Risiken und Nebenwirkungen der Reformation

Neulich habe ich Iain McGilchrists kritische Perspektive auf Wesen und kulturelle Wirkung der Reformation hier skizziert. Wer das interessant fand, hat vielleicht auch Spaß an dieser Vorlesung des US-Historikers Brad S. Gregory, der die Reformation indirekt und unbeabsichtigterweise für etliche Charakteristika unserer westlichen Zivilisation verantwortlich macht, allen voran den „Hyperpluralismus“ – die unvermittelte Gleichzeitigkeit widersprüchlicher Wahrheitsbehauptungen. Was unsere Gesellschaften heute de facto einzig noch verbindet, sind die Ausrichtung auf Konsum und materiellen Wohlstand. Religion ist dagegen ausgerechnet durch die gesellschaftliche Wirkung der Reformation zur Privatangelegenheit geworden, die abgelöst vom übrigen Leben persönlichen Präferenzen überlassen bleibt.

Wenn er Recht hat, dann wäre die konservative Vorstellung, der Rekurs auf die Theologie der Reformatoren, allem voran auf das Schriftprinzip, sei der Weg zur verloren gegangenen Einheit des Glaubens, eine tragische Illusion. Ob er Recht hat, darüber lässt sich streiten. Aber vorher muss man ihm erst einmal zuhören, und das ist bei der gehobenen Sprache und dem vorgelegten Tempo keine Kleinigkeit.

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Torn (12): Die Spannung offen aushalten

Im Schlusskapitel von Torn bringt Justin Lee nach den schon beschriebenen Ratschlägen noch einen weiteren wichtigen Gedanken ins Spiel. Christen, die zu ihrer Homosexualität stehen, sagt er, sollten ihren Platz in der Kirche finden. Er selbst habe sich immer gefragt, ob Gott etwas mit ihm anfangen könne, obwohl er doch homosexuell sei. Nun sieht er, dass er nicht trotz, sondern wegen seiner Orientierung etwas Besonderes zu geben hat.

Christen wie er können dazu beitragen, die schon ausführlich thematisierte Kluft zwischen den beiden „Lagern“ zu überwinden. Viele haben tiefe Krisen und Zweifel durchlebt, und haben dabei zu inneren Klärungen und einem tieferen Gottvertrauen gefunden. Und weil viele von ihnen auch unter den Zuständen in den Kirchen gelitten haben, können sie einen authentischen Beitrag zur Versöhnung leisten.

Dazu müssen sie sich aber auf allen Ebenen des Gemeindelebens einbringen dürfen, was zu erheblichen Spannungen führen kann, wenn etwa ein homosexuelles Paar auf eine Gemeinde trifft, die davon überzeugt ist, dass die beiden zölibatär leben sollten. Oft wird in diesem Zusammenhang dann auf 1.Korinther 5 Bezug genommen, wo Paulus darauf beharrt, dass Christen sich in einem Umfeld, dass sie misstrauisch beäugte, moralisch tadellos verhalten sollten. Heute ist in westlichen Ländern die Situation freilich umgekehrt: Kaum jemand lauert auf eine Chance, Christen als moralisch verwerflich zu diskreditieren, vielmehr werden konservative Christen als strenge Moralapostel gemieden. Der gesellschaftliche Konsens, dass Homosexualität prinzipiell „falsch“ sei, bricht momentan überall zusammen, allmählich auch unter Evangelikalen.

Statt in 1.Korinther 5 liefert uns Paulus den Schlüssel zum richtigen Umgang mit unterschiedlichen moralischen Urteilen in Römer 14, wo Paulus dazu aufruft, dass die verschiedenen Seiten einander erlauben, ihrem Gewissen zu folgen. Selbst unter homosexuellen Christen gibt es unterschiedliche Positionen, die im Gay Christian Network miteinander ins Gespräch gebracht werden. Es gibt durchaus gleichgeschlechtliche Paare, die sich aus bewusst einer Gemeinde angeschlossen haben, die ihre Beziehung offiziell nicht unterstützt, weil sie sich dorthin von Gott gerufen sehen.

Damit das gelingt, muss man sich im Dialog üben: Eltern müssen lernen, ihren homosexuellen Kindern zuzuhören, statt voreilige Schlüsse zu ziehen. Schwule und lesbische ChristInnen sollten mit ihren Verwandten und Freunden Geduld haben, unüberlegte Äußerungen nicht auf die Goldwaage legen, und ehrlich von den eigenen inneren Kämpfen reden. In Gemeinden und zwischen Gemeinden gilt es, offen und ohne Druck ins Gespräch zu kommen über die unterschiedlichen Standpunkte.

Das ist Christen ja generell aufgetragen: den Anderen ernsthaft verstehen zu wollen, auch wenn man selbst noch nicht verstanden wird – etwa, indem wir Vorurteile aussetzen und die Sprache des anderen lernen. Das bedeutet sich den Verzicht auf die eigene Meinung, aber die Bereitschaft, sie als etwas Vorläufiges zu betrachten. Schließlich haben wir täglich mit Menschen zu tun, die in vielen Fragen ganz anderer Auffassung sind als wir selbst. Wenn wir einander im Licht der Gnade sehen, dann treten diese Unterschiede zurück und die Gemeinsamkeiten rücken in den Vordergrund.

Ich hoffe, der Kurzdurchgang hat gezeigt, dass sich die Lektüre von Torn lohnt. Momentan ist leider kaum zu erwarten, dass sich ein evangelikaler Verlag an eine Übersetzung wagt. Das allein zeigt natürlich auch, wie tief die Gräben derzeit noch sind. Aber es muss ja nicht ewig dabei bleiben.

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Alles drin!

Mir ist das auch nicht immer in allen Einzelheiten bewusst, aber es lohnt sich, hin und wieder einmal kurz durchzubuchstabieren, wie sich ganze Geschehen von Passion und Ostern im Abendmahl verdichtet:

Da ist der Gründonnerstag mit den Vorbereitungen für das Mahl, und auch jede Abendmahlsfeier hatte ihre Vorbereitung bis hin zur Herstellung von Brot und Wein. Schon die scheinbar profanen Handgriffe, die kaum jemand mitbekommen hat, sind Teil dieses geistlichen Ereignisses.

Dann ist da das Abschiedsmahl selbst, in dem Jesus sein bevorstehendes Leiden mit der Erinnerung an den ersten und der damals sehr lebendigen Hoffnung auf einen neuen Exodus verbindet. Zuvor hatte er schon am Tempel und in Jerusalem deutlich gemacht, dass der eigentliche Feind nicht die Römer waren und sich Licht und Finsternis nicht einfach auf den Kontrast von Juden und Nichtjuden hin deuten ließ. Die Heilsgeschichte ließ sich nur dann aus der Blockade befreien, wenn Israel sich den eigenen Schatten stellt und statt gewaltsamer Vergeltung gewaltlose Versöhnung mit Gott und dem Feind sucht. Jesus identifiziert, fernab des Tempels, wo die Opfer stattfanden, die beiden alltäglichsten Elemente dieses Mahls, Brot und Wein, mit seinem Leib und Blut. Blut steht für Leben und Lebenskraft, der Leib für die ganze Vielfalt der konkreten Beziehungen und der einzigartigen Geschichte, die Jesus ausmachten.

