Der postmoderne Kick

Ein Wesensmerkmal der Post- oder fluiden Moderne ist die Auflösung der bisherigen Stabilität. Das ist auf vielerlei Art beschrieben und veranschaulicht worden und doch wird hier und da noch über Postmoderne so geredet, als ließe sie sich in Kategorien der soliden Moderne fassen: Fixpunkte, Dogmen, gleichbleibende Konturen.

Vielleicht findet ja der eine oder andere Fußballfan, sofern er nicht dem britischen Reduktionismus eines Gary Lineker (22 Mann, ein Ball…) auf den Leim geht, sondern Augen hat für die komplexe, manchmal sehr kunstvolle Struktur des Spiels, den Schlüssel zum Verständnis dieses Phänomens. Xabi Alonsos erster Profi-Trainer sagt über den vielleicht besten Spieler der aktuellen Bundesliga-Hinrunde: »Ich hatte Spieler, für die war Fußball Krieg. Für Xabi ist das Spiel ein Konzert.« Ein Paradigmenwechsel.

 

Denn auch der Fußball ist gerade dabei, den Schritt über die Moderne hinaus zu nehmen: Formationen und Positionen lösen sich auf, und besonders jene Spielertypen sind gefragt, die sich ad hoc anpassen können. Exemplarisch zu besichtigen im Spiel von Pep Guardiolas wild rotierenden Bayern, selbst wenn der Turbo gegen Hertha BSC (und zuvor gegen Manchester City) nur phasenweise gezündet hat.

Mike Goodman hat das jüngst so kommentiert:

Trying to discuss Pep Guardiola’s tactics is a bit like discovering that the language you’ve spoken your entire life doesn’t really exist. There are words, like full-back or midfielder, that suddenly come to mean completely different things from what they used to. The grammar and syntax of positions and formations that have always worked a certain way (albeit with all the exceptions and caveats of a normal language) suddenly don’t.

Die Worte sind noch da, aber sie bedeuten etwas anderes und sie werden anders verknüpft. Alan Roxburgh hat schon vor Jahren davon gesprochen, dass die alten Landkarten nicht mehr funktionieren. Und doch meinen manche immer noch, die Postmoderne – oder besser mit Zygmunt Bauman: die fluide Moderne – lasse sich kartographieren oder man könne einfach neue, eindeutige Übersetzungstabellen und Wörterbücher erstellen.

Reduktionisten würden sagen, dass auch Guardiola nur elf Mann auf den Platz schicken kann – nichts Neues unter der Sonne, eine flüchtige Modeerscheinung, sagen die ewig modernen Postmoderne-Skeptiker. Britische Reduktionisten kaufen mit den Ölmillionen von Scheichs und Oligarchen die elf besten, aber die Mannschaften fallen wegen (!) des vielen Geldes, das dem Umdenken im Weg steht, eher zurück. Dem entspricht in etwa der ebenso beliebte Ansatz der Moderne-Optimierer, die weitermachen wie immer, nur eben etwas besser und aufwändiger.

Man muss diese Veränderungen nicht mögen, man sollte sie schon gar nicht heilig sprechen, aber wer sie nicht versteht – und vor allem nicht darauf eingestellt ist, dass man in jedem einzelnen Moment genau hinsehen und hinhören muss, weil man nicht mehr davon ausgehen kann, dass Worte und Situationen heute noch dasselbe bedeuten wie gestern –, der könnte einen ähnlich schweren Stand haben wie Trainer und Teams, die gegen Guardiola und die Bayern antreten.

Im besten Fall bekommt man aus einer solchen Begegnung den nötigen Kick, die Zeichen der Zeit zu verstehen, sich auf andere Perspektiven einzulassen und scheinbar Vertrautes neu in den Blick zu nehmen.

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10 Antworten auf „Der postmoderne Kick“

  1. Schöner Vergleich. Die Reduktionisten haben jedoch nicht ganz unrecht. Es stimmt ja, dass die entscheidenden Faktoren unverändert bleiben. Es sind beim Fußball immer 22 Spieler, ein Ball und weitestgehend die gleichen Spielregeln. Und ist es in der Kirche nicht genauso? Gott war, ist und bleibt derselbe. Gleiches gilt für das Wesen des Menschen und für das Wort Gottes. Ich denke Pep Guardiola ist deswegen erfolgreich, weil seine Interpretation des Fußballs derzeit einfach funktioniert. Das kann morgen schon anders aussehen. Ich bin zuversichtlich, dass Jesus Menschen zeigen wird wie die Kirche von morgen aussehen muss um siegreich zu sein.

