Vor einer Weile war ich auf einem Kongress in der Schweiz. Unter anderem spielte dort eine Band aktuelle Lobpreislieder. Gleich mehrfach sangen wir einen Song (auf Englisch), der sich mit dem gewaltigen Ozean, dem Wind und den Wellen befasste. Die meisten Menschen sprechen auf diese Sprachbilder im Stil von Fotos aus National Geographic ja ganz gut an.
Was mich trotzdem wunderte, war die Präferenz für das Ozeanische mitten im alpinen Binnenland. Ich würde im Zweifelsfall lieber von Berge singen als vom Meer. Oder idealerweise gleich über die Berge und die See? Das Lied, mit dem die Aufmerksamkeit der Gruppe auf Gott gelenkt werden sollte, zeichnet ein exotisches Bild. Und zwar im präzisen Wortsinn – „exo-“ steht für „draußen“.
„Geistliche“ Ästhetik in ihrer Orientierung am Fremden und Exotischen greift natürlich auf parallele Phänomene der Gegenwartskultur (die Fototapete mit Tropenmotiv oder den Bildschirmhintergrund) zurück. Darin aber schlummert ein eskapistisches Moment: Wir lokalisieren Gott so nämlich in der Ferne. Das mag nun positiv verstanden ein Symbol für Sehnsucht und Weite sein. Gleichzeitig suggeriert die Symbolik aber, dass Gott nicht im Nahen und Gewöhnlichen, sondern im Fremden und Besonderen, Exotischen anzutreffen ist.
Und das lesen wir dann wieder hinein in biblische Texte. Dabei begegnen die großen Gestalten des Glaubens Gott nicht an exotischen Plätzen (der Sinai mag das für heutige Touristen sein – Mose war in Exodus 3,1ff dort bei der Arbeit!). Paul Gerhard hatte in „Geh aus mein Herz“ ähnlich wie die Psalmisten auf einheimische Motive gesetzt. Klar, kann man jetzt einwenden, die Leute kannten auch nichts anderes. Mag sein. Zugleich lieferten die Psalmen und Gerhards Choräle denen, die sie singen, aber auch eine Sprache und Symbolik, mit der man das Alltägliche aus dem Glauben heraus erschließt.
Ich erinnere mich, dass wir einmal einen Gottesdienst hatten, wo wir im Hintergrund des Präsentationsprogramms für die Liedertexte Motive aus Erlangen einblendeten: Gebäude, Straßenzüge, Menschen. Hinterher gab es gleich mehrere Beschwerden, das würde ablenken und die erwünschte Andacht stören. Was hat ein Siemens-Bürohaus schon mit Gott zu tun?
Anders gesagt: Wer es ernst meint mit Glaube am Montag, der sollte sich nach Liedern, Symbolen und Metaphern umsehen, die Gott nicht nur im „jetzt“, sondern eben auch ganz ausdrücklich im „hier“ lokalisieren. Man kann sich zum Thema „Inkarnation“ buchstäblich totpredigen, wenn das aber durch das Liedgut und die Dekoration so nachhaltig konterkariert wird, wird nichts davon hängenbleiben.
Hammer! Danke! Aber „woanders glauben“ ist eben genauso populär wie „Reformen? Ja! Aber bitte woanders“!
Ich bin noch nicht auf die Idee gekommen, „Berge“ oder „Meer“ in religiösen Texten (egal ob Bibel oder Liedgut) als etwas zu sehen, was außerhalb meiner alltäglichen Realität liegt und deshalb eine Sondersituation symbolisiert. Ich lebe in der Großstadt – von daher sind weder Berge noch Meer direkt vor der Haustür.
Aber vielleicht kann ich mit dieser Sicht und Deutungsweise auch eshalb wenig anfangen, weil ich „Berge“, „Meer“ etc. erst einmal als innere Bilder von Zuständen / Befindlichkeiten sehe und sie deshalb als „nah“ erlebe und nicht als etwas „außerhalb“.
Wir lesen immer – von uns selber ausgehend – in die Lücken der Texte (egal ob biblische oder andere) hinein. Und glücklicherweise ist dieses Wissen durch die Rezeptionsästhetik auch in der Theologie angekommen und beeinflußt neuere homiletische Ansätze des Umgangs mit Texten.
Ich habe eine solche Veranstaltung mit Präsentationsprogramm noch nicht erlebt und kann mir nichts Genaues darunter vorstellen. Sind irgendwelche Bilder von Erlangen eingespielt worden? Interessant fände ich es z.B. für den Psalm 121 gezielt Motive in Erlangen zu suchen – moderne Umsetzungen / Entsprechungen zur biblischen Bildsprache – diese dann während des Singens einzublenden. Interessant wäre, ob sich die Teilnehmenden dann auch in ihrer Andacht gestört fühlen.
@IWe: Keine Frage, man kann diese Lyrik auf vielen Ebenen betrachten, auch auf der psychologischen. Und im Zeitalter der Globalisierung tauchen neben regionalen eben auch exotische Metaphern auf. Das hat sich in modernen Songtexten gegenüber den biblischen verändert – da war der Bezug eben in der Regel ausgesprochen lokal. Und wo er es nicht war – zum Beispiel im Buch Jona – da mutet das Ganze auch gleich sehr phantastisch an. Das darf also auch sein. Ich frage mich nur, ob wir in einer Zeit, die den konkreten Ort aufzulösen oder zu sprengen droht, nicht Gefahr laufen, zugleich auch das Gespür für Gott zu verlieren.
… spannend wäre es, mal nachzufragen bei einzelnen Leuten, ob sie „Berge“, „Meer“ usw. eher „fern“ oder eher „innerlich“ empfinden. Bei IWe hätte besagte Präsentation ja tatsächlich keine Schräglage im Sinne eines nach „außen“ verbannten Gottes ergeben. Die ist aber durchaus möglich. Und dass wir das Phänomen Inkarnation immer noch nicht ganz begriffen haben, fürchte ich auch.
Ich vermute auch, dass das Meer eher eine innere Metapher ist als ein möglichst weit entfernter Ort.
Ich habe einige Jahre lang viele Gottesdienste direkt am Strand gehalten, und für Einheimische und Touristen war das Meer die völlig naheliegende Symbolik für das, was sie mit dem Glauben verbanden. Das führte bei vielen dann dazu, dass sie sich dort tatsächlich Gott näher fühlten (Der Dogmatiker in mir muss bei jedem dieser Satzteile schlucken, aber das tut er auf einer anderen Ebene). Die Berge als Symbol wäre keinem von ihnen in den Sinn gekommen, obwohl die schön weit weg waren.