Der Weg ins „gelobte Land“ oder das Kommen des Reiches Gottes führt durch Finsternis, Leid, Einsamkeit, Schmerz und Tod – für Jesus selbst, aber auch für viele seiner Nachfolger. So wie der Weg, den Mose seine Landsleute geführt hatte, am Ufer des Schilfmeers anscheinend auch in den sicheren Untergang führte. Daher verlassen Jesus und seine Jünger das Haus wieder und ziehen in den Garten Gethsemane, wo die Jünger vergeblich mit dem Schlaf ringen während Jesus sich einsam der Todesangst stellt.

Es folgen die Ereignisse der Karfreitags – eine lange Kette psychischer und physischer Gewalt, in der der Leib gebrochen und das Blut vergossen wird und sich der Himmel in der Todesstunde verdunkelt. Aber das ist auch der Augenblick, wo der Vorhang zum Allerheiligsten reißt und die Toten sich rühren. Einen Moment lang wackelt die gewohnte Ordnung der Wirklichkeit mit ihren säuberlichen Trennungen.

Und etwas mehr als eine vollen Erdumdrehung später zeigt sich, dass das Beben einen epochalen Umbruch angedeutet hatte. Der macht sich zunächst negativ bemerkbar – am leeren Grab. Er wird begleitet von weiteren Erscheinungen, statt der Toten sind es aber nun Engel. Die tauchen bevorzugt an den großen Wendepunkten von Gottes Geschichte auf. Und schließlich tritt mit dem auferstandenen Jesus der „Prototyp“ einer neuen Wirklichkeit mitten in den Raum (beziehungsweise ans Ufer des Sees) und lädt seine völlig überraschten Jünger zum Essen ein. Da schließt sich der Kreis.

So wie sich Israel beim Passah nicht einfach nur erinnerte, sondern in der Feier den Auszug aus der Sklaverei im Blick auf die verheißene Zukunft vergegenwärtigte, so vergegenwärtigt das Abendmahl diesen Weg Jesu und seine bleibende Gegenwart, die keine rein „geistige“ und damit „reine“ und eben auch abstrakte, sondern (darauf beharrte Luther stur bis zum Abwinken) eine leibliche Gegenwart ist, eine Gegenwart mitten in den Wehen und Wirren unseres Lebens, dessen Gastgeber er ist. Deshalb kehren wir, so oft wie es geht, an seinen Tisch zurück, an dem seine Geschichte auch unsere Geschichte wird, sein Tod unser Tod ist und sein Leben in unserem Leben eine neue Richtung, Entschlossenheit und Hoffnung zur Geburt bringt.

Das Abendmahl ist das Konzentrat der biblischen Heilsgeschichte von Mose bis zum Tag X. Mit einfachsten Mitteln und ganz wenigen Worten, die niemanden überfordern – und doch von einer Tiefe, die wir auch nach Jahrzehnten des Feierns noch nicht völlig ergründet haben.

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Es gibt eine Alternative

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Ein bewegtes Osterwochenende neigt sich dem Ende zu. Am Gründonnerstag und Karfreitag hatten wir über 1.800 Gäste im Henninger-Keller. Im Bericht der Erlanger Nachrichten gestern hieß es am Ende, viele hätten auch nach dem Verlassen des Kreuzwegs noch geflüstert (leider waren aber nicht alle so leise…). Immerhin – es war auch sehr bewegend zu sehen, wie viele Eltern ihren Kindern die Leidensgeschichte erklärt haben. Vielleicht setzen sich diese Gespräche aus dem Keller in den Familien ja noch weiter fort.

Die vierte Kreuzwegstation beschreibt die Begegnung zwischen Jesus und seiner Mutter Maria. Hier sieht man unsere bildhafte Umsetzung aus diesem Jahr: eine Fotomontage, die auf die Kellerwand projiziert wurde. Für mich war sie besonders persönlich, weil mein Sohn das Schild hält auf dem Foto (das Jesusgesicht in der Endmontage ist freilich ein anderes). Es hat mich schon die ganze Karwoche über begleitet.

Den Kindern anderer Menschen Gewalt anzutun ist eine der übelsten Formen des Terrors – etwas, das im Repertoire der organisierten Kriminalität ebenso wie bei zahlreichen Diktatoren auftaucht. Dagegen kann man sich noch weniger wehren als gegen Schmerz, den man am eigenen Leib spürt. Es ist eine doppelte Geiselnahme: Auch der, der körperlich unversehrt bleibt, wird zum Opfer von Folter und Erpressung.

Maria folgt trotz dieser Qualen ihrem Sohn durch diese letzten Stunden; sie ist deshalb auch eine der Frauen, denen der Auferstandene an Ostern zuerst begegnet. Und damit ist sie für alle Christen ein Vorbild: Wer in der Nähe des Leidenden bliebt, der wird auch Zeuge der Macht Gottes über den Tod. Wer sich abwendet, wer sich raushält, wer sich zurückzieht, der verpasst das Wichtigste.

Dass dieses schmerzhafte Dranbleiben auch eine politische Dimension hat, hat Jakob Augstein heute in seiner Kolumne auf SPON herausgestellt:

Man muss kein Christ sein um die Bedeutung der Auferstehung schätzen zu lernen. Die Auferstehung ist der Sieg des utopischen Denkens. Und zwar im Diesseits. Nicht in irgendeinem Wolkenkuckucksheim. Das ist der Triumph der Utopie über die Hoffnungslosigkeit des Todes. Der Tod kommt daher wie ein Finanzkapitalist und sagt „There is No Alternative“ – und dann straft die Auferstehung Christi diese Worte Lügen. Das ist unerhört. Es gibt eine Alternative.

Wir sind gewiss nicht immun gegen Schmerz; aber die Hoffnung darauf, dass das Leid nicht das letzte Wort hat, kann uns weniger erpressbar machen. Frohe Ostern!

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Herausfordernde Perspektive auf den Jesus der Evangelien

N.T. Wright habe auf diesem Blog ja in schöner Regelmäßigkeit erwähnt. Mit Jesus und der Sieg Gottes (aus aktuellem Anlass kein Link zu amazon.de) ist sein bislang vielleicht wichtigstes Werk nun im Francke-Verlag auf Deutsch erschienen. Warum es mit der Übersetzung etwas gedauert hat, wird sofort klar, wenn man den stattlichen Band in der Hand hält. Sich nun vom Umfang abschrecken zu lassen, wäre ein sehr bedauerliches Versäumnis. Denn Wrights Untersuchung der Jesusworte und -geschichten aus den ersten drei Evangelien ist im Unterschied zu vielen mehr oder weniger aktuellen und originellen Aufgüssen ein selten mutiger, in sich stimmiger und im Blick auf die Texte ungemein erhellender Neuansatz.

