Lieber Olli,
das letzte Mal, als wir beide zusammen weg waren, haben wir im Cinecitta den neuen „Terminator“ angeschaut. Noch während der Werbung hast Du perplex festgestellt, dass ich keinen der bisherigen Filme gesehen hatte. Die erste halbe Stunde hast Du dann intensiv kommentiert und im späteren Verlauf immer wieder Erklärungen und Informationen eingestreut, damit ich das Plot (oder heißt es „den“ Plot?) richtig verstehe.
In der Episode steckt so viel über Dich drin: Deine Liebe zur Popkultur zum Beispiel. Als Du im Juli in die Klinik kamst und heftige Schmerzmittel nehmen musstest, hast Du ständig Anspielungen auf Breaking Bad gemacht (noch eine Leerstelle in meiner Blockbuster- und Kultserien-Kenntnis!). Und mir erzählt, dass wir, wenn Du wieder rauskommst, uns den neuen Bond angucken müssen. Und dann ist da ja noch Deine Faszination für Game of Thrones. Großes Drama, epische Kämpfe, Leben und (Helden)Tod in immer neuen Abwandlungen. Der kleine Junge in Dir kann mitfiebern, der Intellektuelle ironisch kommentieren, aber nie einer ohne den anderen.
Vom Kommentieren ist der Schritt nicht weit zum Erklären, Zeigen, Teilen. Spricht da der Schulmeister, der mir einen Zusammenhang erschließt (selbst wenn es nur eine Phantasiegeschichte ist), oder der Freund, der nicht will, dass ich eine gute Pointe verpasse, oder auch hier wieder beide?
Die Freude am Zeigen und Erklären kenne ich gut. Pfarrer und Lehrer (zumal Lehrer an meiner alten Schule) haben ja so einiges gemeinsam. Ich hätte so gern mit Dir über das Buch geredet, das ich gerade lese („Deutschland – ein Wirtschaftsmärchen“). Aber es spielte keine Rolle mehr. In den letzten Tagen eines Menschenlebens ist selbst Weltpolitik plötzlich unwichtig. Es geht nur noch um Liebe und Freundschaft, um Vertrauen und Vergebung, und um Hoffnung.
Es gibt ein wenig bekanntes Lied aus Stings Musical „The Last Ship“: So To Speak. Pater o’Brian ist Seelsorger der Arbeiter in Newcastle, deren Werft vor dem Aus steht. Aber noch bevor es so weit ist, wird er sterben. Er beschreibt die Gespräche mit den Ärzten über Chemo und Bestrahlungen und warum er ewiges Leben, das mit technischen Mitteln erreicht wird, nicht erstrebenswert findet:
Well ye can’t fault the science, though the logic is weak,
Is it really an eternal life we should seek?
That ship has already sailed… So to speak.
Und dann singt er von der Liebe, und das hat mich so sehr an unsere paar Begegnungen am Krankenbett erinnert:
Our mission is more than a struggle for breath,
For a few extra rounds in a fight to the death.
When our mission is love, and compassion and grace,
It’s not a test of endurance, or a marathon race.
For love is the sabre, and love is the shield,
Love is the only true power we wield,
An eternal love is all ye should seek,
That ship will be ready to sail… So to speak.
Du hast gestern zum Abschied meine Hand genommen und gesagt: „Ich mach jetzt den Scout. Ich geh schon mal vor.“ Ich habe geantwortet, dass ich heute wiederkommen wolle (und gedacht, ich könne Dir das noch sagen, was ich jetzt aufschreibe). Nun hat Dein Schiff doch schon abgelegt.
Du hast stets ebenso verschmitzt wie ernsthaft am frommen Firniss auf Gottesbildern und Bibelauslegungen kritisch herumgezupft. Religiöses Pathos, zu dick aufgetragene Gewissheit und vor allem Scheinheiligkeit war Deine Sache nicht. Im Grunde warst Du immer auf der Suche nach dem, was echt ist: „Gott war in Christus und versöhnte die Welt“. Jetzt siehst Du von Angesicht zu Angesicht, während wir noch ein Weilchen rätseln und diskutieren werden.
Auf den Familienfesten der letzten >25 Jahre warst Du zuverlässig in der lustigsten Ecke zu finden. Wenn wir anderen also irgendwann nachkommen, schauen wir einfach nach dem Tisch, an dem am lautesten gelacht wird. Und erzählen einander von unserer Reise bei einem Glas Pinotage. Mag auch vieles über die neue Welt unbekannt sein, aber dass es dort Wein geben wird, scheint mir unumstößlich.
Bond muss jetzt erst mal warten. Dein Platz im Kino, auf dem Sofa, im Gottesdienst bleibt leer und wir müssen uns erst noch daran gewöhnen. Das wird nicht leicht. Aber die Leere erinnert an die Liebe. Und die Liebe hört nie auf. Sie kann wehtun, aber sie kann auch heilen. Sie kann loslassen, um wieder zu finden oder sich finden zu lassen.
Hasta la vista, Olli.
Sail on, Lieblingsschwager!
Sehr schöne Abschiedsworte für einen besonderen Menschen. Ich kann und will keinen Sinn darin sehen, dass Olli jetzt nicht mehr da ist.
Aber ich stelle mir manchmal vor, dass geliebte Tote wie bei star wars den verbliebenen Helden als eine Art glimmender Ratgeber zur Seite stehen. Olli als Obi-Wan – die Idee hätte ihm bestimmt gefallen…
Sehr geehrter Herr Aschoff,
es klingt so also seien Sie so sicher
dass Sie Ihren Freund /Schwager wiedersehen.
Im Moment beneide ich Sie für diese Gewissheit, dieses Vertrauen (?!?)
Vielleicht ist es auch Ihrerseits eine Momentaufnahme.
Ihr Text macht mich gerade unendlich traurig. Vor wenigen Tagen ist mein Lieblingsmoderator mit 60 Jahren verstorben…
Es ist nach wie vor ein Schock für mich diesen Menschen nie wieder zu hören. Auch wenn der Schmerz etwas nachlässt.
Aber gerade in dieser Pandemie-Zeit , in der der Tod so gegenwärtig ist…es fühlt sich so schwer erträglich an…