Das Schlagwort-Dilemma

Schlagwörter sind ab und zu offenbar auch zum Schlagen da. Richtig verstanden dienen sie zwar als Kürzel, hinter denen in der Regel ein komplexer Sachverhalt steckt. So lange alle Beteiligten diesen kennen und ähnlich füllen, erleichtert das die Diskussion ungemein.

Leider jedoch werden sie schnell zu Etiketten, die anzeigen, wer draußen und wer drin ist, oder zu Kampfbegriffen, die Freund und Feind markieren. In diesem Stadium wird ein einst nützliches, sinnvolles Schlagwort (wie „missional„, „postmodern“ oder „emergent„, aber ähnlich auch „evangelikal“ etc.) dann zum kommunikativen Risiko, weil jede Seite den Ausdruck so füllt, dass ihre Siegchancen steigen. Er wird zum Kampfbegriff.

Oder er wird zum oberflächlichen Modewort – dann will sich jeder damit schmücken, ohne unbedingt verstanden (oder gar verinnerlicht) zu haben, was damit ursprünglich gemeint war. Andere fühlen sich parallel dazu abgehängt, und reagieren mit Kritik und Polemik. Nur kann man nicht beliebig neue Begriffe prägen, wenn sie (oft ja auch durch andere – übereifrige Fans, allzu radikale Verfechter, missgünstige Kritiker) verbrannt wurden. Was also tun?

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10 Antworten auf „Das Schlagwort-Dilemma“

  1. Einzelfallabhängig.
    Z.B.: das Wort „Fundamentalist“ ist m.E. schon so oft negativ in den Medien gebraucht worden, dass ich ihn wieder mehr für mich selbst verwenden würde. Manche könnte das irritieren, evtl. zum Nachfragen anregen – dann könnte ich erklären.

    Andere Wörter würde ich zeitweilig ersetzen.
    „Fromm“ würde ich z.B. mit „jesusmäßig“ ersetzen. Ist für manchen zwar noch immer erklärungsbedürftig, aber ist vielleicht „näher“ als das ältere Wort.

    Manche Wörter sind nicht ersetzbar. Z.B. „Christ“.

  2. ich möcht mich nicht fundamentalist nennen. fundamentalismus ist, wenn man gängige definitionen heranzieht, eine haltung, die die eigene erkenntnis als einzig richtige verabsolutiert und nichts daneben stehen lässt. man mag nun zwar meinen, dass man sich als christ doch „fundamentalist“ nennen dürfe, weil man doch an die eine göttliche wahrheit glaubt. das klingen verführerisch „richtig“. übersieht dabei aber, dass das, was man selbst glaubt, als göttliche wahrheit erkannt zu haben, auch nur ein zerrbild ist, verschwommen durch den spiegel der eigenen mangelhaften erkenntnisfähigkeit.

    ich habe die erfahrung gemacht, dass mir menschen dann *wirklich* zuhören, wenn ich ihnen erzähle, was ich mit gott erlebe, was er für mich persönlich bedeutet, und welches unglaubliche „mehr“ an qualität meine beziehung zu ihm in mein leben gebracht hat. *das* bewegt menschen, und verändert etwas in ihrer sichtweise auf gott und auf ihr leben. „schlagwörter“ führen am ende ja doch wieder nur zu verkopften diskussionen, die erst wieder am eigentlichen kern unseres glaubens vorbei gehen: dass es nämlich nicht darum geht, irgendeine „wahrheit“ zu erkennen, sondern darum, mit dem einen, dem einzigen lebendigen gott in beziehung zu treten.

    „wir alle aber schauen mit aufgedecktem angesicht die herrlichkeit des herrn wie in einem spiegel und werden so verwandelt in die gestalt, die er schon hat, von herrlichkeit zu herrlichkeit, wie es der herr des geistes bewirkt“ (1. korinther 3,18)

  3. @yumiyoshi:
    Mal provokant zurückgefragt:
    Wenn Du den Begriff „Fundamentalist“ so füllst, wie Du es tust, bedienst Du dann nicht gerade die „Schlagwort-Politik“ des Mainstream?

    Ich gebe zu:
    Ich benutze das Wort „F.“ auch eher als Reaktion, vielleicht sogar Anti-Aktion oder doch eher als Zuspitzung, eben weil der Begriff so oberflächlich gesehen wird.

    Denn zunächst ist der Begriff positiv für mich:
    Ich habe eine Basis! Ein Fundament!
    Ich behaupte ja nicht, dass das Fundament nach allen Seiten abgesichert wäre.
    Aber es trägt so weit ganz gut…
    da würde ich dann auch zum persönlichen Bericht über mein Leben mit Jesus kommen.
    Durchaus auch als Zuhörer und nicht nur als „Besserwisser“.

  4. @dikoss: So läufst Du natürlich Gefahr, missverstanden zu werden. Ich sehe mich weder als Fundamentalist im Sinne Torreys noch im heutigen, strikt negativen Gebrauch. Es ist gut, ein Fundament zu haben, aber wenn man eine Ideologie draus macht, alles auf ein paar rigide Formeln zu reduzieren (daher der „-ismus“), dann ist das meine Sache nicht. Deine ja eigentlich auch nicht, wie mir scheint…

  5. @Peter:
    Auf jeden Fall laufe ich Gefahr, missverstanden zu werden. Oder ich schreibe es mal so: Ich erhöhe wesentlich die Chance,missverstanden zu werden.
    Ehrlicherweise will ich hinzufügen, dass ich den „F.“-Begriff nicht ständig benutze. Ich will ja auch keinen nerven. Ich habe lediglich ein T-Shirt auf dem „Fundamentalist Jesu“ steht (wobei ich gerne Schlabberhemden drüber trage, die vorne offen sind, so dass mitunter nur „mentalist“ zu lesen ist. 🙂 ). Und wenn’s passt, dann würde ich sagen: „Ja, ich bin Fundamentalist.“ Allerdings hätte ich dann gerne noch die Zeit, diesen Begriff dann auch zu füllen.
    Diese Gedanken (samt T-Shirt) resultieren für mich aus der schrecklich oberflächlichen Debatte über den religiösen Fundamentalismus. Da würde ich gerne hin und wieder leicht hineinpieksen.