Der Neutestamentler aus St. Andrews greift zurück auf Albert Schweitzer, der vor über 100 Jahren erkannte, dass man entweder den Ansatz konsequenter Kritik gehen kann (und dann in der Sackgasse radikaler Skepsis landet), oder in Rechnung stellen muss, dass Jesus als Jude im ersten Jahrhundert ein ganz anderes Bild Gottes Eingreifen in die Weltgeschichte hatte, als wir heute. Wright gibt Schweitzers These aber eine überraschende Wendung: Während der nämlich noch geglaubt hatte, Jesus habe irrtümlich den Anbruch des Weltendes erwartet, ordnet Wright die Verkündigung vom Reich Gottes in den Horizont der jüdischen Prophetie ein: Nicht das Ende der Geschichte Israels und der Welt, sondern ihr Höhepunkt und die entscheidende Wende stehen bevor. Und Jesus selbst ist die Schlüsselfigur in diesem göttlichen Drama.

Aus dieser Perspektive liest Wright viele Jesusworte, die andere auf „Wiederkunft“ und „Weltende“ gedeutet hatten, als stimmige Beschreibung und Erklärung dessen, was sich durch Jesu Wirken und vor den Augen seiner Nachfolger und Gegner ereignet – mitten in der Geschichte. Aus dem scheinbar weltfremden Gottmenschen traditioneller Auslegungen, der primär mit der Frage befasst zu sein scheint, wie man nach dem Tod „in den Himmel“ kommt, wird in Wrights lebendiger Darstellung ein politischer Messias, der damit rechnet, dass Gott durch sein Wirken und seinen Märtyrertod mitten in der „alten“ Welt der verheißenen neuen Schöpfung die Tür öffnet.

Die 866 Seiten (ohne Anhänge ca. 750) sind eine äußerst anregende und auch für theologisch interessierte Laien gut verständliche Entdeckungsreise, von der man bereichert zurückkehrt, und die knapp 40 Euro kann man kaum besser investieren! Wer 20 Seiten am Tag liest, ist bis Ostern durch!

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Entkernter Glaube

Die Zeit berichtet von Alain de Botton, der als Atheist groß geworden ist und irgendwann begann, die spirituelle und zwischenmenschliche Verarmung seines (Un?)Glaubens durch religiöse Riten aufzubessern. Denn inzwischen hat auch die Forschung entdeckt, dass Glaube gesundheitsfördernd ist. Das Spannende an de Bottons „Religion für Atheisten“ ist nun seine Annahme, man könne sich aus diesem Baukasten gewinnbringend bedienen, ohne dabei das, was religiöse Menschen selbst für die Hauptsache halten, zu übernehmen. Nun haben sich mit Zen und Yoga schon etliche ursprünglich religiöse Übungen aus ihrem Zusammenhang lösen lassen. Dennoch wirkt das Ganze recht künstlich auf mich.

Das Verbindende am christlichen Glauben (analog dürfte das für die meisten anderen Religionen auch gelten) ist ja die Erfahrung, dass man eine Art Schicksalsgemeinschaft bildet, die man sich nicht ausgesucht hat; sondern man wird unversehens von einem Gott, der „das Verlorene“ sucht, gefunden und adoptiert und findet sich als Teil einer unmöglichen Familie wieder, die zudem seit Abrahams Zeiten auf einem gemeinsamen Weg ist auf ein nach menschlichem Ermessen unerreichbares Ziel hin.

Der ganze Artikel betrachtet, wie de Botton ja auch, jede Form von Glauben ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Nützlichkeit. Das ist eine sehr eingeschränkte Perspektive, so etwas wie Selbsttranszendenz kommt dabei gar nicht richtig in den Blick. Sie ist immerhin ein Fortschritt gegenüber anderen Formen des Atheismus, die Religionen als den Hort aller Bosheit und Dummheit im Verdacht haben und ganz einseitig die negativen Folgen und pathologischen Formen von Religiosität herausstellen.

Aber reicht das aus, um Menschen dazu zu bringen, sich auf eine bestimmte Praxis dauerhaft einzulassen, wenn man ihnen erklärt, dass es ihrer Gesundheit und Zufriedenheit dient? Solche Programme gibt es viele und sie alle stiften nur einen ganz begrenzten Zusammenhalt unter Menschen. Im Prinzip müsste schon die Beobachtung nachdenklich machen, dass ausgerechnet jene Formen des Christentums rapide an Zusammenhalt einbüßten, die den Gedanken einer aktiven Einwirkung Gottes auf Welt und Menschen als Zumutung an den modernen Menschen empfanden und daher deistisch oder existenzialistisch auflösten.

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Hin- und hergerissen

Rowan Williams hat es empfohlen, Brian McLaren fand es stark, und Tony Campolo hat es zur Pflichtlektüre erklärt: Torn. Rescuing the Gospel from the Gays-vs.-Christians Debate von Justin Lee. Ich werde in den nächsten Wochen den einen oder anderen Erkenntnisgewinn aus der Lektüre hier posten.

Bisher war es ein großer Gewinn. Lee schreibt sehr persönlich, wie er in einem sehr liebevollen christlichen Elternhaus groß wurde und als Jugendlicher entdeckte, dass er homosexuell ist. Damit begann die Suche nach Erklärungen, nach Verständigung, nach einer überzeugenden Perspektive für sein Leben als bewusster Christ. Der Mann ist hochintelligent und hat eine gute Art zu schreiben. Nicht die schlechteste Ausgangslage!

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Schaudern und Staunen, oder: Showdown und „Showup“

Unsere Zeit scheint, wenn man dem Hollywood-Kino glauben darf, auf Untergangsszenarien aller Art abzufahren. Blockbuster wie Godzilla, Deep Impact, I am Legend oder 2012 – Das Ende der Welt haben die sorgfältig verdrängten kollektiven Ängste zum Beispiel thematisiert. Dort wird die Beschäftigung mit der Katastrophe zu Katharsis, zur läuternden Erfahrung: Angesichts einer Gefahr, die allen gilt, und von Leid, das jeden trifft, finden die Völker der Erde und einzelnen Menschen über alle trennenden Grenzen zurück zur ersehnten Einheit. Und nachdem die monströse Gefahr oft selbstverschuldet ist, weil wir Menschen viele der dort gezeigten Szenarien zu verantworten haben, ist damit oft auch die Einsicht verbunden, dass wir uns nicht beklagen können, wenn es knallt. Man darf auf seinem Plüschsessel im verdunkelten Kinosaal ein paar Sekunden über diese latente Ahnung nachdenken, dass es möglicherweise nicht gut enden könnte, wenn wir alle so weiter machen. Am Ende geht man erleichtert nach Hause und hofft, dass der künstliche Schrecken uns irgendwie besser gemacht hat.

