Unkreatives Kreativ-Blabla

Eigentlich hatte ich mich ernsthaft für das Produkt dieser Software-Firma interessiert. Dann war ich einfach nur fassungslos über das Blabla, das mir aus dem Video entgegenschlug. Einfallslose Meterware aus Marketing-Textbausteinen („we are inspired by passionate people“ – ach, echt?), mit denen man wohl so ziemlich alles verkaufen kann.

Oder auch nicht – ich zumindest hatte nach dem Ansehen des Clips jedes Interesse verloren. Weder text noch Bilder haben mir verraten, was ich mit dem Programm konkret besser machen kann als mit dem, was ich habe.

Ich musste an die Affen von Jan Böhmermann denken, die hätten den Werbetext wohl auch hinbekommen. Und dann dachte ich an die Kreativen in der Kirche: Hoffentlich gelingt es wenigstens dort, solche unkreativen Plattitüden zu vermeiden.

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Inter-Essens-Fragen

Gestern war ich mit einem Freund zum Mittagessen weg. Wir saßen und gegenüber und erzählten. Die Tische in dem Lokal stehen relativ eng nebeneinander. So kam es, dass sich die Dame vom Nebentisch plötzlich in unser Gespräch einschaltete, als er von seinen Erfahrungen mit dem Intervallfasten erzählte.

In den folgenden zehn Minuten erfuhren wir alles, was es über richtige Ernährung zu wissen gibt: Was anders ist als bei Low Carb, welche Diäten nicht funktionieren, was das mit dem Insulin zu tun hat, und dass Ärzte in der Regel keine Ahnung haben von Ernährungsfragen. Zwischendurch entschuldigte sie sich zweimal, dass sie das Gespräch gekapert hatte; aber wir nahmen die Entschuldigungen – in der Erwartung, sie kündigten das Ende ihres Redeflusses an – offenbar so höflich auf, dass sie ihr Glaubenszeugnis gleich erleichtert fortsetzte.

Irgendwann bekam sie einen Anruf und wir verlegten uns schnell auf andere Themen.

Danielle MacInnes

Hinterher dachte ich: Ein paar meiner Freunde und Bekannten würden jetzt vermutlich sagen: Sowas müssten wir Christen uns auch wieder trauen. Mutig über das reden, woran wir glauben und was unser Leben positiv prägt. Ruhig auch mal ungefragt und mit wildfremden Leuten, wenn Gott sie schon an den Nebentisch setzt und sie schon beim Thema sind. Ein bisschen wie Philippus und der äthiopische Kämmerer. Schließlich haben wir ja etwas zu sagen!

Und dann gibt es die anderen Freunde und Bekannten, die das trotzdem übergriffig fänden, sich in ein persönliches Gespräch unter Freunden ungefragt einzumischen. Die schon bei der Vorstellung im Boden versinken würden, fremden Menschen einen belehrenden Monolog zu verpassen, und denen ein „gut gemeint“ oder „schadet doch nix“ als Rechtfertigung nicht ausreicht.

Vielleicht gibt es den einen oder anderen Moment, wo es die richtige Entscheidung ist, sich „zur Zeit und zur Unzeit“ einzumischen (vgl. 2.Tim 4,2 – wobei diejenigen, die diesen Vers so lieben und gern im Munde führen, in meiner subjektiven Wahrnehmung öfter die Unzeit als die Zeit wählen…), oder auch den passendenden Moment für positive Unverschämtheit (Röm 1,16).

Aber es kann eben auch passieren, dass es so läuft wie bei mir gestern, dass ich eher genervt reagiere auf das Mitteilungsbedürfnis distanzloser Gesundheits- oder Was-auch-immer-Apostel. Der Terminus „Intervallfasten“ ist seit gestern – sachlich bestimmt völlig zu Unrecht – mit einem Gefühl des Widerwillens verknüpft.

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Doppelt Wehmut

Wehmut trifft meine momentane Stimmungslage gleich in doppelter Hinsicht. Zum einen, weil ich nach intensivem Fragen und Nachdenken zu dem Entschluss gekommen bin, nach dem Ende des Vikariats im kommenden Herbst Erlangen zu verlassen. Nach 25 Jahren und vielen unschätzbaren, prägenden Erfahrungen mit einer rundherum außergewöhnlichen,   engagierten Gemeinde wird das ein gewaltiger Umbruch für mich persönlich und die ganze Familie.

