Das Leben ist wie eine Pralinenschachtel…

… meinen die einen, während die anderen alles minutiös planen und Überraschungen ausschließen wollen. Beide Lebenshaltungen, schreibt Wolf Lotter in der aktuellen Ausgabe von brand eins, helfen nicht weiter. Kleiner Auszug aus dem lesenswerten Text:

Merkwürdige Perspektiven haben nicht nur die, die alles auf lange Sicht so ganz genau haben wollen, die Planungssicherheit einfordern. Es sind auch die ein wenig verpeilt, die daraus den Schluss ziehen, man solle gleich mal mit dem Nachdenken über die nächste Zeit aufhören. Ist alles nur eine Überraschung? Gibt es keine Kausalitäten mehr? Wenn sich Zukunft nicht genau festlegen lässt, soll man dann gleich darauf pfeifen, Zukunft gestalten zu wollen – und damit Perspektiven und Möglichkeiten zu erkennen? Aus dieser Perspektive ist das Leben ein einziger Kindergeburtstag, eine bunte Überraschung. Genau betrachtet aber sind die einen die Flachwurzler mit ihrer Planungssicherheit wie die anderen – die Überraschungsonkels – nur zwei Spielarten einer Haltung. Denken ohne Zukunft ist genauso sinnlos wie Zukunft, über die man nicht nachdenken mag. Die Zukunft ist und bleibt das, was wir daraus machen. Aber wo fängt man damit an?

Foto: kallejipp / photocase.com

Obama sagte kürzlich zur Ölkatastrophe im Golf von Mexiko, dass sich die entscheidenden Leute ganz offenbar nicht genug Gedanken gemacht hatten, was für Folgen solche (wie wir inzwischen wissen: fahrlässigen) Tiefseebohrungen haben könnten. Während die einen gar nicht mehr denken, versuchen die anderen, das Denken in den gewohnten Bahnen zu beschleunigen oder zu rationalisieren. Derweil wachsen uns die Krisen über den Kopf. Das alte Paradigma ist zerbröselt und ein neues noch nicht in Sicht, schreibt Lotter.

Woher kommen neue Perspektiven? Fast meine ich, Alan Roxburgh hier wieder zu hören, wenn am Ende von Werten und Kultur die Rede ist, aus denen man keine Pläne, sondern Strategien (den Begriff hatte Roxburgh allerdings in dem Sinne von „Plan“ verwendet) gewinnt, die jedem einzelnen wieder Freiräume eröffnen, selbstständig zu handeln. Und Kulturen bestehen im Wesentlichen aus gemeinsamen Geschichten. Nochmal Lotter:

Man muss also etwas wollen und darüber reden, das auch andere verstehen – oder, wie man neudeutsch sagen würde, blicken würden, damit man die Entwicklung nicht verpeilt.

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Auf ein Wort…

… lautet der Titel einer „Verkündigungssendung“ (!) im BR, ab und zu höre ich sie nolens volens beim Autofahren. Vielleicht verpasse ich ja die guten immer, ich finde sie jedenfalls oft frustrierend in ihrer Belanglosigkeit.

Gestern etwa ging es um Seniorenspielplätze – als ob diese Woche keine anderen wichtigen Dinge passiert wären. Dem Autor gelang es noch, einen Bibelvers übers Alter einzuschmuggeln. Am Ende meinte er, man könne Seniorenspielplätze gut finden. Oder auch nicht. Das wäre auch ok.

Kein Wunder, wenn die Kirchen allmählich Seniorenspielplätzen gleichen.

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Und tschüss?

Ist es der Käßmann-Effekt? Rücktritte kommen in Mode – wer hätte das vor einem Jahr vermutet. Eben Koch, nun Köhler. Sind unsere Politiker zu empfindlich geworden oder behandeln wir sie zu schlecht?

Ich mochte Horst Köhlers nachdenkliche und manchmal auch kritische Worte. Seine Kapitalismuskritik war wichtig und mutig. Er ist ein freundlicher und integrer Mann. Richtig souverän fand ich ihn trotzdem nie in diesem Amt – vielleicht liegt das an seinem etwas hausbackenen Redestil. Wie ein Politiker hat er jedenfalls nie geredet, und in dem umstrittenen Interview hat er nicht unbedingt sehr umsichtig formuliert. Klar hagelt es da Kritik. Und klar hat er es nicht so gemeint, wie seine Kritiker unterstellten.

