Kopftücher und Kruzifixe

Da war sie wieder, die Diskussion über „religiöse Symbole“. Die Wellen schlagen wieder hoch, aber wir treten auf der Stelle. Was mich daran heute am meisten beschäftigt, sind die Klassifizierungen, mit denen da gearbeitet wird.

Erstens zum Thema „Religion“: Was sind „Religionen“ in einer Zeit, in der der dogmatische Atheismus quasireligiöse Züge annimmt? Kann man überhaupt noch klar sagen, wo Religion beginnt und endet? Wie sieht es aus mit religiösen Formen, die der Materialismus und die Konsumkultur entwickelt haben, wo bestimmte Werte und Ideale gefeiert und propagiert werden? Sprich: Gibt es irgendeinen neutralen Winkel, der ideologie- und religionsfrei wäre, und irgendeinen Punkt im kulturellen Niemandsland, von dem aus ein objektives Urteil über letztgültige Überzeugungen anderer möglich ist?

Und noch eine Stufe weiter gedacht: Ist es zielführend, alle religiösen Symbole phänomenologisch zu erfassen und in einen Topf zu werfen? Oder sind die nicht sehr unterschiedlich angesiedelt? Was ist mit den beliebten Tatoos chinesischer Schriftzeichen, und welche Symbolik steckt in Schmuckstücken und modischen Emblemen? Hat das Kopftuch im Islam denselben Stellenwert wie das Kreuz für Christen und müssten deshalb mit den Kopftüchern auch die Kreuze aus den Schulen verschwinden? Müssen Christen mit der (wohl nicht unberechtigten) Sorge leben, dass das Kopftuch nur instrumentalisiert wird, um das Kreuz loszuwerden?

Und ist es denkbar, dass neben einem ästhetisch nachvollziehbaren Widerwillen gegen die Gewalt, die mit dem Kreuz assoziiert wird und hinter der manche (fälschlich, auch christlicher Sicht) einen gewalttätigen Gott vermuten, neben dem bekannten Missbrauch (!) des Symbols in Kriegen und Kolonialisierung, auch aus anderen Gründen Widerstände gegen Kreuze richten: weil das Kreuz – aus dem biblischen Kontext heraus verstanden – immer eben auch das Symbol für die Opfer der Gewalt ist und eine Gesellschaft auf das eigene (in der Regel sauber verdrängte) Gewaltpotenzial verweist?

Kann man, wenn man ganzheitliche Bildung zum Ziel macht, auf die nicht nur theoretische Beschäftigung mit einem Symbol wie dem Kreuz, das einzelne wie eine ganze Gesellschaft vor solch tiefgreifende Fragen stellt und ein solches kritisches Potenzial hat, denn verzichten? Und bereitet man mit dieser Vermeidungsstrategie Kinder auf das Leben in einer Gesellschaft vor, die multireligiös ist und bleiben wird?

Der Versuch, Religion ins Private zu verlegen, ist doch längst gescheitert. Unser Verhältnis zu Geld und Wirtschaft, zu Glück und Gesundheit hat alle möglichen religiösen Züge angenommen. Neue Kulte sind entstanden und überschwemmen uns mit ihren Symbolen und Logos. Kreuze im Klassenzimmer sind für Christen sicher nicht unverzichtbar. Sie haben aber dort an der Wand auch einen ganz anderen Effekt als Kopftücher oder Burkas, die einzelne Schülerinnen tragen. Das grobe Raster „religiöses Symbol“ bringt unsere Diskussion nicht richtig weiter.

Aber mich beschäftigt noch eine Frage: Wie kann man als Politiker für Kreuze in den Schulen sein und zugleich eine Ökonomisierung des Schulwesens dulden, in der Effizienz zum alles entscheidenden Kriterium wird, wo unser Bildungssystem kaputtgespart und die Zukunft einer ganze Schülergeneration verspielt wird, wo die Integration schwacher Schüler und Nichtmuttersprachler in viel zu großen Klassen noch viel zu oft misslingt und (wie in der Wirtschaft) nur die Starken überleben – oder die, deren Eltern sich teure Nachhilfe leisten können? Das geht mir überhaupt nicht in den Kopf.

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51 Antworten auf „Kopftücher und Kruzifixe“

  1. Nachdem ich heute in Ausschnitten das Tagesgespräch (bayern 2) zum Themenkomplex „Kreuze in öffentlichen Schulen“ gehört habe und einige Argumente sehr platt fand, freue ich mich besonders über Peters Beitrag, der ohne Engführung auskommt.
    Ich wünsche mir mehr Kultur und Bewusstsein für die Verankerung unserer jeweiligen Moralvorstellungen in der öffentlichen Diskussion.
    Ich wünsche mir Geistliche, die es wagen, den menschenfreundlichen Gott bekannt zu machen; auch die spezifisch christlichen Lösungsansätze für Probleme.
    Ich wünsche mir seelsorgerliche und nachbarschaftliche Menschen, die den Zorn, das Leid, die daraus resultierenden Reaktionen von enttäuschten Katholiken, Protestanten und anderen zuallererst annehmen und ernst nehmen.
    Ich wünsche mir eine echte Diskussion über Werte.
    Natürlich wünsche ich mir auch die glaubwürdigen Repräsentanten.

  2. Vorraus sendend muss ich sagen, dass ich mich selber als „religiös“
    bezeichne, allerdings a-theistisch, d.h. ohne den Glauben an einen (personifizierbaren) Gott. Ich finde meine religiöse Nahrung in der umgebenden Natur, der Kultur (auch in Kirchen z.B. oder sakralen Ritualen) Büchern oder der Gesellschaft. Das macht es mir leicht, auf Gebäude, Orte oder spezielle Kleidungsstücke zu verzichten. Zur Religionsausübung brauche ich eigentlich nur Ruhe und Zeit.
    Ich würde es am ehesten mit Kontemplation oder Meditation vergleichen.

    Warum ist mir die Trennung von Staat und Kirche, „Säkularismus“ genannt, dann so wichtig?

    aus: Theologiekritische Schriften I und II, von Gotthold Ephraim Lessing

    “ Es sind die Theologen, die nach Blut verlangen, durchaus nach Blut. „Nur erst ab den Kopf, mit der Besserung wird es sich schon finden, so Gott will.“ Welch ein Glück, das die Zeiten vorbei sind, in welchen solche Gesinnungen Religion und Frömmigkeit hießen; das sie wenigstens unter dem Himmel vorbei sind, unter welchem wir leben! Aber welch demütigender Gedanke, wenn es möglich wäre, das sie auch unter diesem Himmel einmal wiederkommen könnten!“

    Meiner Meinung nach sollte die Schule kritische Kinder fördern, Kinder die Fragen stellen, Kinder, die Antworten suchen. Grundsätzlich stelle ich mal die Frage: Gibt es katholische, evangelische, islamische, buddhistische Kinder? Gibt es dann auch sozialdemokratische, freidemokratische, christsoziale, LINKE Kinder? Macht es Sinn, Kinder bereits in der Schule nach einer Privatsache „Glaube“ zu selektieren, oder sollten nicht alle zusammen Ethik.- oder Philosophieunterricht erhalten?

    Sollte irgendein Bürger zu diesem Umstand weitergehenden Klärungsbedarf haben, dann kann er sich vertrauensvoll an das Archiv des Bundesverfassungsgerichts wenden. Die Richter in Karlsruhe hatten nämlich schon vor ziemlich langer Zeit, schon 1995, glasklar geklärt, was Kruzifixe oder andere religiöse Symbole an staatlichen deutschen Schulen verloren haben – schlichtweg gar nichts nämlich, sie gehören da einfach nicht hin.

    Für die Verfassungsrichter war damals, vor 15 Jahren, schon klar, dass Schulleiter gegen Grundgesetz Artikel 4, Absatz 1 verstoßen, wenn sie vom Hausmeister verlangen, dass der christliche Holzkreuze an die Klassenzimmerwände dübelt. Das Problem mit dem Kreuz ist nämlich vor allem jenes, dass sich Nichtchristen davon gestört fühlen könnten, und genau davor schützt sie das Grundgesetz.
    Kinder werden je nach Konfession ohnehin schon zuhause erzogen, da sollte die Schule ein Platz sein, wo man „über den religiösen Tellerrand“ hinausschauen kann. Deshalb ein religionsübergreifender Unterricht (auch z.B. in Philosophie) für alle.

    Teil 2 folgt

  3. @Frank: Mit Lessing das bluttriefende Gespenst religiöser Diktatur an die Wand zu malen ist in der derzeitigen Situation und mit den veränderten Verhältnissen noch abwegiger, als es schon zu Lessings aufgeklärten Zeiten war. Die Konfessionskriege waren zu einem erheblichen Teil auch ganz banal politische Machtkämpfe.
    Kritikfähigkeit setzt einen Standpunkt voraus. Und religiöse Standpunkte sind erfahrungsgemäß tiefsitzender als politische, da wechselt man viel schneller. Klar gibt es christliche Kinder und klar gibt es muslimische – und atheistische. Sie wachsen in bestimmten Traditionen auf. Und von da aus entdecken sie die Welt.
    Religion – in diesem Fall sogar egal welche – ist nie Privatsache, sondern sie wird gemeinsam gelebt und gepflegt und hat damit immer eine soziale und politische Dimension. Unser Grundgesetz bejaht und fördert das im Unterschied zu anderen europäischen Verfassungen. Das war auch eine Reaktion auf den Totalitarismus Hitlers. Sie ins Private zu verbannen bedeutet auch nicht unbedingt einen Schritt zum gesellschaftlichen Frieden, dann wird halt über andere Dinge gestritten. Und – das hat sogar Gregor Gysi anerkannt – eine Stimme im gesellschaftlichen Diskurs, zum Beispiel um soziale Gerechtigkeit – fehlt.
    Wenn Du Dich mal mit den Methoden und Inhalten des Religionsunterrichts befasst, dann wirst Du sehen, dass da ganz heftig über den Tellerrand geschaut wird. Freilich eben nicht von einem fiktiven „neutralen“ Punkt, sondern aus der konfessionellen Perspektive – evangelisch, katholisch, islamisch und für Konfessionslose den Ethikunterricht. Ich halte das im Grund für ehrlicher, als wenn man verschleiert, wer was glaubt.
    Ich hänge nicht an Kreuzen in Schulen. Aber die oberflächliche Art, wie das Thema derzeit behandelt wird, finde ich schwierig.

  4. @Peter
    naja, Lessing war am „real existierenden (Staats)-Christentum“ und den Kämpfen der Aufklärung näher dran und wusste, was er sagt.
    Die letzte „Hexe“ in Deutschland wurde erst 1756 in Landshut hingerichtet. Das ist nur 250 Jahre her!

    Der wichtigste Satz ist sein letzter, die Befürchtung das es noch einmal so kommen wolle!

