Heute morgen habe ich in einer Projektgruppe mit anderen überlegt, wie Kurse zum Glauben in Bayern möglichst weite Verbreitung finden und das kirchliche Leben befruchten können. Immer wieder stellt sich dabei auch die Frage nach der Motivation. Für mich ist die Missio Dei mit dem „Miss You“ Dei verbunden. Der liebende Vater aus Lukas 15, der auf seinen Sohn wartet. Oder Gott im Garten Eden, der ruft: „Adam, wo bist du?“ Liebe leidet unter dem Abbruch von Beziehungen, und wahre, tiefe Liebe kann sich damit nie endgültig abfinden. Liebe leidet auch mit, wenn ein anderer mutwillig oder fahrlässig sich und anderen Schaden zufügt.
Von daher wundert es mich immer, dass die Liebe doch vielen Christen nicht genug Motivation zu sein scheint, das Evangelium weiterzusagen und anderen Gottes Liebe mitzuteilen. Letzte Woche zitierte etwa ein prominenter Referent bei der Auswertungstagung zum Kongress von Kapstadt zustimmend John Pipers hier schon kritisiertes Votum über „ewiges Leiden“, das es zu verhindern gelte, und dass man sich kein „defizitäres Verständnis der Hölle“ leisten könne. Ein anderer recht bekannter evangelikaler Meinungsführer gab mir das vor einigen Monaten auch schon zu verstehen, dass er diese Folie für unverzichtbar hält.
Ich bin Agnostiker, was die Hölle angeht. Für meinen Geschmack wurde und wird da viel in biblische Texte hineingelesen, die gar nichts mit dem Jenseits und dem Leben nach dem Tod zu tun haben, sondern Warnungen für das Leben hier und jetzt sind (bzw. damals zur Zeit Jesu). Mag sein, dass man das so oder so sehen kann – mir geht es hier ja nur um die Frage nach der Motivation. Offenbar denken ja viele Mitchristen, dass mit dem Wegfall einer drohenden „Hölle“ auch alle Mission in sich zusammenfallen würde.
Funktioniert also nur die Mischung von Liebe und Angst, oder darf man es wagen, ganz auf die Liebe zu setzen? Oder noch anders gefragt: Wenn wir Aufrufe zum Glauben schon kritisch sehen, die Menschen gleichzeitig suggerieren, dass es ihnen dann – in diesem Leben – besser geht, warum sollte das im Blick auf „die Ewigkeit“ anders sein? Muss das nicht sehr gemischte Motive erzeugen, wenn wir (jetzt bin ich wieder bei Piper) parallel zur Liebe auch den ewigen Zorn zum zweiten Brennpunkt der Motivationsellipse machen – also gerade nicht den konkreten Zorn über das Fortbestehen oder gar die Zunahme von Unrecht, Gleichgültigkeit oder Bosheit, sondern den allgemeinen Zorn auf den Sünder, egal wie harmlos der Mensch auch sein mag? (Nebenbei: Piper stellt sich hier übrigens auch gegen John Stott, einen der Gründerväter von Lausanne)
Nun finden wir bei Jesus wie bei den Propheten der Hebräischen Bibel immer wieder Gerichtsdrohungen und -ankündigungen. Aber wie schon gesagt, halte ich diese für die Erwartung konkreter, geschichtlicher Ereignisse (wie etwa die Zerstörung Jerusalems, die in Markus 13 angekündigt wird), die in der Regel auch ziemlich unmittelbare Folgen des Handelns sind, das Jesus und seine prophetischen Vorgänger kritisierten. Ich kann mit dem Gedanken durchaus leben, dass in Grenzfällen Schmerz punktuell als pädagogische Massnahme noch sinnvoll sein kann. Das legitimiert sicher keine Prügelstrafe in Familie oder Schule, aber in anderen Bereichen der Gesellschaft setzten wir ja durchaus auch auf einen gewissen Abschreckungseffekt, in der Hoffnung, damit Schlimmeres zu verhindern.
