Unseriöse „Heiler“

Ein Gespräch von gestern geht mir noch nach. Es ging um eine schwer kranke Frau, die vor einer Weile starb. Ein paar mir bekannte christliche „Heiler“ hatten sich um sie bemüht und dabei ihr Umfeld wie auch sie selbst unter Druck gesetzt, sich im Namen des „Glaubens“ zu weigern, die Möglichkeit, dass die Patientin stirbt, überhaupt in Betracht zu ziehen. Dann kam der Abschied doch, und er war für die Frau sehr schwer. Freunde und Familie stehen nun vor der Aufgabe, das zu verarbeiten. Sie machen das gut, aber es kostet sie einiges.

Mich machen solche Geschichten wütend. Um es klar zu sagen: Ich glaube, dass Gott heute noch Menschen heilt. Ich glaube, dass das auch in medizinisch aussichtslosen Fällen geschehen kann. Aber selbst bei den bekannten Namen in der Heilungsszene ist letzteres die Ausnahme. Nüchtern betrachtet ist die Wahrscheinlichkeit auch hier gering. Manchmal frage ich mich, ob es nicht besser ist, einfach nur „normale“ Leute beten zu lassen. Und ob die „Erfolgsquote“ mancher Spezialisten nicht schlicht daher rührt, dass se für zehn- oder hundertmal so viele Leute beten wie wir anderen…?

Natürlich darf man sich freuen, wenn ein Gebet erhört und der Mensch gesund wird. Man darf es auch erzählen. Aber nur dann, wenn man auch bereit ist, von den anderen Fällen zu erzählen, wo Heilung ausbleibt! Wer das kategorisch verweigert, handelt unbiblisch und unchristlich. Der Heilungsdienst verkommt zu einer Form von Hokuspokus und Manipulation. Gott ist zweifellos auf der Seite des Lebens. Das Krankheit und ein früher oder qualvoller (oder auch ein gewaltsamer bzw. fahrlässig verschuldeter) Tod sein Wille ist, wird in der Bibel nie behauptet. Nur geschieht Gottes Wille noch nicht überall und noch nicht in vollem Umfang. Uns bleibt nur die Spannung zwischen der Realität und Gottes Verheißung, dass auch aus dem Leid einer aus den Fugen geratenen Welt noch Segen entsteht.

Wer also mit Todkranken zu tun hat, muss sie auch auf das Sterben vorbereiten. Alle anderen Ansätze haben für mich weniger mit dem Evangelium zu tun. Sie spiegeln vielmehr den erfolgsverliebten Zeitgeist wider, der vor dem Leiden und Sterben die Augen verschließt. Für Kranke und die Menschen in ihrer Umgebung ist das pures Gift.

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20 Antworten auf „Unseriöse „Heiler““

  1. @Olaf Radicke

    Da hab ich aber auch schon andere Studien gelesen, bei denen es wiederum positive Auswirkungen haben sollte – leider weis ich die url nicht mehr.

    Aber darum geht es ja nur am Rande. Ich kann den Frust (von Peter) jedenfalls gut verstehen.

  2. ich erinnere mich an ein gespräch mit einer freundin – vor knapp 20 jahren – in dem sie den begriff „gabe“ dahingehend erläuterte, dass die geistliche gnadengabe an den empfangenden geht, nicht an den „begabten“. das hat mein gabenverständnis nachhaltig geprägt und viel unbefangenheit in den umgang mit gnadengaben gebracht.

  3. Danke! So sehe ich das auch.
    Lieber mit den „Normalen“ zusammen sein, denn bei denen bewegt sich noch was. Im Leben und im Denken und im Glauben.
    Auch ich bin überzeugt, dass Gott heilt. Auch heute noch. Aber wir brauchen bei allem die Nüchternheit, von der Paulus immer wieder spricht. Nur dann ist Liebe zu den Menschen im Heilungsdienst. Danke also, für diesen Beitrag!

