Neulich abends war ich mit einem Freund, der sich spät abends noch ganz spontan Zeit nahm für mich, spazieren und ein Bier trinken und vor allem mein Seelenleben ordnen, das plötzlich etwas in Aufruhr geraten war. Es war gar nicht so leicht, mir selber auf die Schliche zu kommen. Gefühle konnte ich vielleicht aus der Selbstbeobachtung noch beschreiben, aber nicht besonders gut erklären, weil ich mich selbst nicht verstand. Warum reagiere ich auf manche Dinge so und nicht anders?
Die Seele scheint wie eine Black Box zu funktionieren: Bestimmte Impulse kommen von außen und lösen eine bestimmte Reaktion aus. Aber die Logik dahinter entzieht sich dem Beobachter. Ich verstehe mich selbst nicht. Ich kann es anderen nicht erklären. Das ganze hat mich ziemlich verunsichert. Bin ich so ein Kopfmensch, dass ich den Kontakt zu mir selbst schon verloren habe? Ich ging nur mäßig beruhigt (und viel zu spät) schlafen. Am nächsten Tag erinnerte ich mich an den Propheten Jeremia. Der wusste schon (und das hat mich dann doch beruhigt):
Es ist das Herz ein trotzig und verzagt Ding; wer kann es ergründen? (Jeremia 17,9, Luther-Übersetzung)
Und bei Buber klingt das so:
Schlichereich ist das Herz mehr als alles und sehrend wund ist es, wer kennt es aus?
Einer durchschaut mich. Aber manche Dinge verrät er einfach (noch?) nicht. Dazu passt, was ich am Wochenende in Bonhoeffers Ethik gelesen habe und auch erst langsam begreife:
“Wahrhaftigkeit” heißt eben doch nicht, dass alles, was ist aufgedeckt wird. Gott selbst hat dem Menschen Kleider gemacht, (…) d.h. in statu corruptionis sollen viele Dinge im Menschen verhüllt bleiben, und das Böse, wenn man es schon nicht ausrotten kann, soll jedenfalls verhüllt werden; Bloßstellung ist zynisch; und wenn der Zyniker sich auch besonders ehrlich vorkommt oder als Wahrheitsfanatiker auftritt, so geht er doch an der entscheidenden Wahrheit, nämlich dass es seiot dem Sündenfall auch Verhüllung und Geheimnis geben muss, vorbei. (…) Das Verhüllte darf nur in der Beichte offenbart werden, d.h. vor Gott.
(Richard Sennett hat dazu in Abgrenzung gegen missverstandene “Authentizität” zwanghafte Selbstentblößung und neugierige Auflösung aller Geheimnisse bemerkt: “Zivilisiertheit zielt darauf ab, den anderen mit der Last des eigenen Selbst zu verschonen.”)
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Teile ich zu großen Teilen, aber nicht in der Konsequenz Bonhoeffers, die eigenen Untiefen nur noch Gott zu zeigen (hier ist das Zitat zumindest missverständlich), denn Beichte heisst gerade: der Christus im Herzen des anderen ist stärker als in meinem Herzen (auch wieder Bonhoeffer) und das menschliche Gegenüber spricht mir Heil und Vergebung zu. Wie gut es tut, vertraute Menschen in ein verwundetes und manchmal dunkles Herz schauen zu lassen – das erleben Menschen in 12-Schritte Gruppen. Hier ist die Offenheit ein Schlüssel zur Heilung. Der Zwang zur Offenheit vor jedermann dagegen ist wohl ein Talkshow-Virus, den wir uns eingefangen haben und wie Richard Rohr mal so schön ausführte: die Opferrolle ist eben auch eine Rolle und man kann sich prächtig in ihr einrichten. Er prophezeite das Verharren in der Opferrolle als größtes geistliches Problem der Neuzeit (in: Hope against darkness).
Und was das Unverständnis des eigenen Selbst angeht: mir hilft da Kierkegaard weiter in seiner „Krankheit zum Tode“ – siehe der aktuelle Post in meinem Blog. Denn auch ich kapier mich einfach nicht… und muss es auch nicht.