Höllenretter

Rob Bells schönes kleines Buch Love Wins hat ein neues Genre hervorgebracht: Etliche Autoren fühlen sich bemüßigt, die Existenz der Hölle nachzuweisen und erheben sie damit zum normativen Glaubensgegenstand. Auch das verkauft sich gut in einem bestimmten Segment der Christenheit. Jüngst hat etwa Gerth Medien „Hölle Light“ von Francis Chan und Preston Sprinkle veröffentlicht.

Der Untertitel verrät schon den Anspruch von Chan und Sprinkle auf unwiderlegbare Aussagen: „Was Gott über die Hölle sagt, und was wir daraus gemacht haben“. Das Vorwort verrät dann, dass es um Gottes Charakter geht. Genauer: Seine Souveränität. Er darf machen, was er will. Menschen steht kein Urteil darüber zu. Man ahnt schon, wie es vermutlich weitergeht: Nur wer sich in einer Art geistlichen Stockholm-Syndrom dem undurchschaubaren und unbestechlichen Urteil dieses übermächtigen Gegenübers bedingungslos unterwirft, hat Aussichten auf gute Behandlung.

So ganz wird man den Verdacht nicht los, dass mit dem „wir“ im Untertitel die Autoren gar nicht von sich reden, sondern von denjenigen, deren Meinung ihnen missfällt – was Bell aus der Hölle gemacht hat zum Beispiel. Daher wird auch gleich klargestellt, dass es nicht etwa einen Konflikt um eine sinnvolle und sachgemäße Interpretation der Bibel geht, der am Ende vielleicht unterschiedliche Standpunkte denkbar erscheinen ließe, sondern darum, dass hier jemand ganz genau und definitiv sagen kann, was Gott sagt und was nicht.

Kaum eine Frage, dass bei diesen Prämissen die Höllenrettung gelingen wird und sich mancher Leser beruhigt zurücklehnen kann, weil seine vom Hauch des Zweifels leicht zerzauste Welt nun wieder in streng symmetrischer Ordnung ist. Wer kein Geld ausgeben und etwas Interessantes zu dem Thema lesen möchte, kann diesen anregenden Blogpost von Andrew Perriman lesen, in dem er sich mit Tim Kellers Thesen zu eben jenem heißen Thema beschäftigt.

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25 Antworten auf „Höllenretter“

  1. Vielen Dank für den Hinweis, dass dieses exzellente Buch nun auch auf deutsch erschienen ist.
    Bei Bell hat sich alle Welt über die Kritiker aufgeregt, die sich ihre Meinung über das Buch anhand des Werbevideos gebildet hatten (bzw. ihre Vermutungen anstellten), ohne das Buch in Händen zu halten. Du scheinst ja wenigstens das Vorwort und den Untertitel gelesen zu haben.
    Kann man eigentlich keine inhaltliche Auseinandersetzung führen, ohne den Gegner/Bruder zu pathologisieren (Stockholm-Syndrom …) bzw. seine Motive zu beargwöhnen (verkauft sich …)? Ja, ich weiß, andere haben auch … aber genau das dürfte ja kein Argument sein.
    Ich habe Francis Chan als einen Autor gelesen, der sich neu den biblischen Aussagen aussetzt mit der klaren Bereitschaft, sich von ihnen korrigieren zu lassen in seinem Denken. Das zeigt sich dann auch in der Umsetzung – die Parteilinie wird nicht einfach dumpf verteidigt, an manchen Stellen (Annihilation?) bleibt es überraschend offen.
    Interessant auch, was Dan Kimball zu dem Buch zu sagen hat.

  2. @Alexander: Danke für den Hinweis zu Kimball. Ich denke, das Vorwort ist in den Formulierungen ja schon ganz aussagekräftig und ich habe auch deutlich gemacht, dass die „Ahnung“, die Du kritisierst, kein Urteil über die Autoren ist, sondern die Kritik eines bestimmten Gottesbildes, das sich hier für mein Empfinden abzeichnet. Die Schwäche dieser Argumentation (auch in Kimballs Post) ist ein gewisser Bibelpositivismus: Da steht es, also ist es so. Aufgabe von Theologie ist es ja nicht nur, festzustellen, was in den Quellen steht, sondern auch zu einem einigermaßen kohärenten Reden von Gott in den Vorstellungen unserer Zeit und Kultur zu führen. Der „neutestamentliche Befund“ sagt darüber noch nicht alles aus. Was wir heute predigen, ist eine Frage systematischer Theologie, und dieser Reflexionsgang kommt mir bei diesen Publikationen oft viel zu kurz. Sollte das eine ruhmreiche Ausnahme sein, lasse ich mich gern korrigieren.