    Und Lessing selber war ein eher gemäßigter Aufklärer, da gab es viele andere, die die Religion ganz abschaffen und verbieten wollte in Anbetracht dessen, wie die Religionsvertreter die letzten 1700 Jahre geherrscht haben. Hast du mal Mark Twains „Ein Yankee am Hofe des Königs Artus“ gelesen?

    Die wichtigste Lehre der Aufklärung lautet:
    Der Staat und seine Institutionen darf nie wieder in die Hände von Religionsvertretern fallen. Politiker kann man abwählen, Bischöfe und Kardinäle oder gar Fürstbischöfe nicht.

    Und ich bin überzeugt, dass Kinder ohne religiöse Selektion in der Schule später als Erwachsene toleranter sein werden. Deutschland mir seinem Religionsunterricht hat 2 Weltkriege entfacht, auf den Koppelschlössern der Wehrmacht stand: „Gott mit uns“.
    Das laizistische Frankreich wurde zweimal Opfer dieser Überfälle.

    Ich würde mich aber gerne mal wieder bei einem Guinness darüber mit dir austauschen, das ist ein weites Feld und ein spannendes Thema.

    Einen wunderschönen Abend und
    Gruss von Frank,
    der jetzt bei diesem schönen Abend Tai Chi machen geht. 😉
    und danach auf der Terrasse mit seiner Frau ein Bierchen trinkt…. .

  5. @Frank:

    Ich will Dir ja nicht zu nahe treten – aber wie Du hier Vergangenheit und Gegenwart, die unterschiedlichsten religionspolitischen, politischen, soziologischen etc. Bedingungen, unter denen Konflikte, Kriege etc. entstanden sind, auf einen Haufen schmeißt, um alles Übel dieser Welt dann doch wieder simplifizierend „der Religion“ (Peter hat ja zurecht gefragt: was ist das eigentlich?) in die Schuhe zu schieben, zeugt nicht gerade davon, daß die Abschaffung „religiöser Selektion“ in den Schulen (schon diese Bezeichnung ist höchst problematisch, wenn man sich einmal die Begründung konfessionellen Religionsunterrichts bzw. „neutralen“ Ethikunterrichts in öffentlichen deutschen Schulen ansieht) zu gesteigerter Toleranz führen könnte. Für mich hört sich das eher wie Ignoranz an.

  6. Hallo Tobias,

    ich verstehe gut, dass aktive Christen wie du und Peter bei diesem Thema (auch z.B. beim Titanic-Bild neulich) ein großes Unbehagen fühlen und ihr euch auch angegriffen, ungerecht behandelt und ganz allgemein die Religion „schlechtgemacht“ fühlt. Religion, Gott, Jesus, die Offenbarung, die Auferstehung sind für euch Grundpfeiler eurer Identität, eures ethischen Handelns und eures Selbstverständnisses als Menschen.
    Wer das angreift, greift auch euch an, so fühlt ihr.

    Vieleicht kann ich dir „von der anderen Seite“ helfen, indem ich dir sage, dass es NICHT um die Religion, die Gläubigen geht, sondern wirklich nur um die Trennung zwischen Staat und seinen Institutionen und religiöser Symbolik.

    Die Grundfrage ist (Peter reißt dasThema oben auch an), Ist Religion Privatsache, ja oder nein?

    Es gibt Länder, die die Trennung rigeros ziehen, wie Frankreich, Türkei und die USA (wo es im übrigen auch keinen Religionsunterricht an öffentlichen Schulen gibt!) Zitat: “wall of separation between church and state” , dann Länder mit moderaten Regelungen (Deutschland, Östereich etc., teilweise mit Konkordaten) bis hin zu Ländern mit Staatskirchen wie England und die skandinavischen Länder.

    Alles das ist möglich, die Frage ist nur, was will die Mehrheit der Bevölkerung? Da wir in einer Demokratie leben, kann man alle 4 Jahre eine entsprechende Wahl treffen. In den Wahlprogrammen und den Parteiprogrammatiken sind die jeweiligen religionspolitischen Standpunkte nachlesbar.

    Ich glaube, das Grundproblem liegt beim Missionsgedanken und der Aufforderung zur Verkündigung. Das lässt sich nicht gut mit dem Satz „Religion ist Privatsache“ vereinbaren.

    Und überlege mal: Bisher war das Christentum privilegiert mit Kreuzen in Schulen und Gerichtssäälen und Religionsunterricht und Lehrstühlen. Nun fordern die Moslems ihr Recht auf Gleichbehandlung. Im Islam gibt es ebenfalls verschieden Richtungen (Sunniten, Schiiten, Aleviten, Drusen etc) Das bedeutet für jedes Bekenntnis eigene Symboliken und Unterrichte und universitäre Lehrstühle (auf Steuerzahlerkosten). Was ist dann mit den Buddhisten, den Hindus, den Juden?
    Gerechterweise muss man ihnen dass dann auch zugestehen. Merkst du, worauf das hinnausläuft, wenn man „Religion ist Privatsache“ ablehnt? Die Gerechtigkeit und das Gleichbehandlungsprinzip des Grundgesetzes verlangen: Alle oder keiner.

    Darum dreht es sich eigentlich.
    Ich hoffe, dir geholfen zu haben, schönen Gruss,
    Frank

  7. @Frank:

    Deine Psychologisierung meines Standpunktes hilft auch nicht weiter – es geht mir tatsächlich zunächst einmal um Sachargumente.

    Die Trennung von Staat und Kirche ist in Deutschland sehr wohl gegeben – aber sie ist aus gutem Grund anders ausgeformt worden als etwa in Frankreich. Du übersiehst dabei, daß der Laizismus selbst zutiefst weltanschauliche Implikationen hat und von daher nicht „neutral“ im Sinne eines objektiven Standpunktes genannt werden kann. Was im Laizismus geschieht, ist in der Tat eine Abdrängung der Religionen ins Private und ihre Unterdrückung im öffentlichen Raum – und das mithilfe einer Begründung, der man gut und gerne ebenso „religiöse“ Züge attestieren kann.

    Du kannst es drehen und wenden, wie Du willst, aber wenn sich eine Erkenntnis der „Postmoderne“ so langsam einmal durchgesetzt haben sollte, dann doch wohl die, daß es auch im Staatswesen keine Objektivität in der Art gibt, die nicht auf unhintergehbaren Prämissen, also letztlich eben doch auf subjektiven Überzeugungen beruht.

    Damit wären wir dann in der Tat bei der Demokratie. Die Frage ist, welche dieser subjektiven Überzeugungen annähernd mehrheitsfähig sind. Es geht nicht darum, daß ich mich angegriffen fühle, weil das Kreuz aus dem Klassenzimmer verschwinden soll – ich habe dort während meiner ganzen Schulzeit kein Kreuz zu Gesicht bekommen, was ich zu keinem Zeitpunkt als Mangel oder gar Affront aufgefaßt habe. Es geht um die Anerkennung der Tatsache, daß wir in Deutschland eine Geschichte haben, die eng mit der Geschichte des Christentums verwoben ist. Die hat ohne jeden Zweifel auch ihre Schattenseiten gehabt – aber eben auch, nicht nur. Ohne diese Geschichte sähe heute weder unser Grundgesetz so aus, wie es ist, noch hätte unser Sozialwesen die Gestalt, die es hat, etc. Wer jetzt nach laizistischen Verhältnissen ruft (und dabei, wie oben bereits ausgeführt, schnell dabei landet, die eine Weltanschauung gegen die andere auszuspielen), der sollte diese Umstände wenigstens bedacht haben – und nach Möglichkeit Alternativen bieten. Im Bereich des Sozialwesens z.B. kann ich diese dort, wo „mehr Neutralität“ gefordert wird, nicht entdecken.

    Desweiteren gilt: Muslime und Buddhisten, Juden und Hindus haben de facto Einfluß auf die Gestaltung unserer Gesellschaft, und sie werden im Sinne der Religionsfreiheit auch gleich behandelt – mag man sie nun als Privatsache abtun oder nicht. Nach solchen Verhältnissen muß man also gar nicht erst rufen. Nur: die meisten dieser Religionen müssen sich in der Mitgestaltung unserer Gesellschaft zunächst einmal bewähren und zeigen, ob sie in der Lage sind, eine freie Demokratie zu bereichern – außer dem Judentum gibt es nun einmal noch keine geschichtlichen Wurzeln dieser Religionen in Deutschland. In diesem Sinne kann die Forderung nach Gleichberechtigung (noch) nicht bedeuten, daß in öffentlichen Schulen muslimische Lehrerinnen Kopftücher tragen, buddhistische Lehrer Dharmachakren an die Tafel malen etc. … dürfen. Gleichberechtigung in einer Demokratie kann nicht einfach nur „Jeder darf alles“ heißen – das wäre Gleichgültigkeit.

    Worum es letzten Endes geht, ist – wie Peter bereits treffend ausgeführt hat – nicht die Frage danach, ob Religion nun „öffentlich“ oder „privat“ ist oder sein sollte. Es geht darum, ob wir den Mut haben, Demokratie wirklich auch „von unten“ zuzulassen (dann kann man die Sphäre der konkreten Religionen ohnehin nicht ausklammern) – und ob wir so ehrlich sein wollen, einzugestehen, daß letztlich jede menschliche Struktur, jede Art von Staatswesen, jede Art von Gestaltung von Gesellschaft auf Überzeugungen beruht, und daß es kaum geeignete Erklärungsmuster dafür gibt, die einen Überzeugungen für „objektiv“ zu erklären, das Christentum aber, den Buddhismus usw. als „Religion“ zu kennzeichen und ihnen damit ihren Ausdruck in der Öffentlichkeit zu verwehren. Noch einmal: das wäre ein ziemlich schwach begründeter Religionsbegriff, ein Mangel an Reflexion der eigenen, vermeintlich „neutralen“ Positionen – und Geschichtsvergessenheit obendrein.

  8. Hi Tobias,

    die abendländische Kulturgeschichte ist ein spannendes und vielseitiges Thema. Wir leben ja mittendrin und nach uns geht es weiter. Hoffentlich. 😉
    Wir haben AUCH unsere Wurzeln im Christentum, ebenso wie mit germanischen oder keltischen, sogar jüdischen Wurzeln.

    Du schreibst:“ Gleichberechtigung in einer Demokratie kann nicht einfach nur “Jeder darf alles” heißen – das wäre Gleichgültigkeit.“

    Da hättest du recht, wenn dem so wäre. Es ist aber nicht so. Es heist nicht: „Jeder darf alles“, sondern: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich“ Im GG steht in Art. 3:

    (1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
    (3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.

    Beachte: „weder benachteiligt oder bevorzugt werden“

    Es gibt also keinen „Bewährungsaufstieg“, weder für Menschen noch für Organisationen oder Religionen. Aufgabe des Staates ist es, weitgehende Objektivität gegenüber allen Menschen zu gewährleisten, selbstverständlich beruhend auf Überzeugungen. Diese sind in unserem Grundgesetz niedergelegt. Sieh Art.1:

    (1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
    (2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.
    (3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

    Das bedeutet: Legislative, Exekutive uund Judikative sind an das GG gebunden und an nichts anderes. Keine Rolle im Rechtswesen dürfen die Bibel, den Koran, die Thora oder meinetwegen Deschners gesammelte Werke spielen.