Nun, wo der Abschied in Sichtweite kommt, färbt das auch die Erinnerungen noch einmal anders ein. Mit Wehmut, laut Wikipedia „ein Gefühl zarter Traurigkeit, hervorgerufen durch Erinnerung an Vergangenes“. Kein Abschied ohne Schmerzen – aber Schmerzen der guten Art, denn sie zeigen, was wertvoll ist.

Die Stelle für den Probedienst, so heißt die nächste Etappe von drei Jahren, kann man sich nicht aussuchen, die wird einem zugewiesen. Das heißt, die Zukunft ist noch nicht sichtbar, also kann die Vorfreude auf das Neue die Wehmut auch nicht überlagern oder kompensieren (es wäre wohl auch gar nicht gesund).

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Ein Bild, das mich trägt, ist für mich in dieser Situation das der keltischen peregrinati – insbesondere die Geschichte jener Mönche, die ihr Coracle bestiegen, aufs Meer hinausfuhren und dann die Ruder über Bord warfen – im Vertrauen auf Gott und in der Erwartung, dass er Gottes Wind ihr kleines Boot schon an den richtigen Ort weht (und ich unterwegs nicht an den Klippen des zweiten kirchlichen Examens zerschelle…).

Das ist die andere Art von Weh-Mut: Der abenteuerliche Entschluss loszulassen, sich auf eine Situation einzulassen, die man nicht beherrscht, zu vertrauen. Nicht in der naiven Vorstellung, dass das Neue einfacher, schöner oder besser wäre. Aber sehr wohl in der Erwartung, Gott an dem neuen Ort, an den es mich hinweht, zu entdecken und mich dem anzuschließen, was er dort tut.

Bis auf Weiteres werden beide Formen von Wehmut mich begleiten. Der Anker ist gelichtet, das Boot schaukelt auf dem Wasser.

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Schottisches Tagebuch (4): Fetisch auf vier Rädern

Seit unserem letzten Besuch ist die Zahl der Touristen in den Highlands drastisch angewachsen. Quälend langsam dahinzuckelnde Wohnmobile mit desorientierten Fahrer*innen verstopfen die Single Track Roads, und wie das mit den Ausweichbuchten funktioniert, das hat sich auch noch nicht jede(r) genau angeschaut.

Der Postbote von Duirinish hat es irgendwann satt. Hupend überholt er drei italienische Campervans, die mit müden 20 km/h über den Asphalt kriechen, dann bremst er, steigt aus und liest dem Lenker des ersten Fahrzeugs energisch die Leviten. Er steigt wieder in sein rotes Auto und zischt davon, die eingeschüchterten Camper lassen die lange Schlange, die sich hinter ihnen angestaut hat, endlich passieren. Hoffentlich hält die Zerknirschung noch eine Weile.

Und dann brettern da ja noch die vielen SUVs herum. Schwerer, breiter und vor allem lauter durstiger als die Kleinwagen, die sonst hier immer anzutreffen waren. Gut wegen der dicken Schlaglöcher vielleicht, aber man sieht es den winzigen Sträßchen deutlich an, dass sie für die Lieblingsspielzeuge der oberen Mittelschicht nicht gebaut wurden.

Was macht die Dinger so populär?

Ich glaube, es handelt sich hier um einen klassischen Fetisch: Ein Symbol für etwas, das verloren gegangen ist, und dessen Vorhandensein diesen Verlust zugleich anzeigt und verdeckt: Den Verlust unseres Verhältnisses zur Schöpfung. Wir isolieren uns gegen alle Umwelteinflüsse, wir halten uns die Möglichkeit offen, an jeden Punkt im Gelände ohne körperliche Anstrengung zu gelangen, ohne den unberechenbaren und womöglich widrigen Elementen ausgesetzt zu sein. Der wuchtige Panzer macht uns quasi unverwundbar im Straßenverkehr. So lange man hinter dem Steuer sitzt, kann man sich ein bisschen übermenschlich fühlen.

