Entschleunigt

Seit 4 Wochen bin ich fast überallhin zu Fuß unterwegs – auch eine Form von Entschleunigung. Nicht nur wegen der niedrigeren Geschwindigkeit gegenüber Rad und Auto, sondern auch, weil ich viel mehr Leute treffe und mit ihnen ins Gespräch komme. Fast auf jedem Weg in die Stadt spreche ich mit irgendwem, das ist eine schöne Erfahrung. Und ein Indiz dafür, wie beziehungsfeindlich unser Tempo werden kann.

Es hat mich zudem an den großen Aidan von Lindisfarne erinnert:

Aidan war trotz seiner hohen Position als Bischof und Abt ein sehr zugänglicher Mensch. König Oswin … hatte ihm zur Erleichterung seiner Missionsreisen ein edles Pferd geschenkt, das ihn schneller ans Ziel bringen und die Durchque- rung von Flüssen und anderen Hindernissen erleichtern sollte. Aber schon wenig später war Aidan wieder zu Fuß unterwegs. Er hatte das Tier samt der königlichen Ausrüstung an einen Bettler verschenkt und wollte lieber wieder auf Augenhöhe mit seinen Mitmenschen sein, wenn er reiste. Der brüskierte König stelle Aidan zur Rede: „Warum hast du das königliche Pferd weggegeben, das du für den eigenen Gebrauch nötig hattest? Haben wir keine weniger kostbaren Pferde und andere Besitztümer, die gut genug für einen Bettler wären, ohne ein Pferd zu verschenken, das ich eigens für dich ausgewählt habe?“ Aidan entgegnete: „Was sagt ihr da, Majestät? Ist dieses Kind einer Stute wertvoller als dieses Kind Gottes?“ Mit diesen Worten gingen die beiden auseinander. Später beim Essen – der König war gerade von der Jagd gekommen – stand Oswin nachdenklich am Feuer. Plötzlich wandte er sich Aidan zu, kniete vor ihm nieder und sagte: „Ich werde den Vorfall nie wieder erwähnen noch je wieder fragen, wie viel du von unserem Reichtum an Gottes Kinder verschenkst.“ Der gerührte Bischof half dem König sofort wieder auf die Beine und beide aßen mit einander. Aidan war (wenn er sich nicht in die Einsamkeit zurückzog) ständig im Gespräch mit Menschen, aber eben als einer der ihren, nicht vom hohen Ross herab. Im Gegensatz zum kolonialen Missionsstil der römischen Christen und der überwiegenden Mehrheit neuzeitlicher Mission außerhalb Europas (oder zur gewaltsamen „Mission“ der christlichen Machthaber von Karl dem Großen bis zu den Kreuzzügen) finden wir hier tatsächlich eine Bewegung, die den Spuren Jesu und der Apostel folgt.

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Eine Antwort auf „Entschleunigt“

  1. Bei der sukzessiven Vorbereitung einer Predigtreihe über die Nachfolgetexte in den Synoptikern habe ich im letzten Jahr u.a. eine interessante Entdeckung gemacht, die so schlicht wie umwälzend für mich gewesen ist: „Geh zu Fuß!“
    Das Auto ist nämlich eine mobile Exklave der Privatheit im öffentlichen Raum, somit aber auch eine Schutzglocke, die jede persönliche Begegnung auf dem Weg verhindert. Mit Christus und in seinem Dienst unterwegs zu sein erfordert deshalb den immer wieder vollzogenen Ausstieg aus solchen „Schneckenhausexistenzen“. Wer zu Fuß geht, setzt sich aus. Auch Christus hat sich ausgesetzt (Philipper 2,5ff). Es geht also weit über die bloße Entschleunigung und den Öko-Gedanken hinaus, wenn „Diener des Wortes“ im Nahbereich möglichst auf das Auto verzichten. Spontane Begegnungen, zufällige Kurzgespräche mit Fremden, die ungeschützte Erreichbarkeit, die direkte Ansprechbarkeit und das gelegentliche Verwickeltwerden (= Merkmale des Weges Christi in den Evangelien), werden durchs Auto weitgehend unmöglich gemacht. Ich meine, es sollte ein Merkmal von PfarrerInnen, Ordensleuten etc. als Nachfolger Jesu sein, dass sie im öffentlichen Raum immer wieder auffindbar und ansprechbar sind, sich dort aufhalten und die zufäliige Begegnung nicht nur nicht scheuen, sondern auch aktiv suchen. Dienstbeschreibung: Fußgänger.

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