Aber hey – jeder Prediger muss damit leben und jeder Blogger auch, dass uns nicht jeder Kommentar schmeckt und dass Dinge ganz anders ankommen, als wir uns das wünschen. Mit dem hastigen Abgang hat er nun vor allem die Kanzlerin brüskiert. Und die kollektive Lena-Euphorie ist jäh verflogen. Deutschland hatte endlich einen Grund, sich mal wieder richtig gut zu fühlen! Jetzt ist die Krisenstimmung zurück. Mehr Widerhall hätte der Paukenschlag kaum erzeugen können.

Eine Sache würde ich jetzt gern allen Lesern vorschlagen: Können wir den Leuten, die eine Aufgabe – sei es in der Kirche, der Politik oder im sozialen Bereich, aber gern auch Müttern und Vätern – in kritischen Zeiten und unter persönlichen Anfeindungen gut und treu erfüllt haben, mal richtig Danke sagen? Können wir sie mal ganz deutlich spüren lassen, dass die Opfer, die sie dabei bringen, gewürdigt werden und dass ihr Einsatz sich lohnt?

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Zwiespältig

Zum Start des iPad bietet die hiesige Presselandschaft ein seltsames Bild: Einerseits gerät Apple, das Microsoft an Börsenwert gerade hinter sich gelassen hat, in die Kritik und Steve Jobs wird als kommender Digitator düster inszeniert, andererseits bieten dieselben Medien iPad Apps an und hoffen auf einen Erfolg des Systems, das ihnen geregelte Einnahmen und ein funktionierendes Geschäftsmodell verspricht. Ähnlich war zuvor schon geunkt worden, das Dinge werde sich nicht verkaufen, um gleich darauf Lieferengpässe und Terminverschiebungen (aufgrund der immensen Nachfrage!) zu bemängeln.

Ich hab jedenfalls keins bestellt, sondern meinem MacBook erst mal einen neuen Akku verpasst. Wirklich beunruhigend finde ich die Lage bei Foxconn. Statt die Arbeitsbedingungen zu verbessern müssen die Mitarbeiter dort schriftlich versprechen, sich nicht umzubringen. Da muss man wohl Chinese sein, um diese Logik zu verstehen. Das Thema ist für Steve Jobs so gefährlich wie die Ölpest für Obama.

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Babel 2010

Die Geschichte vom Turmbau zu Babel könnte kaum aktueller sein: die Türme wachsen immer weiter in den Himmel, die ganze Welt blickte im vergangenen Jahr gebannt nach Dubai als vorläufigem Höhepunkt der Wolkenkratzerei. Die Banken, Baufirmen und Investoren, die superreichen Kunden der Luxushotels sorgen zugleich dafür, dass die Schuldenberge, Müllberge und Ölteppiche ebenso ins Unermessliche wachsen.

Gut, es ist nicht mehr ein Turm, sondern viele. Und er gehört nicht mehr allen, sondern nur ganz wenigen – die anderen dürfen Teile liefern, in Containersiedlungen fern ihrer Familien zusammengepfercht hausen, Leben und Gesundheit auf den Baustellen riskieren. Sie bekommen das Gift aus der Luft und im Grundwasser ab oder zahlen mit den Steuern auf ihr kleines Einkommen die Zeche der Zocker.

Unsere globalisierte Welt hat nur für die Bewohner der Sonnenseite keine Grenzen. Aber die Etagen dieser Welt (wer sagt, die gehörten nur zum antiken Weltbild?) sind sauber getrennt, es fährt kein Aufzug zwischen Penthouse und Souterrain. Die Überholspur auf den Autobahnen darf man nur mit den Sternen, Ringen und sonstigen Symbolen der Premium-Marken befahren. Wir leben in unmittelbarer Nähe und doch auf ganz verschiedenen Planeten. Babel ist überall. Das System reproduziert sich tausendfach, und wenn es einen Kreislaufkollaps bekommt, leiden Millionen.