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In Wirklichkeit sind wir ebenso verwundbar wie die Natur, über die die großen, breiten Räder hinwegrollen. Aber zu beidem haben wir ein gebrochenes Verhältnis: Zur eigenen Schwäche, weil sie uns Angst macht, und zur Natur, die wir zum Erlebnis- und Freizeitpark umfunktioniert haben – einer Kunstlandschaft, die unseren Bedürfnissen entspricht ohne je eigene Ansprüche anzumelden. Sie wird zur beliebig austauschbaren Selfie-Kulisse.

Genauso gilt freilich: Dass Sneakers, Sportklamotten und Jogginganzüge so populär sind, offenbart gerade den Bewegungsmangel, nicht etwa die Sportlichkeit unserer Gesellschaft.

Was man nicht alles lernt, da draußen.

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Schottisches Tagebuch (3): Urwald und unerwünschte Einwanderer

Wir wundern uns über großflächige Abholzungen im Cairngorm-Nationalpark. Im Besucherzentrum erklärt uns eine Mitarbeiterin von den Park Rangers, dass man dort Bäume entfernt, die in dieser Region ursprünglich nicht heimisch waren. Dann kann sich der kaledonische Urwald aus dem Rothiemurchus Forest allmählich wieder ausbreiten, der hier früher einmal alles bedeckte.

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Mich beschäftigt beim Weitergehen, dass derzeit einige politische Bewegungen ihre Ideen offenbar aus der Forstwirtschaft borgen. Deutschland (oder Brexit-England) wollen sie unter so etwas wie Artenschutz stellen. Alle Fremdgewächse gilt es fern zu halten oder wieder zu entfernen. Und wer die Grenzen offen halten möchte, wird beschuldigt, damit das fragile Biotop zu gefährden. Meistens wird als Motiv für eine Öffnung Profitgier vermutet – schließlich mussten auch unsere heimischen Laubwälder schneller wachsenden Nadelhölzern weichen, aus denen wir Möbel und Papier machen.

Aus drei Gründen sind diese Bewegungen schief gewickelt:

Erstens sind Menschen sind keine Bäume. Sie können sich frei bewegen und haben das immer getan. Staatsgrenzen sind ein verhältnismäßig junges Phänomen und wer weiß, wie lange sie noch funktionieren. Vor allem aber haben Menschen nicht das Recht, andere Menschen zu verpflanzen.

Wir sind – zweitens – alle Hybride, genetisch wie kulturell. Und wie armselig wäre es um uns bestellt, wenn es anders wäre. Schön ausgeführt hat das Miroslav Volf – ich habe es hier schon einmal zitiert. Wer Deutschland abschotten will, der darf sich nicht wundern, wenn sich in ein paar Jahren Bayern, Sachsen, Saarländer oder Ostfriesen von den anderen teutonischen Stämmen separieren. Mit denselben Argumenten, die jetzt gegen alles Fremdländische vorgebracht werden.

Drittens sind Monokulturen einfach ungesund. Sie sind ja auch ein Problem für nachhaltige Forstwirtschaft. In unseren Breiten wird der seit dem frühen 19. Jahrhundert angelegte Bestand an Fichten und Kiefern kräftig reduziert, weil er vom Klimawandel akut bedroht ist. Der Wald (er ist ja durchweg Nutzwald) muss sich verändern, wenn er überleben will. Wenn wir schon aus der Forstwirtschaft etwas für unsere Gesellschaft lernen, dann vielleicht das: bunter ist besser.

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Schottisches Tagebuch (2): Etwas zurückgeben

Wir begegnen Tom (in Wirklichkeit heißt er anders) und seinem Freund Bill. Sie waren bis spät in der Nacht fischen – ohne Erfolg. Die Müdigkeit sieht man ihnen noch an. Dennoch ist es für beide ein willkommener Ausgleich zum stressigen Beruf. Tom sagt das immer wieder, wie gut die relative Ruhe der Highlands ihm tut und wie verrückt unser Lebensstil doch ist.

