Mensch sein können

Im Zusammenhang mit dem Überfall auf die Schule in Emsdetten wird über die Motive des Täters diskutiert, die das Abschiedsvideo erkennen lässt. Die Ambivalenz zwischen Opferdenken (“ihr habt mein Leben kaputt gemacht”) und Größenwahn (“ich bin göttlich”) – beziehungsweise wie das eine in das andere umschlägt -, ist zutiefst beunruhigend. Schon deshalb, weil sie in milderen Formen gar nicht so selten sind.

Tobias hat geschrieben, wir sollten uns fragen, was in unserer Gesellschaft nicht stimmt. In der Zeit sagt der Pädagoge Wolfgang Bergmann gestern dazu:

Moderne Kinder sind sehr viel narzisstischer als frühere Kindergenerationen. Sie wachsen in einem Klima auf, in dem alles zur Verfügung stehen sollte, in dem sie selber der Mittelpunkt sind. Dieses Verwöhnklima hat durchaus seine positiven Seiten, die negative Seite ist, dass solche Kinder, wenn sie in der Realität scheitern, sich überhaupt nicht mehr zu helfen wissen. Sie haben nicht gelernt, Niederlagen einzustecken oder dass das Leben auch mal tragische Züge haben kann, aber dann trotzdem weitergeht. Diese Kinder denken gleich: Jetzt geht gar nichts mehr weiter, alles ist aus. Der Narzissmus ist immer eine Wut, einer fast besinnungslosen Wut seelisch benachbart, und diese Wut richtet sich nach innen und außen.

Ich habe mich gefragt: Verlernen wir gerade das Menschsein? Und gehört Gott als Gegenüber nicht dazu, wenn wir von Humanität reden wollen? Wenn wir nämlich akzeptieren, dass wir nicht Gott sind und die Welt sich nicht um uns dreht, aber dass wir in dieser Welt trotz aller Widrigkeiten nicht allein sind, dann haben wir auch gute Aussichten zu entdecken, dass wir längst nicht so ohnmächtig sind, wie wir tun. Und dass wir dafür verantwortlich sind, uns und diese Welt zum Guten zu verändern.

Ein Post von Kim Fabricius bei Faith and Theology mit zehn Thesen über das Menschsein bringt es gut auf den Punkt, worum es dabei geht: Um Kontingenz (es ist nicht notwendig, dass es uns gibt), Widersprüchlichkeit, um Leiblichkeit und Spiritualität, Beziehungen und Verantwortung, um Spiel und Anbetung, um Christusähnlichkeit und Herrlichkeit.

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