  3. Danke für die Rückmeldung.
    Der Schwerpunkt in dem Buch ist sicher, „festzustellen, was in den Quellen steht“, auch in Auseinandersetzung mit antiken oder zeitgenössischen Legendenbildungen. Ich habe Chan/Sprinkle direkt im Anschluss an Bell gelesen und fand ihren „ad fontes“-Ansatz ausgesprochen hilfreich und auch erfrischend. Aber so unterschiedlich sind die Leut‘ …
    Zentral für die Auseinandersetzung ist dann in der Tat die Frage nach dem Schriftverständnis und nach der Souveränität Gottes.

  4. … ja genau, und da halte ich manche Beschreibungen der Souveränität Gottes aus biblisch-theologischen Gründen (hier geht es also auch um eine Gewichtung der Aussagen, nicht nur ihre Aufzählung) für äußerst kritikwürdig – dafür steht der Satz mit dem „Stockholm-Syndrom“ (was ja nichts Pathologisches ist, sondern eine Reaktion gesunder Menschen auf eine unerträgliche Lage…)

  5. „Er [Gott] darf machen, was er will. Menschen steht kein Urteil darüber zu. […] Nur wer sich in einer Art geistlichen Stockholm-Syndrom dem undurchschaubaren und unbestechlichen Urteil dieses übermächtigen Gegenübers bedingungslos unterwirft, hat Aussichten auf gute Behandlung.“

    …Sehr amüsant! Ich denke da gerade an Jakob der den Beinamen „Israel“ („Gottesstreiter“) hatte, weil er sich eine ganze nach mit Gott persönlich herumgeprügelt hat.

    Gruß

    Olaf

  6. Die Posts von Andrew Perriman sind unbedingt lesenswert.

    Einen Satz finde ich besonders gelungen. Es geht um die Geschichte „Vom reichen Mann und armen Lazarus“. Hinsichtlich der gerne daraus abgeleiteten Hölle schreibt Perriman:

    „It is no more an argument for hell than the parable of the treasure in the field is an argument for buying metal detectors.“

  7. Hallo Peter!
    In der Tat, mir ist auch schon die Fülle an Reaktionen, die (logischerweise) zumeinst aus den konservativen Lagern kommen. Den gleichen Vorbehalt, wie Du ihn äußerst, habe ich auch bei mir festgestellt samt ähnlicher Kritikpunkte: Die Systematik/Methodik wird ebenso außer acht gelassen wie die Einordnung der Texte in den kulturell-historischen Kontext. Gibt es denn eigentlich zwischen all den teils recht polemischen Publikationen eine, die genau auf Bell (und die Reaktionen) eingeht und einigermaßen wissenschaftlich ist? Den Anspruch hat Bell ja nicht; seine “Gegner“ haben den zwar, erfüllen den aber aus meiner Sicht mit biblizistischem Argumenten nicht. Also, gibt’s da was wirklich Gutes und Lesenswertes? Fänd ich mal spannend.

    Grüße, Philipp

  8. @Johannes: Der Satz ist ein echter Volltreffer – und ein Zeichen, dass die biblizistische Lesart nur den Modus „Faktum“ oder „Präposition“ kennt, aber für Metaphern, Poesie, Spiel und Humor völlig unempfindlich ist. Da wird dann auch ein Gleichnis zur Lehrerzählung, die beschreibt, „wie es ist“ statt die Zuhörer einzuladen, zu überlegen, wie sie selbst sein könnten und wollen.
    @Phil: Perriman hat ein Kindle-Buch herausgebracht zur Diskussion über Rob Bell. Ich habe es noch nicht gelesen, aber vielleicht finden sich darin ein paar Verweise. Oder: wenn Du Lust hast, frag ihn doch direkt an, was er für interessant hält. Im Brunnen-Verlag ist auch ein Höllenbuch erschienen (man muss sein evangelikales Image ja pflegen), das von einer Kommission der EA in GB erstellt wurde. Vorwort von Rolf Hille, der natürlich gegen alles ist, was nach „Allversöhnung“ riecht. Ich kann aber nichts zum Inhalt sagen, außer dass sie, so weit der Klappentext das hergibt, irgendwo zwischen John Stotts barmherziger „Annihilation“ und C.S. Lewis landen.