  2. Das Problem am Reduktionismus ist, dass er nach eigenem Empfinden ja immer „wahr“ ist und trotzdem so viel nicht sieht. Nebenbei: Ich träume ja gar nicht von einer „siegreichen“ Kirche. Nicht völlig überrumpelt zu werden wäre schon ein Gewinn…

    Ich denke, um Deine Formulierung mal kurz zu verwenden, Jesus ist im Übrigen unablässig dabei, Fingerzeige zu geben und zu reden, nur in einer Weise, mit der viele nicht rechnen, weil es durch Menschen und Ereignisse geschieht, die sie für profan und unergiebig halten oder die ihnen Angst machen, und weil sie nur in den eigenen Reihen und im Bekannten (schließlich war ja, so denken sie, alles schon mal da…) nach Lösungen suchen.

    1. Ich stimme Dir zu. Fehlende Offenheit und Aufmerksamkeit sind durchaus ein Problem! Nebenbei: Der eine oder andere Querdenker kann in der Kirche durchaus hilfreich sein.

      1. Stimme ich auch zu. Die Kirchen haben leider auch diese altehrwürdige Tradition, Querdenker zu bekämpfen und erst posthum zu feiern.

  3. @Marcel: Ich frage mich schon auch wie eine „siegreiche“ Kirche aussehen kann. Was vor allem in dem Kontext des Christentums „siegreich“ bedeutet? Mit Georg W. Bush als Präsdenten der USA war ein wiedergeborener Christ der mächtigste Mann auf der Erde. Das Ergebnis dieser 8-jährigen christlichen Präsidentschaft waren zwei Kriege mit Tausenden von Toden, Millionen von Flüchtlingen, Millitärausgaben von über 600 Milliarden US-Dollar jährlich, Steuererleichterungen für Millionäre und Kürzungen der Sozialausgaben für die Armen. Sieht so der christliche „Sieg“ aus. Wohlgemerkt singt Georg W. Bush die gleichen Lieder wie wir, er hat das gleiche Bekenntnis wie wir und er spricht evtl. sogar die gleichen Gebete. Nach der modernen Sicht des Christentums ansich alles klar – was läuft hier also völlig schief? Offensichtlich greifen die alten Leitlinien für ein christliches Leben nicht mehr.

    1. @Thomas: Bitte den Begriff »siegreich« nicht im militärischen oder politischen Sinne verstehen. Ich habe im Kontext von Peters Fußballvergleich darauf zurückgegriffen. Dort ist in der Regel das gewünschte Ergebnis eben ein Sieg. Auf die Kirche bezogen könnte man vielleicht sagen, dass dieses Ergebnis im Idealfall die Ausbreitung des Reiches Gottes ist. Ich denke das ist ein angemessenes Ziel. Davon abgesehen, ist es wohl schwierig die Entscheidungen und Folgen der US-Außen- und Militärpolitik alleine einer Person zuzuschreiben. Dafür sind die Mechanismen einfach zu komplex. Schaut man sich die Folgen an, kann ich es jedoch verstehen, wenn man in ernsthafte Zweifel darüber gerät, ob Bush ein wiedergeborener Christ im eigentlichen Sinne ist… Meine Hoffnung ist es einfach, dass Jesus den einen oder anderen Querdenker in der Kirche beruft, um das Wesen und den Auftrag seiner Gemeinde für die Gegenwart angemessen zu formulieren. Wenn das passiert und ich glaube dass es schon geschieht, dann wird Kirche, im oben genannten Verständnis des Begriffs, auch »siegreich« sein.

      1. Ich würde ja das Ziel bescheidener formulieren: Eine Mannschaft sollte möglichst gut spielen. Ob sie immer gewinnt, hängt vom Gegner ab, von der Verletzenliste, vom Budget des Vereins und vielen anderen Dingen, die in dem Zusammenhang oben nebensächlich sind. Das ließe sich dann auf Kirche übertragen. Wenn sie „gut spielt“, dann ist Christsein nichts Peinliches – weder für die Christen noch für ihr Umfeld – und es wirkt sich positiv aus (wie z.B. der Fußball häufig – leider nicht immer – im Blick auf Rassismus und Integration).

        Vielleicht war der Fehler bei Bush ja eben der, dass er meinte, immer schon zu wissen, was gut und richtig ist für die Welt, und das dann mit aller Gewalt durchsetzte, statt zu fragen, ob man die Menschenrechte verteidigen kann, indem man sie außer Kraft setzt (Kriege, Patriot Act, …). Um sich als tatkräftig und entschlossen zu zeigen hat er das Nachdenken geopfert.

