fleisch war nicht blutig genug. Also nächste Stück für das Piranha-Becken bitte….

    😉

  4. Das Evangelium muss an den Mann, die Frau. Aber wie? Wenn Jesus, das wahre Evangelium, in mir lebt, fordert er mich dazu heraus, und zwar auf seine Weise. Er allein weiß, was im Menschen ist. In uns sollte er Liebe finden, zu ihm und zu unsrer Welt. Dann sind wir weder sprachlos noch arrogant, sondern können (leider viel zu selten) die Worte finden, die in der jeweiligen Situation „dran“ sind.
    Von welcher Beschaffenheit sind meine Liebe und meine Theologie heute?

  5. Herr Lindhberg hat mit seiner Aussage durchaus recht, ich frage mich allerdings, wie man es besser machen kann? Ich meine, unsre Botschaft ist doch, dass allein Jesus einem das ewige Leben schenken kann. Und ewiges Leben verstehe ich nicht nur in seiner Länge, sondern auch in seiner Qualität. Sagt man damit nicht implizit, dass alles andere eben nicht glücklich macht? Zumindest denke ich, dass die „andern“ das so empfinden…

  6. @Sandra: Die Kunst liegt vielleicht in der richtigen Beschränkung. Erstens wäre die Frage, inwiefern ewiges Leben und „glücklich sein“ dasselbe ist (da geht es um die Möglichkeit, dass jemand glücklich sein kann, ohne – wie auch immer man sich das dann vorstellt – schon das ewige Leben zu haben).

    Und wenn wir sagen, dass ewiges Leben ein Geschenk Gottes ist, müssen wir doch nicht immer genau wissen, wem er es wie schenkt – und schon gar nicht, wer es auf keinen Fall bekommt. Die endgültige Entscheidung darüber ist für Lindbeck nämlich noch gar nicht gefallen, so lange jemand lebt…

  7. Mein Erfahrung ist, dass Menschen nicht deshalb Christen werden, weil sie „eingesehen“ hätten, dass sie auf dem Weg in die „Hölle“ oder „verloren“ sind. Nein, sie entscheiden sich aufgrund einer subjektiven positiven Erfahrung, eines subjektiven positiven Gefühls in Bezug auf Jesus / Gott.

    Warum viele von uns Christen mit einem scheinbar „objektiven“ und zugleich negativen Urteil über Nichtchristen zur Mission aufbrechen, geht leider immer weniger in meinen Kopf…

  8. Ich teile die Erfahrung von ebbelwain. Heute will’s mir nicht mehr in den Kopf, früher habe ich nach dem negativen Konzept versucht Menschen zu gewinnen (zu „gewinnen“, ha, ha …). Vorgehen: Versuche Dich in eine Position der Überlegenheit zu bringen (Themenfelder: Moral, Lebenserfolg, Erfüllung …) und dann zieh dem anderen den Boden unter den Füßen weg.

    Auf das Thema „Sprache“ umgemünzt ging es eigentlich um eine Form der verbalen Manipulation. Schaffe ich es, den anderen über den Tisch zu kriegen?

    Prägnant formuliert habe ich das, was ich mir selbst eigentlich wünsche, bei Frère Roger (Taizé) gefunden:

    „Gibt es auf unserer Erde einen Weg, der so weit führt, alles vom anderen zu verstehen?“. – Verständnis als Basis der Kommunikation, nicht (selbst aufgebaute) Gegensätze.

    „Für mich ist Christus der, von dem ich lebe, aber auch der, den ich mit euch zusammen suche.“ – Da bleibt jemand ein Suchender, und jedes Gegenüber (ob Christ oder nicht) ist eine Hilfe, dem Ziel einen Schritt näher zu kommen. Hier wird aus dem „Evangelisationsopfer“ ein Partner, ein Mit-Mensch.

