Für einen Perspektivwechsel ist man nie zu alt

Diese Woche hat Tony Campolo, der große alte Vorkämpfer der Linksevangelikalen, eine kurze Erklärung veröffentlicht, in der es um die Akzeptanz Homosexueller in den christlichen Gemeinden geht. Nun war Tony schon immer jemand, der den traditionell konservativen Standpunkt (wenn du dich zum eigenen Geschlecht hingezogen fühlst, bleib enthaltsam) mit maximaler Fairness gegenüber der inklusiven Gegenposition vertrat, was nicht zuletzt daran lag, dass er mit der wunderbaren Peggy verheiratet ist, die das schon immer anders sah. Tony seinerseits war eine Art Brückenbauer, der einen völligen Bruch zwischen den verschiedenen Lagern zu verhindern suchte.

Er war aber wohl auch sehr unsicher im Blick auf seine Position. Nun hat er sie, nach langem und intensivem Ringen, revidiert. Tony gibt keine Gründe an, die in der Diskussion nicht schon vorgekommen wären. Er ist sich auch der Möglichkeit bewusst, dass er sich irren könnte. Den Ausschlag gaben schließlich die Beziehungen zu ganz konkreten Menschen:

I have come to know so many gay Christian couples whose relationships work in much the same way as our own. Our friendships with these couples have helped me understand how important it is for the exclusion and disapproval of their unions by the Christian community to end. We in the Church should actively support such families. Furthermore, we should be doing all we can to reach, comfort and include all those precious children of God who have been wrongly led to believe that they are mistakes or just not good enough for God, simply because they are not straight.

Nach Steve Chalke im vorletzten und Vicky Beeching wie auch dem Ethik-Professor David Gushee im letzten Jahr ist mit Tony Campolo ein weiterer profilierter Evangelikaler zu einer Neubewertung seine Position gekommen. In Deutschland hat dieser Worthaus-Vortrag von Siegfried Zimmer für Diskussionen gesorgt. Für die EKD hat sich der Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm deutlich zu einer inklusiven Auffassung von Ehe bekannt.

Christian Piatt hat den entscheidenden Impuls für diesen Wandel der Auffassungen gestern treffsicher beschrieben:

Ultimately, marriage equality and being both open and affirming of people of all sexual/gender identities and orientations in our larger Christian community are not issues: they are people. They’re human beings, stories, families, relationships, children, struggles and joyful discoveries. They are school lunches, utility bills, career moves, birthdays weddings and funerals. They’re self doubt, a search for meaning, belonging and, often times, a desire to be connected with something bigger and more enduring than ourselves.

They’re like anyone else in these ways, and many more. They are us. All it usually takes is a willingness to sit down, listen, share and change in whatever ways love and compassion may work within us. It worked for Jesus. It worked for Tony. It’s good enough for me. What about you?

Annahme ist dann möglich, wenn ich sehe, wie viel größer die Gemeinsamkeiten sind als die Unterschiede. Doch das funktioniert nur, wenn ich keine Kardinaldifferenz zwischen Homo- und Heterosexuellen behaupte, sondern diesen Unterschied als nur einen von vielen möglichen sehe. Aber denken wir noch ein bisschen weiter:

Mich persönlich hat gestern eine Meldung aus Gambia beschäftigt. Der diktatorisch regierende Präsident Yahya Jamme hat die französische EU-Vertreterin aus Gambia ausgewiesen, weil sie den Umgang mit Homosexuellen kritisierte. Frage: Ist es denn wirklich nur ein dummer Zufall, dass so viele Diktatoren den Hass auf Schwule (es geht ja meistens um Männer…) schüren? Wenn nicht, wo genau liegt die innere Verbindung, der gemeinsame Nenner, der rücksichtslose Macht und rigide Ordnungsideologien bzw. die Ausgrenzung abweichender Orientierungen und Lebenskonzepte verbindet?

Ich unterstelle damit nicht, dass alle Konservativen verkappte Gewaltherrscher sind. Ich frage mich nur, ob da Denkstrukturen vorhanden sind, die auch dazu taugen, derartige Repression zu legitimieren oder die zumindest dafür sorgten, dass sie nicht schon längst entschlossen genug verurteilt und bekämpft wurde. Meine Vermutung: Die Wurzel liegt im Weltbild des Patriarchats (und damit verbunden der Heteronormativität). Ein strikt binäres und komplementäres Geschlechterverhältnis mit dem Mann als „Haupt“, das für Christen mit wenigen Ausnahmen seit der Römerzeit „normal“ war und das noch bei Max Weber als „naturgewachsen“ galt – das entspricht der Rede von der Schöpfungsordnung in manchen Theologien. Ein homosexuelles Paar bedroht nicht nur die traditionelle Vorstellung von Männlichkeit und damit die symbolische Ordnung, sondern auch die von Macht, weil in dieser Welt beides untrennbar zusammengehört.