Jede Zeit, jeder Kulturkreis hat eine eigene Untergangssymbolik. Seit der Antike sind Städte Sinnbild solcher Abrechnungen: Ninive und Babylon im Alten Orient, Rom in der Spätantike und wieder im Spätmittelalter – und heute lässt jeder Regisseur, der etwas auf sich hält, New York City untergehen, die Stadt ist das Symbol der modernen Zivilisation schlechthin. Der Unterschied heute ist, dass die Krise zum Dauerzustand geworden ist: Ökologisch, wirtschaftlich, sozial und kulturell. Dabei tritt die Frage nach Einzelschicksalen zurück, das gefährdete Überleben Menschheit als Ganzes dagegen rückt in den Vordergrund. Ganz ähnlich ist es auch in Offenbarung 18,1-3 der Fall. Ich zitiere nach der NGÜ:

Danach sah ich einen Engel, der vom Himmel herabkam. Er war mit großer Vollmacht ausgestattet, und die Erde wurde vom Glanz seiner Herrlichkeit erleuchtet. Mit gewaltiger Stimme rief er: »Sie ist gefallen! Gefallen ist die mächtige Stadt Babylon! Sie ist zu einer Behausung der Dämonen geworden, zum Tummelplatz von bösen Geistern aller Art, zum Nistplatz aller unreinen Vögel und zum Schlupfwinkel für alles unreine und Abscheu erregende Getier. Denn alle Völker haben vom Wein ihrer Unmoral getrunken und damit den furchtbaren Zorn Gottes über sich gebracht. Die Mächtigen der ganzen Erde waren ihre Liebhaber, und die maßlose Verschwendungssucht dieser Hure brachte dem Handel einen solchen Aufschwung, dass die Geschäftsleute in aller Welt dadurch reich wurden.«

Babel reloaded

Schon im Jesajabuch ist Babylon das Urbild der rabiaten Supermacht. Jahrhundert später noch gilt es als Inbegriff von Prunk, Größenwahn und monströsem Götzenkult. Seine Selbstherrlichkeit und maßlose Gier fordern das Gericht Gottes heraus, dessen Boten das Schlimmste zu befürchten haben, wie das Danielbuch schildert. In Markus 13 beschreibt Jesus die Stadt Jerusalem als eine Art „Babel reloaded“ und kündigt ihr die Zerstörung an, die im Jahr 70 auch tatsächlich eintritt. Und nachdem dies nun schon geschehen ist, rückt Rom, die „ewige Stadt“, ins Visier des Sehers Johannes. Diesmal wird es noch bis zum August 410 dauern, aber dann gehen auch in Rom die Lichter aus. Die Initiative dafür, daran lässt Johannes keinen Zweifel, liegt bei Gott:

Nun hob ein mächtiger Engel einen Stein hoch, der so schwer war wie ein riesiger Mühlstein, schleuderte ihn ins Meer und rief: »Genauso wird es Babylon ergehen, der großen Stadt! Mit aller Wucht wird sie in die Tiefe geschleudert werden, und nichts wird von ihr übrig bleiben. Weder Harfenklänge noch Gesang, weder Flötenspiel noch Trompetenschall werden je wieder in deinen Mauern zu hören sein, Babylon. Kein einziger Handwerker wird je wieder sein Handwerk in dir ausüben. Nie wird man deine Mühlen wieder mahlen hören. Das Licht deiner Lampen ist für immer erloschen und der Jubel von Bräutigam und Braut für immer verstummt.

So wird es dir ergehen, Babylon, weil deine Geschäftsleute auf der ganzen Erde als die großen Herren auftraten und weil du mit deinem verführerischen Zauber alle Völker irregeleitet hast. Ja, so wird es der Hure Babylon ergehen, weil an ihren Händen Blut klebt – das Blut der Propheten, das Blut derer, die zu Gottes heiligem Volk gehören, und überhaupt das Blut aller, die je irgendwo auf der Erde umgebracht wurden.« (18,21-24)

Drei Gruppen treten aus dem Chor der Entsetzten hervor: Die Könige, die Kaufleute und die Kapitäne. Heute würden wir vermutlich sagen: Promis und Politiker, Banker und Börsianer, Vielflieger und Logistikexperten. Die Profiteure des weltumspannenden Ausbeutungssystems betrachten fassungslos, wie ihre Weltordnung untergeht. Eine Ordnung, die anderen Menschen den Preis für den eigenen Luxus abverlangt, wo die Unfreiheit vieler die grenzenlose Freiheit Weniger ermöglicht, wo dem Ruhm und Glanz einer Elite die Menschenwürde der Mehrheit geopfert wird. Und das alles im Namen des Gott-Kaisers. Die weinenden Kaufleute beschreiben auch noch genau, um welche Luxusgüter es sich im einzelnen handelt.

Untergang und Aufgang

Jürgen Roloff schrieb zu diesem globalen Showdown: „Der Zusammenbruch einer Wohlstandsgesellschaft ist hier geschildert, deren unersättliche Gier nach kostbaren Gütern Folge und Symptom ihrer Vergötzung menschlicher Macht und Möglichkeiten ist.“ Das klingt erschreckend modern! Und wie bei unseren modernen „Apokalypsen“, ob nun durch Krieg oder Klimawandel, nuklearen oder ökonomischen SuperGAU herbeigeführt, hinter denen wiederum nur der alte Expansions- und Eroberungsdrang, die gnadenlose Ausbeutung von Mitmensch und Natur stehen, ist hier völlig klar, dass der Schrecken, den Rom jahrhundertelang exportiert hat, nun mit Zinsen an seinen Ursprungsort zurückkehrt: „Handelt an ihr, wie sie selbst gehandelt hat! 
Zahlt ihr doppelt zurück, was sie anderen angetan hat“, heißt es im Text.

Da, wo unsere Filme normalerweise enden, ist für Johannes noch lange nicht Schluss. Die eine Stadt wird untergehen, aber eine andere geht auf. Im Kapitel 21 lesen wir:

Danach sah ich einen neuen Himmel und eine neue Erde. Der frühere Himmel und die frühere Erde waren vergangen; auch das Meer gab es nicht mehr. Ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen, schön wie eine Braut, die sich für ihren Bräutigam geschmückt hat. Und vom Thron her hörte ich eine mächtige Stimme rufen:

»Seht, die Wohnung Gottes ist jetzt bei den Menschen! Gott wird in ihrer Mitte wohnen; sie werden sein Volk sein – ein Volk aus vielen Völkern, und er selbst, ihr Gott, wird immer bei ihnen sein. Er wird alle ihre Tränen abwischen. Es wird keinen Tod mehr geben, kein Leid und keine Schmerzen, und es werden keine Angstschreie mehr zu hören sein. Denn was früher war, ist vergangen.«

Daraufhin sagte der, der auf dem Thron saß: »Seht, ich mache alles neu.«

Es folgt eine Beschreibung vollkommener Maße und Materialien, die alles in den Schatten stellen: Die neue Stadt, die vom Himmel auf die Erde herabkommt, ist ein Würfel (der galt damals als ideale geometrische Form) von rund 2000 km Kantenlänge. Die ganze Szene erinnert an Ezechiels Vision des neuen Tempels, aber die Schilderung ist dramatisch gesteigert, Stadt und Tempel sind zu einer Gesamtheit verschmolzen:

Die Mauer war aus Diamanten gebaut, und die Stadt selbst bestand aus reinem Gold, das wie geschliffenes Kristall schimmerte und glänzte. … Die zwölf Stadttore bestanden aus zwölf Perlen; jedes Tor war aus einer einzigen Perle geformt. Und die breite Straße, die mitten durch die Stadt führte, war aus reinem Gold und durchscheinend wie Kristall.