    Gruss Frank

  9. @Frank:

    Ich habe nirgendwo geschrieben, daß die Bibel als unmittelbare Begründungsquelle etwa im Rechtswesen eine Rolle spielen dürfe oder gar solle – das ist ja wohl selbstverständlich. Ich kenne auch keinen Christen, der eine einigermaßen ernstzunehmende Begründung dafür hat, warum das wünschenswert wäre.

    Ich habe darauf hingewiesen, daß das Verhältnis zwischen Staat und Kirche in Deutschland ein historisch gewachsenes ist. Und, bitteschön – vergleichen wir nicht Äpfel mit Birnen: ich wüßte ja schon einmal gerne, inwiefern sich unsere germanischen und keltischen Wurzeln signifikant etwa im Grundgesetz niedergeschlagen haben … Für das Judentum dagegen sieht das ganz anders aus. Ich würde hier grundsätzlich vom jüdisch-christlichen Erbe sprechen.

    In Deutschland besteht eine Trennung zwischen Staat und Kirche, gleichwohl aber eine sehr spezifische. In dieser gewachsenen Beziehung zwischen Staat und Kirche, aufgrund derer die Kirchen eine bis heute so große wahrnehmbare Rolle im öffentlichen Leben spielen, gleich eine unzulässige Bevorzugung des Christentums gegenüber anderen Religionen sehen zu wollen, ist bereits Ausdruck einer sehr bestimmten juristischen Interpretation, aber keineswegs der einzig möglichen und richtigen: Die Väter des Grundgesetzes (für die das Christentum erklärtermaßen eine wichtige Rolle für das öffentliche Leben spielte) und die nach wie vor geltende Rechtsprechung sehen in dem Nebeneinander von grundsätzlicher Gleichheit aller einerseits und der besonderen Rolle der christlichen Kirchen andererseits aber offensichtlich keinen Widerspruch. Wenn Du damit nicht leben kannst, steht Dir ja der Weg der Klage offen. 🙂

    Ich hätte jedenfalls kein Problem z.B. mit Kopftüchern in der Schule, solange die dann auch Gegenstand einer fairen Auseinandersetzung über dessen Bedeutungsgehalt wären, deren glaubhaftes Ergebnis sein müßte, daß das Tragen eines Kopftuches im öffentlichen Raum durchaus als Ausdruck einer Stütze der in Deutschland geltenden Gesetzgebung, der Demokratie, der Religionsfreiheit etc. verstanden werden kann. Gerade daran aber habe ja nun nicht nur ich so meine Zweifel – eben deshalb ist es auch (noch?) nicht erlaubt. Insofern gibt es für die konkreten Religionen sehr wohl so etwas wie eine Notwendigkeit der „Bewährung“ in der und für die Gesellschaft als Voraussetzung für die staatliche Förderung dieser Religionen im öffentlichen Raum. Auf dem gleichen Prinzip etwa beruht das Verfahren, in der einer Organisation das Körperschaftsrecht erteilt wird. Der Gesetzgeber versteht das sogar die Förderung (!) der Religionsfreiheit.

  10. Ich habe die Diskussion nicht gelesen und will zu Peters Text bzw. zu einem Gedanken von ihm Stellung nehmen. Und zwar zur Frage, welche Bedeutung die Verteidigung der Kreuze durch Politiker besitzt, wenn das Schulsystems gleichzeitig als wirtschaftliches System behandelt wird.

    Ich könnte die Diskussion um den Platz des Kruzifix im Klassenzimmer nachvollziehen, wenn an das Kreuz in Schulen die Durchsetzung christlicher Werte, wie Nächstenliebe oder die Achtung des anderen, geknüpft wären. Da dies aber nicht der Fall ist, meine ich, sollte es auch möglich sein, dass Kopftücher in Schulen getragen werden.

  11. Naja, in dem Artikel entdecke ich auf Anhieb mehr Klischees und Halbwahrheiten, als ich an meinen zehn Fingern abzählen kann.

    Das größte Klischee ist dabei das Märchen von der „intoleranten Sekte“ der Christen und der „toleranten“ Antike. Hätte der gute Mann ein bißchen aufmerksamer Geschichte studiert, dann wüßte er vielleicht treffenderes zur Zeit der ersten Christen zu sagen. Das Römische Reich der ersten Jahrhunderte n. Chr. z.B. war immerhin so „tolerant“, daß es die Christen an allen Ecken und Enden des Imperiums zu verfolgen wußte. Und ich meine mich zu erinnern, daß es im noch viel „toleranteren“ Griechenland der Antike Toleranz eigentlich nur für diejenigen gab, die das Glück hatten, keinen Sklavenstatus innezuhaben, während Paulus im Neuen Testament angesichts des Christusgeschehens in dieser Hinsicht schon geradezu revolutionär egalitäre Gedanken äußern konnte. So viel zur ach so „toleranten Antike“, die das Christentum zerstört habe … 😀 Richtig „intolerant“ jedenfalls wurde es im Christentum erst ab und an dort, wo es längst keine „Sekte“ mehr war.

    Den ungeheuren Fortschritt, den das Prinzip des „cuius regio, eius religio“ für das ausgehende Mittelalter und die beginnende Neuzeit bedeutet hat, scheint Bollmann auch nicht so recht verstanden zu haben: die Reformation war seines Erachtens jedenfalls ein Rückschritt.

    Sorry, aber zu dem Thema gibt es wirklich geistreicheres als diesen taz-Artikel zu lesen! 🙂

    Damit wir uns recht verstehen: ich behaupte nicht, daß Grundgesetz sei ein Machwerk jüdisch-christlicher Tradition. Das ist es zwar auch, und zwar in nicht unwesentlichen Teilen, aber ohne die Aufklärung mit ihrem oftmals arg antireligiösen Impetus würde es das Grundgesetz so und heute auch nicht geben, gar keine Frage. Nun hat aber gerade auch das Christentum durchaus Impulse der Aufklärung aufgenommen, wie es umgekehrt auch Entwicklungen in der Aufklärung gab, die ohne Judentum und Christentum überhaupt nicht denkbar wären. Schleierhaft bleibt, warum man darauf nicht hinweisen darf, ohne diese Position durch den Verweis auf Germanen- und Keltentum ins Lächerliche gezogen zu sehen – deren Einfluß auf das heutige politische Deutschland jedenfalls ist nach wie vor ungeklärt. 😉

  12. Hi Tobias,

    den Verweis auf die germanisch-keltischen Wurzeln war ernsthaft! Gibt ein interessantes Buch: Sabine Rieckhoff / Jörg Biel „Die Kelten in Deutschland“

    Zwischen dem 8. und 4. Jahrhundert v. Chr. gehörte auch das Erlanger Umland zum Siedlungsgebiet der Kelten. Schau mal hier: http://www.uf.uni-erlangen.de/sammlung/foerderverein/rueckblick/kelten.html

    „Es sind wichtige Voraussetzungen, die schließlich den Beginn deutscher Geschichte bewirkten: Da ist die vielgestaltige keltische Kultur mit ihren Auswirkungen sowohl auf die römische Geschichte wie auf das Werden der germanischen Welt. Gewichtiger noch ist die langzeitige Einwirkung der Mediterranée in Gestalt des römischen Weltreiches sowohl auf die germanischen Stämme der Völkerwanderungszeit als auch auf die Germania östlich des Rheins und nördlich der Donau.“ (Kelten, Römer und Germanen)

    Finde ich sehr faszinierend, zu sehen wer hier schon alles wohnte.

    Gruss Frank

  13. @Frank:

    Daß es in unserer Vergangenheit hierzulande auch Kelten und Germanen gegeben hat, ist klar. Und daß diese Volksgruppen faszinierend sind, ebenso – da stimme ich Dir voll zu (wenngleich ich von beiden nur recht oberflächliche Kenntnisse habe)! 🙂

    Sicherlich wird man auch auf tausend Umwegen irgendwelche Ähnlichkeiten zu heutigen Phänomenen ausmachen können. Mir ging es um die wirklich klar erkennbaren und eher unmittelbaren als mittelbaren Einflüsse vor allem auf unser Grundgesetz, und da spielen Kelten und Germanen dann eine doch eher untergeordnete Rolle. 😉

  14. @Frank du hast in deinem Kommentar vom 27. Apr 2010 um 17:55 Uhr ein sehr langes Zitat eines Radiokommentars (ich habs bei SWR 2 gehört) verwendet.
    Falls du nicht selbst der Radiokommentaror sein solltest, wäre es meiner Meinung nach gut gewesen dieses Zitat zu kennzeichnen.

    Im übrigen sagt das Kruzifix-Urteil nicht aus, dass alle Kreuze zu verschwinden haben. Es sagt lediglich aus, dass das bayrische Gesetz nach dem in jedem Zimmer auf jeden Fall Kreuze angebracht sein müssen verfassungswidrig ist.
    Ob mit Einverständnis aller Eltern und Schüler ein Kreuz aufgehängt werden darf wurde nicht ausdrücklich entschieden. In Bayern wurde der Weg gewählt dass ein Kreuz hängt, es jedoch aus wichtigem Grund auf Antrag abgehängt wird. Ob dieses neue Gesetz verfassungsgemäß ist , ist noch nicht entschieden.
    Außerdem gibt es meines Wissens keine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts dass es dem Schulleiter verbietet dem Hausmeister den Auftrag zu geben ein Kreuz aufzuhängen. Er muss zuvor natürlich die Eltern fragen ob sie dies ablehnen aber wenn keine Einwände kommen erkenne ich nicht warum es gesetzeswidrig sein sollte es aufzuhängen.

  15. Bei der Einschulung meines jüngsten Sohns vor 3 Jahren hat die Schulleiterin angekündigt, die Kinder würden in dieser (übrigens öffentlichen) Schule nach christlichen Grundsätzen erzogen werden. Ich habe mich also informiert und zu meiner Überraschung festgestellt, dass es gar keine typisch christlichen Werte gibt. Die Gebote sind aus dem alten Testament, andere Werte sind eher humanistisch und auch in anderen Religionen vorhanden. Es wird aber regelmäßig von christlichen Werten geredet, als sei es eine Sebstverständlichkeit (siehe auch in einem Beitrag weiter oben).

    Genauso eine Selbstverständlichkeit sollen auch Kreuze im täglichen Leben sein, obwohl vermutlich wieder keiner sagen kann, wofür sie eigentlich stehen. Ist es ein positiver Hinweis auf mögliche Chancen oder eher eine Drohung gegen Fehlverhalten? Was ist die Aussage eines Kreuzes gegenüber Nicht-Christen?