Wir erzählen von unseren jeweiligen Lieblingsorten, dann von unseren Berufen. Tom arbeitet in einem landwirtschaftlichen Großbetrieb in Osteuropa. Investoren haben dort vor Jahren riesige Flächen billig aufgekauft und wirtschaften nun mit Hightech-Methoden. Die einheimischen Arbeitskräfte verdienen gut. Trotzdem denkt Tom darüber nach, aufzuhören. Er träumt davon, in seiner Heimatregion einen Hof zu kaufen und ihn ökologisch zu führen. Die beiden haben beim Angeln lange darüber geredet. „Wir haben so lange so viel von dem Land genommen“, meint Tom. „Jetzt möchte ich etwas zurückgeben.“

Seine Geschäftspartner haben wenig Verständnis dafür. Aber mir geht sein Satz nicht mehr aus dem Kopf. Egal, was wir für Berufe haben: Unsere Gesellschaft hat der Erde (und allen, die auf ihr leben) mehr genommen, als uns fairerweise zusteht. Es geht darum, etwas zurückzugeben. Oder vielleicht auch weiter- und „vorauszugeben“ (im Englischen gibt es ja den Ausdruck „giving forward“).

Ökobauer werde ich wohl nicht mehr. Aber ich halte die Augen offen nach anderen Wegen.

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Schottisches Tagebuch (1): Superman fährt Rad

Kürzlich traf ich Superman. Er stand mit seinem rot-gelben Emblem auf blauer Brust an einer Weggabelung. Das Cape hatte er wohl zuhause gelassen, dafür hatte er ein Fahrrad dabei – und seine Familie. Der eine unebene Weg führte auf eine nahe Passhöhe, der andere weiter hinein in ein sachte ansteigendes Tal. Superman schien noch unentschlossen, die Familie sah eher genervt aus. Die Räder waren allesamt nicht recht geländetauglich. Die Gruppe wirkte auch nicht so, als würden sie viel mit dem Rad fahren. Klar, Superman bewegt sich anders fort, wenn er im Dienst ist.

Ich lief weiter Richtung Passhöhe, die Superfamilie stand noch eine Weile herum und nahm dann den anderen Weg. So richtig kamen sie nicht vom Fleck. Nach etwa 200 Metern begann das Mädchen mit lauten Unmutsbekundungen. Die Karawane geriet wieder ins Stocken. Lief nicht so super bei Superman & Co. Ich hätte nicht mit ihm tauschen mögen.

Mein Weg führte dann steil bergauf und ich musste schauen, wohin ich trete. Irgendwann verlor ich sie aus den Augen.

Schon klar, dachte ich, dass „echte“ Superhelden keine Familie haben. Man schaut einfach nicht so souverän aus, wenn man mit denen unterwegs ist. Sie haben ihren eigenen Kopf, ihre Launen und Wehwehchen. Sie denken nicht daran, dich anzuhimmeln.

Später am Nachmittag traf ich Superman wieder, diesmal im Supermarkt. Offenbar waren alle heil zurück von dem anstrengenden Ausflug. Die Superkinder bedienten sich aus den Regalen und auch unser Held sah wieder ganz entspannt aus.

Ich dachte mir: Radfahren und sich um die Familie kümmern ist doch eine super Sache. Aber vielleicht sollte man dabei ein anderes T-Shirt tragen.

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Gefährliche Linientreue

In den letzten Tagen ist es mir mehrfach passiert, dass ich auf dem Rad von Autos überholt wurde, die dabei weniger als einen halben Meter Abstand hielten. Das erschreckt mich jedes Mal, denn ein kleiner Schlenker wegen eines Hindernisses auf der Fahrbahn (Schlagloch, Bierflasche, Tannenzapfen etc.) hätte genügt, einen lebensgefährlichen Unfall zu verursachen.

Abgesehen davon, dass manche einfach nicht richtig Auto fahren können, liegt das an zwei Problemen:

Dieses ebenso linientreue wie Gedanken- und verantwortungslose Verhalten scheint mir auch ein Problem bei den schmalen Fahrradstreifen, die derzeit auf vielen Fahrbahnen angebracht werden – mal mit gestrichelten, mal mit durchgezogenen Linien, mal mit rotem, mal mit normalem Asphalt. Denn statt auf den Abstand zu dem verletzlichen Radler zu achten, begnügen sich viele damit, die Linie zu halten. Im Endeffekt ist dann wieder nur ein halber Meter Platz (oder weniger), aber der Autofahrer hat subjektiv das Gefühl, im Recht zu sein.