Einen Tempel sah ich nicht in der Stadt. Der Herr selbst, der allmächtige Gott, ist ihr Tempel, er und das Lamm. Auch sind weder Sonne noch Mond nötig, um der Stadt Licht zu geben. Sie wird von der Herrlichkeit Gottes erhellt; das Licht, das ihr leuchtet, ist das Lamm. Die Völker werden in dem Licht leben, das von der Stadt ausgeht, und von überall auf der Erde werden die Könige kommen und ihren Reichtum in die Stadt bringen. Die Tore der Stadt werden den ganzen Tag geöffnet sein; mehr noch: Weil es dort keine Nacht gibt, werden sie überhaupt nie geschlossen. Die herrlichsten Schätze und Kostbarkeiten der Völker werden in die Stadt gebracht. Aber etwas Unreines wird dort niemals Einlass finden.

Der Engel zeigte mir auch einen Strom, der wie Kristall glänzte; es war der Strom mit dem Wasser des Lebens. Er entspringt bei dem Thron Gottes und des Lammes und fließt die breite Straße entlang, die mitten durch die Stadt führt. An beiden Ufern des Stroms wächst der Baum des Lebens. Zwölfmal im Jahr trägt er Früchte, sodass er jeden Monat abgeerntet werden kann, und seine Blätter bringen den Völkern Heilung.

Alles wird neu

Nicht nur die Architektur, nicht nur die materielle, äußere Seite, sondern auch die unsichtbare, innere, spirituelle Seite des Lebens (der neue „Himmel“). Das unheimliche Meer, dem in Kapitel 12 und 13 die Monster entstiegen waren, ist verschwunden. Nun entfaltet sich Gottes Stil der Globalisierung: Tore und Mauern der Stadt grenzen hier nicht mehr aus, sie haben nur noch dekorativen Charakter und stehen ständig offen, für alle Völker und Kulturen. Der vorhandene Reichtum wird geteilt statt gehortet und verteidigt. Und um die Stadt herum, ja schon mitten in ihr, entsteht ein Paradiesgarten: Natur und Kultur sind versöhnt, kein Mensch herrscht über den anderen mehr.

Unsere Untergangsszenarien handeln vom albtraumhaften Ende ohne neuen Anfang, hier überstrahlt der Anfang das Ende. Zwar fällt auf: Auch unsere großen Städte haben schon Bewohner aus aller Welt und brauchen kaum noch natürliches Licht, man kann rund um die Uhr arbeiten und einkaufen, studieren und sich die Zeit vertreiben. Mit immer höheren Wolkenkratzern imitieren wir sogar die kubische Form des neuen Jerusalem. Aber es ist eben nicht Gottes Herrlichkeit, die sie beleuchtet, nicht die Liebe des Schöpfers zu seiner Welt und den Menschen, die alles regiert. Und das Kunstlicht kann nicht verdecken, dass viele unter den Schattenseiten des Lebens leiden. Noch lange nicht alle Ängste sind beseitigt, nicht alle Tränen getrocknet. Mehr als eine müde Parodie will uns noch nicht so recht gelingen.

Was bedeutet das für uns hier und jetzt?

In manchem erinnert die Szene an die Jahreslosung 2013: „Wir haben keine bleibende Stadt, sondern suchen die Kommende.“ Es gibt eine richtige und eine falsche Identifikation mit unserer Zivilisation. Die falsche wäre: Wer in Rom/Babel/NewYork/Shanghai aufgeht, seine Selbstgefälligkeit übernimmt und die Augen vor der Not und dem Unrecht verschließt, geht mit unter. Denn Babel und seine Abziehbilder aller Art „bleiben“ nicht. Jedes Unrechtsimperium trägt dem Keim der Selbstzerstörung schon in sich. Das ist erst einmal eine befreiende Botschaft!

Denn der eine Gott steht vor allem auf der Seite derer, die die Kosten für Fortschritt, Wachstum und billige Produktion tragen. Derer, die außen vor bleiben im Wettlauf um Konsumgüter und sozialen Aufstieg. Hier kommt die richtige Identifikation ins Spiel: Mit unserer begrenzten Kraft können wir nicht gleichgültig, aber doch gelassen ausharren in einer Welt, auf die der Schatten des Gerichts schon fällt, aber auch der Schatten der himmlischen Stadt. Weder müssen wir enttäuscht vor dem Status Quo kapitulieren, noch mit einem Messiaskomplex herumlaufen und meinen, wir könnten die Welt und unsere Mitmenschen im Hau-Ruck-Verfahren reparieren. Wir müssen uns nicht zum Himmel aufschwingen, er kommt zu uns herab.

Gelassenheit statt Getriebensein

Pater Benigno Beltran stammt von den Philippinen und hat in Europa studiert. Nach einer tiefen Krise ging er zurück und zog zu den Schwestern von Mutter Theresa am Smokey Mountain, dem Müllberg von Manila – vor den Toren der Metropole lebten die Armen und versuchten, mit den verwertbaren Resten des Abfalls ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Er wird zum Freund der Armen und bleibt doch auch ein Fremder. Aber im Angesicht des Elends begegnet er Gott neu in den Menschen vom Müllberg. Er schreibt in diesem Buch:

Die Armen haben mich davor bewahrt, von einer dringenden Angelegenheit zur nächsten gehetzt zu werden und ein Fremder meines eigenen Herzens zu werden. Sie haben mich in meinen Wunsch bestärkt, in der Gegenwart des Dreieinen zu verweilen, seinen Ruf zu hören, seine Schönheit zu bestaunen und seine Güte zu schmecken, statt mich auf Workshops und Machbarkeitsstudien zu verlassen. Der prophetische Dialog mit den Armen hat etwas mit der Ehrfurcht zu tun, die zulässt, dass Gott die Fähigkeiten in uns weckt, vor deren Wahrnehmung wir uns fürchten. Es geht um das Sein, nicht um das Tun.

Er ist nun gelassener geworden, kein Getriebener mehr, der anderen seine Vorstellungen von Fortschritt, Verbesserung Reform und sozialem Aufstieg aufdrängt. Mit der Zeit hat sich Vieles zum Guten verändert auf Smokey Mountain. Rückblickend formuliert Beltran:

„Ich kann immer noch nicht sagen, ob ich bei diesen Bemühungen ein Mystiker, ein Prophet oder ein Technokrat oder alles zusammen bin. Ich weiß nur, dass die Geschichte meines Lebens nicht länger eine Geschichte der Eroberung, sondern der Entdeckung sein sollte.“

Der Mystiker und Prophet entdeckt mitten im Dunkel der Armut Gott, mitten in Babel ein Stück neues Jerusalem. Wie würde das bei uns aussehen, wo die Gegensätze vielleicht weniger schroff sind? Und dann kann er – als „Technokrat“ – auch wieder pragmatisch handeln, um die Gegenwart ein Stück gerechter und erträglicher zu machen. Ein Träumer ist er also nicht. Aber er ist auch kein „Fremder seines eigenen Herzens“ geworden und das Staunen hat nicht aufgehört.