Mag sein, dass Liebe gelegentlich so weit gehen kann. Aber Drohungen mit ewigem Leid sind ja etwas anderes – sie werfen die Frage auf, ob Gott am Ende vielleicht nur für manche Menschen Liebe ist.
Reicht das „Miss You Dei“ nicht aus, um die Missio Dei zu begründen? Könnte die Sorge, dass beim Wegfall der ultimativen, metaphysischen Drohkulisse die Sünder dreister und die Missionare träger würden, ein Indiz dafür sein, dass wir trotz aller Lippenbekenntnisse der Liebe nicht genug zutrauen, am Ende also selbst im Glauben so schwach, defizitär oder abgestumpft sind, dass wir ihr Fehlen durch andere Antriebe kompensieren müssen? Könnte eine Verkündigung, die in der Person Jesu und im Kreuz Christi den äußersten Liebesbeweis Gottes – der gesamten Dreieinigkeit – herausstellt, nicht die Antwort einer ähnlich freien und selbstlosen (Richard Rohr würde sagen: „nichtdualistischen“) Liebe bewirken? Und könnte es auf Dauer nicht ein großes Handicap für den Glauben sein, wenn dieser seinen Ursprung nicht nur der Liebe, sondern irgendwo eben auch noch der Suche nach dem eigenen Vorteil und der Erwartung von Lohn verdankt? Ist vielleicht genau das die Ursache dafür, dass wir oft so lange zögern, über unseren Glauben zu sprechen, dass wir Gottes Sehnsucht nach geliebten, aber nun entfremdeten Menschen gar nicht richtig mitempfinden können?
Das Votum des Ratsvorsitzenden der EKD zur Initiative Erwachsen Glauben ist angenehm positiv formuliert, ich stelle es ans Ende, damit es nachklingen kann:
Der Glaube ist unser größter Schatz, und es gibt nichts Schöneres, als ihn mit Menschen unterschiedlicher Weltanschauung ins Gespräch zu bringen.
Eines vorweg: Liebe enthält ja auch den Aspekt, dass ich den anderen vor (unnötigem) Leid bewahren will. Von daher ist auch die höllische Drohkulisse, die ich dem anderen ja nicht an den Hals wünsche, sondern vor der ich gerade warnen will, nichts anderes als ein Ausdruck von Liebe.
Aber bevor ich falsch verstanden werde: Es ist nicht der einzig denkbare Ausdruck von Liebe.
Aber zu einem allgemeineren Problem: Wenn man die Hölle aus seiner Theologie streicht, streit man zwangsläufig mehr, als einem lieb ist. Hölle ist ja die Strafe für Sünde, nicht weil Gott das frei Schnauze so festgelegt hat, sondern weil Sünde eine derartig große Beleidigung Gottes, Verletzung von Mitmenschen und Verbrechen gegen die eigene menschliche Natur ist.
Wenn ich nun die Strafe wegnehme, dann verharmlose ich damit (wenigstens mittelfristig) auch das Vergehen. Man stelle sich vor, es gäbe fortan keine Strafe mehr fürs Stehlen. Stehlen würde alsbald als „nicht so schlimm“ angesehen werden. Diese Entwicklung kann man bei allen möglichen Dingen, die früher mal gesetzlich verboten waren und es heute nicht mehr sind, beobachten (z.B. Abtreibung, Ehebruch, Kuppelei…).
Die Frage ist halt, ob man bereit ist mit der unpopulären Hölle auch das Konzept „Sünde“ abzuschaffen.
Niemand hat davon geredet, das Konzept von „Sünde“ abzuschaffen, aber ob es mit dem der Hölle „verheiratet“ ist, wäre die Frage. Wo steht eigentlich in der Bibel, dass „Hölle die Strafe für die Sünde ist“?
„Hölle“ als ewige Seelenqual oder was auch immer wird nicht „abgeschafft“ (schon gar nicht weil sie unpopulär ist), sie hat in dieser Form eben vielleicht gar nie existiert außer als fromme Fiktion… Und wäre das nicht auch für Gott eine ewige Qual? Wer würde ihm das wünschen?