    In der Schule meines Sohns hängen zum Glück keine Kreuze, es wird aber im Religionsunterricht regelmäßig gebetet, außerdem erfolgte inzwischen eine Trennung in katholische und protestantische Kinder. Das heißt der Religionsunterricht ist kein Unterricht, wo man etwas Allgemeingültiges lernt, sondern eine gezielte Anpassung an konkrete kirchliche Verhaltensweisen. Das gelegentliche über den Tellerrand gucken dient nicht dazu, den Kindern eine mögliche Mitgliedschaft in einer anderen Religion zu ermöglichen, sondern um sich noch deutlicher von dieser abzugrenzen.

    Unter diesen Umständen ist ein Kreuz an der Klassenzimmerwand keine Kuckucksuhr, die ein bisschen Lokalkolorit verbreitet, sondern der Ausdruck der in diesen Räumen verbreiteten Religionssicht. In der Schule meines Sohns ist das (auch ohne Kreuz an der Wand, aber durch übergroße Poster auf den Fluren dokumentiert) der Aufruf zu ständiger Dankbarkeit für alles, was der liebe Gott so erschaffen hat. Außerdem zeigt sich noch starker Missionsdrang, indem die Kinder z.B. im Musikunterricht immer und immer wieder singen müssen, dass sie in alle Welt die Verkündigung von ihrem Gott schreien werden.

    Was ich damit eigentlich sagen will: Ein Kreuz kann harmlos sein, bildet aber zusammen mit dem christlichen Missionierungs- und Anbetungswahn eine Bedrohung für die freie Entwicklung eines offenen Weltbildes. Und das ist wahrscheinlich auch der Zweck der Kreuze, auch wenn es so offen natürlich nicht zugegeben wird.

  16. @Florian: Religionsunterricht setzt eine religiöse Bindung voraus. Die ist – hier zumindest – bei den meisten in irgendeiner Form vorhanden. Die Kinder lernen dann, ihre eigene Tradition zu verstehen, und die der anderen kennen und achten. Wie oben gesagt, „Neutralität“ ist eine Fiktion. „Frei und offen“ setzt immer einen Standpunkt voraus.
    Bei ganz normalen religiösen Vollzügen wie dem Singen geistlicher Lieder (was singt man eigentlich sonst so in den Charts?) von „Missionierungs- und Anbetungswahn“ zu reden ist einfach absurd. Der RU ist ja nicht alternativlos. Dann halt Ethik, wo ist das Problem?
    Derzeit ist es allerdings so, dass der konfessionelle RU sehr gefragt ist und viele konfessionslose Eltern ihre Kinder dort anmelden, was Lehrer und Schulleitungen in der Planung jedes Jahr wieder vor einige Probleme stellt. Das würden die Eltern doch nie tun, wenn sie so wie Du Gehirnwäsche vermuteten.
    Dass christliche Werte keine Besonderheit sind, wie Du feststellst, liegt daran, dass der moderne Humanismus christliche Wurzeln und die Werte einfach übernommen hat. Ohne diese Jahrhunderte christlicher Prägung im Westen sähe unsere Kultur möglicherweise ganz anders aus.

  17. @Frank:

    Wenn von „christlichen Werten“ gesprochen wird, dann würde ich zunächst einmal darauf sehen, wer das eigentlich sagt. CDU-Politiker z.B. reden gerne und laufend davon – und das selbst dann, wenn sie sich selbst gar nicht als bekennende Christen bezeichnen würden. In diesem Fall ist die Betitelung von „Werten“ als „christlich“ meist (nicht immer) relativ diffus und oftmals austauschbar mit einem „Verhaltenskodex“, den genauso auch ein Humanist etc. vertreten könnte. Daher wäre zu fragen, was die Schule, an die Dein Sohn geht, unter „christlichen Werten“ denn genau versteht. Auf die Einflüsse, die auch das Christentum auf die Aufklärung gehabt hat (und sei es im konkreten Fall nur in der dezidierten Ablehung des Christentums gewesen – darüber hinaus gibt es allerdings noch viel explizitere Vebindungslinien), habe ich ja schon hingewiesen. Auch hier sind gewisse Überschneidungen also nicht zufällig.

    Wenn ein Christ von „christlichen Werten“ spricht, dann ist „christlich“ hier nicht als Exklusivbezeichnung zu verstehen, sondern vor dem Hintergrund, daß das Christentum selbstverständlich auch das sogenannte „Alte Testament“ zu seiner Heiligen Schrift zählt und das Judentum die unverzichtbare Wurzel des Christentums darstellt. Insofern sind „christliche Werte“ ganz und gar nicht zufällig in der Regel auch „jüdische Werte“.

    Daß ein Christ nicht sagen kann, wofür das Kreuz steht, wage ich zu bezweifeln. Wenn er es nicht kann, dann würde ich doch zumindest wissen wollen, warum er sich „Christ“ nennt, immerhin sind Kreuz und Aufersteung das Zentrum des christlichen Glaubens. Unabhängig davon muß aber darauf hingewiesen werden, daß das Kreuzeszeichen – ob nun im staatlichen oder kirchlichen Raum – nicht eigentlich Botschaft von Christen an Christen oder von Christen an Nichtchristen oder wie auch immer ist, sondern ursprünglich als die Botschaft Gottes an den Menschen schlechthin zu verstehen ist. Daß diese Botschaft im Laufe der Geschichte auch zur Durchsetzung menschlicher Eigeninteressen mißbraucht und entstellt wurde, sollte davon unterschieden werden. Und wo immer solcher MIßbrauch und solche Entstellung heute noch geschieht, sind Christen dazu aufgerufen, darauf aufmerksam zu machen.

    Was den Religionsunterricht Deines Sohnes angeht, so möchte ich Dich ermutigen, Dir einmal die Begründung des konfessionellen Religionsunterrichts und dessen Inhalte näher anzusehen. Es geht dabei nicht um „gezielte Anpassung an konkrete kirchliche Verhaltensweisen“, sondern um die Reflexion der Inhalte einer Konfession, zu der diese Kinder in der Regel ja auch gehören. Daß es nicht der eigentliche Sinn eines konfessionellen Unterrichts sein kann, Kindern die mögliche Mitgliedschaft in einer anderen Religionsgemeinschaft zu ermöglichen, dürfte sich ja von selbst verstehen. Ich sehe aber auch keinen Grund, warum der konfessionelle Religionsunterricht hier einen Hinderungsgrund darstellen sollte – im Gegenteil macht der Religionsunterricht in dieser Hinsicht Kinder überhaupt erst „mündig“, indem religiöse Inhalte und deren Integration in die Lebenswirklichkeit der Kinder reflektiert werden. Wenn Eltern nicht wollen, daß ihre Kinder den konfessionellen Religionsunterricht besuchen, dann ist ihnen die Abmeldung davon ja jederzeit möglich – Alternativangebote wie z.B. der Ethikunterricht können, sofern vorhanden, ebenfalls jederzeit genutzt werden.

    „Mission“ und „Anbetung“ scheinst Du nur unter dem Vorzeichen des „Wahns“ sehen zu können. Abgesehen, daß auch Du hier gerade „missionierst“, indem Du für Deine Sicht der Dinge wirbst (und das ist Dein gutes Recht!), würde mich interessieren, welche traumatischen Erfahrungen Du mit Christen gemacht hast, daß Du hier von „Wahn“ sprechen mußt. Für mich kann man beides auch ganz „nüchtern“ haben. Auf die Bedeutung des Kreuzes, die Du in diesem Zusammenhang nennst, habe ich ja oben schon hingewiesen. Mal ehrlich: ist es das, was Du unter „Toleranz“ verstehst – hinter dem Kreuz eine verborgene Agenda zu vermuten, die „so offen natürlich nicht zugegeben wird“? Wie kommst Du zu dieser Annahme? Und, einmal ganz davon abgesehen: die Rechtsgrundlage in Deutschland ermöglicht es Dir doch, gegen diese Praxis in der Schule Deines Sohnes zu klagen. Vielleicht wäre aber zunächst einmal der bessere Weg, in ein offenes Gespräch darüber mit der Schulleitung, dem Religionslehrer und Eltern von anderen Schülern dieser Schule zu kommen. Auf diesem Wege ließe sich womöglich manches Mißverständnis beseitigen und ein echter Dialog starten.

  18. @Peter: Du schreibst „Religionsunterricht setzt eine religiöse Bindung voraus. “ Was ist eine religiöse Bindung, und wo soll sie bei 7jährigen herkommen? Ich denke vor einem Alter von mindestens 16 ist eine echte religiöse Bindung gar nicht möglich, und eigentlich auch nicht wünschenswert.
    Einen „ganz normalen religiösen Vollzug“ sollte es deshalb in einer öffentlichen Schule gar nicht geben, auch nicht in Istanbul. Wir wollen ja heute auch keinen ganz normalen geschlechterspezifischen Vollzug mehr, in dem die Mädchen Häkeln und die Jungen Handwerken lernen. Das heutige Paradigma ist doch die freie und gleichberechtigte Entwicklungsmöglichkeit für jedes Kind in den Grenzen unserer Grundordnung, die auf den Humanismus gegründet ist. Die Kinder sollen die Welt kennenlernen und dazu gehören auch die Religionen. Es wird Kinder geben, die sind schon fest ins Christentum integriert, andere in den Islam. Die meisten aber sitzen in dem Alter zwischen lauter Stühlen, da gibt es Konsumzwang, Computerspiele, Fernsehen und weitere neue Kulte, die du ja oben richtig angesprochen hast. Und in diesem Chaos muss die Schule ein neutraler und verlässlicher Partner der Kinder sein.
    Ich bin übrigens ein genauso starker Gegner von Sponsoring in Schulen. Für mich ist es kein Unterschied, ob ein Kreuz oder ein Coca-Cola Emblem an die Wand gehängt wird. Dem Kind wird in beiden Fällen gezeigt, wer Macht und Einfluss an der Schule hat.

  19. @Florian: Wenn der Humanismus deine Weltanschauung ist, gibt es, wie gesagt. den Ethikunterricht. Aber natürlich können Kinder mit 7 eine religiöse Bindung haben. Sie kommt von den Eltern und den Kirchengemeinden, in denen schon die Kleinsten am Gottesdienst und religiösen Leben teilnehmen können und das oft genug auch tun. Diesen Humanismus für alle verbindlich zu machen (Frank geht ja in dieselbe Richtung), würde ihn zur Metareligion erheben. Pluralismus ist aber etwas anderes. Er setzt voraus, dass unterschiedliche Standpunkte ohne Meta-Ausgleich bestehen.

  20. … noch eins – es ist immer eine Frage der Sichtweise: Man kann das Kreuz (wie gesagt, es ist durchaus entbehrlich in den Schulen und bei dir offenbar ja auch nicht vorhanden) in seiner kritischen Funktion auch so verstehen, dass es Menschen daran erinnert, das Leistung und Erfolg nicht der Heilsbringer ist im Leben und dass der säkulare Staat nicht die Instanz ist, die ein letztgültiges Urteil über mich fällen darf.