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Inklusion und Integrität

Ich sitze gerade am Thema der Allianz-Gebetswoche für Donnerstag. Epheser 2,13ff spricht von der Wand der Feindschaft, die durch den Tod Christi eingerissen wurde. Am Kreuz offenbart sich, dass Juden und Heiden gemeinsam den Tod Gottes herbeiführen und daher in gleichem Maße vergebungsbedürftig sind. Es zeigt sich auch, dass das Wissen um Gottes Gesetz Israel nicht besser gemacht hatte als andere Völker und Kulturen. Und dass eine neue Menschheit, die sich nicht mehr durch Ausgrenzung der jeweils anderen definiert, und die Gewalt nicht durch die Vernichtung des Feindes, sondern im eigenen Inneren besiegen will, nur durch den Geist Gottes entstehen kann, der allen geschenkt wird, die Gottes Friedensangebot annehmen.

Passend dazu las ich heute in einem Bericht über einen Vortrag des Schriftstellers Wendell Berry bei einer Pastorenkonferenz von Baptisten in den USA dies:

Die Verurteilung nach Kategorisierungen ist die niedrigste Form von Hass, denn sie ist kaltherzig und abstrakt, ihr fehlt sogar der Mut, persönlich zu hassen (…) Kategorische Verurteilung ist der Hass des Mobs. Er macht Feiglinge tapfer. Und es gibt nichts Furchterregenderes als einen religiösen Mob, einen Mob, der vor Gerechtigkeit strotzt – wie bei der Kreuzigung, wie davor und seither. Das kann erst dann geschehen, wenn wir Freundlichkeit kategorisch verweigern: gegenüber Ketzern, Ausländern, Feinden oder jeder anderen Gruppe, die anders ist als wir selbst.

Wendell Berry bezog sich dabei konkret auf die Diskussion über gleichgeschlechtliche Ehen und Partnerschaften in den USA und die Positionen konservativer Christen. Während Berry kirchliche Einflussversuche auf staatliche Gesetzgebung kritisiert, hat Steve Chalke, einer der prominentesten Evangelikalen Großbritanniens, die Inklusion Homosexueller als eine Frage der Integrität bezeichnet. Die Furcht vor Ablehnung hätte für viele homosexuelle Christen schlimme Folgen gehabt. Er sei sich bewusst, dass es unterschiedliche Interpretationen und Positionen in dieser Frage gebe, schreibt Chalke in dieser ausführlichen Stellungnahme, und kommt zu dem Schluss:

I believe that […] I am called to offer support, protection, and blessing in the name of Christ, the definition of justice, reconciliation, and inclusion, who beckons each one of us out of isolation into the joy of faithful relationship.

Rather than condemn and exclude, can we dare to create an environment for homosexual people where issues of self-esteem and wellbeing can be talked about; where the virtues of loyalty, respect, interdependence and faithfulness can be nurtured, and where exclusive and permanent same-sex relationships can be supported?

Das Irritierende an der Inklusionsdebatte ist freilich die Erfahrung, dass Vertreter eines exklusiven Kurses in dem Moment, wo sie kritisiert werden, nun ihrerseits vehement über Ausgrenzung klagen (so wie manche Männer sich von Frauenquoten schlimm diskriminiert fühlen, umgekehrt aber nie ein Problembewusstsein an den Tag gelegt hatten). Dabei, so schreibt Michael Kimpan aus aktuellem Anlass für redletter christians, ernten sie am Ende nur das, was sie über Jahre und Jahrzehnte selbst gesät haben. Statt Armeen aufzustellen sollte man lieber Brücken bauen.

Ist die Haltung gegenüber Homosexualität (oder die geschlechtliche Orientierung) heute das, was damals zur Zeit des Epheserbriefes das jüdische Gesetz war? Für wie viel Unterschiedlichkeit ist Platz unter Christen, wie kann man damit konstruktiv umgehen und wo sind tatsächlich Grenzen erreicht, etwa im Tolerieren von Intoleranz? Lässt sich das überhaupt abstrakt definieren, oder muss man sich in die konkrete Auseinandersetzung begeben, das Risiko von Blessuren eingehen und mitten in dem ganzen inneren und äußeren Aufruhr immer wieder neu fragen, was dem Frieden Christi in der jeweiligen Situation dient?

Konflikte zu übergehen und totzuschweigen jedenfalls gehört vermutlich nicht dazu. Vielleicht aber ist Wendell Berrys Hinweis auf die Kategorisierungen (oder Pauschalisierungen) der beste Ansatzpunkt zum Weiterdenken.

PS: Wen’s interessiert – ein paar Gedanken zum schwierigen Hintergrund der (Nicht-)Debatte habe ich im Laufe des Dezembers hier, hier und hier gepostet

PPS: Habe ich diesen Klassiker von Miroslav Volf zum Thema schon erwähnt? 😉

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Sühnetheorien: Geht’s auch ohne?

Ob rituelles Opfer, mythischer Kampf oder Lösegeld – traditionelle Sühnetheorien stehen nicht erst seit gestern schwer in der Kritik. Das entscheidende Problem dabei ist, dass sie ihre Plausibilität deshalb verloren haben, weil der Deutungsrahmen, dem sie entstammen, heute so nicht mehr existiert: Niemand (außer ein paar Voodoo-Freaks) tötet noch Tiere und verspritzt Blut, kaum jemand fühlt sich in unseren Breiten von böswilligen Geistern und Himmelswesen bedrängt, und metaphysische Transaktionen zur Lösung des Schuldproblems führen nur allzu leicht zu reichlich schrägen Gottesbildern.

Vor ein paar Monaten haben ich mit einer Gruppe einen ganzen Tag lag über diese Themen nachgedacht, wir haben einiges dekonstruiert oder – so muss man das vermutlich sagen – festgestellt, dass sich die klassischen Sühnetheorien eben selbst dekonstruiert haben. Sie waren zu erfolgreich! Und dann standen wir vor der Verlegenheit, wie man denn jetzt vom Kreuz reden soll, ohne auf die ausgelutschten Klischees zurückzugreifen.

Ich spürte in der Gruppe die Hoffnung, dass nun jemand eine neue Master-Metapher aus dem Hut zaubern könnte, an die wir uns ab jetzt halten und die wir in unseren Predigten und Gesprächen fortan benutzen können. Ich hatte nur leider keine auf Lager. Dass Jesus „für uns gestorben“ ist, zweifelt dabei ja kaum jemand an. Nur wie man sich die Wirkung dieses Todes erklären soll, das ist offener denn je.

