In The Shaping Of Things to Come haben Alan Hirsch und Michael Frost sich Epheser 4,11f vorgenommen und erfrischend neue Begriffe für die Funktionen erfunden, die sonst allzu schnell als Titel mit steilem Anspruch daherkämen. Der Prophet wird bei ihnen zum “questioner” und “disturber” (der Lehrer dagegen zum “systematizer” und “philosopher”).
Wenn man das im Kontext von Walter Brueggemanns These sieht, dass die Aufgabe des Propheten – nicht nur im alten Testament – darin besteht, einen befreienden Bewusstseinswandel zu schaffen, im Namen der Freiheit Gottes Systeme und Gedankengebäude zu untergraben, die sich selbst dienen (es also mit Betriebsblindheit und festgefahrenem Denken in “Sachzwängen” aufzunehmen), dann wird noch deutlicher, dass die beiden tatsächlich dem Nagel auf den Kopf getroffen haben.
So gesehen befreit das prophetische Wort die Gemeinde und bestärkt sie in ihrer Rolle als einer alternativen Gesellschaft, Gegenkultur, Sand im Getriebe, im Kontrast von Salz und Licht. Aber die Alternative muss man erst einmal denken und sich ausmalen können.
So gesehen ist dann auch der Prophet das krasse Gegenstück zum Wahrsager, der einem unerbittlichen Schicksal (und keinem freien Gott) dient oder aber Navigationshilfen vermittelt, die der Konsument des Orakels zum eigenen Vorteil nutzt. Der Wahrsager handelt damit auch nicht befreiend, sondern zementiert bestehende Abhängigkeiten.
Das wirft auch ein interessantes Licht auf so manches, was hier und da so als “prophetisch” gehandelt wird. Sind Dinge auch prophetisch, die die beschriebenen Bewusstseinsänderungen fördern, ohne dass jemand ein “so spricht der Herr” dazu sagt oder es als “Eindruck” deklariert? Und ist umgekehrt dann etwa manches, was so eingeleitet wird, nicht eine Art von Ermahnung und Ermutigung, die lediglich das (Gemeinde-) System ölt, aber nicht die Kontraste schärft, wie es eigentlich nötig wäre? Vielleicht muss man sehr viel mehr von der Wirkung her denken.
Um nicht missverstanden zu werden: Prophetische Worte haben mir immer viel bedeutet. Ganz oft sind sie in Umbruchssituationen (die von außen nicht unbedingt ersichtlich waren) hineingesprochen worden und haben mir geholfen, die Richtung zu sehen, in der es weiterging. Sicher gibt es auch große und kleine Propheten und man darf die Ansprüche nicht so hoch schrauben, wenn aus den kleinen mal “große” werden sollen. Aber es hilft, wenn die Zielrichtung klarer ist.
Wenn alles richtig läuft, dann steht am Ende eine prophetische Kirche (ohne Stars und Gurus), die – so wie Brueggemann es schreibt – der Gesellschaft (und, wo nötig, erst einmal sich selbst) einen Spiegel vorhält. Abstumpfung und Gleichgültigkeit, Resignation und Verzweiflung werden erkennbar und werden überwunden. Ohnmächtige (und das, denke ich, will Eph 6,10ff mit seiner zugegebenermaßen etwas militanten Symbolik sagen) bekommen nicht nur ein neues Lied, das sie singen, sondern sie werden mit dem, was sie in neu geschenkter Freiheit zu sagen haben, zu einer echten Gefahr für den Status Quo – und für alle, die von ihm profitieren.
Also – her mit den “Störern” und Querdenkern.