Die Lektüre von Martin Seligmans positiver Psychologie bringt immer wieder kleine Erleuchtungen hervor. Zum Beispiel verstehe ich endlich diese immer wiederkehrenden Episoden, wo ein Kind aus der Schule kommt und – erst auf Nachfrage natürlich – verlauten lässt, die Lateinschulaufgabe sei gut verlaufen und eine entsprechende Note sei zu erwarten. Etliche Tage später stellt sich dann – jedesmal völlig überraschend! – heraus, dass der Lehrer die Sache offenbar anders sah und mit einer deutlich schlechteren Zensur bewertete. Auf Nachfrage erfahren die irritierten Eltern dann, dass irgendwelche unvorhersehbaren Dinge eingetreten seien – eine weitere Aufgabe auf der Rückseite des Angabenblattes, die man partout nicht habe sehen können, unerwartete Fragen zu Themen, mit denen man nie und nimmer habe rechnen können und derlei mehr.
Von Seligman habe ich inzwischen gelernt: Pessimisten schätzen sich exakter ein als Optimisten. Optimisten neigen dazu, sich zu überschätzen. Der Vorfall zeigt mir also, dass mein Kind Optimist ist. Pessimisten suchen zudem den Fehler für etwaiges Scheitern bei sich selbst und halten die Ursache für unveränderlich. Die Antwort meines Kindes auf die Frage nach den Ursachen zeigt, dass es den Grund des Scheiterns in einmaligen Zufällen sieht, die rein gar nichts mit ihm zu tun haben. Es geht daher mit demselben Optimismus in die nächste Prüfung.
Bisher hielt ich als typisches Exemplar der Mittelschicht den Mangel an Realismus für bedenklich, sah mein Kind fast schon abgehängt im Bildungswettlauf. Jetzt weiß ich, dass das eine Stärke ist. Denn insgesamt sind optimistische Menschen (und ich weiß genau, von wem sie diese Disposition geerbt haben…) leistungsfähiger, freundlicher und glücklicher. So ein paar Vierer oder Fünfer, würde Karlsson vom Dach sagen, die stören doch keinen großen Geist.
Wohl dem Volk, dessen gewählte Vertreter dem Optimismus huldigen! (Kann mich gerade nicht so schnell von so einigen der heutigen politischen Kommentare lösen.)
Klar. Wirklich glücklich sehen die Volksvertreter nicht aus. Eher Zufall, dass das Buchcover schwarz-gelb ist
..unglaublich, man könnte meinen, du beschreibt unseren Sohn ( und auch mich, wie meine Frau nach der Lektüre Deines Posts versicherte ). Ich glaube das Buch muss ich unbedingt lesen. Eine Frage bleibt: ZITAT: „Pessimisten suchen zudem den Fehler für etwaiges Scheitern bei sich selbst “ – ich kenne auch viele Pessimisten, die die Ursache immer bei anderen suchen – oder sind das keine waschechten Pessimisten ?
Müssten wir Seligman fragen. Es gibt sicher auch Pessimisten, die gern anderen die Schuld zuschieben. Damit ist aber noch nicht gesagt, dass sie das selbst auch wirklich glauben.
Ich bin definitiv Optimist und suche trotzdem Fehler bei mir selbst, denn:
„Wenn du aufhörst dich zu verbessern, hörst du auf gut zu sein“
Auch hier glaube ich, Peter, dass die Balance wichtig ist. Ich bin z.B. jemand, der oft sicher zu sehr auf der pessimistischen Seite abrutscht. Aber ich kenne auch extreme Optimisten und das ist auch nicht schön. In Unternehmen machen diese Menschen oft anderen das Leben schwer, weil sie einfach mal völlig unrealistische Zeitpläne aufstellen, die dann andere mühsam einzuhalten versuchen und wenn das ganze dann crasht sehen sie nichtmal, dass der Fehler bei ihnen lag. Genauso veranlassen extreme Optimisten Tiefseebohrungen und denken sich, „wird schon nichts schiefgehen“. Ich glaube, Du hast recht, das gesunder und realisitscher Optimismus was gutes ist, was uns als Volk auch definitiv fehlt. Aber auch Optimismus kann ungesund sein – vielleicht nicht für die Person selber, dafür aber für die Leute um sie herum. Und die sollten uns als Christen ja auch wichtig sein.
