Ein messianischer Spitzname

Vor mir liegt das ungemein anregende Buch Die Zeit, die bleibt von Giorgio Agamben über den Römerbrief. Es hat beim nachweihnachtlichen Lesen den neuen Rebus von Ian Rankin ausgestochen, der hald fertig auf dem Sofa liegt. Faszinierend ist vor allem, was Agamben alles an großen Gedanken aus Kleinigkeiten herausholt, die andere überlesen oder für trivial halten.

Das beginnt schon mit seiner Beschreibung des Autors, von dem Apostelgeschichte 13,9 sagt: „Saulus, der auch Paulus heißt“:

Paulus nennt sich in seinen Briefen immer nur Paulus. Das ist alles, und dem gibt es nichts hinzuzufügen.

Agamben nennt dann etliche Beispiele für Metonymien aus dem Judentum. Ein Buchstabe reicht aus, um Abraham und Sara nicht nur einen neuen Namen zu geben, sondern sie als neue Menschen erscheinen zu lassen. Für den jüdisch-hellenistischen Denker Philon wird hier aus dem Kleinen das Große, aus dem Besonderen das Allgemeine, aus dem Sterblichen das Unsterbliche. Eine derartige „neue Harmonie“ gibt es auch bei Paulus, allerdings ist die Richtung der Änderung hier umgekehrt:

Saulos ist nämlich ein königlicher Name, und der Mann, der diesen Namen trug, übertraf jeden Israeliten nicht nur nach Maßgabe seiner Schönheit, sondern auch seiner Größe (1Sam 9,2; im Koran heißt Saul daher Talut, der Große). Der Wechsel vom sigma zum pi bedeutet daher nicht weniger als den Übergang von Größten zum Kleinsten, von der Größe zur Kleinheit – paulus bedeutet im Lateinischen „klein, von geringer Bedeutung“ und in 1.Kor 15,9 definiert sich Paulus selbst als „den kleinsten [elachistos] der Apostel.“

Paulus ist kein Bei- sondern ein Übername (ein signum oder supernomen), und zwar ein messianischer. Im Übergang vom trinominalen System der Römer (wie in Gaius Julius Caesar) zum späteren christlichen bzw. modernen uninominalen System gab es unter Christen häufig solche Neubildungen von Spitznamen, die eine „kreatürliche Demut“ verrieten:

Saulos qui et Paulos enthält also eine onomastische Prophetie, die eine lange Nachkommenschaft haben sollte. Die Metonomasie realisiert das unversöhnliche messianische Prinzip, das vom Apostel mit Nachdruck ausgesprochen wird und wonach in den Tagen des Messias die schwachen und wertlosen Dinge – die gewissermaßen nicht existieren – über diejenigen Dinge die Überhand gewinnen, die die Welt als stark und wichtig einschätzt. … Das Messianische trennt den Eigennamen vom Namensträger, der von nun an nur einen uneigentlichen Namen, einen Spitznamen haben kann. Nach Paulus sind all unsere Namen nichts als signa, Übernamen.

Wenn man (Agamben spielt darauf nicht an) daran denkt, dass der Turmbau zu Babel dadurch motiviert war, dass Menschen sich einen Namen machen wollten, dann sehen wir hier unter dem Eindruck des „göttlichen Hauches“, wie das Gegenteil passiert: Menschen verlieren ihren Namen aus freien Stücken, sie wollen nicht nach oben, sondern sie folgen dem Messias Jesus nach unten.

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