Ich bereite mich gerade darauf vor, mit einer Gruppe beim IGW in Karlsruhe drei Tage in die Kirchengeschichte der letzten dreieinhalb Jahrhunderte abzutauchen. So ein Unternehmen muss zwangsläufig eine Auswahl treffen und genau das tun auch die Lehrbücher wie das von Wallmann (da habe ich aber noch eine alte Auflage, womöglich hat sich das inzwischen geändert) oder Hauschild. Dennoch finde ich es erstaunlich, wie man über das 20. Jahrhundert schreiben kann, ohne ausführlicher auf die Pfingstbewegung einzugehen.
Der Religionssoziologe Peter L. Berger bezeichnet sie in diesem Interview als die explosivste religiöse Bewegung in jüngerer Zeit und weist darauf hin, dass sie gerade in vielen ärmeren Ländern auch einen erheblichen Beitrag zum sozialen Wandel geleistet hat – etwa in der gesellschaftlichen Stellung der Frau und der Demokratisierung. Und während der übrige Protestantismus bei uns nach langem und tiefem Schlaf sich zaghaft mit der Möglichkeit befasst, dass er womöglich nur noch ein oder zwei soziale Milieus erreicht, haben die Pfingstler der Welt wie kaum eine andere Kirche gezeigt, dass es auch ganz anders geht.
In Deutschland (das mag der Grund der Auslassung in den o.g. Werken sein) hat die Pfingstbewegung dagegen nur eine geringe Rolle gespielt. Peter Zimmerling beschreibt ihre wesentliche Wirkung dahingehend, dass sich die großen Kirchen und die Gemeinschaftsbewegung nach 1906 gegenüber fast allem schroff abgrenzten, was irgendwie geistbewegt wirkte. Man fragt sich unwillkürlich, ob das nicht mindestens so sehr ein soziokulturelles Problem des evangelischen Bildungsbürgertums war (Stichwort „Ekelschranken“) wie eine Reaktion auf vermeintliche oder tatsächliche Übertreibungen.
Wer sich nun aktuell ein Bild machen möchte, kann diese ausführliche und interessante Studie des Pew Forums zur Hand nehmen. In den USA, so ist dort zu lesen, beträgt der Bevölkerungsanteil der „Renewalists“ (als klassische Pfingstkirchen und charismatische Gemeinden/Gemeinschaften) 23%, in Brasilien 49%, in Kenia 56% und in Guatemala sogar 60%. Immerhin noch 36% sind es in Südafrika, wo Frank Chikane als Nachfolger von Desmond Tutu von 1987 bis 1994 Generalsekretär des südafrikanischen Kirchenrats war.
Wie auch immer man zur (inzwischen ja sehr vielschichtigen) Pfingstbewegung steht – ihre Geschichte muss erzählt werden!
yep
„Man fragt sich unwillkürlich, ob das nicht mindestens so sehr ein soziokulturelles Problem des evangelischen Bildungsbürgertums war (Stichwort “Ekelschranken”) wie eine Reaktion auf vermeintliche oder tatsächliche Übertreibungen.“
Das würde ich unterstreichen – und ich denke, dass das auch heute noch in beträchtlichem Ausmaß der Fall ist. Zumindest meine eigene Erfahrung ist es, dass die meisten Theologen, die sich kritisch bis abfällig zur Pfingstbewegung äußern, auf Nachfrage erschreckende Wissenslücken diesbezüglich offenbaren.