Auf der Straße indes gibt es ein Gewirr von Stimmen: Menschen, die einander noch nie gehört, geschweige denn verstanden haben, sind plötzlich im Gespräch. Sogar ein paar Leute von oben begegnen denen von unten und erkennen, dass sie verwandt sind, dass sie alle zusammen gehören. Die unten lassen sich von Verschwiegenheitsklauseln nicht mehr den Mund verbieten. Sie lassen sich nicht mehr gegeneinander ausspielen, nur weil es bei ihnen Unterschiede von Herkunft und Hautfarbe gibt. Sie verabreden sich zu Folgetreffen. Sie sitzen um einen Tisch herum und hören einander zu. Sie beginnen zu teilen: Erst Brot und Wein, dann ihre Freuden und Sorgen, schließlich ihre Angst vor einander und ihre Sehnsucht nach Gerechtigkeit.

Sie entdecken, dass bei Gott niemand nutzlos ist. Sie träumen von einer Welt im Gleichgewicht. Sie brechen Tabus: „Über Geld spricht man nicht. Über Religion und Politik auch nicht.“ Sie langweilen sich bei Glamour-Paraden, Promi-Tratsch und Castingshows. Sie lassen sich ihre Sehnsüchte nicht mehr diktieren, denn sie leben in der Hoffnung, dass Gott selbst ihnen die Jahre erstatten wird, die die Heuschrecken (auch die sind wieder da!) gefressen haben, wie Joel sagt. Ab heute ist auch Jerusalem überall.

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Komm, Schöpfer Geist

Komm, Heilger Geist, o Schöpfer du,
sprich den bedrängten Seelen zu:
erfüll mit Gnaden, süßer Gast,
das Herz, das du geschaffen hast.

Der du der Tröster bist genannt,
des allerhöchsten Gottes Pfand,
du Liebesglut, du Lebensbronn,
du Herzenslabung, Gnadensonn.

Du siebenfaches Gnadengut,
du Hand des Herrn, die Wunder tut;
du lösest aller Zungen Band,
gibst frei das Wort in alle Land.

Zünd unsern Sinnen an dein Licht,
erfüll uns mit der Liebe Pflicht,
stärk unser schwaches Fleisch und Blut
mit deiner Gottheit Kraft und Glut.

Den Feind aus unsrer Mitte treib,
mit deinem Frieden bei uns bleib,
führ’ uns auf deiner lichten Bahn,
wo uns kein Unheil schaden kann.

Lehr uns den Vater kennen wohl
und wie den Sohn man ehren soll;
im Glauben mache uns bekannt,
wie du von beiden bist gesandt.

Ehr sei dem Vater, unserm Herrn,
und seinem Sohn, dem Lebensstern,
dem Heilgen Geiste gleicherweis,
sei jetzt und ewig Lob und Preis.

Angelus Silesius nach dem lateinischen Veni Creator Spiritus

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Frischer Auftritt

Endlich hat die Website von Alpha Deutschland ein neues Gesicht bekommen. Es ist am Internationalen Stil orientiert, läuft aber wegen der schleppenden Entwicklung international auf unserem eigenen System. Frische Farben passen in die Jahreszeit, Termine und Inhalte sind aktueller denn je. Nun hoffen wir mal, dass alles auch im normalen Betrieb stabil läuft.

Alpha HP.tiff

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Kulturkampf

In Saudi-Arabien setzt sich der Chef der islamischen Religionspolizei und Leiter des „Komitees für die Propagierung von Tugend und Verhinderung von Sünde“ (!), Ahmed al-Ghamdi, für das Ende der Geschlechtertrennung ein. Es bringt, so sagt er, den Islam in Misskredit. Nun fordern 27 islamische Geistliche seinen Tod. Wie groß die Macht der Hardliner ist, lässt sich schwer sagen.

Es ist ein Wandel im Gang – freilich ausgehend von einem Maß sozialer Kontrolle und religiöser Bevormundung, das es in Europa selbst im Mittelalter nicht in dieser Strenge gegeben hat. Wohin er führt, ist noch nicht klar. Einzelheiten hier auf Spiegel Online.

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Kopftücher und Kruzifixe

Da war sie wieder, die Diskussion über „religiöse Symbole“. Die Wellen schlagen wieder hoch, aber wir treten auf der Stelle. Was mich daran heute am meisten beschäftigt, sind die Klassifizierungen, mit denen da gearbeitet wird.