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Warren Wong

(Und dann gibt es noch die Wahnsinnigen unter den Radfahrern, die auf solchen Streifen gegen die Fahrtrichtung unterwegs sind. Auch das liegt an dem Fehlschluss, die Linie schütze sie schon irgendwie. Das einzige, was wirklich schützt, ist Umsicht und Rücksichtnahme. Sonst hilft nur noch genug Blech und Airbags um mich herum.)

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Noch mal gut gegangen…

Neulich Abend, ich radelte von Nürnberg nach Hause über die Wiesen am Hutgraben. Der Himmel hatte sich zugezogen, aber richtig dunkel waren die Wolken nicht. In der Ferne über dem Tennenloher Forst hatte ich allerdings schon leichtes Donnergrollen gehört.

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Foto: unsplash.com

Um so unvorbereiteter war ich, als etwa 20 Meter direkt über mir ein Blitz horizontal durch die Luft zuckte. Das Licht, ein „elektrisches“ Surren und der harte Knall des Donners kamen innerhalb eines Sekundenbruchteils zusammen. Zu schnell, um zu erschrecken. 300 Meter weiter wiederholte sich die Szene, nur dass der Abstand diesmal etwas größer war. Und eine Minute später ein drittes Mal, noch einen Tick weiter weg von mir.

Das hätte auch anders ausgehen können, wie eine Nachricht vom selben Tag zeigt.

Als am Wochenende dann vom Pfingstfeuer die Rede war, musste ich noch ein paar Mal an das Erlebnis denken. Ich bin froh, dass das eine freundlichere Energie ist.

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Engste Ängste

Die Wochentage bis Pfingsten bin ich noch im Predigerseminar, dann ist dieser Teil des Vikariats auch schon vorbei. Ich finde es faszinierend, wie ganzheitlich und vielseitig man dort ausgebildet wird. Da wäre zum Beispiel die tägliche Konfrontationstherapie gegen Klaustrophobie.

Ich muss das kurz erklären: Ängste und Zwänge werden mit sogenannten Expositionen behandelt. Man setzt sich einem bestimmten Reiz aus, bis dieser seine destabilisierende Wirkung verliert. Im Nürnberger Predigerseminar findet dies in winzigen Nasszellen statt, die man (vordergründig natürlich zur Körperpflege) in jedes Zimmer eingebaut hat. Um den Effekt zu steigern, gibt es dort textile Duschvorhänge, die sich von mindestens zwei Seiten an den nassen Körper kleben, sobald man sich bewegt oder ein Luftzug den Stoff zum Schwingen bringt. Dann wird es richtig kuschelig.

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(Foto: tertia van rensburg/unsplash.com)

Ich würde jetzt nicht sagen, dass es mich nicht mehr stört. Aber die Fluchtreflexe und Panikattacken haben erkennbar nachgelassen. Ich bin sicher, unsere Ausbilder werden uns irgendwann noch erklären, warum genau das für werdende Pfarrer*innen wichtig ist.

Ein paar Vermutungen hätte ich schon…

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Braune Blüten

Die frostigen Nächte dieser Woche haben sichtbare Spuren an den Obstbäumen hinterlassen. Viele Kirsch- und Apfelblüten sind erfroren. Schlaff und mit braunen Rändern hängen sie von den Zweigen.

Die ungewöhnliche Wärme im März und Anfang April (3 Grad über dem langjährigen Mittel) hatte sie sehr früh aufgehen lassen. Zu früh, nun schlägt der Winter zurück und die rosa-weiße Pracht stirbt dahin.

Der traurige Anblick hat Ähnlichkeiten mit der politischen Großwetterlage: Vieles, was offen und damit verwundbar war – aber eben auch fruchtbar und schön! –, droht nun in der Eiseskälte eines harten Rückschlages einzugehen. Demokratie und offene Zivilgesellschaft, Humanität und Menschenrechte, ein achtsamer Umgang mit der Schöpfung und den materiellen Ressourcen unseres Planeten, der Abbau von Grenzen, die Überwindung ethnischer und geschlechtlicher Diskriminierungen und viele andere Errungenschaften sind akut bedroht.