@Tobias: Optimismus mit Verantwortungslosigkeit gleichzusetzen ist vielleicht ein typisch pessimistisches Manöver… Es wäre eine Untersuchung wert, ob bei BP Optimisten oder Pessimisten am Werk waren. Nur wir werden das hier nicht beantworten.
Wenn man Seligman glauben darf (und er ist ja kein Nobody), dann leben Optimisten nachweislich länger, sind glücklicher und zugleich großzügiger und mitfühlender. Ist doch schön!
Hi Peter,
wenn Du meinen Kommentar so gelesen hast, dass ich Optimismus mit Verantwortungslosigkeit gleichsetze, hast Du ihn falsch verstanden. Alles, was ich gesagt habe, ist, dass es da aus meiner Sicht nicht ein grundsätzliches „Optimismus ist immer gut“ gibt.
Bei den Leuten, die ich in meiner Arbeit erlebe, handelt es sich teilweise schon deutlich um Optimisten. Und das hat auch ihr gutes und wir brauchen solche Leute auch. Nur glaube ich, dass extreme Optimisten vielleicht nicht ohne Pessimisten aber doch ohne Realisten auch untergehen würden. Ok, aber vielleicht kommt es auch auf die Definition von „Optimist“ an. Ich bin von der augegangen, die ich aus Deinem Post gelesen habe („sucht Ursache von Scheitern in Umständen, die nichts mit ihm zu tun haben“).
Oh, das war nicht die Definition von Optimist, sondern ein Wesenszug unter anderen. Und etwas zugespitzt auf (viele?) Jungs in der Schule. Klar sind auch Optimisten fähig zur Selbstkritik. Wenn der Fehler bei ihnen liegt, dann ist er für sie jedoch meist veränderbar. Und weil sie die Veränderung für möglich halten, gelingt sie auch – ab und zu…
Ok, Du hast recht, dass das keine Definition war. Ich bin halt nur etwas allergisch bezüglich solcher Pauschalaussagen. Ich denke halt, dass die optimistische oder pessimistische Grundhaltung oft was ist, was sehr tief in uns steckt. Und dann den Pessimisten, die sich sowieso schon oft schlechter fühlen noch zu sagen, dass sie weniger lange leben als Optimisten finde ich irgendwie traurig.
Ich persönlich versuche im Normalfall optimistisch zu handeln, obwohl ich oft pessimistisch fühle.
Das ist genau auch Seligmans Grundaussage. Er stellt ja nur nüchtern fest, dass manche Menschen leichter leben als andere. Sich selbst rechnet er übrigens nicht zu der Gruppe. Dann aber zeigt er, was man von den Optimisten lernen kann, auch wenn das eigene Naturell dazu nicht von selbst tendiert. Und das sind dann solche Sachen wie Dankbarkeit, Vergebung und ein hoffnungsvoller Blick nach vorn.
Ok, das kann ich gut nachvollziehen und finde ich auch sehr wichtig. Dankbarkeit und Vergebung sind Sachen, die mir in meinem Leben auch sehr wichtig sind und woran ich immer wieder arbeite. Dein Artikel klang für mich nur zuerst mehr nach „Ach wie gut, dass ich Optimist bin und kein armer Pessimist“. Was ja auch schön ist. Aber ihr Optimisten habt damit natürlich auch eine spezifische Aufgabe und Verantwortung (genau wie wir unsere haben).
Wir sind da nicht weit auseinander: Von meiner Seite war das ja eher der Versuch, mit manchen verwirrenden Eigenschaften meiner kleinen Optimisten klar zu kommen, die mich bisher maßlos irritiert hatten. Ich sehe mich selber eher im Mittelfeld.
Na, dann ist das doch schön, Peter. 🙂