  21. @Tobias: Danke für die Hinweise. Dass das Kreuz als Symbol ein Zentrum des christlichen Glaubens ist, ist mir schon klar. Aber dann hört meine Vorstellungskraft auch auf. Die Bedeutung der Auferstehung z.B. ist mir nie klar geworden, und damit stehe ich nicht allein. Immer wieder zu Ostern wird darauf hingewiesen, dass Ostern eigentlich das wichtigste christliche Fest sei, die Bevölkerung feiert aber hartnäckig Weihnachten als größtes christliches Fest. Die Geburt eines Heilands ist eben einfacher zu begreifen als dessen Tod und Himmelfahrt. Und sie stellt ja auch den ersten und damit wichtigeren Akt Gottes dar, würde ich persönlich sagen.
    Das Kreuz bzw. die Kreuzigung selbst ist doch gar kein Akt Gottes gewesen. Es waren doch die Menschen, die diese barbarische Foltermethode angewendet haben. Wenn du nun schreibtst, dass das Kreuzeszeichen als „die Botschaft Gottes an den Menschen schlechthin zu verstehen ist“, dann sagt das auch nicht, was die Botschaft eigentlich ist. Ich habe in den letzten Jahren sehr unterschiedliche Auffassungen des christlichens Gottesglaubens kennengelernt, die mir zum Teil gar nicht fremd waren. Aber ein Gott der als wichtigste Botschaft ein Folterwerkzeug benutzt, ist mir suspekt.

    „“Mission” und “Anbetung” scheinst Du nur unter dem Vorzeichen des “Wahns” sehen zu können.“ Nein nein, ich finde es gut, wenn jemand eine Mission hat und dafür lebt, und jeder hat das Recht etwas anzubeten. Aber wenn meinen Sohn eingeredet wird, er müsse missionieren und beten, um in den Himmel zu kommen, dann hört bei mir die Toleranz auf.

  22. @Florian:

    Damit kommen wir jetzt ganz schön weg vom eigentlichen Diskussionsgegenstand. Aber es wäre auch blöd, jetzt gar nichts zu Deiner Anfrage ans die Bedeutung des Kreuzes zu sagen, daher bloß ein paar kurze Anmerkungen, um die gröbsten Mißverständnisse aus dem Weg zu räumen:

    [Ansonsten ist für das bessere Verständnis von Kreuz und Auferstehung (Himmelfahrt ist nochmal was anderes ;-)) z.B. ein Erwachsenenkatechismus ganz gut, sei es nun ein evangelischer oder katholischer, da gibt es in den wesentlichen Punkten keine entscheidenden Unterschiede – einfach mal bei Amazon „Evangelischer“ bzw. „Katholischer Erwachsenenkatechismus“ eingeben]

    Die Tod Jesu am Kreuz ist nicht als Strafhandeln Gottes an seinem eigenen Sohn zu verstehen – auch, wenn es in der Kirchengeschichte ab und an Tendenzen gab, das so zum Ausdruck zu bringen. Entscheidend ist da grundsätzlich das biblische Zeugnis. Und da muß man sich vor Augen halten, daß es im Grunde Gott selbst ist, der sich kreuzigen läßt, den Tod auf sich nimmt. Die Rede von der „Stellvertretung“ bedeutet in diesem Zusammenhang, daß sich Gott in die tiefste Tiefe hinabbegibt, in der Menschen (und das auch selbstverschuldet) überhaupt fallen können, daß er sich ins Leid begibt und auch dort zu finden ist. Die zentrale Botschaft des Kreuzes ist daher in keiner Weise die Folter, die Grausamkeit etc. – sondern der Umstand, daß Gott sich unserer Grausamkeit aussetzt, um sie zu überwinden: Die Auferstehung bedeutet in Anschluß daran ja, daß der Tod (und die „todbringenden Mächte“) nicht das letzte Wort hat, daß Gott, der Leben ist, ihn besiegt hat und den Menschen an seinem Leben Anteil geben möchte. Das ist nun aber wirklich nur eine sehr verkürzte Darstellung – wie gesagt, ein Katechismus ist für die nähere Beschäftigung damit nicht verkehrt. Und die Bibellektüre schon gleich gar nicht.

    Daß Weihnachten von der Bevölkerung deswegen als Lieblingsfest gefeiert wird, weil die Geburt eines Heilands leichter verdaulich ist, wage ich zu beweifeln. Erstens trennt die Bibel an keiner Stelle zwischen der Menschwerdung Gottes und seinem Tod am Kreuz . Der Jesus, der da geboren wird, ist kein süßes Kindchen, das bekuschelt werden möchte – es ist bereits der Heiland, der für uns Menschen in den Tod gehen wird. Zweitens habe ich nicht den Einruck, daß das, was weithin als „Weihnachten“ gefeiert wird, überhaupt noch irgendeinen expliziten Bezug auf die biblische Botschaft nimmt. Man feiert eben einfach gern.

    Was „Mission“ und „Anbetung“ angeht: wie gesagt, Du kannst Deinen Sohn ja aus dem Religionsunterricht nehmen, wenn Dir das nicht geheuer ist – das ist als Vater Deines Sohnes Dein gutes Recht. Ich würde allerdings doch nachfragen, ob Deinem Sohn wirklich genau das vermittelt wird, er müsse missionieren und beten, um „in den Himmel zu kommen“. Wo und von wem wird das vermittelt, mit welchen Worten, mit welcher Intention? Ich kenne jedenfalls keinen Religionslehrer (ich bin sogar mit einer Religionslehrerin verheiratete und werde in absehbarer Zeit vermutlich auch selbst Religionsunterricht geben), der das auch nur annähernd so ausdrücken und vor allem meinen würde! 🙂

  23. @Peter da ist man mal 3, 4 Stunden nicht da, schon hagelt es Kommentare…

    Ich will nicht den „Humanismus für alle verbindlich zu machen“, wie du schreibst (also die Werte würde ich schon ganz gerne allgemeinverbindlich sehen, das ist aber ein Frage der inneren Einstellung, das geht nicht per Ordre de Mufti), sondern die Idee des Ethikunterrichtes für alle ist es, den Kindern möglichst viele Weltanschauungen darzulegen und Diskussionen darüber zu ermöglichen. Eher eine Art „vergleichende Religionswissenschaft“ Friedrich Heiler et al. Ich sehe in einer Konfession eine „Leiter“
    zu einem höheren Verständnis des Universums im Sinne Meister Eckarts:
    „Er muoz gelichsame die Leiter abwerfen, so er an ir ufgestiegen“

    Und ich bin mit Florian einer Meinung, was die Frage der kindlichen Weltanschauung angeht. Ich schrieb ja oben: Gibt es katholische, evangelische, islamische, buddhistische Kinder? Gibt es dann auch sozialdemokratische, freidemokratische, christsoziale, LINKE Kinder?

    Ganz sicher bekommen Kinder politische Prägungen und weltanschaulich/religiöse Bindungen ihres Umfeldes mit, aber ihnen fehlt a) die Lebenserfahrung und b) das Wissen und c) der nötige Intellekt um wirklich zu verstehen und zu abstrahieren.

    Was die Frage des „letzten Urteils“ angeht, so trifft der Staat nur insoweit Urteile, als du ggf. gegen Normen des Zusammenlebens verstößt. Diese Normen wiederum sind von einer Legislative erlassen worden, die von einer Bevölkerungsmehrheit in allgemeinen, freien und gleichen Wahlen dazu ermächtigt worden ist. Auch letztes Jahr
    😉 Obwohl ein guter (katholischer) Freund und Arbeitskollege mir immer wieder sagt: „Frank, reg dich ab, in Deutschland gibt es 40 Mio Idioten!)

    @Tobias
    http://de.wikipedia.org/wiki/Freudscher_Versprecher
    😉
    P.S. mir persönlich wäre es gleich, ob ein Kreuz, ein Halbmond oder ein
    Mandala oder auch alles zusammen in der Klasse meiner Kinder hinge. Ich
    habe damit kein Problem. Ich sehe es nur von meinem Staatsverständnis aus
    kritisch. Wogegen ich aber was hätte, wäre ein Kreuz mit Gekreuzigtem dran.

    @ Florian: http://gbs-erlangen.blogspot.com/

    Gruss Frank

    P.S:
    Papa? – Ja, mein Sohn. – Papa, weißt du, wer die Dampfmaschine erfunden hat? – Natürlich. Das war James Watt vor über 200 Jahren. – Du weißt so viel, Papa. – Tja. – Papa, sind Väter immer schlauer als ihre Söhne? – Ja, mein Sohn. Väter sind älter und erfahrener und deshalb klüger als ihre Söhne. – Papa? – Ja, mein Sohn! – Sag mal, Papa, warum hat dann eigentlich nicht James Watts Vater die Dampfmaschine erfunden ?

  24. @Tobias: Das ist doch ein Widerspruch in sich: Man hängt Kreuze in Schulen auf, so dass die Kinder sie immer ansehen müssen, die wirkliche Bedeutung des Kreuzes ist aber nur nach dem Studium eines Erwachsenen-Katechismus verständlich.
    Mir erschließen sich einige grundlegende Denkweisen nicht. Du schreibst:
    „Die zentrale Botschaft des Kreuzes ist daher in keiner Weise die Folter, die Grausamkeit etc. – sondern der Umstand, daß Gott sich unserer Grausamkeit aussetzt, um sie zu überwinden.“
    Ich sehe uns nicht als grausam an, jedenfalls nicht in der Allgemeinheit. Ich fühle mich auch nicht schlechter als Gott. Und ich fühle mich auch nicht als Sünder. Und ich möchte auch, dass mein Sohn sich nicht als Sünder fühlt, oder als grausam, oder überhaupt ohne Grund selbst negativ einschätzt. Und er hat auch keinen Grund, jemandem dankbar zu sein. Für dieses Grundrecht kämpfe ich, die Welt sehen zu dürfen, wie man will. Das Kreuz symbolisiert etwas anderes, auch wenn ich es vielleicht gar nicht richtig verstehe.