  4. Hmm, also in meiner Erfahrung kann Gebet eine sehr intensive Nähe schaffen in einer sozialen Gruppe (Familie, Angehörige, Freunde….) Diese Nähe und Geborgenheit, denke ich, kann sehr hilfreich sein noch mal alle Kräfte in schwierigen Situationen zu mobilisieren. Die Angelegenheit wird aber in das Gegenteil verkehrt, wenn es sich lediglich um Zweckoptimismus handelt. Und das scheint mir hinter dem zu stehen, was Peter da schildert. Ich denke – und das ist meine Erfahrung – das es primär erst mal in gemeinsamen Gebet darum geht, mit Gott und seinem Schicksal in Reine zu kommen. Also auf eine gewisse Art, erst mal zu kapitulieren. Ich habe immer wieder mit Überraschung fest gestellt, das wenn ich aufhöre gegen Dinge an zu kämpfen, die nicht in meiner Macht stehen und die ich nicht verändern kann, das ich dann auf einmal ziemlich viel Ressourcen frei habe, für die Dinge, auf die ich auch ein Einfluss habe. Zum Teil kann ich erst in dem Moment erkennen, welche Dinge ich verändern kann und sollte.

    Wenn ich ein bisschen in der Bibel herum blätter, stoße ich auf viele Beispiele, wo Menschen erst vor Gott und ihrem Schicksal kapitulieren mussten, bevor sie bereit waren für ihrer eigentliche Aufgabe. Menschen dabei zu helfen, sich auf ihr Ende vor zu bereiten und sie dabei zu begleiten, Dinge los zu lassen, auf die sie kein Einfluss haben, kann sehr erlösend sein, für die Betroffenen. Ich glaube nicht, das man Gott die Tür vor die Nase zuschlägt, wenn man sich mit dem Gedanken anfreundet, das die Party ewig immer so weiter geht, wenn man nur immer fest daran glaubt. Im Gegenteil: mit dem Maße, wie man langsam die Kontrolle über seine Umwelt und seinen Körper verliert, um so intensiver kann das Gefühl und die Wahrnehmung für Gottes Gegenwart werden. Dinge die einem mal unglaublich wichtig waren, haben auf ein mal keine Bedeutung mehr und geben den Blick frei für andere Dinge.

  5. „Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf das wir klug werden.“

    Ich musste mich relativ früh mit diesem Satz auseinandersetzen, mit meiner Endlichkeit, dem Loslassen, dem möglichen Abschied von Menschen, die ich liebe und die mich lieben.
    Dass ich heute (mit 60) immer noch lebe, empfinde ich als ein Geschenk und das Nachdenken über meinen eigenen Tod beinahe als ein Privileg.
    Als meine Eltern beide im letzten Jahr starben, habe ich sie beide bis in ihre letzte Sekunde begleitet – dankbar und in der spürbaren Nähe Gottes und der Gewissheit, dass nicht „der Tod sie holt“, sondern Jesus ihnen entgegen kommt.
    Vielleicht, so habe ich manchmal gedacht, ist das die eigentliche Heilung, die wir alle so sehr brauchen. Jesus hat dem Tod die Macht genommen.

  6. in der heutigen predigt ging es um johannes 9, ab vers 1: die heilung des blindgeborenen. mir wurden dabei zwei aspekte besonders deutlich: die heilung von der frage nach dem schuldigen. und zweitens der weg vom „warum“ zum „wohin“. in dieser begebenheit geschieht, was ein blinder halt gerne hätte: sehend, gesund werden. er wurde auch ein jesus-jünger, worin er sich von den kritkern stark unterschied.
    nun die kurve zu peters blog: ich hänge thematisch an den fürbittern. wenn die gabe der heilung nicht als gottes geschenk dem hilfsbedürftigen gilt, dann kann das durchaus ein problem für die beter werden. der beter wird dann zu wichtig. die person des beters gerät in den vordergrund.
    alles von gott zu erwarten, dabei ganz unwichtig werden als beter, das ist so entlastend. gott ist unverfügbar.
    „wohin“ unser freund ging, der vor fünf jahren an krebs starb, ist wichtiger, als „wann“ er ging.

