Geistreiches Weltbild

Eher zufällig dominiert gerade das Thema Evolution im (stets evolvierenden) Bücherstapel auf meinem Schreibtisch. Irgendwie passend dazu hörte ich neulich den Comedian Michael Mittermeier im Fernsehen sagen, dass Gott, „als er die Evolution erschuf (!)“, sich dieses oder jenes aktuelle Ergebnis auch nicht so vorgestellt hatte. Klar, muss man nicht so ernst nehmen. Trotzdem ein bemerkenswerter Satz: Dem Prozess der Evolution wird eine zielgerichtete Absicht unterstellt. Kein blindes Würfeln. Zufällig oder nicht: Vielleicht können wir Menschen kaum anders reden und denken als so?

Jaredd Craig

Thomas Nagel gehört zu den bekannten Stimmen in der Philosophie. Vor ein paar Jahren riskierte er seinen guten Ruf, indem er sich kritisch mit dem reduktiven Materialismus als der bevorzugten Erklärung für die Evolution der Welt befasste: Geist und Kosmos heißt sein Versuch. Der Untertitel – „Warum die materialistische neodarwinistische Konzeption der Natur so gut wie sicher falsch ist“ – liest sich wie eine kleine Kampfansage. Entsprechend ungnädig fielen die Reaktionen aus, als das Buch 2012 in den USA erschien. Dabei verzichtet Nagel in seiner nüchternen Darstellung auf Polemik. In Deutschland verlief die Rezeption hingegen positiver.

Auch für Theologen von Interesse

Spannend ist die Lektüre deswegen, weil Nagel sich explizit von allen religiösen Erklärungen distanziert – auch von Kreationismus und Intelligent Design. Er sucht nicht den Dialog mit Glaube und Religion. Stattdessen diskutiert er als Philosoph mit seiner eigenen Zunft und das Verhältnis zu den Naturwissenschaften. Für Theologen gleichwohl interessant ist dabei

  • erstens seine Kritik am gegenwärtigen Geltungsanspruch strikt materialistischer Welterklärung,
  • zweitens seine Suche nach alternativen Ansätzen und
  • drittens seine Aussagen zum Verhältnis von Geist und Materie (er ist eher Monist als Dualist, folgt mehr Spinoza als Descartes) wie auch zum Problem von Leib und Seele.

Seine durchdachte Dekonstruktion der strikt materialistischen Erzählung finde ich interessanter als die Spekulationen und Andeutungen einer möglichen Alternative. Er möchte das Problem teleologisch lösen, nicht intentional (wie Mittermeier, wenn er Gott ins Spiel bringt). Letzteres würde bedeuten: Die Absicht eines Schöpfers ist der Grund dafür, dass die Welt ist, wie sie ist. Ersteres bedeutet: Es liegt in der Natur der Dinge, dass sie sich nicht nach dem Muster eines blinden Zufalls entwickelt haben. Sondern relativ zielgerichtet, nämlich in Richtung auf Richtung Geist, Bewusstsein, Vernunft und Moral.

Denn – und damit sind wir bei den Kulturkämpfen unserer Zeit, die sich 2012 bestenfalls vage abzeichneten – wenn Wahrheit und Werte nicht realistisch verstanden werden können (d.h. sie existieren unabhängig davon, ob sie mir bewusst sind oder ich sie anerkenne), sondern rein subjektivistisch oder konstruktivistisch (im pragmatischen Sinne evolutionärer Nützlichkeit und Vorteilhaftigkeit oder einer rein willkürlichen kulturellen Präferenz), dann werden das Zusammenleben und alle Konfliktlösungen schwierig.

Wichtige Unterscheidungen

Ein paar Sätze zu Nagels methodischem Vorgehen: Mit der Urknall-Hypothese ist nach der Biologie (da war es Darwin) auch die physikalische Kosmologie zu einer historischen Wissenschaft geworden. Das rückt sie in die Nähe von und bringt sie ins Gespräch mit den Geisteswissenschaften. Das Vorhandensein von Leben, Bewusstsein (bzw. Geist) und Werten als Resultat dieser Geschichte verlangt nach einer Erklärung:

Eine angemessene Konzeption des Kosmos muss mit ihren Mitteln erklären können, wie er zur Entstehung von Wesen führen konnte, die fähig sind, erfolgreich darüber nachzudenken, was gut und schlecht, richtig und falsch ist,  und die moralische und evaluative Wahrheiten entdecken können, die nicht von ihren eigenen Überzeugungen abhängen. (S. 152)

Alle wissenschaftlichen Erklärungen, sagt Nagel, müssen sowohl konstitutiv als auch historisch funktionieren: Sie müssen sowohl die Bedingung der Möglichkeit vernünftiger Wesen plausibel machen als auch den konkreten Prozess, der schließlich dazu geführt hat, dass Menschen heute über Evolution, Politik und Werte diskutieren.

Dabei können sie drei unterschiedliche Wege verfolgen:

  • Den kausalen Ansatz der Analyse der Ursachen und Elemente,
  • den teleologischen Ansatz, der vom komplexen Ergebnis her nach den Prinzipien der Selbstorganisation des Lebens fragt,
  • oder den intentionalistischen, der die Absicht eines Schöpfers im Vorhandensein und den Strukturen der Welt erkennt.

Die dritte Lösung lehnt Nagel für sich persönlich ab. Aber er merkt auch an, dass er die erste Variante einer quasi geistlosen, weil rein materiellen Kausalität für ein ebenso großes Wunder hält – und damit für äußerst unwahrscheinlich. Bewusstsein, Vernunft, Wahrheit und Verantwortung als vom Zufall generierte Epiphänomene zu beschreiben, hält er für unangemessen (in eine ähnliche Richtung denkt Patrick Spät in „Der Mensch lebt nicht vom Hirn allein“, auf das ich vor ein paar Jahren durch die Rezension von Michael Blume stieß).

Theologisch  interessant ist gleichwohl Nagels Vorschlag, Geist als etwas zu verstehen, das der Materie weder geschichtlich noch sachlich nachgeordnet ist. Sondern als etwas, das die Evolution des Kosmos von Anfang an bestimmt und das überall wirkt. Das wäre doch ein Projekt, an dem sich unter Philosophen, Theologen und Naturwissenschaftlern gemeinsam arbeiten ließe. Und auch wenn ich das Stichwort bei Nagel nicht explizit gefunden habe – ist das Bemühen um eine holistische Sicht der Welt nicht auch ein Schritt in diese Richtung?

Nachtrag (13.10.): Harald Lesch geht als Physiker in diesem Vortrag den von Nagel aufgeworfenen Fragen  nach. Er bewertet das Konzept der Emergenz positiver als Nagel, teilt aber dessen Kritik am Reduktionismus. Immaterielle Dinge haben kausalen Einfluss, sagt Lesch, und höhere Ebenen beeinflussen niedrigere, während sie umgekehrt nicht von den niedrigeren Ebenen umfassend bestimmt werden.

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