Hier geht es um Privilegien, die für die Menschen unsichtbar sind, die sie genießen. Wunderbar dargestellt hat dies Susan Cotrell in diesem Blogpost zu einem Statement von Franklin Graham, der ebenso naiv wie zynisch behauptet hatte, Schwarze könnten es doch ganz einfach vermeiden von weißen Polizisten erschossen zu werden, sie müssten einfach immer nur uneingeschränkt allen Befehlen Folge leisten und Respekt vor der Autorität des Beamten zeigen. Graham gelingt es, zumindest vor sich selbst, den offensichtlichen Rassismus der Cops in ein Autoritätsproblem der schwarzen Minderheit umzudefinieren. Erst wenn man sich mit den Unterlegenen identifiziert (indem man sie, wie Cotrell, kennt, achtet und ihnen zuhört), wird die allgegenwärtige Unterdrückung sichtbar.

Tony Campolo hat diesen Schritt getan. Er hat dafür Jahre gebraucht, andere haben ihn noch vor sich. Hoffen wir, dass sein Beispiel Schule macht.

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12 Antworten auf „Für einen Perspektivwechsel ist man nie zu alt“

  1. Ich bin immer wieder betrübt darüber, wie naive man die Haltung von Konservativen im Bezug auf Homosexualität zu erklären versucht. Hier wird suggeriert, dass die ablehnende Haltung auf Machterhalt zurückgeführt werden kann; wobei dieser Gedanke sogar mit den Diktatoren unserer Zeit eingeleitet wird.

    Hat der Autor vielleicht einmal darüber nachgedacht, dass der konservative Christ deshalb NEIN zur HOMO-EHE vor dem Altar sagt, weil er aus biblischen Gründen zu dieser Meinung kommt UND dass er diesen Befund nicht aus MACHTERHALT für gleichgültig erklärt, sondern weil er sich nach dem Willen Gottes ausrichten will, welchen er in der Bibel zu finden vermutet…

    Mir erging es sogar so, dass ich einst die Pro-Position zur Homosexualität innehatte. Nun erleidet man regelmäßig dem Antrieb, für seine Position nach Argumenten zu suchen, anstatt nach Gegenargumenten. Und so habe ich mir die einzelnen Pro-Argumentationen angeschaut: Ein Universum an Kreativität…

    Dummer Weise wurde mir schmerzhaft bewusst (erst als kleiner Zweifel), dass die Pro-Argumentationen wie im Worthaus-Beitrag oft den Wunsch (Bibel hat nix dagegen…) als Vater des Gedanken hat, als die sachliche, nüchterne Feststellung, was Sache ist. Kleine Kostprobe: Herr Zimmermann macht im Worthaus-Beitrag Paulus zu einem Verfechter von sexueller Selbstbestimmung, welcher in seinem Römerbrief mit den bösen Worten über Sex zwischen zwei Männern oder zwei Frauen lediglich die politische Elite angreifen würde… das ist geradezu peinlich.

    Für mich hat sich das Thema bei weiten über seine eigentliche Substanz hinaus entwickelt: Es ist zum Indikator über ein Schriftverständnis geworden. Hier kann man nämlich das Schriftverständnis einsehen gegenüber einem Befürworter der HOMO-EHE, indem man erfragt, was in der Bibel stehen müsste, damit gleichgeschlechtliche Beziehungen nicht das Ja-Wort bekommen dürfen. In meinem Freundes und Bekanntenkreis bin ich einer der Wenigen, die Nein zur HOMO-EHE sagen. Die oben angesetzte Frage, an meine liberalen Christen-Freunde gestellt, führte bisweilen zu dem eindeutigen Resultat: Es gibt nichts, was in der Bibel stehen müsste, damit sie sie ablehnen würden.

    Kurzum: Die fröhlich bejahende Haltung, die sich auch unter Evangelikalen einnistet, ist nicht gerade eine Freude für Christus.

  2. Der Professor von Worthaus heißt Zimmer (ohne Mann) und so plump, wie oben dargestellt, argumentiert er keineswegs. Weder er noch ich halten es aber für ausreichend, sich hinter dem Buchstaben der Bibel zu verschanzen und eben das nicht zu tun, was Tony Campolo hier schildert: Sich auf Menschen einzulassen und zuzulassen, dass uns das verändert, bis dahin, dass wir uns über den einen oder anderen Buchstaben der Bibel auch mal im Namen des Evangeliums hinwegsetzen, so wie Jesus das auch getan hat, und Paulus, und Luther und viele andere.