Erstens zum Thema „Religion“: Was sind „Religionen“ in einer Zeit, in der der dogmatische Atheismus quasireligiöse Züge annimmt? Kann man überhaupt noch klar sagen, wo Religion beginnt und endet? Wie sieht es aus mit religiösen Formen, die der Materialismus und die Konsumkultur entwickelt haben, wo bestimmte Werte und Ideale gefeiert und propagiert werden? Sprich: Gibt es irgendeinen neutralen Winkel, der ideologie- und religionsfrei wäre, und irgendeinen Punkt im kulturellen Niemandsland, von dem aus ein objektives Urteil über letztgültige Überzeugungen anderer möglich ist?

Und noch eine Stufe weiter gedacht: Ist es zielführend, alle religiösen Symbole phänomenologisch zu erfassen und in einen Topf zu werfen? Oder sind die nicht sehr unterschiedlich angesiedelt? Was ist mit den beliebten Tatoos chinesischer Schriftzeichen, und welche Symbolik steckt in Schmuckstücken und modischen Emblemen? Hat das Kopftuch im Islam denselben Stellenwert wie das Kreuz für Christen und müssten deshalb mit den Kopftüchern auch die Kreuze aus den Schulen verschwinden? Müssen Christen mit der (wohl nicht unberechtigten) Sorge leben, dass das Kopftuch nur instrumentalisiert wird, um das Kreuz loszuwerden?

Und ist es denkbar, dass neben einem ästhetisch nachvollziehbaren Widerwillen gegen die Gewalt, die mit dem Kreuz assoziiert wird und hinter der manche (fälschlich, auch christlicher Sicht) einen gewalttätigen Gott vermuten, neben dem bekannten Missbrauch (!) des Symbols in Kriegen und Kolonialisierung, auch aus anderen Gründen Widerstände gegen Kreuze richten: weil das Kreuz – aus dem biblischen Kontext heraus verstanden – immer eben auch das Symbol für die Opfer der Gewalt ist und eine Gesellschaft auf das eigene (in der Regel sauber verdrängte) Gewaltpotenzial verweist?

Kann man, wenn man ganzheitliche Bildung zum Ziel macht, auf die nicht nur theoretische Beschäftigung mit einem Symbol wie dem Kreuz, das einzelne wie eine ganze Gesellschaft vor solch tiefgreifende Fragen stellt und ein solches kritisches Potenzial hat, denn verzichten? Und bereitet man mit dieser Vermeidungsstrategie Kinder auf das Leben in einer Gesellschaft vor, die multireligiös ist und bleiben wird?

Der Versuch, Religion ins Private zu verlegen, ist doch längst gescheitert. Unser Verhältnis zu Geld und Wirtschaft, zu Glück und Gesundheit hat alle möglichen religiösen Züge angenommen. Neue Kulte sind entstanden und überschwemmen uns mit ihren Symbolen und Logos. Kreuze im Klassenzimmer sind für Christen sicher nicht unverzichtbar. Sie haben aber dort an der Wand auch einen ganz anderen Effekt als Kopftücher oder Burkas, die einzelne Schülerinnen tragen. Das grobe Raster „religiöses Symbol“ bringt unsere Diskussion nicht richtig weiter.

Aber mich beschäftigt noch eine Frage: Wie kann man als Politiker für Kreuze in den Schulen sein und zugleich eine Ökonomisierung des Schulwesens dulden, in der Effizienz zum alles entscheidenden Kriterium wird, wo unser Bildungssystem kaputtgespart und die Zukunft einer ganze Schülergeneration verspielt wird, wo die Integration schwacher Schüler und Nichtmuttersprachler in viel zu großen Klassen noch viel zu oft misslingt und (wie in der Wirtschaft) nur die Starken überleben – oder die, deren Eltern sich teure Nachhilfe leisten können? Das geht mir überhaupt nicht in den Kopf.

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Versöhnungsversuch

Ein um Versöhnung bemühter Kevin Vanhoozer kommentiert die Diskussion zwischen Tom Wright (bzw. der neuen Paulusperspektive) und den reformierten Kritikern um Piper und Horton. Bei allem, was er zur Sache zu sagen hat – sein Humor und Wortwitz ist erfrischend.

Hier als Flash-Video. Alle anderen Beiträge zu der Konferenz in Wheaton („Jesus, Paul and the People of God“) finden sich hier (danke an DoSi für den Tipp!).

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