Andrea Roedig schreibt bei Der Freitag über das immer beliebtere Genre moderner Heldenerzählungen. Das Thema hat mich hier ja auch ab und an schon beschäftigt. Vielleicht liefert die Olympiade ja neue Dramen. Dabei kommt alles darauf an, wie hier erzählt wird. Roedig beschreibt die neue Faszination des Journalismus für die Lichtgestalten unserer Zeit so:
Kennzeichen des Heroen sind Exzeptionalität, Mut und Größe. Der Held ist außergewöhnlich durch Kraft, Genie oder eine besondere Gabe. Seinen Mut beweist er im Kampf gegen Widerstände und Mächte. Immer verläuft seine Entwicklung am narrativen Faden von siegreich zu überwindenden Schwierigkeiten. Und groß wird der Held, weil er sich übersteigt. […]
Der Held ist kein Beamter, kein Angestellter, er ist kein Stratege und auch nicht unbedingt ein Demokrat. Vor allem aber ist er eines nicht: ein Opfer. Er siegt, und wenn er unterliegt, dann klagt er nicht, er nimmt den Schmerz auf sich als notwendigen Preis für sein Ziel und den Ruhm. „The Trick is: not minding that it hurts“, erklärt Lawrence of Arabia einem Untergebenen, der sich zu lautstark an einem Streichholz verbrennt. Besser kann man die Essenz des Heroischen nicht definieren.
Dass Helden wieder Konjunktur haben, liegt an den gesellschaftlichen Verhältnissen: Aus der Aufstiegs- ist eine Abstiegsgesellschaft geworden. Allzu oft hat der Tüchtige kein Glück, während zugleich allzu viele Glückspilze alles andere als tüchtig sind. Die neoliberale Botschaft an den Normalo heißt: Durchhalten und den Schmerz ignorieren; es ist immer noch alles möglich, der tatsächliche Erfolg steht aber unter dem Vorbehalt eben jenes launischen Schicksals, das die volatilen Märkte regiert. Den Blick auf jene, die es in den Olymp geschafft haben (oder dort geboren wurden), sollte man trotzdem nicht abwenden – etwa, indem man kritisch den Preis hinterfragt, den man für den Aufstieg zu zahlen bereit ist.
Sind das am Ende säkularisierte Hagiographien, mit denen wir es hier zu tun haben? Legen Helden wie Heilige einen beschwerlichen Weg zurück, erdulden beide eine schmerzhafte Passion, werden beide zum Modellfall von Tugendhaftigkeit, vollbringen beide uneigennützig Wunder, indem sie für sich und andere Unmögliches möglich machen?
Es wäre eine interessante Aufgabe (sucht vielleicht noch jemand ein Thema für eine Diplom- oder Masterarbeit?!?), einmal alle christlichen Blogposts zum Tod von Steve Jobs auf solche Korrelationen zu untersuchen, wie man sie zwischen Heldenmythen und Heiligenviten schon erforscht hat. Und dann nach Kriterien theologischer Kritik an diesem Narrativ und seinen Adaptionen zu fragen:
- Darf man beispielsweise Paulus‘ eschatologisch motivierte Gedanken über den Gratifikationsaufschub des Wettkämpfers in 1.Korinther 9 auf den Kontext eines weltlichen Erfolgs und Ruhmes übertragen?
- Sind die Gründer von Megachurches, die gefragten Konferenzredner und Bestseller-Autoren solche Kultfiguren?
- Wie lässt sich das Neue Testament so auslegen, dass es Menschen gegen zweifelhafte Ideale von Erfolg immunisiert, die nur wie die berüchtigte Karotte vor dem Maul des Esels baumeln, der den Karren anderer zieht?
Diese Vertröstung auf später wurde ja oft den christlichen Kirchen vorgeworfen, die tatsächlich in verschiedenen Epochen der Kirchengeschichte mehr an möglichst gefügigen Untertanen interessiert waren als an einer Veränderung ungerechter Verhältnisse. Roedig wendet die Hermeneutik des Verdachts nun gegen eine Gesellschaft, in der das „unternehmerische Selbst“ postuliert und zunehmend die soziale Position vererbt wird, in der Heldenmythen den Status Quo eher sichern als in Frage stellen:
Wo gesellschaftliche und ökonomische Verhältnisse wie unbeherrschbare Naturgewalten erscheinen, braucht man die alten Geschichten. Der Mythos blendet und er tröstet, in ihm treffen sich Ideologie und Katharsis.
Es steckt also auch ein resignatives Element in diesen Geschichten. Vielleicht ist das auch ein Zeichen der Hoffnung, dass um viele „Heilige“ herum Gemeinschaften entstanden sind, die Jahrhunderte überdauert haben, nicht nur Firmen, Kapital und Medienhype. Und vielleicht ist bei einer/einem „Heiligen“ das Kriterium vor allem dies, dass sie/er einer bestimmten Berufung treu geblieben ist, egal mit welchem zählbaren Erfolg.
Viel Substanz mit allen Querverweisen.
In 1. Kor. 9.10 ff. liest man u.a. „auf Hoffnung pflügen“ und „seinen Teil empfangen“. Auf weltlichen Erfolg übertragen: Benötigte die Gesellschaft Helden, wenn sich Arbeit und die Angemessenheit der Entlohnung mit dem grds. Ziel von Leistungsgerechtigkeit an der christlichen Werteskala (d.h. ohne Extreme) orientierten ohne dabei die Bedarfsgerechtigkeit (notwendig für die Leistungsschwachen einer Gesellschaft) unberücksichtigt zu lassen?
Im Ursprungsartikel sprach mich der nachfolgend zitierte Absatz besonders an:
„Aber Arbeit und Durchhalten sind nur die eine Seite. Der Erfolg des Helden hängt nämlich einerseits an der Leistung, andererseits aber immer auch an der Gunst der Götter. Die Heldengeschichten reflektieren und rechtfertigen in gewisser Weise eine Entwicklung, die der Frankfurter Soziologe Sighard Neckel als „Refeudalisierung der Ökonomie“ beschreibt. In Zeiten maßloser und willkürlich eingefahrener Maximalgewinne einer kleinen Schicht erodiere, so Neckel, das meritokratische Prinzip, das heißt die bürgerliche Überzeugung, nur das als gerechtfertigten Erfolg zu werten, was durch eigene Leistung erworben wurde. An die Stelle der Leistung trete nun bloßer Erfolg, an die Stelle der Leistungsfähigkeit Erfolgstüchtigkeit. Die Rechnung, dass Arbeit auch zum Aufstieg führt, geht nicht mehr glatt auf. Spielglück ist gefragt, und für manche fällt der Erfolg eben vom Himmel.“