  3. Es tut einfach unglaublich gut, wenn wie in diesem Blog ein „nichtbetroffener“ Christ (sofern es das nach 1Kor 12,26 geben kann…) solche Gedanken äußert. Der Vortrag von Prof. Zimmer hat mich vor ein paar Wochen sehr tief berührt. Ich hatte noch nie vorher einen heterosexuellen frommen Christen mit einer solchen Wertschätzung über diejenigen seiner Geschwister sprechen hören, die so sind wie ich.
    Eines der grundlegenden Probleme scheint mir tatsächlich zu sein, dass die meisten Frommen gar nicht realisieren, dass Homosexualität kein „Issue“, kein abstraktes Thema ist. Sondern dass es dabei um die Gefühle, um die Identität, um Lebensgestaltung und Glauben ihrer sehr realen Geschwistern geht.
    Manche der ständigen Diskussionen über dieses „Thema“ würden wohl sehr anders geführt werden, was Wortwahl und Argumente angeht, wenn die Diskutierenden wüssten, dass im gleichen Raum (ganz abgesehen vom Raum des Internets…) ziemlich wahrscheinlich einige Menschen anwesend sind, die das äußerst existenziell und meist auch sehr schmerzhaft betrifft. Die das in ihrem frommen Umfeld aber garantiert nicht öffentlich sagen.
    Wenn jede/r der eifrigen „Homosexualität-ist-Sünde-und-sollte-einfach-abgeschafft-werden“-Diskutierenden auch nur einmal eine halbe Stunde lang der Lebensgeschichte eines Geschwisters mit homosexueller Veranlagung zuhören würde und sich ansatzweise davon berühren lassen würde, würde das ziemlich viel verändern…
    Ich hoffe irgendwie, dass Jesus irgendwann mal eine Kirche vorfindet, zu der er einmal sagen kann: „Ich war homosexuell und ihr habt mir ein Zuhause gegeben, meine Würde geachtet und mir das Gefühl gegeben, wirklich von Herzen angenommen zu sein.“ – Aber ansatzweise erlebe ich das tatsächlich, wenn auch nicht sehr oft… Zum Beispiel in diesem Blog. Danke!

  4. Positive Beispiele von gelingenden homosexuellen Partnerschaften dürfen nicht der Maßstab für unsere Bewertung sein, sonst müsste man konsequenter Weise auch polyamore und polygame Beziehungen, die harmonisch verlaufen, mit dem gleichen Argument rechtfertigen. Der Maßstab für unsere Bewertung kann nur Gottes offenbarter Wille in den Heiligen Schriften der Bibel sein – Zimmer behauptet, die Bibel spräche nur an wenigen Stellen über Homosexualität, und diese Stellen wären auch keinesfalls klar und müssten im historischen Kontext bewertet werden – hier gibt es eine sehr schöne Erwiederung von Dr. Johannes Hartl, einem katholischen Theologen, der in einer sehr feinen Art und Weise auf Zimmers Argumente antwortet. Das wir jedem Menschen mit Respekt und Wertschätzung begegnen sollen, sollte für Christen selbstverständlich sein – d.h. aber nicht, jeden beliebigen Lebensstil zu tolerieren und Ungleiches gleich zu nennen.

    1. Es ging hier doch gar nicht um „positive Beispiele“, die das Umdenken augelöst haben, sondern um reale, konkrete Menschen mit allen ihren Stärken und Schwächen. Und es geht weiterhin darum, Gleiches gleich zu nennen: Liebe, Fürsorge, Treue, Hingabe – freilich alles so verletzlich und manchmal auch vergänglich wie unter Partnern verschiedenen Geschlechts.

      Zimmer und Hartl: Weder der eine noch der andere hat Dinge geäußert, die in der Diskussion bis dahin neu waren. Ich fand Zimmer wesentlich überzeugender als Hartl, der die Sache m.E. ziemlich penetrant auf das Motiv der „Bibeltreue“ reduziert hat, im Sinne einer Absolutsetzung von Schriftzitaten unter Ausblendung von deren Kontext und aller Interpretationsspielräume. Zimmer seinerseits hat das vom Liebesgebot – und damit der Mitte der Schrift – her entwickelt. Theologisch der deutlich sinnvollere Weg.