    1. @evadiaspora: in diesem Fall war das Problem der Beter ein doppeltes – die „einfachen“ Gebete der Freunde, denen es um die Kranke ging, und das der „Spezialisten“, denen (den Verdacht werde ich wenigstens nicht los) ihre Prinzipien „richtigen“ Glaubens wichtiger waren, Stichwort „Verfügbarkeit“ also…

  7. Vater unser, DEIN WILLE GESCHEHE.

    Krankheit und Sterben sind Dinge, die den Menschen auf Erden am meisten Angst machen (jedenfalls in unserer „zivilisierten“ Welt). Deshalb denke ich, sind das auch die meisten Gebete die wir sprechen.

    Aber manchmal sind die Pläne Gottes eben andere – so denke ich mir das jedenfalls…

  8. Mich erfüllt immer die Bezeichnung „Heiler“ mit Misstrauen. Wer als „Heiler“ in der Öffentlichkeit auftritt, der lenkt die Aufmerksamkeit zu sehr auf sich.
    Dass es Heilung gibt, durfte ich schon öfter erleben. Sowohl durch „normale“ Beter (einschließlich mir selbst, was mich am Meisten überraschte) als auch durch Menschen, die speziell die Gabe der Krankenheilung hatten.

    Spektakulär war der Fall einer Freundin, die an einer unheilbaren Krankheit litt. Sie drückte nach einem Heilungsgottesdienst ihrem verdutzten Mann ihre Krücken in die Hand und suchte am nächsten Tag gleich ihre sämtlichen Ärzte auf, um ihnen den Erfolg zu zeigen.

    Ich habe daraufhin aus purer Neugier auch so einen Gottesdienst besucht. Dabei sind mir mehrere Dinge positiv aufgefallen:

    1. Der Prediger betonte ausdrücklich, dass er kein „Heiler“ sei, sondern dass es ausschließlich von Gottes Wirken abhängt, ob jemand geheilt wird.
    2. Er erklärte auch, dass nicht automatisch jeder geheilt würde, der diesen Gottesdienst besuchte.
    3. Nach dem Gottesdienst stand ein ziemlich großes Seelsorgeteam bereit – sowohl für die enttäuschten Besucher, die keine Heilung erfahren durften, als auch für die Geheilten.
    Kleiner Nebeneffekt: Ich kam mit meiner Sitznachbarin ins Gespräch, die nach einem komplizierten Beinbruch auf Krücken ging. Sie erklärte mir, dass sie eigentlich nicht wegen der Heilung gekommen sei, sondern um eine Antwort auf eine Frage zu finden, die sie schon seit Langem quält. Dabei durfte ich erleben, wie der Herr oft den „Zufall“ lenkt: Ich hatte mit diesem Thema auch schon Bekanntschaft gemacht und meinen Frieden gefunden.

    Ich bin aber auch schon Menschen begegnet, die öffentlich erklären, dass Gott JEDEN heilt. Man müsse nur genug glauben und beten. Einmal bin ich nach einer solchen Predigt aufgestanden und habe dem Prediger offen widersprochen (danach sollte man aber unbedingt die Sache unter vier Augen abklären)!

    Krankheit und Tod gehören zum Leben dazu. Das wird in unserer Wellnessgesellschaft gerne vergessen. Oder beiseite geschoben. Wer krank ist, der ist nicht weniger Wert und kann durchaus auch ein lebenswertes und erfülltes Leben haben. Wichtig ist der Frieden mit und das Vertrauen auf Gott. Wer einem Kranken oder gar Sterbenden das abspricht, wer die Angehörigen unter Druck setzt, statt ihnen zu helfen oder wer ihnen gar die Schuld gibt, wenn jemand stirbt, ist in meinen Augen verblendet und sollte zur Rechenschaft gezogen werden!

