Hunger in der Stadt (1)

Die letzten Tage hat mich eine Geschichte aus dem Alten Testament beschäftigt: Im 2. Buch Könige (6-7) wird die Belagerung Samarias durch die Aramäer beschrieben – und eine überraschende Wende. Im Telegrammstil hört sich das dann so an:

In der Stadt bricht eine Hungersnot aus, erste Fälle von Kannibalismus werden bekannt. Der König fühlt sich von Gott verlassen und will – nachdem Gott nicht erreichbar ist – dem Propheten Elischa ans Leder. Der allerdings hat diesmal keine schlechten Nachrichten wie sonst immer, sondern erklärt, dass binnen eines Tages der Hunger vorbei sein wird.

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Beim Anhang des Königs trifft Elischas Wort auf unverhohlene Skepsis. Selbst mit einem Wunder sei das nicht zu erreichen, muss sich Elischa vom Stabschef anhören. Und – schon wieder ganz der alte – er erklärt diesem, dass er Gottes Eingreifen zwar sehen, aber nicht daran teil haben wird. Ein Schlüsselsatz in dieser Story.

Im Niemandsland zwischen den Linien von Freund und Feind befindet sich eine Gruppe Aussätziger. Eigentlich haben sie nichts zu verlieren, finden sie, also können sie ja den Gang ins aramäische Lager wagen. Mehr als Umbringen können die sie auch nicht. Doch als sie dort ankommen, ist das Lager völlig verlassen. Die Aramäer hatten in den Nacht die Panik bekommen und vermutet, Israel habe militärische Hilfe der Großmächte Ägypten bzw. der Hethiter angefordert. Die Aussätzigen schlagen sich genüsslich den Bauch voll und stecken die Schätze ein, dann bekommen sie ein schlechtes Gewissen und sagen in der Stadt Bescheid.

Dort aber regiert immer noch die Skepsis. Der König wittert eine Falle und ist erst nach einer weiteren Aufklärungsmission überzeugt davon, dass man die Stadt gefahrlos verlassen kann. Als sich dann die gut Nachricht verbreitet, drängen die Massen so heftig durch das Tor, dass der Stabschef, der die Wachen befehligt, unter die Räder kommt und stirbt.

Diese Geschichte ist eine klassische Reich-Gottes-Geschichte: Wie die Gleichnisse Jesu erzählt sie davon, dass die ersten die letzten sein werden und umgekehrt. Wie Jesus warnt sie davor, dass man Gottes Kommen verpassen kann, weil es so ganz anders ausfällt, als man es sich ausgemalt hatte. Wie bei Jesus sehen wir auch bei Elischa den Grundkonflikt zwischen Gottes Herrschaft und einer politisch-religiösen Elite, die nationale Identität und Souveränität zum Götzen macht und dies mit Ausbeutung der Armen und unter Anwendung von Gewalt und Zwang betreibt. So dass am Ende Israel ein Volk wie alle anderen ist (1. Samuel 8,5) – und nicht das eine Volk, das sich von allen anderen Reichen der Welt erkennbar unterscheidet. So aber sehen wir Resignation und Abstumpfung: Man hat sich so in der Gegenwart eingerichtet, dass man sich keine radikal andere Zukunft mehr vorstellen kann.

Die Geschichte gibt uns ein paar Anhaltspunkte dafür, wie wir selbst dazu beitragen können, dass Gottes überraschendes Eingreifen nicht an uns vorbei rauscht. Dazu demnächst in Teil 2.

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