  25. @Florian: „Sünder“ heißt im christlichen Verständnis ja nicht „schlechter Mensch“, auch wenn das verschiedentlich so dargestellt wurde, auch von Christen. Die meisten Leute, die ich kenne, würden trotzdem zustimmen, dass wir trotzdem immer wieder Gelegenheiten auslassen, das Gute und Richtige zu tun, und dass wir in unseren Beziehungen (zu anderen, uns selbst und ja, auch zu Gott) uns nicht von einer gewissen Trägheit und Selbstbezogenheit lösen können. Klar kann man jetzt sagen, Mittelmaß ist normal, andere sind auch nicht besser, wer maßt sich ein Urteil an. Gesetze machen doch immer die Sieger. Nun Gott, wenn er denn Schöpfer ist, wäre vielleicht aber doch so eine Instanz.
    Nur liegt ein Teil der Probleme in unserer Welt ja auch daran, dass „gute Leute“ nichts tun oder nur halbherzig das Richtige. Beispiele kann ich mir, denke ich, schenken.
    Unsere Systeme – Bildung, wenn es um Schule geht, Wirtschaft, Soziales, Medizin, Sicherheit – produzieren ständig Ungerechtigkeiten und „Opfer“. Das Kreuz ist ein Symbol dafür, dass Gott die Opfer unserer Schulpolitik, Asylpolitik, Sozialpolitik etc. nicht verlassen hat, sondern auf ihrer Seite ist. Egal was das System über sie sagt, es gibt Hoffnung auf ein erfülltes Leben. Und auch die Hoffnung, dass bei einem Systemwechsel nicht die Opfer von früher quasi automatisch die Täter von heute werden. Ein gutes, wenn auch nicht perfektes Beispiel dafür wäre der friedliche Wandel in Südafrika.
    Wenn ich das Kreuz so verstehe, dass Gott sich selbst so radikal verschenkt und dabei die Opfer aufrichtet und den Tätern (auch den „Untätern“, die durch Nachlässigkeit Schaden anrichten) die Versöhnung anbietet, dann würde ich auf jeden Fall sagen, dass ich diese Größe, meinen Feind zu lieben, nur in wenigen lichten Momenten und auch dann nur mit Gottes Hilfe erreiche. Und dankbar dafür bin, wenn Gott mir und der Welt in der Auferstehung Christi einen neuen Anfang und eine unbegrenzte Hoffnung schenkt, die ich mir selbst nicht schenken kann

  26. @Forian:

    Ich habe nicht gesagt, daß man die Bedeutung des Kreuzes erst nach dem Studium eines Erwachsenen-Katechismus verstehen kann. Ich habe das lediglich als ein Beispiel vertiefender Literatur genannt. Auch Kinder können das Kreuz durchaus auf ihre Weise schon begreifen. In der Tat sollte man sich aber vielleicht einmal damit abfinden, daß Glaubensinhalte kein Fast-Food sind – und auch nicht wie eine Rechenaufgabe, die man nur einmal durchschaut haben muß, um sie dann abhaken zu können. Man wird als Christ nicht „fertig“ mit dem Kreuz, sowenig man mit Gott „fertig werden“ kann.

    Was ich als „Grausamkeit“ genannt habe, kannst Du auch gerne gegen andere Begriffe austauschen, sei es „Zerbrochenheit“, „Unvollständigkeit“, „Sünde“ etc. Das war nur als ein Beispiel neben anderen gedacht, um darauf zu verweisen, daß die eigentliche Botschaft des Kreuzes eben keine grausame, sondern eine befreiende ist. Sie nagelt den Menschen nicht auf seine Sünde fest, weil Gott am Kreuz die Sünde überwindet.

    Du magst Dich nun vielleicht nicht als „Sünder“ fühlen – das könnte daran liegen, daß „Sünde“ für viele Menschen heute schon ein leerer Begriff geworden ist. Was allerdings die Bibel unter „Sünde“ versteht, ist damit längst nicht aus der Welt. Du wirst doch kaum bestreiten können, daß unsere Welt grundlegend aus den Fugen ist, daß Menschen immer (und zwar jeder) auch in der ein oder anderen Form mit gestörten Beziehungen zu kämpfen haben – zu sich, zu ihren Mitmenschen, zur Um-Welt, zu Gott. Das ist es, was die Bibel „Sünde“ nennt. Es geht da nicht primär um moralische Verfehlungen, um Vergehen etc. – sonden um den grundlegenden Umstand, daß wir mit Gott, uns und unserer Welt oft genug nicht „eins“ sind. Die Existenzphilosophie hat es „Entfremdung“ genannt – ein Begriff, mit dem wir heute vielleicht mehr anfangen können.

    Für das Grundrecht, die Welt sehen zu dürfen, wie Du willst, mußt Du in Deutschland m.E. bislang allerdings wirklich noch nicht kämpfen. Du darfst die Welt sehen, wie Du willst, und wenn tausend Kreuze um Dich herumhängen. Zu der Problematik von Religionsfreiheit und „Schutz vor Belästigung durch Religion“ empfehle ich Dir wirklich den Artikel, den ich oben verlinkt habe!

  27. @Tobias: Den Artikel habe ich jetzt fast ganz gelesen. Es geht mir aber um etwas anderes. Es geht mir hauptsächlich um die negative Ausstrahlung eines Kreuzes.
    Ich will den Rahmen hier nicht sprengen und eine Grundsatzdiskussion über die Welt an sich anfangen. Daher nur so viel: “Zerbrochenheit”, “Unvollständigkeit”, “Sünde“ oder auch „Welt aus den Fugen“ ist nicht das, was ich meinen Kindern überliefern möchte. Und ich möchte auch nicht, dass andere (z.B. Lehrer) den Eindruck erwecken, das seien Selbstverständlichkeiten.
    Jeder hat im Leben mal Probleme, keine Frage, und man kann auch in ziemlichen Sumpf geraten, vermutlich gibt es sogar das vielbeschriebene „Böse“ in einer Form. Aber nicht für 7jährige, jedenfalls zum Glück für die meisten nicht. Also Schluss damit, dass die Probleme Erwachsener, die mit sich und der Welt nicht im Reinen sind und dafür eine Lösungsstrategie suchen bzw. die einer Religion aufgreifen, auf unschuldige 7jährige oder noch jüngere ausgewälzt werden. Es gibt für Menschen keinen Grund für Zerbrochenheit, und die Welt ist auch überhaupt nicht aus den Fugen. Als Ebenbild freue ich mich am Leben (fast jeden Tag, aber mindestens jeden zweiten) und ich freue mich auch auf das danach. Wenn diese schuldlose Freude am Leben durch das Kreuz symbolisiert würde, hätte ich damit kein Problem. Es wird aber wie du auch hier bestätigt hast, eher ein Missstand, eine Unvollkommenheit, eine Zerissenheit mit dem Kreuz symbolisiert, jedenfalls in Deutschland. Und damit ist das Kreuz, auch ohne Jesusfigur (=Kruzifix) und sogar ohne die Kreuzigungsgeschichte immer noch ein Symbol einer negativen Weltsicht. Natürlich, ich weiß, es soll im Grunde genau das Gegenteil sein, das Kreuz symbolisiert den Ausweg. Aber ich finde wir brauchen keinen Ausweg, die Welt ist gut so wie sie ist.

  28. @Peter: Sorry, ich hatte deinen letzten Beitrag eben übersehen. Du siehtst im Kreuz vor allem Hoffnung, so verstehe ich dich. Es gibt genügend Situationen, in denen man hofft, z.B. wegen Krankheit. Ich habe aber oben schon beschrieben, dass ich keinen grundsätzlichen Anlass zum Hoffen sehe.
    Ein Symbol für Hoffnung an der Wand – erinnert das nicht immer daran, dass es einen Grund zum Hoffen gibt? Das ist genau die negative Ausstrahlung, die das Kreuz auf mich ausübt. Geschult in vielen Jahren Religionsunterricht, Konfirmandenunterricht etc.

  29. @Florian:

    Wenn Du die Aussage, die Welt sei nicht aus den Fugen und gut so, wie sie ist, so tatsächlich ernstmeinst, dann würde ich Dir massiven Realitätsverlust attestieren. 🙂 Für die Feststellung, die Welt sei aus den Fugen, braucht es nicht einmal eines Gottesglaubens – selbst die hartnäckigsten Atheisten haben die Welt im Verlaufe der Geschichte so wahrgenommen. Und, ehrlich gesagt, nehme ich Dir das so auch nicht ab. Mag es bei Dir Verdrängung sein, Koketterie etc. – ein Blick in die Zeitung morgens zeigt auch dem letzen Hinterwäldler, daß die Welt so, wie sie ist, nicht in Ordnung ist. So gesehen mußt Du Deinen Sohn wirklich eher vor der Zeitungslektüre bewahren, als vor dem Anblick eines Kreuzes.

    Meine Ausführungen hast Du m.E. falsch verstanden. Nocheinmal: Das Kreuz ist eben nicht primär Symbol für die Zerrissenheit der Welt, sondern Symbol für deren Heilung. Meine Nichte und mein Neffe mit ihren paar Jahren verstehen das durchaus schon – und sie haben nun wirklich kein krankhaftes Sündenbewußtsein, das sie traumatisieren würde und ihnen die Lebensfreue nähme, im Gegenteil.

    Vielmehr müßte man hier doch fragen, warum das Kreuz für Dich mit derart negativen Assoziationen verbunden ist. Was ist in Deiner „religiösen Sozialisation“ passiert, so zu denken und zu empfinden? Den eigentlichen Bedeutungsgehalt jedenfalls erhält das Kreuz als zentrales Symbol des Christentums nicht durch Deine oder meine Empfindungen, sondern von seinem ursprünglichen „Sitz im Leben“, und der kann biblisch-theologisch herausgearbeitet werden. Daß mit dem Kreuz auch andere Assoziationen verbunden sind, ist eine Tatsache, die es ernstzunehmen gilt, das will ich gar nicht in Abrede stellen. Aber ich kann doch auch nicht verlangen, daß McDonalds das goldene M von seinen Restaurantdächern entfent, weil ich damit evtl. mal ein traumatisches Erlebnis hatte.

  30. @Tobias: Mehr als ich schon geschrieben habe kann ich dazu eigentlich nicht sagen. Wenn man das Leben so akzeptiert, wie es nunmal ist, braucht man auch keine Heilung. Und die tritt ja auch nicht ein, jedenfalls nicht für die Welt. Das Kreuz ist nun 2000 Jahre alt und die Welt hat sich seitdem aus Sicht der Christen nicht groß verändert. Oder würdest du sagen, in den letzten 2000 Jahre wäre die Welt in Ordnung gebracht worden. Im Gegenteil, du bezeichnest sie als aus den Fugen geraten.
    Was liest du denn in der Zeitung, was auf eine aus den Fugen geratene Welt schließen lässt? Ist es die Theorie der Klimaerwärmung oder sind es die Kriege und Unglücke, die dich beunruhigen? Ich meine dass wir sterben müssen ist ja nicht neu …
    Ich bin durchaus dafür, die Welt zu verbessern. Ich beherzige aber auch den Grundsatz „Don’t carry the world upon your shoulders.“ Und immer wieder: Für meinen damals 7jährigen Sohn konnte ich mir gar nichts anderes vorstellen.