Ich will nicht ausschließen, dass irgendein „Anselm reloaded“ demnächst einen Geniestreich landet und uns für die nächsten Jahrzehnte einen stabilen, stimmigen und universal gültigen Deutungsrahmen liefert. Momentan erscheint es mir aber unwahrscheinlich – unsere Welt ist viel zu uneinheitlich geworden, und was für den einen ganz selbstverständlich ist, findet der nächste schon völlig absurd.

Anstrengender, aber vielleicht unvermeidlich ist der Weg, den Andrew Perriman einschlägt: Solche Theorien und Master-Metaphern hinter sich zu lassen und die neutestamentlichen Texte Schritt für Schritt so nachzubuchstabieren, dass sie in unsere Situation wieder hineinsprechen:

We still come to God as sinners, trapped in a corrupted order of things from which we are powerless to escape. We may still need to say, quite simply, that Jesus died for our sins so that we may be part of a people reconciled to the God who brought it into existence to be “new creation”. Jesus’ death has opened up to me personally the possibility of being a player in God’s new world. But the continuing dependence of the people of God on the death of Jesus needs to be construed and explained not in abstract theoretical terms but narratively, historically—and of course, biblically.

Wir kommen immer noch als Sünder zu Gott: gefangen in einer verkommenen Ordnung der Dinge, ohnmächtig, ihr zu entkommen. Wir müssen vielleicht immer noch ganz einfach sagen, dass Jesus für unsere Sünden starb, damit wir Teil eines mit Gott versöhnten Volkes sein können, das er zu einer „neuen Schöpfung“ gemacht hat. Jesu Tod hat mir persönlich die Möglichkeit eröffnet, ein Akteur in Gottes neuer Welt zu werden. Aber die anhaltende Abhängigkeit des Volkes Gottes vom Tod Jesu darf nicht mit abstrakten theologischen Begriffen konstruiert und erklärt werden, sondern narrativ, historisch – und natürlich biblisch.

In der Bibel finden sich neben den erwähnten Metaphern viele Erzählzusammenhänge, die sich auf unsere Lebenswirklichkeit beziehen lassen, wenn man sich die Zeit nimmt, genau hinzuschauen. Sie lassen sich von den Evangelien über die Briefe bis ins Leben der alten Kirche weiterverfolgen, was den Vorteil bietet, dass sie nicht nur ein zurückliegendes Ereignis erklären, sondern auch zu einer bestimmten Lebensweise einladen. Recht gut gelungen ist das beispielsweise in Ted Jennings‘ Buch  Transforming Atonement: A Political Theology of the Cross, das ich hier verschiedentlich schon erwähnt habe.

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Monster und Märtyrer

Das neue Jahr beginnt hier mit einem Nachtrag aus dem alten: In unserer Reihe zur Offenbarung des Johannes haben wir den Advent aber so interpretiert, dass er mehr im Horizont der zweiten als der ersten Ankunft Christi steht; daher ist es auch ganz und gar nicht unweihnachtlich, wenn da von Monstern und Märtyrern die Rede ist, sondern eher als ein leicht verfrühter Beitrag zum Stephanustag zu verstehen.

In einem an Actionszenen nicht gerade armen Buch sind die Kapitel 12 und 13 zwar noch nicht der furiose Showdown, aber die für das Genre typische dramatische Verfolgungsjagd findet hier statt. Was das mit uns zu tun hat? Viel mehr, als die meisten denken. Hier geht’s zum Podcast.

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Die Angst vor dem Dammbruch (3)

„Wo die Angst vor dem Dammbruch herrscht, ist der Damm gegen die Angst schon gebrochen“ twitterte @trans4mission auf meinen zweiten Blogeintrag unter dieser Überschrift zurück.

Worum ging es? Ich hatte in den beiden bisherigen Posts grob skizziert, wie sich evangelikale Identität häufig konstituiert: Als Kontrastverhältnis zur „Welt“ und verweltlichten Christenheit, das sich an bestimmten Punkten festmacht. Ich habe auch skizziert, dass es seit den Tagen Speners keineswegs immer gelungen ist, dem eigenen Reinheitsideal gerecht zu werden.

Bis heute wird im konservativen Flügel des Evangelikalismus das Gebiet der Familie und Sexualethik zur Profilierung genutzt. Aber auch hier hat es starke „Erosionen“ des Dammes gegeben, besser sollten wir vielleicht von pragmatischen Anpassungen an eine veränderte gesellschaftliche Wirklichkeit reden:

Scheidung und Wiederheirat haben sich zunehmend durchgesetzt, längst nicht alle jungen Paare warten mit „dem ersten Mal“ bis zur Hochzeitsnacht (im Unterschied zu früher sind dabei kaum noch Heimlichkeiten nötig). Auch diese Dämme sind also gebrochen, das wird mal erleichtert, mal frustriert durchaus anerkannt. Die einen rechtfertigen das theologisch, die anderen lassen den Widerspruch einfach stehen. Inzwischen ordinieren auch viele Freikirchen Frauen und die Geschlechterrollen aus dem 19. Jahrhundert (von manchen irrtümlich für „biblisch“ gehalten) sind auch aufgeweicht, nur eben eine Generation später als in „liberaleren“ Milieus.

Jetzt bleibt nur noch ein Thema, das die ganze Last des Unterschieds (und damit auch des Nachweises der „Bibeltreue“!) tragen muss. Ist es am Ende gar nicht deshalb noch „übrig“, weil die biblischen Aussagen hier so klar und unmissverständlich sind wie an anderen Punkten nicht, sondern weil Homosexuelle eben recht konstant zwischen ein und drei Prozent der Gesamtbevölkerung darstellen? Parallel nahm die Zahl Geschiedener und Alleinerziehender in den letzten Jahrzehnten deutlich zu und mit ihr der Handlungsdruck an diesen Punkten – bis die pluralistische Gesellschaft anfing, konservative Protestanten und Katholiken massiv als „homophob“ und intolerant ins Kreuzfeuer zu nehmen.

Es gibt durchaus Grund, auf eine Veränderung zu hoffen. Ein Umdenken ist gerade unter jüngeren Evangelikalen in vollem Gang. Zwar halten etliche an einer konservativen Position fest (d.h.: wer homosexuelle Neigungen hat, soll enthaltsam leben) und wollen nur die rhetorische Stigmatisierung Homosexueller verhindern. Eine ganze Reihe wissen noch nicht (oder nicht mehr), wo genau sie theologisch stehen, wollen aber unter keinen Umständen den harten Abgrenzungskurs früherer Jahrzehnte fortführen. Wieder andere sind längst bereit, hier neue Wege zu gehen; einige tun es stillschweigend und leiden zugleich unter der Sprachlosigkeit ihrer Gemeinden und Verbände.

Allerdings wird diese Veränderung noch eine Weile dauern. Denn egal, wohin man sieht, es dominieren momentan die Ängste: Angst vor Profilverlust bei den konservativeren Evangelikalen, Angst vor Ausschluss, Karriereknick oder Entlassung bei den Progressiveren, Angst vor Spaltungen in Gemeinden, Gremien und Organisationen bei den Moderaten, vor Spendeneinbruch und gekündigten Abonnements bei Verlagen und Werken.