    1. @Andreas Ranze: der knappe Ausdruck „Heiler“ stammt in diesem Fall von mir. Die betreffenden Personen reden davon, dass sie in einem „Heilungsdienst“ stehen…

  9. @Peter: Ich will das Ganze auch nicht an diesem einen Wort aufhängen. Suspekt sind mir alle die, die in der Öffentlichkeit erklären SIE würden, wenn auch mit Gottes Hilfe, Menschen heilen. Oder zu denen die Leute gehen, um VON IHNEN geheilt zu werden. Die Behauptung, ALLE Menschen könnten geheilt werden, wenn Glaube, Gebet und evtl. andere Faktoren stimmen, setzt dem Ganzen dann noch eins drauf 🙁

    1. ja, das ist leider so. Oder es stimmen eben selten alle Faktoren, und es liegt nicht immer in unserer Macht, das zu ändern

  10. Manchmal ist die Heilung auch nur ein „angenehmer Nebeneffekt“ oder ein Schritt zu einem anderen Ziel. So bei der von mir erwähnten Freundin. Zum Einen führte ihre Heilung ihren Mann zu Jesus. Bis dahin schaute er argwöhnisch auf „die Frommen“, zu denen seine Frau sich plötzlich hingezogen fühlte und ließ sich von ihr nur widerstrebend dazu überreden, die 100 km zu diesem komischen Gottesdienst zu fahren. Heute ist er ein sehr aktives und wertvolles Mitglied unserer Hauszelle – na ja, [i]wertvoll[/i] sind sie [i]alle[/i]! 😉 Zum Anderen deckte die Heilung einen ganzen Rattenschwanz von Krankheiten und Problemen auf, die aufgrund dieser [i]einen[/i] Krankheit vorher gar nicht aufgefallen sind. Die Aufarbeitung dauert nun schon mehrere Jahre und stellt uns alle immer wieder vor neue Herausforderungen. Was wiederum zur Folge hat, dass wir auch auf andere Menschen anders zugehen, als noch [i]vor[/i] dieser Heilung. Diese Aufzählung ließe sich noch weiter fortführen. Die [i]Heilung[/i] war nur die erste Etappe auf einem fantastischen Weg, von dem noch vieles vor uns liegt!

  11. Die Ansichten über das Leid und das Heilen, lassen sich wahrscheinlich in unmittelbaren Zusammenhang mit der Rechtfertigungslehre sehen. In einigen Konfessionen wird persönliches Glück als Zeichen der Gunst Gottes verstanden und im Umkehrschluß Leid als Ungnade.

    Im frühen und konservativen Quakertum wurde Leid als Prüfung verstanden. Es stellte eine Chance dar, Gott seine Treue zu beweisen. Das Wie mit Leid umgegangen wurde, zeigte im Verständnis der frühen (bzw. konservativen) Quäker, ob Jemand im „Licht stand“ oder „der Finsternisse verfallen“ war. Aus dieser Sicht heraus ist klar, das nicht um Heilung gebetet wurde, sondern darum, das jemanden die Kraft gegeben sei, seine Prüfung zu bestehen.

    Also, wenn ich ein mulmiges Gefühl bei „Heilern“ habe, werde ich wahrscheinlich auch Diskrepanzen bei der Rechtfertigungslehre entdecken.

  12. Nachtrag:

    Falls hier ein liberaler Quaker vorbei tendelt, und sich falsch dargestellt fühlt. Die Theologie des liberalen Quakertums ist schnell ergänzt. Als liberaler Quaker kann man die sage halten wie ein Dachdecker. Alles ist richtig und das Gegenteil auch.

    Beim evangelikalen Quakern ist es wieder etwas anders. Da müsste man dann mal in Ungarn nachfragen (http://www.kveker.eoldal.hu/).

  13. Eines der besseren Bücher, die in letzter Zeit zum Thema Leid, Krankheit und dem Umgang damit veröffentlicht wurden:
    Lessons from the School of Suffering by Fr. Jim Willig.

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