Erst die schlechte Nachricht?

Ein Punkt, den – ‚tschuldigung für den Begriff, weiß jemand einen besseren? – ultra-evangelikale Kritiker an Alpha (und Willow und anderen tollen Ansätzen) kritisieren ist der, dass der Ruf zur Umkehr nicht klar oder radikal (böse Zungen würden jetzt sagen: unsensibel, plump, gesetzlich) erfolgt. Schließlich müsse man die Leute erst von ihrer Sündhaftigkeit überzeugen. Im Hintergrund wirkt der pietistische Mythos vom “Bußkampf” und hier und da die reformierte Doktrin der “total depravity”, die dazu führt, dass man bildlich gesprochen erst einmal die Aufgabe hat, die feindliche Festung mit moralischen Argumenten sturmreif zu bomben (indem man vermeintlich fehlende Schuldkomplexe erzeugt), um dann die Überlebenden mit dem rettenden Ausweg zu konfrontieren. Erinnert ein bißchen an die (wie wir inzwischen wissen: irrigen) Erwartungen der US-Truppen im Irak, die meinten, sie würden als Befreier gefeiert. Ebenso wenden sich die meisten normal empfindenden Leute von solchen Botschaften milde frustriert oder mächtig empört ab. Sie empfinden, dass hier jemand vom hohen moralischen Ross herunter über sie urteil, und es bleibt häufig nur Ablehnung hängen am Ende.

Meine Ansicht, dass dies ein Irrweg ist, hat auch die Lektüre von Vincent Donovan wieder bestätigt. Er sagt, es ist nicht unsere Aufgabe, über Sünde zu predigen:

„Ich muss sie nicht von Sünde überzeugen. Sie kennen Sünde. Was sie nicht kennen ist Vergebung. Sie hat die Erde berührt. Hier verabschiedet sich das Christentum vom Judentum, dem Hinduismus und dem Heidentum. Sünde ist eine überwundene Sache. Dies ist ein erlöste Welt. Man fragt sich, ob man es wagen sollte, mit Heiden über Sünde zu reden – abgesehen von Christus, bis sie Christus kennen.“

Kreuzestheologie – um den Mund mal richtig voll zu nehmen – vollzieht sich also nicht nach dem Motto: Erst die schlechte Nachricht und dann die gute und immer nur in dieser Reihenfolge. Folglich muss sie auch nicht der Gefahr erliegen, die schlechte so auszuwalzen und so penetrant und holzschnittartig über Schuld zu reden, dass niemand mehr zuhört wenn die gute kommt oder die gute selbst in einem so schlechten, negativen Licht erscheint, weil man sich so viel Mühe gegeben hat, die dunkle Folie schwarz genug zu zeichnen.

Heute in einer Woche beginnt der nächste Alpha-Kurs. Wie schön, eine gute Nachricht mal so richtig hemmungslos ausmalen zu können! Denn das Evangelium ist mindestens so sehr die Erfüllung und Vertiefung der guten Dinge im Leben und der guten Seiten eines Menschen, wie es die Befreiung von den zersetzenden Kräften bedeutet, die es zweifellos auch gibt.

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2 Antworten auf „Erst die schlechte Nachricht?“

  1. Im Normalfall würde ich mich auf deinem Blog hier gar nicht zu Wort melden, da ich den Eindruck habe, dass wir für zwei theologische Traditionen stehen, die sich diametral gegenüberstehen: Ich für konservativen Presbyterianismus und Calvinismus, du für progressive Ekklesiologie („Emerging church“) und Neoevangelikalismus (ich meine das an dieser Stelle konfessionell und keineswegs als Schimpfwort). Und da muss man ja nicht mehr Staub aufwirbeln als unbedingt notwendig.

    Doch meinen Adleraugen entgeht es selten, dass jemand in der deutschen Blogosphäre Stichworte wie „reformiert“ und „calvinistisch“ erwähnt. Und da fühle ich mich manchmal genötigt, bekräftigend oder ggfs. korrigierend zu kommentieren. Letzteres ist hier der Fall.

    Wenn du sagst, die „reformierte Doktrin der ‚total depravity'“ (u.a.) stehe hinter der Praxis, zunächst die schlechte und dann die gute Nachricht zu verkünden, muss ich dazu sagen, dass dies (1) erstens historisch nicht nachzuweisen ist und (2) zweitens theologisch nicht haltbar ist.

    (1) Historisch ist es deshalb nicht richtig, weil sich – leider! – keinerlei Einfluss irgendeiner (!) Lehre des Kalvinismus in der evangelistischen Verkündigung zeitgenössischer evangelikaler Prediger zu erkennen ist; am allerwenigstens allerdings ein Einfluss der reformierten Lehre der Sünde. „Schön wär’s!“ sag ich da nur.
    (2) Theologisch ist dies nicht haltbar, weil kein ernzunehmender Calvinist jemals behauptet hat, die „Fünf Punkte“ seien so etwas wie eine Predigtgliederung für evangelistische Verkündigung. Die beste reformierte Theologie (und ich hoffe, du willst dich nicht auf die schlechten Entgleisungen einschießen, denn das entsrpäche doch nicht der theologischen Knigge, für die du andernorts eintrittst) hat immer betont, dass die „Fünf Punkte“ nichts anderes sind als eine dogmatische Zusammenfassung reformierter Soteriologie. (Ich persönlich plädiere ohnehin schon lange für eine Abschaffung der Rede von den „Fünf Punkten“. Diese haben ihren historischen Sinn schon mit dem 17. Jahrhundert in Holland erfüllt und überlebt.) Es handelt sich bei den „Fünf Punkten“ weder um „fünf homiletische Tipps“ für die evangelistische Verkündigung, noch um eine „Fünf Punkte-Gliederung einer evangelistischen Predigt. Die Lehre der prinzipiellen (nicht absoluten!) Sündhaftigkeit des Menschen ist lediglich ein grundlegendes Datum biblischer Anthropologie (zumindest der reformierten Couleur). Und ich denke ja, dass wir uns bei aller Unterschiedlichkeit doch darin einig sind, dass Erlösung immernoch mit dem Problem der Sünde zu tun hat.
    Ich kenne keinen calvinistischen Prediger, der jemals gesagt hätte, das „T“ von TULIP müsse der erste Punkt der Predigt sein. Ja, ich kann sogar sagen, dass bei den hunderten (oder tausenden?) von calvinistischen Predigten, die ich schon gehört habe, die allerwenigsten mit dem „T“ beginnen. Manche schon, das stimmt. Doch dies zu verbieten wäre wahrscheinlich ebenso „gesetzlich“ wie es zur Pflicht zu erheben.