„Wo steht eigentlich in der Bibel, dass “Hölle die Strafe für die Sünde ist”?“
Mt 5,22 beschreibt das recht gut: […]wer aber sagt: Du Narr! wird der Hölle des Feuers verfallen sein.
Hier spricht Jesus offensichtlich eine klare Ursache-Wirkung-Relation an: Man sündigt gegen jemanden, indem man ihn beleidigt und für diese Tat blüht die Hölle des Feuers.
Andere Stellen machen auch klar, dass Sündern nicht einfach nur die Auslöschung nach ihrem Tod droht, sondern offensichtlich etwas schlimmeres. Nur so kann ich mir Jesu Wort über Judas in Mt 26,24 erklären, wo es heißt, dass es für Judas gut wäre, wenn er nie geboren worden wäre. Ob angesichts dieser Verse die Hölle nur eine „fromme Fiktion“ ist, wage ich zu bezweifeln.
„Und wäre das nicht auch für Gott eine ewige Qual? Wer würde ihm das wünschen?“
Kannst Du das Argument noch etwas ausführlicher erläutern, ich bin mir nicht sicher, ob ich es richtig verstanden habe.
Ich wollte auch nur darauf hinaus, dass man eben nicht einige Doktrinen aus der christlichen Theologie herausnehmen kann, ohne dass man irgendwo das Gleichgewicht verliert. Wenn man das Konzept „Hölle“ abschafft oder meinetwegen gar nicht erst einführt, dann ergibt sich meines Erachtens ein klares Problem, was die Einschätzung der Katastrophalität von Sünde angeht. Warum aber ist es wichtig, dass Sünde ein so großes Problem ist? Weil sich nur so erklären lässt, dass Gott den drastischen Schritt geht, seinen Sohn zu opferen, um dieses Problem zu lösen.
Danke Peter, wie du auf sehr wohltuende Weise das Thema Missions-Motivation angehst und das alte „entweder oder“-Denken hinter dir lässt und die zentrale Kategorie des christlichen Glaubens mit dem „Miss You“ in den Vordergrund rückst. Ich denke, dass viele sich in den nächsten Monaten an dem Piper-Vortrag von Kapstadt noch abarbeiten werden, und zwar weniger an den einzelnen Formulierungen sondern hinter dem Weltbild was dahinter steht. Höllendrohung als Bekehrungsanreiz zieht schon lange nicht mehr. Und da, wo wir Menschen in unseren Gemeinden haben, die aus dem Antrieb Christen wurden, merke ich wie sie aus einem bestimmten Schema nicht rauskommen, da ihr Weltbild ihre Hermeneutik und ihr Handeln prägt.
Der Ausdruck „Agnostiker was die Hölle angeht“ finde ich sehr passend.
Ich bin auf weitere Impulse gespannt.
@Notizzettel: Da ließe sich wieder viel dazu sagen, ganz kurz nur dies: Ich würde mich voll damit zufrieden geben, zu sagen, Sünde ist eben deshalb als gravierend anzusehen, weil Gott seinen Sohn hingibt (der Opferbegriff ist für mein Empfinden da oft sehr unglücklich verwendet worden) – also von Christus her zu argumentieren statt von der „Hölle“, da steht man dann theologisch auf viel sichererem Boden. Und wenn das Lehrgebäude (oder Konstrukt) ins Wanken gerät, wenn dieser eine wacklige Stein fehlen sollte, dann ist es vielleicht ohnehin sanierungsbedürftig.
3 Dinge fallen mir spontan dazu ein:
– Es wird leider generell übersehen, dass nirgends in der Bibel von „Hölle“ die Rede ist, aller Verkündigung zum Trotz. Wovon vielmehr die Rede ist, ist „Sheol“, „GeHenna“, „Hades“ und „Tartarus“. Klingt banal, hat aber weitreichende Konsequenzen, weil wir stillschweigend aber fälschlich davon ausgehen, dass sich jeder der Begriffe inhaltlich mit dem deckt, was wir an Assoziationen haben, wenn wir das deutsche Wort hören. Das ist aber nicht der Fall. Tue ich das nicht, verkündige ich Symbole vfon 2000 Jahren Kultur- und Theologiegeschichte, aber nicht das, was in den biblischen Texten zu lesen ist. Nach Weniger sollten wir aber nicht trachten.