      1. Johannes Hartl hat die Sache ja gar nicht auf „Bibeltreue“ reduziert, sondern von Gottes guter Schöpfungsordnung her argumentiert – ein himmelweiter Unterschied. Zimmer hat alle „Bibeltreuen“ in einen Topf geworfen und sehr verächtlich über sie gerede;, sehr unseriös. Mit Liebe zu argumentieren ist mir zu oberflächlich; was bedeutet eigentlich „Liebe“? Wir haben diesen Begriff doch in unserer Gesellschaft sinnentleert und verzerrt – Liebe bedeutet mit Sicherheit nicht, den Sünder in seiner Sünde sterben zu lassen, um eines guten Gefühles Willen – ich meine hier nicht in erster Linie unsere biblisch-moralische Wertung, die oft sehr quer ist, sondern Sünde im Sinne eines zerstörerischen Lebensstils – Homosexualität ist, ob man das hören will oder nicht, ein zerstörerischer Lebensstil. Aßerdem könnte man Deinen Liebesbegriff auch sehr gut auf eine polygame Beziehung anwenden. Warum eigentlich nicht? Sollte man dann als nächsten Schritt über einvernehmliche Beziehungen zwischen Erwachsenen und Kindern nachdenken? Nein, auch wenn man nicht auf einzelnen Bibelstellen rumreitet – Gott hat die Ehe geschaffen, als eine Beziehung von einem Mann mit einer Frau…

        1. … und wie kommt es dann, dass wir schon in den allerersten Kapiteln der Bibel ein Eheverständnis finden, das einem Mann mehrere Frauen gestattet? So einfach ist das eben alles gar nicht: Man muss die Schöpfungsgeschichte(n) ja keineswegs so lesen, dass man deskriptive Aussagen (ja, es ist von Mann und Frau die Rede) mit präskriptiv (alles andere ist schädlich und verboten) verwechselt. Selbst innerhalb der Bibel hat sich das Verständnis von Ehe immer wieder verändert. Und die Argumentation mit der vermeintlichen Schöpfungsordnung gehört ja zum eisernen Grundbestand „bibeltreuer“ Dogmatik. Dabei ist das nun wirklich ein Begriff mit einer recht problematischen Wirkungsgeschichte, weil er fast immer zur Ausgrenzung ordnungswidrigen Verhaltens und zur Bekräftigung von Überlegenheitsansprüchen verwendet wurde und wird. Und bitte, die verzerrende Unterstellung der Feigheit im Tateinheit mit unterlassener Hilfeleistung („den Sünder in seiner Sünde sterben zu lassen, um eines guten Gefühles Willen“) finde ich derart daneben, dass mir jede Lust auf dieses Gespräch vergeht.

          1. Jesus selber argumentiert mit der Schöpfungsordnung (Mt 19,4-6), dann gilt Deine Kritik also auch ihm?
            Und nur weil Gott nicht sofort eingreift bedeutet das noch lange nicht, dass er Polygamie gutheißt. Er ist eben kein Diktator, der seinen Willen sofort durchdrückt und korrigierend eingreift – er lässt uns ganz schön viel Freiheit, die wir nicht immer gut nutzen.

            1. Jesus zitiert die Schrift, aber der Begriff „Schöpfungsordnung“ fehlt hier, so weit ich sehe. Das Anliegen ist ja auch ein anderes: Es geht ihm ja nicht einfach darum, Scheidungsraten zu senken und das Eheglück zu fördern, sondern Frauen davor zu bewahren, dass Männer sie (legal!) verstoßen mit einem Scheidungsbrief. In einer patriarchalen Gesellschaft sind sie ohne Mann schutzlos. Man kann also sagen, dass Jesus ein egalitäres Ziel verfolgt. Von daher wäre durchaus die Frage, ob er sich heute nicht auch für rechtlich benachteiligte Gruppen einsetzen würde. Und damit liegt er genau auf der Linie von Genesis 1, wo es um die unverletzliche Würde des Menschen geht, nicht deren Unterteilung nach Geschlechtern, Familienstand und sexueller Orientierung.

    2. Irgendwie kommst mir immer vor, dass Gottes offenbarter Wille in der Heiligen Schrift der Bibel eher dann als Beurteilung herangezogen wird, wenn es darum geht anderen nachzu-weisen, dass sie entgegen diesen Willen handeln. Ich hoffe mal, dass Herr Dr. Hartl und alle anderen, die so entschieden auf die Heilige Schrift verweisen, konsequenterweise auch auf Besitz und Eigentum verzichten. Sonst könnte es eng werden mit dem Himmelreich. Da kommen bekanntermaßen Reiche ja nicht hinein – oder zumindest haben sie es schwerer als ein Kamel beim Gang durch ein Nadelöhr.

      1. Niemand kommt aus eigener Kraft ins Himmelreich, genau so wenig wie ein Kamel durch ein Nadelöhr kommt. Wir leben alle nur aus Gnade und sind nur durch Jesus Christus errettet. Das bedeutet aber nicht, das wir machen können was wir wollen, ohne die Konsequenzen unseres Handelns zu erfahren.

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