  9. @Peter: Sage es doch so, wie Du es meinst: Das Stockholm-Syndrom dient Dir als Metapher für: Gott ist der Täter und wir Menschen sind seine Opfer.

    Liebe Grüße, Ron

  10. Mit subtilem Spott und einem Anflug von Bildung schafft es peregrinato spielend leicht, „weltoffene“ und höllenfeindliche Geister zur Akklamation zu bewegen. Annihilation und Allversönnung – die Attribute neuzeitlich-postmodernen „Christentums“ – rücken in den Fokus jener, denen die Vorstellung einer ewigen Strafe buchstäblich zu heiß geworden ist. Dass man dabei ausgerechnet das deutliche Zeugnis des Herrn Jesus zu diesem Thema totschweigt, ist von höchstem Belang.
    Es bleibt zu hoffen, dass Gott ein Einsehen mit den „fortschrittlichen Kräften“ hat und den Ofen der Hölle nach ein paar tausend Jahren wirklich ausgehen lässt.

  11. @Mario: wenigstens ein Anflug von Bildung, das ist doch schon mal was. Zum angeblich „deutlichen Zeugnis“ – das ist mit angeflogener Bildung betrachtet eben nicht so eindeutig, wie es durch die eine oder andere Brille scheinen mag. Falls es von Interesse ist – gern bei Perriman weiterlesen. Oder auch mal Moltmanns „Das Kommen Gottes“ zur Hand nehmen. Oder bei pietistischen Größen wie den Blumhardts, Bengel und Oetinger eine offenere Position abgucken.

  12. Zitat Johannes:
    Hinsichtlich der gerne daraus abgeleiteten Hölle schreibt Perriman:
    “It is no more an argument for hell than the parable of the treasure in the field is an argument for buying metal detectors.”
    Zitat Peter:
    Der Satz ist ein echter Volltreffer – und ein Zeichen, dass die biblizistische Lesart nur den Modus “Faktum” oder “Präposition” kennt, aber für Metaphern, Poesie, Spiel und Humor völlig unempfindlich ist.

    Anmerkung Andreas:
    Ist Perriman hier nicht genauso unseriös wie diejenigen, die er kritisiert? Die Erzählung vom Schatz im Acker ist eine Parabel („Das Himmelreich ist gleich …“), während die Erzählung vom reichen und armen Mann eine Beispielgeschichte mit ethischer Zuspitzung ist. Hier wird nicht das Himmelreich mit einem Gegenstand aus dem „real life“ verglichen, sondern eher umgekehrt die Folgen des irdischen Lebens mit ganz anderen Bildern umschrieben.
    Peters Kritik, dass die verschiedenen Textgattungen nicht berücksichtigt werden, trifft Perriman also genauso wie Chan / Sprinkle.

  13. @Andreas: Ich stimme Perriman zu und ordne das als Gleichnis ein, nicht als „Beispielgeschichte“, weil hier ein (mythologischer) „Himmel“ („Abrahams Schoß“) als Verdeutlichung herangezogen wird. Das ist so, wie wenn ich in einer Predigt eine Geschichte von Petrus an der Himmelspforte erzähle – nicht wörtlich zu nehmen. Eine Beispielgeschichte wäre der barmherzige Samariter.

  14. Ich habe schon vermutet, dass Du zielsicher die Schwachstelle in der Herleitung meines Arguments erkennen würdest, nämlich ob ich die Gattungen richtig benannt habe. Da kann man sicher noch präziser sein.
    Aber das ändert nicht viel am eigentlichen Argument, nämlich dass m.E. der „Schatz im Acker“ und „Der reiche Mann und arme Lazarus“ ebenfalls verschiedene Gattungen sind.
    Würdest Du beide tatsächlich in dieselbe Gattung einordnen? Und wenn nicht, inwiefern ist Perrimans Gegenüberstellung angemessen?

  15. @Andreas: Ja, doch. Das ist ebenso ein Gleichnis wie das vom reichen Kornbauern oder vom verlorenen Sohn. Aber eben nicht wie die Geschichte vom Samariter. Der Schatz im Acker ist ein „Reich-Gottes-Gleichnis“, Kornbauer und Sohn sind anders gelagert. Vielleicht liegt da der Unterschied. Aber es ist für mich keine andere Gattung.