  9. @Johannes: Einer könnte den Benutzernamen ändern, aber andererseits: wer die Inhalte aufmerksam liest, läuft nicht Gefahr, Euch zu verwechseln 🙂

  10. So, ich habe auch noch eine provokative These:

    Der Grund warum Evangelisation und Mission bei den „Frei-„Kirchen so unglaublich wichtig ist, ist er profaner Natur – in wahrsten Sinne des Wortes „profan“. Die Pastoren von „frei-„kirchlichen Gemeinden, sind im Grunde so was wie Franchisenehmer. Sie übernehmen zwar ein fertiges erprobtes Konzept und arbeiten (meist) in Netzwerken, aber das unternehmerische Risiko tragen sie selbst. Wenn die Gemeinde nicht gesund ist, gefährdet das unmittelbar ihrer berufliche Existenz. Eine grössere Gemeinde bedeutet meist auch mehr Umsatz, Rendite und Sicherheit…

    Die „Geistlichen“ der beiden grossen Landeskirchen sind quasi „Kirchen-Beamte“. Die sind in einer wesentlich komfortableren Situation. Allerdings auch mit eingeschränkter Entfaltungsmöglichkeiten.

    Bei Quäkern gibt es keine bezahlten Prediger und „Gemeindepfleger“. Es gibt in ganz Deutschland eine halbe „Hiwi-Stelle“ die aber absolut nichts zu melden hat. Zyniker könnten auch versucht sein von einem „lebenden Brieföffner“ zu sprechen, was seine Kompetenz gut umschreiben würde. Ansonsten sind Deutsche Quäker so geizig, das sie sich lieber ein paar Jahre früher ins Grab legen, als auch nur ein Euro zu viel auszugeben (Gute Beispiel ist das vor sich hin schimmelnde Archiv!). Es gibt also wenig Motivation zur Mission, wenn man um jede Briefmarke betteln muss, wie ein Teenager, der mal Pappers Auto für den Kinobesuch mit der Freundin haben will.

  11. Hallo Peter,
    nein, dann lieber still als arrogant. Aber ich meine nicht, dass ein Wahrheitsanspruch zu einem Thema per se schon mit Arrogranz verbunden ist (wobei ich anhand der zitierten Stelle nicht sagen kann, ob Lindbeck das so generell meint. Das war ja nur meine Schlussfolgerung).
    Arroganz ist eine herablassende Haltung, gewissermaßen ein Charakterschwäche dessen der kommuniziert, unabhängig davon, was mit welchem Anspruch behauptet wird.
    Ich denke, dass es sowohl möglich ist arrogant „nur“ zu einem Sprachspiel einzuladen als auch demütig jemandem zu sagen, dass man weiß, was wirklich in ihm vorgeht (natürlich nur dann, wenn man es wirklich weiß…).
    Grüße

  12. @ Peter
    Na da könntest du recht haben ;). Aber ich hab mal mein Namen geändert, auf mein Spitznamen Johny 😉

    @Olaf
    Danke für diese interessante These.
    Deinem ersten Absatz würde ich teilweise zustimmen (sowas kann ich auch mal ;)).
    Es gibt bestimmt viele (?) Gemeinden wo es viel ums Geld geht. – > Ich finde es bedenklich wenn Gemeinden zu Unternehmen werden, in denen es leider auch die Situation gibt, dass es dem Pastor nur ums Geld geht…und die dicksten Gehälter haben.
    Bsp. W. Franklin Graham III, Sohn des Evangelisten Billy Graham, verdiente im Jahr 2008 insgesamt 1,2 Millionen US-Dollar(!!). …

    Aber ich glaube nicht das man das auf die Mission und Evangelisation überleiten sollten. Ich weiß (aus Erfahrung)das vielen wirklich die Menschen wichtig sind und nicht das Geld…… Klar es gibt Leute die es auch aus falschen Motiven macht…

    Soviel dazu 😉

  13. @Andreas: Nein, Lindbeck meint nicht den Wahrheitsanspruch per se, sondern in diesem Fall die Vereinnahmung des anderen, am Ende gar gegen dessen eigenes Empfinden. Aber so wie Du den Begriff „Sprachspiel“ verwendest, klingt das so, als sei das eine Art Aufweichung der „harten“ Wahrheitsbehauptungen, oder eben „bloß ein Spiel, kein Ernst“. Ich denke, das wird der ursprünglichen Intention nicht gerecht. Unsere Kommunikation klappt nur über Sprachspiele, und die größten Probleme entstehen da, wo wir uns dessen nicht bewusst sind oder es verschleiern. Wittgenstein hat ja geschrieben: „Ich werde auch das Ganze: der Sprache und der Tätigkeiten, mit denen sie verwoben ist, das »Sprachspiel« nennen.“ Insofern kommt man nie dahinter zurück, und es ist einfach nur redlich, das zuzugeben.

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