– Wenn ich etwas nur deswegen tue, weil ich mir einen Nutzen davon erwarte, ist die Motivation selbstbezogen, was man dann aber auch ruhig als „egoistisch“ bezeichnen kann. Hölle in der Verkündigung sagt: Entscheidend ist, was du am Ende davon hast. Wer Anderen predigt „Sieh zu, dass du nicht in ewiger Verdammnis landest“, verkündigt zwischen den Zeilen „Kümmere dich vor allem um dein (Seelen)Heil, alles andre ist nachgeordnet“. Die Verkündigung Jesu, so wie ich sie verstehe sagt: Entscheidend ist, was dein Nächster und Gott von deinem Leben haben, um dich selbst musst du dich nicht kümmern, darum sorgt sich Gott.
– Das Reden von Hölle macht nur solange wirklich Sinn, als man von einem statischen Weltbild ausgeht. Dieses Weltbild besagt: Es war einmal alles gut, und dann hat die Entscheidung eines Einzelnen alles ins Verderben gezogen und uns mit ihm. Eigentlich könnnten wir alle (weil wir so geschafffen wurden), aber wir alle wollen nicht, und dafür gibt es Strafe. Die Bekenntnissse der großen Kirchen (CA!) und das allgemeine Verständnis von Erlösung gehen von dieser Prämisse aus. Das Problem ist eben nur, dass es diese Welt nie gegeben hat, sondern dass sich unser Universum (bis heute) dynamisch entwickelt und wir Menschen mit ihm. Alle unsere „sündhaften“ Verhaltensweisen (genauso wie Empathie oder Vergebung!) lassen sich schon bei Primaten (und anderen Säugetieren) nachweisen und gehören somit zu einem evolutionären Erbe, das wir von unseren gemeinsamen Vorfahren haben. Dieses Verhaltensrepertoire lässt sich nicht einfach durch Willenskraft abschalten. Dass wir als Homo sapiens uns (im Gegensatz zu anderen Säugetieren) bewusst für dieses Verhalten entscheiden können, legitimiert dann aber auch das Reden von „Sünde“ und davon, dass wir „Heiligung“ benötigen. Dass Gott Menschen für Verhaltensweisen „ewig leiden“ lassen soll, die zum evolutionären „Makeup“ aller Säugetiere gehört, macht für mich überhaupt keinen Sinn und ist völlig anachronistisch. Im Gegenteil, für mich ist ist diese fixe evolutionäre Grundaustattung eben genau der Grund, warum Gott seinen heiligen Geist gesandt hat: damit wir die Grenzen überschreiten können, die uns unsere biologische Austattung vorgibt, und unsere (evolutionär) „steinernen Herzen“ durch „Herzen aus Fleisch“ ersetzt werden.
Ich wünsche mir oft, wenn ich Argumentationen zur Unentbehrlichkeit der „dunklen Folie Hölle“ lese, wir alle und unsere Theologie mit uns würden endlich im 21.Jahrhundert ankommen und sich auf die Welt einlassen, wie Gott sie wirklich hat entstehen lassen, anstatt von Prämissen auszugehen und weitreichende Schlussfolgerungen zu ziehen, die jeglicher Grundlage entbehren (außer derjenigen, dass Christen in den vergangenen Jahrtausenden biblische Texte in einer bestimmten Weise interpretiert haben.) Tut man dies nicht, behält man zwar ein argumentativ schlüssiges, wenngleich auch problematisches, Weltbild aber man bezahlt einen hohen Preis dafür: man redet von und lebt in einer Welt die es nicht gibt und noch nie gegeben hat. Und im Gegensatz zu vielen von uns haben die Menschen, zu denen wir gesandt sind, dies schon lange bemerkt.