Angesichts der schwierigen, aber nicht hoffnungslosen demographischen und finanziellen Entwicklung rät der Ratsvorsitzende der EKD unter anderem dies:
… Gerade in einer solchen Situation sind neue Initiativen nötig. Wenn wir unserem Auftrag gerecht werden und bisher Kirchenferne mit unserer Botschaft erreichen wollen, brauchen wir dafür neue Ansätze und Impulse. Ohne den Mut, bisher Vertrautes aufzugeben, wird das nicht gehen. Manche Arbeitsfelder werden an Bedeutung verlieren; andere werden stärker betont werden. Manches wird nicht mehr im gewohnten Umfang durch berufliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wahrgenommen werden; die Bedeutung des ehrenamtlichen Engagements wird steigen. Manches am immobilen Besitz der Kirche werden wir abgeben oder umnutzen.
… Die Geschichte der Kirche zeigt: jeder Aufbruch der Kirche war und ist verbunden mit der Rückbesinnung auf die Grundlagen unseres Glaubens. Er ist damit verbunden, dass die Veränderung nicht resignativ erduldet, sondern zuversichtlich gestaltet wird. Er hat damit zu tun, dass veränderte Bedingungen als Herausforderung zu einem Mentalitätswandel verstanden werden. Mentalitätswandel – das ist ja genau betrachtet nur ein anderes Wort für metanoia, Wandel des Sinns, Umkehr.
… Evangelisches Glaubensverständnis hat seine Mitte darin, dass Jesus Christus die über Leben und Tod entscheidende Wahrheit ist. Zu deren Kraft bekennt sich das Johannesevangelium mit der Aussage: Ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen (Johannes 8, 32). Evangelisches Christsein orientiert sich also an der Wahrheit, die Jesus Christus in Person ist. Weil er die Wahrheit ist, ist er der Herr der christlichen Existenz ebenso wie der Herr der Kirche. In diesem sehr präzisen Sinn bekennt sich eine evangelische Kirche zum kyrios Iesous, zum Dominus Iesus. Das Bekenntnis zu dieser Wahrheit markiert nicht nur den Unterschied zwischen Kirche und Welt, sondern ebenso auch die Unterscheidung zwischen Christus, der diese Wahrheit ist, und der Kirche, die dieser Wahrheit dient.
… In dem Impulspapier Kirche der Freiheit haben wir vier biblisch geprägte Grundannahmen formuliert, die Leitplanken für den Weg in die Zukunft bereit stellen.
Erstens. Geistliche Profilierung statt undeutlicher Aktivität. Wo evangelisch draufsteht, muss Evangelium erfahrbar sein. In diesem Motiv scheint das biblische Bild vom Licht der Welt auf, von dem Licht, das nicht unter den Scheffel gestellt werden soll (vgl. Lukas 11, 33).
Zweitens. Schwerpunktsetzung statt Vollständigkeit. Kirchliches Wirken muss nicht überall vorhanden sein, wohl aber überall sichtbar. Hier ist an die vielfältige Bedeutung des zeichenhaften Handelns Jesu zu denken.
Drittens. Beweglichkeit in den Formen statt Klammern an Strukturen. Nicht überall muss um des gemeinsamen Zieles willen alles auf dieselbe Weise geschehen; vielmehr kann dasselbe Ziel auch auf verschiedene Weise erreicht werden. Im Bild vom Leib Christi wird die Vielfalt der Gaben und Aufgaben besonders betont; und Christen werden geradezu dazu ermutigt, den Juden ein Jude und den Griechen ein Grieche zu sein (vgl. 1. Korinther 9,20).
Viertens. Außenorientierung statt Selbstgenügsamkeit. Auch der Fremde soll Gottes Güte erfahren können, auch der Ferne gehört zu Christus. Das Bild von „Christus als Haupt der Gemeinde“ veranschaulicht, dass seine Gegenwart in der Welt immer größer und weiter ist als der je eigene Glaube und die je eigene Gemeinde (vgl. Kolosser 1,15 ff.).… Um sich für Menschen zu öffnen, für die die vorherrschenden Beteiligungsformen in unseren Gemeinden in ihrer oft vereinsähnlichen Struktur schwer zugänglich sind oder die sich dem prägenden Milieu einer Kerngemeinde nicht zugehörig fühlen, braucht es die Ergänzung der Parochie durch netzwerkartige und situative Gemeindeformen.
Netzwerkartige Gemeinden haben eine größere räumliche Reichweite, als es die Parochie haben kann. Sie sammeln Menschen um besondere kirchliche Orte (U. Pohl-Patalong) beziehungsweise um besondere Formen des Gottesdienstes oder um geistliche, kirchenmusikalische, soziale oder kulturelle Schwerpunkte. Solche Profilgemeinden sprechen nicht nur die unmittelbare örtliche Umgebung an, sondern entwickeln eine regional bezogene Ausstrahlung. Oft verbinden sie die Grundaufgaben von Ortsgemeinden mit einem Schwerpunktbereich, den sie ausbauen und gestalten. Auf diese Weise nehmen sie in einem Bereich stellvertretend für eine Region eine Gemeinschaftsaufgabe wahr. Solche Gemeinden sind daher auf eine Region angewiesen, in der dies gewollt und gefördert wird.
Über das Thema „Profilgemeinde“ (und die damit verbundene innerkirchliche Kontroverse) habe ich vor einiger Zeit in der ZEIT schon mal was gelesen. Kann man sich das vorstellen wie „Zielgruppengemeinden“ (und die damit verbundenen Kontroversen!) im freikirchlichen Bereich?
Es kommt dem wohl nahe (vielleicht ist „Milieu“ besser als „Zielgruppe“, das klingt so nach Marketing), hat aber in der Landeskirche immer auch den Aspekt der nicht-parochialen Struktur – und damit noch eine ganz anderes Potenzial für Konflikte.
Man kann übrigens die ganze Studie „Kirche der Freiheit“ als PDF herunterladen bei der EKD. Muss den Link mal suchen…
Hier der Link: http://www.ekd.de/download/kirche-der-freiheit.pdf