  16. Acker, Kornbauer und Sohn würde ich auch derselben Gattung (evtl. mit Untergattungen) zuordnen. Sie alle haben gemeinsam, dass sie mit erzählerischen Elementen aus der „realen Welt“ auskommen und einen Vergleich „A ist wie B“ entweder benennen oder implizieren. (Das Himmelreich oder Gott ist wie …). Aufgrund dieses Vergleichs ist für die Hörer klar, dass es nicht wirklich im Schätze oder Schweine geht. (Beim Kornbauern scheint es mir hingegen auch um Korn zu gehen, aber nicht nur.)
    Im reichen Mann und armen Lazarus wird der erzählerische Rahmen dieser Welt überschritten. Daher würde ich hier schon eine andere Gattung sehen (deren Name mir egal ist). Außerdem fehlt ein erkennbarer Vergleich, durch den die Hörer wissen könnten, dass nicht wirklich von Hunden, Wunden, Hölle und Abraham die Rede ist.

    Mir selber geht es nicht darum, aus der Erzählung die Existenz der Hölle abzuleiten. Die scheint mir hier – wie Dir und Perriman – ein erzählerisches Stilmittel Jesu zu sein. Mir geht es darum, dass man diese Herleitung nicht seriös entkräften kann, indem man von Erzählungen mit ganz anderen Stilmitteln auf diese schließt.

  17. Spannend finde ich jedenfalls, dass Jesus wohl in einer Glaubenstradition aufgewachsen ist, in denen die Vorstellung von der Hölle präsent war – auch es darum eventuell im Gleichnis vom armen Lazarus gar nicht, sondern um den „Aufenthaltsort“ zwischen Tod und Endgericht. Ich halte es jedenfalls für wahrscheinlich, dass Jesus die Vorstellung von der Hölle geteilt hat. Spannend ist das ganze deshalb, weil ich auch hoffe, dass am Ende alle gerettet werden und es keine Hölle gibt.

  18. @Andreas: Der Rahmen dieser Welt wird insofern nicht überschritten, als Jesus sich auf volkstümlich-weltliche Erzähltradition (wieder: „Petrus an der Himmelstür“) bezieht. Und zwar gerade nicht, um eine Aussage über irgendein Jenseits damit zu machen, sondern über das Diesseits. Nämlich darüber, auf wessen Seite Gott jetzt steht: Nicht auf der des Reichen und Gesunden, wie die meisten Juden annahmen, sondern auf der Seite des Kranken und Armen. Und von daher kann er dann begründen, wo seine Nachfolger auch zu stehen hatten. Dafür mit einem Lohn im Jenseits zu winken, entkräftet die Aussage ja eher. Daher lehnt Abraham ja auch die Bitte mit der hintersinnigen Formulierung ab. Der Vorhang bleibt unten. Man kann und muss auch so wissen, was Recht ist.

  19. Ich bin völlig Deiner Meinung, was die Deutung des Textes angeht. Es geht Jesus hier gar nicht um die Hölle, sondern um die Schlusspointe der Erzählung (Wenn sie auf Mose und die Propheten nicht hören, würde alles andere auch nichts bringen).

    Und schon haben wir eine Entkräftung der Chan-Sprinkle-Deutung, die exegetisch sauber ist, die Erzählform und ihre Stilmittel ernstnimmt, ganz ohne den hinkenden Vergleich mit einem Reich-Gottes-Gleichnis mit ganz anderen Stilmitteln auskommt und auch auf polemisch-billigen Humor a la „Metalldetektoren“ verzichtet. Daher hat sie auch mehr Aussicht, gehört und selber ernstgenommen zu werden. Du kannst es besser als Perriman.

  20. Ich freue mich über die Zustimmung – und würde zu Perrimans Ehrenrettung nur einwenden, dass auch wenn ein Schuss Sarkasmus vielleicht Geschmacksache ist, sein „ebenso abwegig wie“ dennoch zumindest in dem Sinne gilt, dass sich aus dem Gleichnis heraus hier wie da ein solcher Schluss nicht halten lässt.

  21. „…Nur wer sich in einer Art geistlichen Stockholm-Syndrom dem undurchschaubaren und unbestechlichen Urteil dieses übermächtigen Gegenübers bedingungslos unterwirft, hat Aussichten auf gute Behandlung.“

    SEHR schön formuliert. Danke Peter, this made my day!

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