        Wenn er das ünerhaupt jemals gründlich gelernt hatte… Vielleicht war er nämlich auch nur eine etwas beschränkte Marionette von Interessengruppen (Öl- und Waffenlobby etwa, konservative Think Tanks in den USA).

        1. @Peter: Das ist schon richtig. Auch die Leute (z. B. Emergent Deutschland ;-)), die heute die Kirche im einem gewissen Sinne reformieren, oder ihr zumindest wertvolle Impulse geben wollen, haben nicht die Garantie, dass alles so ausgehen muss wie sie meinen oder hoffen. Unsere Vorstellungen sind also kein wirklicher Hinweis für Gottes Pläne. Jesu Kreuzigung war in der Vorstellung seiner Jünger auch nicht der nächste Punkt im messianischen Erlösungsplan. Doch letztendlich war es der endgültige Sieg über den Tod.
          Wie wir also wissen, sind Gottes Wege unergründlich. Das gilt auch in Bezug auf die gegenwärtigen Entwicklung in unserer Hemisphäre. Nennen wir sie mal landläufig »Postmoderne«. Sofern wir uns jedoch bereitwillig von Gott gebrauchen lassen, so widersinnig uns seine Wege auch oft vorkommen, werden wir mit ihm und für ihn »siegreich« sein. Damit meine ich hier, dass wir die Gelegenheit nutzen auf Grundlage unseres Glaubens die Welt im positiven und Gottes Sinne zu beeinflussen. Aber womöglich bleibt es uns zu Lebzeiten auch versagt die Früchte unseres Wirkens zu bestaunen. Wir leben ja mit Ewigkeitsperspektive :-).
          Um zum Ausgangspunkt zurückzukommen: Ich würde die Ziele nicht bescheiden formulieren, im Gegenteil. Ich erwarte immer Großes, doch muss ich dabei demütig genug sein, zu wissen, dass die Vollendung des Großen nicht von mir abhängig ist!

          Zu Bush: Wir kennen nicht alle Hintergründe und Fakten um seine Amtszeit. Wir wissen oft nur was wir aus der Berichterstattung kennen. Natürlich hat er Fehler gemacht…machen wir alle, aber schlimmer finde ich es einer Person den schwarzen Peter (ha, ha) zuzuschieben. Das verzerrt den Blick auf das komplexe Gesamtbild.

  4. Hallo Peter,
    als erklärter Nichtfussballfan und Nichtfussballfanwerdenwoller kann ich die Reduktionisten (so ich den Begriff richtig verstanden habe) nachvollziehen.
    Vllt. ist es auch meinem Alter geschuldet, dass ich es einfach leid bin, wenn diese Menschheit ständig daran ist, sich entweder selber in den Orbit zu jagen, den Ast auf dem sie sitzt abzusägen, oder sonst einen Unsinn zu veranstalten, nun auch noch das letzte Quäntchen Beständigkeit und Ankerpunkt über Bord zu werfen.
    Dazu gehört natürlich auch, stets das Rad neu zu erfinden, bis es so richtig rund ist und bis dann wieder einer um die Ecke kommt, der uns beweist, dass das Unendlichvieleck doch besser und effizienter auf jeden Fall aber modern ist. Angefangen hat das wohl mal mit den Worten „Sollte Gott wirklich gesagt haben, ….“.

    1. Hallo Dirk, wenn Dich Fußball nicht interessiert, wird der Vergleich auch nicht helfen, den ich hier anstelle. Ich kann verstehen, dass man an der Komplexität der Welt verzweifeln kann (so lese ich deine apokalyptischen Szenarien). Aber einfach so tun, als kämen wir zu einer Lösung, wenn wir nur das Gute, Alte beherzigen, scheint mir mindestens so naiv wie das unkitische Beklatschen jeder Neuerung (wenn Du aufmerksam liest, wirst Du sehen, das ich das auch nicht tue).

      Wenn man nach sinnvollen Neuerungen sucht, muss man sich auf die Komplexität einlassen. Wenn dann andere so etwas tun, was einem selbst zu mühsam oder riskant ist, dann finde ich es mehr als nur ein bisschen peinlich, sie mit dem Zitat am Ende Deines Kommentars in die Ecke der Verführer und Abtrünnigen stellen zu wollen.

      Anders gesagt: Wenn Du, wie Du schreibst, gar nicht verstehen willst, solltest Du vielleicht auch besser nicht kommentieren.

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