Wir haben es uns ja angewöhnt, christliche Auferstehungshoffnung und Frühling eng zusammenzudenken. Heute müssen wir das Bild noch weiter ausbauen: Weder in der Natur noch in unseren Gesellschaften sind Rückschläge ausgeschlossen. Nicht jeder Trend ist unser Freund. Aber erst dann, wenn uns unerwartete Rückschläge dazu verleiten, alle Hoffnung fahren zu lassen und aufzustecken, wären wir wirklich arme Kreaturen.

Zur österlichen Stimmungslage gehört neben der Freude auch der Trotz. Das kühle Wetter wäre ja noch der geringste Grund, den Trotz groß zu machen in diesem Frühjahr. Aber wenn es uns dazu anregt, den Kampf um die Hoffnung aufzunehmen, dann kommt es wenigstens in dieser Hinsicht zur rechten Zeit.

Frost im Frühling heißt nämlich auch: Die braunen Blüten werden abfallen. Es dauert zwar, bis etwas nachwächst. Trotzdem: Auf dieses Ziel hin dürfen wir leben und arbeiten.

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Zum Beten in den Keller: Gott im Berg 2017

Die Müdigkeit steckt mir noch ein bisschen in den Knochen, aber die Dankbarkeit und Freude überwiegt. Zum zehnten Mal sind wir in diesem Jahr zum Beten in den Keller gegangen am Karfreitag. Und gut 1.700 Leute aus Erlangen und Umgebung sind mitgekommen. Das ist das erste, was ich jedes Jahr wieder so erstaunlich finde. Dass die Zeitung anders als in den Jahren zuvor nur einen knappen Hinweis brachte, hat sich kaum ausgewirkt auf den steten Besucherstrom Richtung Kellergelände.

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Das zweite, was mich erstaunt hat, war die außergewöhnliche Ruhe in diesem Jahr. Bis auf wenige Ausnahmen ging es im und vor dem Berg für mein Gefühle spürbar ruhiger zu als ich es aus den letzten Durchgängen in Erinnerung habe. Womöglich ist das auch ein positiver Lerneffekt, der damit zu tun hat, dass viele zum wiederholten Mal da waren.

Drittens staune ich, was aus den Gesprächen und Ideen im Team nach Wochen von Planung und Vorbereitung, gelegentlich zähen (aber nie überflüssigen) Diskussionen, nach manchen praktischen Tüfteleien und ein paar pragmatischen Entscheidungen dann alles im Henninger-Keller steht, wenn am Donnerstag kurz vor 18 Uhr die ersten Leute den Berg betreten.

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Viertens staune ich über die Wirkung, die sich in der Kombination aus Ort, Atmosphäre und Installationen entfaltet. Manche bleiben lange stehen, um etwas auf sich wirken zu lassen. Viele Besucher*innen kommen sichtbar bewegt zurück ans Tageslicht, einige brauchen eine ganze Weile, bis sie wieder Worte finden.

Fünftens staune ich, wie intuitiv und leicht es inzwischen fällt, die Passion in Bezug zur heutigen Welt- und Lebenserfahrung zu setzen, ohne dabei auf in vielerlei Hinsicht problematische Deutungsmuster wie Sühne, Strafleiden und Opfer zurückzugreifen. Stattdessen geht es um die Mitmenschlichkeit Gottes, es geht um die Bereitschaft, sich vom Leid anderer betreffen zu lassen, um die Hoffnung, dass Gott auch in den schlimmsten und dunkelsten Stunden nahe ist und versteht.

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Ich glaube, erst vor diesem Hintergrund wird die Botschaft von der Auferstehung wirklich nachvollziehbar, dass man nämlich dem konkreten Leiden Jesu in der Passionsgeschichte die konkreten Leiden heutiger Menschen gegenüberstellt und dabei den sozialen und politischen Horizont nicht ausblendet.

Ohne diesen Bezug laufen wir Gefahr, Ostern misszuverstehen als etwas Geschichtsloses und Weltfremdes – und damit auch Leid und Tod nicht ernst zu nehmen, auszuhalten und uns davon verwandeln zu lassen, sondern das alles zu verharmlosen, zu ignorieren und mit triumphalistischen Phrasen und Appellen zu überlagern. Das wäre weder christlich noch gesund für die Seele.

Licht und Wärme fühlen sich eben ganz anders an, wenn man gerade aus dem Keller kommt.