    Es stimmt natürlich, dass der Kalvinismus eine ausgeprägt Sündenlehre hat. Doch diese ist keineswegs von der Absicht getrieben „Schuldkomplexe“ zu erzeugen, sondern verfolgt ein zweifaches Ziel. Sie ist (1) realistisch, da die Bibel den Menschen ohne Gott nun mal als radikal sündhaft beschreibt. Diese realistische Einschätzung des Menschen deckt sich doch auch, wenn wir ehrlich sind, viel besser mit unserer Erfahrung (zumindest meiner!) als die platte Behauptung eines Vincent Donovan, „Sünde ist eine überwundene Sache. Dies ist ein erlöste Welt.“ Letzteres halte ich für unrealistisch, vor allem aber unbiblisch. Doch von einem Katholiken kann man vielleicht in diesem Bereich nicht mehr erwarten als seine Theologie hergibt. (Wenn das Problem der „innewohnenden Sünde“ doch son einfach wäre…Einfach irgonieren! Wird schon irgendwann weggehen!)
    Diese Lehre ist aber (2) auch sehr befreiend (zumindest bei den besten Vertretern dieser Theologie), da sie dem Menschen eben als radikalem Sünder im Evangelium völlige Erlösung anbietet. Ich muss mich – auch theologisch – nicht besser machen, als die Bibel mich beschreibt! So kommt die Erlösung sozusagen am „Tiefpunkt“ meiner Menschheit zu mir, dann und dort, wo ich an mir selbst verzweifle.

    Dass „sich die meisten normal empfindenden Leute von solchen Botschaften milde frustriert oder mächtig empört“ abwenden, erinnert mich irgendwie an das Naserümpfen, mit dem die evangelistische Verkündigung des Apostels Paulus begrüßt wurde (vgl. 2.Kor 2,15-16). Seit wann lässt sich die evangelische Theologie denn die Inhalte ihrer Verkündigung (ja ihre Anthropologie) vom Applaus der Nichtchristen diktieren? Das scheint mir vergleichbar zu sein mit einem Arzt, der den Patienten fragt: „Bevor ich nun die Diagnose stelle, was möchten sie denn gerne hören?“

    Und wenn diese Leute, wie du sagst, „empfinden, dass hier jemand vom hohen moralischen Ross herunter über sie urteilt,“dann frage ich mich folgendes: (1) Liegt es daran, dass der Prediger sich vielleicht fatalerweise nicht selbst unter die Sünder zählt? Oder (2) Liegt es daran, dass so jemand sich evtl. von der Schrift „verurteilt“fühlt. Im ersten Falle handelt es sich einfach um einen schlechten Prediger – ganz gleich ob reformiert oder nicht. Im letzeren Falle könnte es sich vielleicht um einen heilssamen Ärger handeln, einen, der eine Traurigkeit zur Buße beinhalten und am Ende vielleicht unters Kreuz führen mag.

    All dies und mehr über die Lehre von der radikalen Sündhaftigkeit des Menschen kann man in dem von dir zitierten Artikel nachlesen, den es übrigens hier [http://www.calvinianum.de/Artikel/5_Punkte/1_Verderbtheit.html] auf deutsch gibt (was vielleicht dazu führen könnte, dass er tatsächlich geselen wird, bevor die Lehre so kritisiert wird.)

    Und falls es dich interessiert – Meine letzte Predigt [hier: http://www.lebensquellen.de/?p=316%5D, in der es auch teilweise um das „T“ging, begann ich wortwörtlich damit, dass ich sage: „Man kann das in beide Richtungen predigen: erst das Evangelium (die gute Nachricht) und dann die Erklärung, warum wir gerettet werden müssen (sozusagen die schlechte Nachricht) – oder auch umgekehrt. “Hier hast du zumindest einen Calvinisten, der deiner Behauptung widerspricht. Mögen es noch viele mehr sein!

    Sebastian Heck,
    ein Ultra-evangelikaler

  2. Das ist der längste Kommentar, der bisher auf diesem Blog abgegeben wurde, Sebastian. Gratulation! Du bleibst Dir treu in all den Jahren.

    Ich habe in den letzten Monaten mit viel Gewinn reformierte Theologen gelesen (z.B. Welker, Brueggemann). Nun bin ich mir auf einmal nicht mehr sicher, ob die tatsächlich als echte Calvinisten durchgehen würden 🙂

    Lies Donovan doch mal im Zusammenhang. Das Zitat, das ich ausgewählt habe, war pointiert, aber bloß weil er katholisch war, ist er doch nicht so platt, wie Du vermutest.

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