Das Abendmahl (1): Auf den Geschmack kommen

Den nachfolgenden Text habe ich letztes Jahr für die Zeitschrift The Race geschrieben, die in diesen Tagen neu unter dem Titel oora erscheint. Hier ist der erste von drei Teilen.

Je nachdem, wen man fragt, fallen Erfahrungen mit dem Abendmahl sehr unterschiedlich aus. Neben vielem Positiven gibt es da auch Stimmen, die den Ernst und die Schwere des Sakraments betonten. Ein striktes Members only gilt mancherorts, unwürdige Sünder nur nach skrupulöser Selbstprüfung, Fremde besser gar nicht. Manche Abendmahlsteilnehmer scheinen daher einzufrieren, wagen den Blick nur auf die Schuhspitzen zu richten. Angestrengte Andacht und zerknirschtes Gedenken an unter Qualen vergossenes Blut drücken auf die Stimmung. Nur nichts falsch machen – man atmet auf, wenn alles vorbei ist.

Die Gegenreaktion blieb nicht aus: Brot und Wein wurden mit Cola und Chips vertauscht, die ehrwürdige Liturgie durch spontane, möglichst hemdsärmelige Kommentare ersetzt. Pragmatische Hygienefreaks schweißten Hostien und Saftportiönchen in Folie und Plastiktöpfchen ein. Eine tierliebe Pfarrerin ließ jüngst einen Hund teilnehmen und Feministinnen nutzten den Anlass, um über sakrale Aspekte von Menstruationsblut zu spekulieren. Für Katholiken ist es das unumstößliche Zentrum des Gottesdienstes, die Heilsarmee kapituliert vor den theologischen Streitereien, bejaht zwar „die geistliche Bedeutung hinter (!) dem … Akt“, verzichtet aber auf die Praxis. Reichlich Verwirrung rund um den Tisch des Herrn also?

In all der Unklarheit liegt es nahe, Vergewisserung im Gefühl zu suchen. Aber das innere Miterleben von Passion und Auferstehung überfordert unser Empfinden, wenn wir meinen, dass ein so gewichtiges Ereignis uns jedesmal wieder eine Gänsehaut verursachen und uns im tiefsten Herzensgrund rühren muss. Solche Erlebnisse bleiben die Ausnahme. Daraus aber nun den Rückschluss zu ziehen, dass Gott deshalb nicht so richtig gegenwärtig und alles doch ein nur „totes Ritual“ sei und der Geist Gottes auf anderen Wege wirke, führt auch nicht weiter. Wir bewerten die unmittelbare Wirkung zu hoch und übersehen die langsame, aber nachhaltig prägende Kraft der stetigen Wiederholung.

Statt die Augen zu schließen und alles Äußere auszublenden, können wir daher das Gegenteil tun und mit alle Sinnen präsent sein: Den Geschmack von Brot und Wein, den Klang und Gehalt des Zuspruchs der Liturgie, die Anwesenheit der übrigen „Heiligen“ in ihrer ganzen Schönheit und Bedürftigkeit bewusst wahrzunehmen. Nicht hinter, sondern in all dem begegnet uns Gott. Fulbert Steffensky schreibt passend dazu in Schwarzbrot-Spiritualität:

Spiritualität ist eine Lesekunst. Es ist die Fähigkeit, das zweite Gesicht der Dinge wahrzunehmen: die Augen Christi an den Augen des Kindes; das Augenzwinkern Gottes im Glanz der Dinge. Nicht Entrissenheit, sondern Anwesenheit und Aufmerksamkeit ist ihre Eigenart. Sie ist keine ungestörte Entweltlichung und Einübung in Leidenschaftslosigkeit. Sie ist lumpig und erotisch, weil sie auf die Straße geht und sieht, was dem Leben geschenkt ist und was ihm angetan wird.

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