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Das Samariterproblem

An einem strahlend sonnigen Vormittag lief ich im vergangenen Sommer zum Erlanger Bahnhof, um nach Nürnberg zu fahren und dort einen Gottesdienst zu halten. Auf der sonntäglich fast menschenleeren Straße kam ein junger Mann auf mich zu und sprach mich an. Er war erkennbar benebelt und sagte, er sei in einer psychischen Notlage.

Ich redete kurz mit ihm und erklärte, dass ich gleich zum Zug müsse, dass ich aber bei der Notrufzentrale anrufen und mich darum kümmern werde, dass schnell jemand kommt. Gesagt, getan. Aber noch bevor ich im Zug saß, dachte ich an die Geschichte vom barmherzigen Samariter, in der ja auch zwei Personen unterwegs zum Tempel waren. Was wäre wohl passiert, wenn ich die Gottesdienstgemeinde hätte sitzen lassen, um dem jungen Mann zu helfen? Eigentlich hätte das doch nur auf Zustimmung und Verständnis treffen können – oder?

Beim Nachdenken fiel mir auf, wo die Schwierigkeit bei solchen Entscheidungen auch liegt: Zu spät oder gar nicht zum Dienst zu erscheinen, wirkt sich sofort aus und ich bekomme die Reaktionen darauf ganz unmittelbar zu spüren. Sie mögen wesentlich harmloser sein als die Folgen unterlassener Hilfe für den Fremden, der sie braucht. Die Abwägung läuft also zwischen schnellen und direkten Konsequenzen für mich selbst und der Ungewissheit, ob solche Unterlassungen Folgen haben und ob diese mich vielleicht irgendwann einholen.

Ich vermute, nach diesem Muster verlaufen viel mehr Entscheidungsprozesse, als uns bewusst ist. Sie stecken hinter Parolen wie „wir sind doch nicht das Sozialamt der Welt“. Denn jetzt zu helfen hat zwei sichere Auswirkungen: Es kostet Geld und Sympathien. Was es dagegen bringt, das wird sich erst später zeigen.

So betrachtet ist das Gleichnis auch eine Einladung, sich auf ungewisse Situationen mit unabsehbaren Folgen einzulassen. Für diese Haltung gibt es in der Bibel ein besonderes Wort: Es heißt „Glaube“.

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Alltägliche Kollisionen

Ein Samstagmorgen in der Fußgängerzone. In der Nähe des Ortes, wo ich mein Rad abgestellt habe, steht in junger, blonder Russlanddeutscher auf der Straße und predigt – irgendwas über Sünde und Gericht, die üblichen Bibelstellen und ein vager Exkurs in die eigene sündige Vergangenheit. Man mag ihm gar nichts Schlimmes zutrauen, wie er da so steht, ein bisschen blass, mit inzwischen heiserer Stimme. Und tatsächlich kommen auch keine anderen Konkretionen als dass er damals sein Geld für Dinge ausgegeben hat, die ihm Spaß machen. Ist das ein bewusster Versuch, so etwas wie Gemeinsamkeit mit potenziellen Zuhörern auszudrücken?

Neben ihm stehen drei Kinder und halten Traktate in der Hand. Der Mann pausiert, wendet sich ihnen kurz zu, und fährt dann in seiner Ansprache fort. Doch das Erlösungsbedürfnis der Erlanger ist heute überschaubar: Niemand bleibt stehen und die Passanten, die in einiger Entfernung auf Bänken in der Sonne sitzen oder auf den Bus warten, scheinen ihn zu ignorieren. Ich hoffe um der Kinder willen, dass seine Stimme nicht mehr lange hält, und er bald guten Gewissens die Segel streichen kann.

Gegenüber steht ein Tisch mit einer türkischen Fahne, türkischen Schildern und einem, das auf Deutsch sagt, alle Macht geht vom Volke aus. Ich vermute, darin steckt eher Kritik an den Plänen der AKP für eine Verfassungsänderung. Hinter mir geht eine Frau mit partiell rot eingefärbtem, dunklem Haar vorbei, die den Stand wütend betrachtet. Im Weitergehen schreit sie auf Türkisch etwas augenscheinlich Unfreundliches über ihre Schulter, später dreht sie sich noch zweimal um und reckt den Mittelfinger in die Luft in Richtung der Nestbeschmutzer, ihre Miene ist immer noch grimmig verzerrt, sie kann sich gar nicht mehr beruhigen.