  31. @Florian:

    Was das Kreuz und die damit verbundene „Heilung“ angeht – nein, ich behaupte auch nicht, das habe die Welt Hier und Jetzt schon endgültig in Ordnung gebracht. Das ist aber auch nicht das, was die Bibel darüber aussagt und das Christentum seit knapp 2000 Jahren glaubt. Wie gesagt, wenn man etwas wirklich verstehen möchte, dann muß man sich damit beschäftigen, und es nicht aufgrund von ein, zwei logischen (Kurz-)Schlüssen zu den Akten legen. Die Frage ist, ob Du daran überhaupt Interesse hast. Wenn nein, ist das Dein gutes Recht. Allerdings mußt Du Dich dann auch damit abfinden, daß Menschen, für die der Glaube durchaus etwas bedeutet, und daß ein Staat, der sich in vielen Teilen noch dessen bewußt ist, daß sich das Grundgesetz beispielsweise in vielerlei Hinsicht dem Christentum verdankt, sich nicht übermäßig davon beeindruckt zeigen und eher ablehnend sein werden, wenn jemand das Abhängen von Kreuzen verlangt, weil er – vielleicht gerade aufgrund des Desinteresses einer näheren Beschäftigung damit – seine persönliche Gemütslage dadurch beeinträchtigt sieht.

    Ansonten höre ich aus dem, was Du schreibst, eine Menge Zynismus heraus. Zynismus ist aber in der Regel alles andere als Ausdruck einer Welt, die in Ordnung ist, und eines Selbstbewußtseins, das mit sich und/oder der Welt im reinen ist. Ich möchte Dir da nichts unterstellen, ich teile nur mit, was bei mir ankommt. Zu Deinem Sohn: das „Don’t carry the world upon your shoulders“ würde ich sofort unterschreiben. In gewisser Weise ist das sogar ein Ausdruck des Kreuzesgeschehens! 🙂 Zum besseren Verständnis meinerseits: ich dachte, Du redest von der aktuellen Situation Deines Sohnes. Du schreibst jetzt aber „Für meinen damals 7jährigen Sohn konnte ich mir gar nichts anderes vorstellen“ – wie alt ist er denn heute, und was sagt er selbst etwa über seinen Religionsunterricht etc.?

  32. @Tobias: Mein Sohn ist jetzt 9 und in der dritten Klasse. Er wollte nicht beten und wir mussten ihn daher aus dem Religionsunterricht nehmen. Ethikunterricht gibt es wie an den meisten anderen Grundschulen nicht.
    Ich habe aber noch zwei ältere Töchter, die längere Zeit am Religionsunterricht teilgenommen haben, daher habe ich also ein paar Erfahrungen was Religionsunterricht heutzutage bedeutet. Sie machen mir heute Vorwürfe, dass ich sie mit dieser bedrohlichen Situation in den ersten Schuljahren allein gelassen habe. Kann natürlich an den zwei Religionslehrerinnen gelegen haben.
    Ich bin überhaupt nicht zynisch. Ich habe einfach keinen Grund, mich über das Leben zu beschweren. Vielleicht hälst du den Satz „dass wir sterben müssen ist ja nicht neu“ für zynisch, ist aber nicht so gemeint gewesen. Wir wissen doch, dass das hier nur eine Existenz ist, nach der eine andere folgt. Über das was kommt wissen wir zwar nichts, aber es kommt auf jeden Fall. Meine Katze macht sich auch keine Sorgen, sie lebt weil sie die Aufgabe hat zu leben. Und weil es Spaß macht. Genauso sehe ich das auch.

  33. @Florian:

    „Wir wissen doch, dass das hier nur eine Existenz ist, nach der eine andere folgt.“ – Woher wissen wir das?

    Was das Sorgen angeht: Der Glaube an Kreuz und Auferstehung ist ganz sicher nicht dazu da, Sorgen zu produzieren und zu kultivieren – im Gegenteil! Die Entsprechung hat das z.B. in folgender Jesusrede aus Matthäus 6:

    „25 Darum sage ich euch: Sorgt nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung? 26 Seht die Vögel unter dem Himmel an: sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel mehr als sie? 27 Wer ist unter euch, der seines Lebens Länge eine Spanne zusetzen könnte, wie sehr er sich auch darum sorgt? 28 Und warum sorgt ihr euch um die Kleidung? Schaut die Lilien auf dem Feld an, wie sie wachsen: sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht. 29 Ich sage euch, dass auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht gekleidet gewesen ist wie eine von ihnen. 30 Wenn nun Gott das Gras auf dem Feld so kleidet, das doch heute steht und morgen in den Ofen geworfen wird: sollte er das nicht viel mehr für euch tun, ihr Kleingläubigen? 31 Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen: Was werden wir essen? Was werden wir trinken? Womit werden wir uns kleiden? 32 Nach dem allen trachten die Heiden. Denn euer himmlischer Vater weiß, dass ihr all dessen bedürft. 33 Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen. 34 Darum sorgt nicht für morgen, denn ader morgige Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, dass jeder Tag seine eigene Plage hat.“

    Christlicher Glaube ist in dieser Hinsicht also durchaus auch Sorgenbewältigung – mit der Pointe natürlich, daß erst in der Gemeinschaft mit Gott diese Sorgenbefreiung auch ihren Grund findet. Was die Religionslehrerinnen „verbrochen“ haben, daß ein so gegenteiliges Bild von christlichem Glauben hervorgerufen worden ist, wüßte ich gerne. Ich kann da leider keine Ferndiagnose stellen – aber daß da etwas ziemlich schiefgelaufen sein muß, ist klar. 🙂

  34. @Tobias:
    “Wir wissen doch, dass das hier nur eine Existenz ist, nach der eine andere folgt.” – Woher wissen wir das?
    Also meine Kinder haben das von mir gelernt, das war so ungefähr das einzige, was ich ihnen in geistlicher Hinsicht mit voller Überzeugung mit auf den Weg geben konnte. Der Grundsatz hat sogar ihren Religionsunterricht unbeschadet überstanden 😉
    Merke ich manchmal, wenn wir über solche Dinge reden.

  35. @Tobias:
    Naja, soviele andere Möglichkeiten gibt es ja nicht. Entweder man glaubt an gar nichts oder an einen Sinn. Und dann ist es ja auch logisch, dass es irgendwie weitergeht. Als ich das vor 25 Jahren mutig meiner Frau erklärte (wir kannten uns ja noch nicht lange), meinte sie zu meiner Überraschung, das wäre doch sowieso klar. Seitdem habe ich mich völlig an den Gedanken gewöhnt.
    Vielleicht ist das in meiner religiösen Sozialisation schief gelaufen: Ich bin nachträglich sauer, dass mir genau diese Überzeugung nicht gegeben bzw. vorgelebt worden ist.

  36. @Florian:

    Ich halte das nicht für logisch: der „Sinn“ könnte ja z.B. ja auch darin bestehen, sein Leben auf Kosten anderer so schön und lange wie möglich zu gestalten, bevor man dann in ein namenloses Nichts eingeht. Nicht, daß man es so sehen müßte, aber die Logik ließe hier vielfältige Möglichkeiten zu. Zumal man mit einem „Irgendwie“ nicht viel anfangen kann, außer vielleicht ihm den schwachen Trost zu entnehmen, daß das Hier und Jetzt nicht alles gewesen sein kann – das wäre dann aber ein Indikator für eine tiefe Unzufriedenheit mit diesem Hier und Jetzt, Merkmal einer Sehnsucht – nur, wohin mit dieser Sehnsucht, wenn es nach diesem Leben ja auch nur „irgendwie“ weiterginge?

    Aber ich verstehe jetzt, was Du oben gemeint hast, danke! Einen schönen Sonntag Dir! 🙂

  37. @Florian: Am Ende einer langen Diskussion will ich Dir die innere Zufriedenheit nicht madig machen. Nur wenn Begriffe wie Gerechtigkeit irgendeinen Sinn behalten sollen, dann muss man davon ausgehen, dass der Ist-Zustand der Welt (mich eingeschlossen) mit dem Soll-Zustand nicht im Einklang ist – woher auch immer man einen Maßstab nimmt, diese Differenz zu bewerten. Sonst hätte ja auch Dein Protest bzw. Frust über RU und religiöse Sozialisation gar keine Grundlage. Oder anders gesagt: Du hast offenbar doch einen Grund, Dich „über das Leben zu beschweren“.

    Wenn aber (ich hoffe, das habe ich jetzt richtig verstanden, soll keine Karikatur sein) der Sinn darin besteht, dass es kommt, wie es kommt, und irgendwie gut ist, dann ist das (und ich glaube, Tobias hat darauf angespielt) zumindest für die Menschen starker Tobak, die schreiendes Unrecht erlitten haben. Zu denen gehörst Du offenbar nicht, aber immerhin gibt es auch vergleichsweise kleine Dinge, die Dich ärgern oder verletzt haben.

    Ich kann diesen Widerspruch nicht auflösen. Wo ist der Trick?

  38. @Peter:
    Die Anspielung hast Du richtig verstanden! 🙂

    @Florian:
    Peter hat da etwas geschrieben, worauf hinzuweisen mir auch wichtig es: mir geht es ebenfalls nicht darum, Deine Zufriedenheit madig zu machen – aber auch ich sehe einen großen Widerspruch in Deiner Argumentation und suche nach dem „Trick“.

  39. @Tobias und Peter:
    Noch einmal: Ich bin mit dieser Welt so wie sie ist sehr zufrieden. Ich halte nichts davon einen Sollzustand der Welt zu definieren. Ich bin hier Gast und muss das Beste daraus machen. Ich versuche in meinem Einflussbereich positiv zu wirken, weil mich das zufrieden macht. Das reicht mir.

    Es reicht mir auch zu wissen, dass es nach dem Tod irgendwie weitergeht. Als Jugendlicher hatte ich Angst einfach nicht mehr zu existieren nach dem Tod. Die Angst habe ich verloren. Jetzt freue ich mich eher auf neue Abenteuer. Das impliziert natürlich, dass alles einen Sinn hat, für mich jedenfalls. Vielleicht werde ich den nach dem Tod erfahren, vielleicht muss ich auch noch ein paar Runden drehen. Ihr seht, ich bin in meiner Vorstellung von bekannten religiösen Vorstellungen nicht unbeeinflusst.

    Was ich aber nach wie vor nicht verstehe und was aus meiner Sicht auch kein vergleichsweises kleines Ding ist, wie du Peter oben schreibst, ist das Problem der Christen mit diesem gesunden Vertrauen in die Zukunft nach dem Tod. Das wird immer in Frage gestellt, bzw. auf einen einzigen gangbaren Weg reduziert, für den man auch zu Lebzeiten viel tun muss, und bis zuletzt muss man hoffen, dass es am Ende auch klappt. Das halte ich für taktische Angstmacherei, und dafür steht für mich am Ende auch das Kreuz (womit wir wieder beim Thema wären).

    Schönen Dank trotzdem für die Diskussion, mir ist jetzt selber etwas klarer geworden, warum mich ein Kreuz an der Wand immer noch erschreckt. Es ist wie ein schlechtes Gewissen, obwohl ich weiß, dass ich alles richtig mache.