Zusätzlich schwer macht es die nicht immer nur feinfühlige Kritik von ganz außen, die es den Unbeweglichen ermöglicht, mit einem Schuss Christenverfolgungsrhetorik die Solidarität der Unentschlossenen einzufordern: Eine Position, die man unter großen Opfern verteidigt hat, kann man schon allein deshalb nicht aufgeben, weil damit das Erbe der Väter mit Füßen getreten wird und der heldenhafte Kampf früherer (und zum Teil noch lebender) Generationen als sinnlos dastehen würde. Wer es doch tut, begeht damit Verrat an der gemeinsamen Sache und knickt vor den Drohungen der Feinde ein.

Wie könnte der Weg aus der Angst aussehen? Ich komme zurück zum Buch von Miroslav Volf und dem Verständnis von Identität und Anderssein, das er dort entfaltet. Es hat drei Komponenten:

1. Eine „katholische“ kulturelle Identität – Mir ist bewusst, der/die/das Andere gehört auch zu mir, jedes Ich oder Wir bleibt immer „hybrid“ und ist nie völlig statisch und stabil. „Katholisch“ ist hier nicht konfessionell gemeint und bedeutet, ich setze nicht einseitig auf Trennung.

2. Eine „evangelische“ Persönlichkeit – Das Evangelium ermöglicht Menschen aus allen Kulturen eine heilsame Umkehr, indem es ihnen eine Distanz zum vorgeprägten Selbst ermöglicht und damit auch eine Unterscheidung der Geister ermöglicht, die mehr ist als nur die Ablehnung des Fremden und Neuen mit anderen Mitteln.

3. Schließlich führt das in eine ökumenische Gemeinschaft – Volf schreibt in Von der Ausgrenzung zur Umarmung: „Während wir den Blick auf die Zukunft Gottes gerichtet halten, müssen wir über die Gefechtslinien unseren Brüdern und Schwestern auf der anderen Seite die Hand reichen. Wir müssen es zulassen, dass sie uns aus der Verschlossenheit von der eigenen Kultur und ihren jeweiligen Vorurteilen herausziehen, damit wir wieder neu das „eine Wort Gottes“ lesen können. So könnten wir wieder Salz werden für eine Welt, die vom Streit geplagt wird.“

Im Grunde treffen hier zwei Gruppen zusammen, die sich als Minderheiten verstehen und damit manche schmerzlichen Erfahrungen verbinden: Evangelikale und Homosexuelle. Das wäre doch schon ein Ansatzpunkt, an dem man sich die Hand reichen kann, um dann Ängste zu überwinden, Verletzungen zu thematisieren und ergebnisoffen (es ist „Gottes Zukunft“!) ins Gespräch zu kommen. Es gibt längst Menschen, die in beiden Welten zuhause sind – lebendige Brücken.

Vielleicht ist die Zeit dafür ja doch näher, als manche glauben: Wenn man diese Presseerklärung der Evangelischen Allianz vom 11. Dezember genau liest, wird man feststellen, dass deren Vorsitzender Michael Diener sich dort zwar dagegen wehrt, konservative Positionen zu „kriminalisieren“ und deren Vertreter auf eine Stufe mit Rechtsradikalen zu stellen, andererseits diese Stimmen als „Meinungsäußerung“ betrachtet und nirgends impliziert, dass alle Evangelikalen unisono derselben Auffassung sind.

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Eine unerwartete Begegnung

Nachdem ich rund um das Emergent Forum vor drei Wochen hier viel zum Thema „Mächte und Gewalten“ geschrieben habe, haben wir für den Advent eine kleine Reihe Predigten über die Apokalypse begonnen. Und wie ich sehe, hatte Walter Faerber denselben Gedanken.

Einen kleinen Einstieg in das mysteriöse Buch am Ende der Bibel habe ich mit dieser Predigt versucht und am Ende auch ein paar knappe Überlegungen angestellt, was das heute für uns bedeuten könnte. Wer mitlesen möchte:

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Anbetung als Parodie

In unserem Adventsgottesdienst heute stand die „Thronsaalvision“ aus der Offenbarung des Johannes (Kapitel 4-5) im Zentrum. Passend dazu haben wir etliche Lieder – als und neu – gesungen, die sich der Bilder und Symbole dieses Textes bedienten. Daniel Hufeisen wies dann in seiner Predigt darauf hin, dass neben vielen alttestamentlichen Bezügen vor allem auch die Thronbesteigungszeremonie der römischen Kaiser im Hintergrund dieser Schilderung steht.

Man kann das also so lesen: Da wechselt diese kleine religiöse Minderheit den erhabenen Kaiser in der ewigen Stadt Rom gegen ihren in Schmach und Schmutz gekreuzigten Messias. In den Augen des Systems eine ähnliche Persiflage auf die wahren Machtverhältnisse wie zwei Generationen zuvor der Einzug Jesu am Palmsonntag in Jerusalem auf einem königlichen Reittier, mit Jubelrufen, Palmen und Mänteln auf der Straße und aller messianischen Symbolik, die man ad hoc aufbieten konnte. Sein Gegenstück findet dieser Einzug dann in der Symbolik der Dornenkrone und des Titutlus am Kreuz.

Nicht nur wird mit dieser Schilderung des Johannes der Machtanspruch der Herrschenden ironisiert, es wird auch ein paradoxer Machtanspruch aufgerichtet, der allen sichtbaren Machtverhältnissen spottet.

Und jetzt meine Frage: Wenn das eine Parodie ist, müssten unsere Lieder das nicht irgendwie widerspiegeln? Wird man ihr gerecht, wenn man sie einfach so ungebrochen und aus dem Zusammenhang gerissen vertont und wiederholt, und dabei die antike Symbolik (die uns heute ganz fremd geworden ist) für bare Münze nimmt, ihr also die herrschaftskritische Spitze damit abbricht?

Ich habe immer ein mulmiges Gefühl bei diesen Liedern, in denen sich die königlichen Attribute und Unterwerfungsgesten so massiv häufen. Erstens sind solche Texte im Laufe der Geschichte immer wieder zur Legitimation „christlicher“ Herrschaft (sei es Papst oder Kaiser, ich habe gerade wieder drei Tage Kirchengeschichte des Mittelalters unterrichtet) herangezogen worden, als säße Gott an der Spitze einer Machtpyramide, auf deren mittleren Rängen dann Könige und Adel folgen und der Rest – wir – auf den untersten Etagen, ohne das Recht aufzumucken.

Gott so naiv als orientalischen Potentaten (der römische Kaiserkult kam ja aus dem Osten!) hinzustellen hat zudem auch etwas total Unwirkliches in unserer Welt, die so sehr ihren eigenen Gesetzen zu gehorchen scheint und in der ganz andere Mächte den Ton angeben. Vielleicht kommen wir viel näher hin, wenn wir (analog zur Johannesoffenbarung) den Kult unserer Zeit, seine Machtdemonstrationen und seine Heilsversprechen ironisch brechen und ihr die ganz andere Macht Gottes gegenüberstellen?

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