Politischer Dialog, der mit Hass beantwortet wird, und religiöser Monolog, der nirgends ankommt. Und wir irgendwo zwischendrin. Alles auf engem Raum an einem Samstagmorgen in der Fußgängerzone.

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4.000 km zwischen den Welten

Vor einem Jahr habe ich das Vikariat in St. Leonhard-Schweinau begonnen. Ein guter Anlass, kurz zurück zu blicken, zumal ich auch immer wieder gefragt werde – mal besorgt, mal süffisant, mal neugierig – wie es mir denn so geht.

Der Kilometerzähler an meinem Rad zeigt 4.000 mehr als vor Jahresfrist, und vieles davon geht zurück auf dienstliches Pendeln zwischen Wohnort und „Einsatzgemeinde“, wie das im Kirchensprech heißt. Im Sommerhalbjahr waren es mehr Fahrten, im Winter (und mit mehr Gepäck für den Schulunterricht) spürbar weniger. Das ändert sich jetzt allmählich wieder, und irgendwann erreiche ich dann auch das Tempo vom vergangenen Sommer. Auf dem Weg nach Nürnberg trage ich nun meistens einen Helm, es kommen also ganz neue Gewohnheiten dazu.

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(Foto: Andrew Gook, unsplash.com)

Mehr als nur ein bisschen dankbar bin ich für meinen Mentor, der mir ebenso humorvoll und einfühlsam wie abgeklärt hilft, mich in meine Rolle und in die Gemeindearbeit mit ihren Besonderheit und Eigentümlichkeiten hineinzufinden. Im Predigerseminar habe ich freundliche, aufgeschlossene und kompetente Studienleiter kennengelernt und bin in einem Vikarskurs gelandet, der trotz stattlicher Größe einen bemerkenswerten Zusammenhalt entwickelt hat. Und die haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen in der Kirchengemeinde zeigen bis zum heutigen Tag endlose Geduld mit mir, während ich die vielen neuen Namen lerne, vergesse und wieder neu lerne.

Es ist auch ein Jahr der Kontraste: Da ist der Kontrast zwischen der Akademikerstadt Erlangen und dem Nürnberger Westen mit Arbeitern, Angestellten und einem hohen Migrationsanteil an der Bevölkerung. Und der Kontrast zwischen den ELIA-Gottesdiensten im gut gefüllten Theater mit so ziemlich allen Altersgruppen hier und den eher lichten Reihen mit überwiegend ergrauten Häuptern dort, zwischen meist unstrukturiertem Lobpreis und klassischer Liturgie nach G1, zwischen Predigthörern, die an Humor und Ironie gewöhnt sind und solchen, die sich lieber nichts anmerken lassen, wenn ich auf die Idee komme, einen Witz zu reißen, ohne ihn vorher anzukündigen.

Vielleicht liegt letzteres auch an dem schwarzen Talar, an den ich mich nur sehr mühsam gewöhne. Bei Beerdigungen sehe ich den Nutzen noch am klarsten, in allen anderen Situationen bremst und dämpft er gefühlt mehr, als dass er beflügelt. Ein Ausbilder meinte neulich, der Talar schütze auch die Gemeinde vor mir. Gut, da hat er wahrscheinlich Recht…

Mein Aktionsradius ist durch diese Umstände drastisch beschränkt, manche Debatten und Ereignisse bekomme ich nur noch am Rande mit – und es fehlt mir im Grunde auch nicht: Bei soviel Input und neuen Eindrücken, die es zu verarbeiten gilt, sinkt natürlich der Bedarf an zusätzlichen Impulsen von außen. Das einzige, was ich daran vermisse, sind die Begegnungen mit vielen von Euch. Andererseits tut es aber auch gut, so klare Prioritäten zu haben – es vereinfacht das Neinsagen.

Ab und zu höre ich, dass Leute schon wissen und sogar verraten, was für mich nach dem Abschluss im kommenden Jahr folgt. Wenn Ihr so jemandem begegnet, sagt mir Bescheid – ich selbst tappe nämlich noch im Dunkeln und bin immer interessiert an erhellenden Auskünften über meine Zukunft.

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