Glaube und Wissenschaft: So tun, als ob

Glaube an Gott … lässt sich nicht reduzieren auf eine sachliche Antwort auf die Frage „existiert Gott?“, wenn man für einen Augenblick davon ausgeht, dass der Ausdruck „eine sachliche Antwort“ einen Sinn hat. Es bedeutet, der Welt gegenüber eine Haltung, eine Disposition einzunehmen, wodurch diese Welt, so wie sie für mich zu sein beginnt, eine Welt ist, in die Gott hineingehört. Dieser Glaube verändert die Welt, er verändert aber auch mich. Ist es wahr, dass Gott existiert? Wahrheit ist eine Disposition, nämlich jemandem oder etwas die Treue zu wahren. Man kann nicht einfach an nichts glauben und so jeglichen Glauben meiden, einfach deswegen, weil man der Welt gegenüber nicht keine Disposition haben kann, das wäre in sich schon wieder eine Disposition. Manche Menschen entschließen sich, an den Materialismus zu glauben; sie handeln so, als wäre diese Philosophie wahr. Eine Antwort auf die Frage, ob Gott existiert, kann nur so kommen, dass ich so handle, „als ob“ es Gott gibt, und auf diese Weise Gott die Treue wahre und erlebe (oder vielleicht auch nicht), wie Gott mir die Treue wahrt.

Dieses „Tun, als ob“ ist keineswegs eine Ausflucht, ein Eingeständnis, dass man das, was man angeblich glaubt, gar nicht „wirklich“ glaubt. Ganz im Gegenteil: Wie Hans Vaihinger verstand, ist alle Erkenntnis, vor allem wissenschaftliche Erkenntnis, nicht mehr als zu handeln, „als ob“ bestimmte Modelle bis auf Weiteres wahr sind. Wahrheit und Glaube.

Iain McGilchrist, The Master and His Emissary, S. 170f.

Share

7 Antworten auf „Glaube und Wissenschaft: So tun, als ob“

  1. „Manche Menschen entschließen sich, an den Materialismus zu glauben; sie handeln so, als wäre diese Philosophie wahr.“

    Da bedarf es keines Glaubens“aktes“. Der Grundsatz dabei ist „evidenzbasiert“ (auf Beweismaterial gestützt). Es gibt Fakten, die werden in Theorien eingebaut und die Theorie wird ständig mit neuen Fakten konfrontiert. Die Arbeit erfolgt zu gewissen Grundsätzen:

    „Wissenschaftliches Arbeiten beschreibt ein methodisch-systematisches Vorgehen, bei dem die Ergebnisse der Arbeit für jeden objektiv nachvollziehbar oder wiederholbar sind. Das bedeutet, Informationsquellen werden offen gelegt (zitiert) und Experimente so beschrieben, dass sie reproduziert werden können. Wer eine wissenschaftliche Arbeit liest, kann stets erkennen, auf der Grundlage welcher Fakten und Beweise der Autor zu seinen Schlussfolgerungen gelangt ist, auf welche Forschungsergebnisse anderer Wissenschaftler er sich beruft (Zitation) und welche (neuen) Aspekte von ihm sind.“

    Das ist auch der Grund, warum sich wissenschaftliche Weltbilder in stetem Wandel befinden (weil immer neue Erkenntnisse eingearbeitet werden). Das wird häufig als Schwäche ausgelegt („Die wissen es ja selber nicht“).