  6. liebe/r dikoss,

    ich versuche, den begriff, den du eingeführt hast, für mich selbst zu definieren, damit wir über etwas konkretes diskutieren können. sonst kann ja gar keine sinnvolle diskussion zustande kommen. ich greife dabei auf die definition zurück, die heute die geläufigste ist. und die ist nun einmal meistens eine negativ konnotierte. egal ob uns das gefällt oder nicht.

    ich weiß es nicht, ob es ein guter weg ist, menschen mit schlagworten zu konfrontieren, um darüber mit ihnen ins gespräch zu kommen. kann es nicht sein, dass man es sich damit unnötig schwer macht? ja, es provoziert, wenn man sich bewusst als fundamentalist bezeichnet. aber wäre die energie, die es im anschluss daran braucht, um in ein zielführendes gespräch zu kommen (und das mit ungewissem ausgang, denn wenn jemand innerlich die rolläden herunterlässt, ist es sehr schwer, die wieder hoch zu kriegen), nicht auf anderer ebene viel besser investiert?

    ich höre es ja immer wieder, dass christen ein wenig stolz darauf sind, sich selbst als fundamentalisten zu bezeichnen. und auch auf die missverständnisse, die das provoziert. und auf die tatsache, dass sie sich damit selbst ausserhalb des „mainstreams“ gestellt haben. ich finde das nicht gut. jesus ruft uns doch dazu auf, salz der welt zu sein. also in die welt ganz einzutauchen, und mitten drin unsere „würzkraft“ zu entfalten. wir sollen mitten in der finsternis eine hell erleuchtete stadt auf dem berg sein, die menschen neue hoffnung schenkt. wir sollen die menschen um uns herum durch unsere guten taten überzeugen, und *damit* diejenigen zum schweigen bringen, die über unseren glauben spotten. wir sollen den menschen, wenn sie durch unser *handeln* neugierig werden, was der grund ist für die hoffnung, die wir in uns tragen, rechenschaft ablegen, warum das so ist. wir sollen uns eben *nicht* aus der welt zurückziehen, sondern mittendrin stehen als zeichen der hoffnung und als lebendige bessere alternative zur welt um uns herum.

    das ist jedenfalls der weg, den ich gehen möchte. nein, das gelingt mir keineswegs immer. ich kenne die verlockung des „pieksens“ und erliege ihr selbst auch immer wieder. aber wie ich schon sagte: meine erfahrung ist, dass menschen auf lebendige erfahrungen wesentlich positiver und interessierter reagieren, als auf „nadelstiche“. auch wenn letztere manchmal sicher *auch* nötig sein mögen.

  7. @yumiyoshi:
    Das sehe ich auch so, dass die gängige Definition von „Fundamentalist“ eine negative ist.
    Auch, wenn es in der Praxis fast unmöglich sein sollte, einen „negativen“ Begriff in das (zumindest hier) ursprünglich Positive umzukehren, so entsteht ja auch die Frage, ob Jesus-Leute die gängigen Definitionen stets übernehmen müssen oder ob nicht auch hier und da (wo es passend erscheint) Aufklärung sinnvoller ist. Ich weiß es nicht genau, aber stelle mal die Frage.

    Vom Prinzip gebe ich Dir Recht, dass die Energie besser investiert sein kann, als zu „pieksen“. Ich bin eher ein versöhnlicher Typ, deshalb suche ich wirklich selten die Provokation. Aber auch hier eine Frage: Kann ich denn abschätzen, was den anderen wirklich provoziert? Muss ich im Zweifel nicht davon ausgehen, dass der andere mich eher missversteht als mich zu verstehen? Anders herum natürlich genauso. Und wenn ich Jesus himself sehe, dann hat Er als Friedefürst wirklich oft provoziert. Nicht aus Prinzip (das wäre für mich negativ besetzter Fundamentalismus), sondern wirklich wegen der Sache bzw. wegen des Menschen (positiv besetzter Fundamentalismus?). Also, die Provokation zu scheuen, scheint nicht immer angebracht zu sein, oder?

    Mit Deinem letzten Absatz gehe ich völlig konform. Hätte ich auch schreiben können. 🙂

    1. @dikoss: mal etwas zugespitzt gesagt – sich selbst irgendwo als „Fundamentalisten“ zu bezeichnen ist ungefähr so, wie wenn du bei der Einreise in die USA auf dem grünen Kärtchen im Flieger Verbindungen zu AlQaida angibst… Klar gibt das interessante Gespräche. Aber um welchen Preis?

  8. @Peter:
    Krasser Vergleich. Also, wenn andere anfangen, mich zu verhaften und zu foltern, nur weil ich das „F.“-Wort benutzt habe, dann würde ich auch ein anderes Wort vorziehen! So viel Wert lege ich dann doch nicht auf das Wort.

    Übrigens: Durch die Spam protection werde ich wieder richtig fitt in Mathe!

  9. …ich habe es schon häufiger als hilfreich empfunden, solche Schlagworte miteinander zu kombinieren, die doch eigentlich unvereinbar sind… Überraschung und Erkenntnisgewinn gehen dann Hand in Hand. 🙂

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