  40. @ „…ist das Problem der Christen mit diesem gesunden Vertrauen in die Zukunft nach dem Tod. Das wird immer in Frage gestellt, bzw. auf einen einzigen gangbaren Weg reduziert, für den man auch zu Lebzeiten viel tun muss, und bis zuletzt muss man hoffen, dass es am Ende auch klappt. …“

    Ich denke nicht, dass man zu Lebzeiten so viel für den „gangbaren Weg“ tun muss.
    Also kein Tun i.S. v. abrackern und ächzen und arbeiten.

    Als meine Mutter im vergangenen Jahr starb, ist es mir noch einmal so bewusst geworden, Jesus sagt zu einer seiner guten Freundinnen: „Ich bin die Auferstehung und das Leben; wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er gestorben ist; und jeder, der da lebt und an mich glaubt, wird nicht sterben in Ewigkeit.“
    Nachzulesen in der Bibel, Johannes 11, 25 ff.

    Meine Mutter war eine eher praktische als fromme Frau – ein „Martha-Typ“, also jener Frau vergleichbar, zu der Jesus das sagt. Sie machte nicht viel fromme Sprüche und besaß eine gesunde Portion an nüchterner Kritik.
    Ich war bei ihr als sie starb, ganz friedlich, ganz gelöst, ich habe für sie gebetet und gesungen. Sie hat Jesus geglaubt, mehr nicht, mehr hat sie nicht getan! Und es war, als sei Jesus selbst an ihrem Sterbebett geween, um sie heim zu holen in die Ewigkeit Gottes.
    Das Kreuz eben nicht als Angstmacherei, sondern als Zeichen des Friedens, den Gott den Menschen schenkt: „Meinen Frieden gebe ich euch“, sagt Jesus. Und er knüpft keine weiteren Bedingungen daran, keinen Katalog von Verhaltensregeln die man einhalten muss, keinen Strafenkatalog. Er stellt lediglich eine simple Frage.
    „Glaubst du das?“ fragt er die Martha, von der im oben genannten Bibelzitat die Rede ist.

    Das ist der gangbare Weg und sein Zeichen ist das Kreuz.

    Darum ist das Kreuz für die, die Jeus glauben, kein Symbol der Bedrohung oder des Schreckens. Es ist das Zeichen des Lebens, der Liebe Gottes zu den Menschen.

    Warum sollte so ein Zeichen der Hoffnung und des Friedens nicht in Klassenzimmern hängen?

  41. @Florian:

    Wer nicht in irgendeiner Art und Weise einen „Sollzustand“ der Welt vor Augen hat, der kann mit seinem Leben – ganz egal, als wie zufällig oder gewollt, unbedeutend oder wertvoll er es betrachtet – weder „das Beste machen“, noch „positiv wirken“. Ohne diesen Sollzustand würde schlichtweg der Maßstab dafür fehlen, was überhaupt „das Beste“ ist und was das „Positive“ vom „Negativen“ unterscheidet. Dann aber stellt sich zwangsläufig die Frage: aus welchen Quellen speist sich dieser gedachte Sollzustand?

    Was Peter oben geschrieben hat, ist in der Tat eine Infragestellung. Meine Anfragen gingen ja auch in die Richtung. Das hat allerdings überhaupt nichts mit einer Abwertung ect. Deiner Position zu tun – diese Infragestellung ist zunächst einmal einfach nur die Frage nach dem Woher und Wozu Deiner Hoffnung und Deines Vertrauens. Wenn ich über dieses Woher und Wozu keine Gewißheit hätte, dann müßte ich diese Hoffnung und dieses Vertrauen entweder als Mittel zum Zweck der Verdrängung dessen verstehen, daß mein Dasein im Grunde eben doch unerträglich leer und sinnlos ist – Vertrauen und Hoffnung wären dann also nur eine Art Betäubungsmittel. Oder aber ich würde diese Hoffnung und dieses Vertrauen als unmittelbare, aber eben auch unbegreifliche Gewißheit verstehen, die aufgrund dieser Unmittelbarkeit und Unbegreiflichkeit dann aber auch nicht mehr kommunikabel wären. Sprich: ich könnte diese Hoffnung und dieses Vertrauen niemandem vermitteln, niemandem begreifbar machen – es wären letztlich Hoffnung und Vertrauen, die außer mir niemandem irgendetwas sagen können, sie wären im Grunde auch ein Hinweis auf ein prinzipielles Auf-sich-selbst-Zurückgeworfensein jedes einzelnen Menschen, auf Isolation. An dieser Stelle greift Peters Hinweis darauf, daß ein so verstandener „Sinn“, so verstandene Hoffnung und Vertrauen starker Tobak für andere Menschen wären, denen schreiendes Unrecht widerfahren ist.

    Demgegenüber gilt Christen das Kreuz gerade als Hinweis auf den Grund von Hoffnung und Vertrauen, deshalb können und wollen Christen nicht darauf verzichten (zumindest nicht prinzipiell), weil das Verschweigen des Kreuzes letzten Endes auch das Totschweigen ihrer Hoffnung und ihres Vertrauens bedeuten würde. Rika hat bereits darauf hingewiesen, daß der Sinn des Kreuzes ganz und gar nicht in Angstmacherei besteht und es keineswegs darauf verweist, daß man „zu Lebzeiten viel tun muss“ und „bis zuletzt […] hoffen“ muß (jedenfalls nicht im Sinne eines Zwanges, vielmehr in dem Sinne, daß das Kreuz erst dazu verhilft – beständiges Hoffen ist ja durchaus von Bedeutung), „dass es am Ende auch klappt“. Das wäre die Verkehrung der biblischen Botschaft in ihr genaues Gegenteil. Die Tatsache, daß Dir und mit Dir auch anderen Menschen das Kreuz dennoch gerade so erscheint, wie Du es beschreibst, ist daher ein Hinweis darauf, daß entweder in der Vermittlung dieser Botschaft hier und da etwas richtig schiefgelaufen ist, oder daß sie nicht verstanden worden ist – oder beides zusammen. So ist das mit menschlicher Kommunikation. Beides wären jedenfalls Indikatoren für die Notwendigkeit und Wichtigkeit der Fortführung eines Gedankenaustauschs, wie wir ihn hier führen.

  42. @Tobias:
    Also wenn ihr die Hoffnung so positiv empfindet, meinetwegen, vielleicht habe ich da persönlich ein Problem mit – hoffen hatte für mich schon immer etwas Negatives. Wenn du aber schreibst
    „Die Tatsache, daß Dir und mit Dir auch anderen Menschen das Kreuz dennoch gerade so erscheint, wie Du es beschreibst, ist daher ein Hinweis darauf, daß entweder in der Vermittlung dieser Botschaft hier und da etwas richtig schiefgelaufen ist, oder daß sie nicht verstanden worden ist – oder beides zusammen“
    dann schließt das meine Position immer noch aus. Ich möchte einfach nicht ständig mit dieser Botschaft konfrontiert werden (z.B. durch ein Kreuz an der Wand). Denn ich habe die Botschaft ja doch zumindest teilweise begriffen, habe sie mit meinen Werten bzw. meinem Glauben verglichen, habe Übereinstimmungen und Unterschiede festgestellt und bin zu dem Ergebnis gekommen, dass ich mit der offiziellen Form dieser Botschaft nichts anfangen kann. Diskussionen wie hier bringen da viel mehr, weil es gelebte Meinungen sind (wie auch das Beispiel von Rika).
    Vielleicht kann man sich ja auf einen Kompromiss einigen: Unter jedes öffentlich aufgehängte Kreuz wird in Zukunft ein kleiner Text gehängt, der ungefähr wie folgt lautet: Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie ihren Therapeuten oder Lebensberater ;-).

  43. @Florian:

    Der Begriff der Hoffnung ist biblisch tatsächlich ausschließlich positiv belegt. Ich glaube, Du empfindest „Hoffnung“ als Synonym zu „Bangen“. Bangen ist immer auch mit Angst konnotiert, mit Ungewißheit. Das ist aber das genaue Gegenteil der biblischen Botschaft: Hoffnung ist da nicht etwa die Ausrichtung des Sinnes auf etwas, was möglicherweise („hoffentlich“) einmal sein wird, sondern ein befreites Leben schon im Hier und Jetzt, weil das, worauf sich die Hoffnung richtet (die Vollendung des Reiches Gottes), im Hier und Jetzt bereits begonnen hat. Das heißt nicht, daß man als Christ immer schon frei von Angst und Sorge wäre – aber als Christ kann man sich daran erinnern, daß Angst und Sorge bereits der Boden entzogen ist. Insofern ist eine ängstliche Lebenseinstellung, möglichst alles „richtig“ zu machen, um evtl. einmal die Möglichkeit eines „ewigen Lebens“ zu haben, eine völlig verkehrte Karikatur christlichen Glaubens. „Ewiges Leben“ beginnt nicht möglicherweise erst in der Zukunft, sondern ist Inbegriff eines Lebens mit Gott – und das findet für Christen bereits in der Gegenwart statt.

    Sei mir nicht böse, wenn ich von daher sage, daß Du m.E. mit dem Kreuz eher eine Karikatur christlichen Glaubens verbindest als das, wofür es tatsächlich steht. In der Tat sind deshalb Diskussionen wie hier wichtig und gut – sie zeigen Christen, wie das Kreuz mißverstanden wird und damit, daß die Botschaft des Kreuzes unmißverständlicher kommuniziert werden muß. Wenn so eine Diskussion gesellschaftsfähig würde, dann hätte der Streit um die Sichtbarkeit religiöser Symbole im öffentlichen oder staatlichen Raum überhaupt erst eine sinnvolle Grundlage. Wie ich ja schon gesagt habe: für Christen steht und fällt Religionsfreiheit nicht mit dem Kreuz im Klassenzimmer. Ich brauche das dort nicht, wenngleich ich es sinnvoll finde, solange darüber auch gesprochen wird. Die Religionsfreiheit wird aber z.B. dort zumindest empfindlich berührt, wo ein Kreuz aus dem Klassenzimmer entfernt werden muß, weil es ein Elternteil oder einen Schüler stört, während ein Großteil anderer Eltern und Schüler dieses Kreuz dort ausdrücklich befürwortet – und genau das ist in der Vergangenheit immer wieder der Fall gewesen. Der Minderheitenschutz hat keinen Vorrang vor der Religionsfreiheit, so sehr die Religionsfreiheit ja überhaupt erst den Minderheitenschutz begründet hat (siehe dazu auch den Artikel, den ich oben schon einmal verlinkt hatte). Das bedeutet nicht, daß Nichtchristen ein Kreuz im Klassenzimmer einfach zu schlucken haben. Das wäre bereits die Perversion der Bedeutung des Kreuzes. Man könnte ja so ein Kreuz, wenn es jemanden tatsächlich so stark belasten sollte, einvernehmlich abhängen oder aus dem Blickfeld dieser Person nehmen und damit nicht einfach Meinungen gegeneinander aussspielen, sondern gemeinsame Wege finden – oder, besser noch, eben so eine Diskussion führen wie hier, damit würden sich manche Konflikte fast von alleine lösen. 🙂

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