  2. @Frank: Wenn „Glauben“ heißt, sich bewusst (das tust du ja) zu entschließen, so zu handeln, als wären Deine Prämissen wahr, dann ist das, was Du beschreibst, eben auch eine Form des Glaubens. Das Kapitel „Fakten“ und das Thema Positivismus hatten wir ja schon verschiedentlich. Ich staune nur immer über die Naivität, mit der von „Fakten“ die Rede ist. Dass in der Wissenschaft Glaubenskriege toben, und zwar in allen Disziplinen, widerlegt die schlichte Logik doch hinreichend. „Evidenzbasiert“, könnte man sagen 🙂

  3. @ Peter

    auch Wissenschaftler sind nur Menschen und streben nach Ruhm und Anerkennung.
    O Eitelkeit der Eitelkeiten! spricht der Prediger 😉

    Ganz klar gibt es wisschenschaftliches Fehlverhalten, aber früher oder später wird es eben doch aufgedeckt und revidiert. In der Wisenschaft gilt es als ebenso wertvoll, eine bestehende Theorie zu kippen, wie eine neue zu entwerfen. Bestes Beispiel war neulich die Geschichte mit der mutmaßlich gemessenen Überlichtgeschwindigkeit am CERN.

    Die Wissenschaft war ganz aus dem Häusschen vor Aufregung, weil damit Einsteins Relativitätstheorie in Frage gestellt wurde, leider mussten sie dann feststellen, dass lediglich ein wackeliges Kabel Messungenauigkeiten verursachte. Es wurden sogar gleich „Neutinowitze“ erfunden 🙂
    http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,788156,00.html

    Man kann im Prinzip schon „Glauben“ sagen, im Unterschied eben zum religiösen Glauben ist aber Skepsis und die Überzeugung von der Realität des lediglich temporären Erkennens die Grundvoraussetzung. Es gibt halt keine „Wahrheit an sich“.

  4. Nein, aber natürlich ist auch religiöser Glaube Skepsis. An etwas Bestimmtes zu glauben heißt ja auch, an anderes dezidiert nicht zu glauben. Und Denktraditionen (es geht ja gar nicht um Fehler, sondern darum, dass man z.B. eben das sieht, was man zu sehen erwartet), denen man sich in der Regel nur durch den Anschluss an andere Denktraditionen entziehen kann, das eben finden wir ebenso in der Wissenschaft. Sie sind dort im Schnitt halt etwas kurzlebiger…

  5. Sagen wir mal so: In der Wissenschaft ist die Form festgelegt („Wissenschaftliches Arbeiten“, wie oben beschrieben, dazu gewisse Prinzipien wie Ockhams Rasiermesser
    http://de.wikipedia.org/wiki/Ockhams_Rasiermesser), der Inhalt (die Theorien) dagegen jederzeit austauschbar.

    Bei Religionen hingegen ist die Form disponibel, der Inhalt (also Omnipotenz, Transzendenz, Omniszientenz,Ubiquität etc.der Gottheiten) aber zumeist übereinstimmend festgelegt. Skepsis bei Gläubigen findet man idR eher bei den Mystikern wie zB Meister Eckart. Diese stellen eigentlich immer auch den Gottesbegriff an sich in Frage.

  6. Letztendlich ist es immer eine Frage des Glaubens, das stimmt wohl. Allerdings fällt es uns leichter, an die Schwerkraft zu ‚glauben‘ als an die Existenz eines guten Gottes z. B. Die Schwerkraft beweist sich immer selbst, auch wenn man nicht an sie glaubt. Unpersönliche Naturgesetze mit einer autonomen Persönlichkeit zu vergleichen finde ich deswegen nicht immer hilfreich. Oder?

  7. Zum Thema „Freier Wille“, welches ja ganz evident ist bei der Frage nach Erkenntnis(fähigkeit) zur Welt gibt es aktuell eine Rezension zu Sam Harris „Free Will“ von Harald Stücker (von der gbs Erlangen): http://hpd.de/node/13135

    Harald ist ausgebildet in Linguistik, Semiotik, Wissenschaftstheorie und analytischer Philosophie. http://evidentist.wordpress.com/about-2/

    Hochinteressant ist die Frage schon deswegen, weil sich sowohl Gläubige wie Nichtgläubige damit beschäftigen müssen, wenn sie die Grundlagen ihres Weltbildes und ihrer Handlungen analysieren. Die christlichen Kirchen haben sich sehr detailliert damit auseinandergesetzt, von anderen weiss ich es nicht so.

Kommentare sind geschlossen.