„Beten mit offenen Augen“

Ganz frisch liegt auf meinem Schreibtisch das kleine Buch Brennende Gegenwart von Christian Herwartz. Der Autor ist Jesuit und gehört zu den „Ordensleuten gegen Ausgrenzung“. Seit einigen Jahren bietet er Straßenexerzitien an und er bloggt unter dem Titel nackte Sohlen.

In der Einleitung beschreibt er kurz das Grundanliegen der Straßenexerzitien. Man verbringt als Gruppe Zeit in einer Stadt, bekommt dabei Begleitung und Anleitung, ist tagsüber auf den Straßen unterwegs und trifft sich dann gegen Abend zum Gottesdienst und Austausch. Es geht vor allem um die Begegnung mit Gott:

Das aufmerksame Wahrnehmen lässt sich nicht organisieren. Aber es wird durch Freiräume ohne Handlungsdruck ermöglicht. Sie sind nicht automatisch da. Absprachen sollen sie ermöglichen, damit wir still und staunend sein können.

… Überraschend begegnet uns Gott durch einen menschen, ein Zeichen oder eine spontane Freude in uns selbst. er braucht keine Bedingung, um uns zu finden. Jeder Vergleich eines besseren oder schlechteren Weges zu ihm ist lächerlich. Gott kommt auf uns zu, und wenn er bei uns eine geöffnete Tür findet, dann tritt er mit seinem Frieden identitätsstiftend ein. Jeder Ort, an dem wir ihn empfangen dürfen, wird uns heilig sein.

Herwartz orientiert sich – was mich besonders freut, nachdem ich das Kapitel seit mehr als einem Jahr immer wieder lese – dabei an Jesu Anweisungen aus Lukas 10, die er für den Kontext der Exerzitien neu auslegt: Kein Geld (sprich: Sicherheiten), kein Beutel (mit Vorräten für alle Eventualitäten), keine Schuhe (eine Haltung der Friedfertigkeit), keine Einengung durch umständliche Etikette (das tut „man“, das tut „man“ nicht). Die Exerzitien sind „Einladungen zu einer vorurteilsfreien Haltung“, zur inneren Freiheit, neuen Lebensimpulsen zu folgen.

Meine Neugier ist geweckt. In den nächsten Tagen werde ich davon schreiben, wie es weitergeht.

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6 Antworten auf „„Beten mit offenen Augen““

  1. „… keine Schuhe (Haltung der Friedfertigkeit“ kann zudem noch diese Bedeutung tragen: nicht Auftreten in einer Machtposition aus sich selbst heraus. Oder hat schon mal jemand in Kirchen Engeldarstellungen gesehen, wo Engel Schuhe anhaben? Schuhe tragen ist ein Symbol der Macht. Wenn man sich alte Gemälde mal anschaut, wie aus heutiger Sicht albern die Damen oder Herren ihr Schuhwerk präsentieren (z.B. Reitstiefel), dann wird der Machtaspekt deutlich. Oder warum musste wohl Mose vor dem brennenden Busch seine Schuhe ausziehen? – weil der Mensch in der Gegenwart Gottes keine Macht hat.

  2. Danke für den Hinweis. Und der Machtverzicht zieht sich ja durch alle Anweisungen durch. Tragisch, dass er so oft nicht beherzigt wurde und wird. Ob Jesus heute sagen würde: Klebt keine Großplakate und schaltet keine Werbespots?

  3. Ob Jesus heute sagen würde: Klebt keine Großplakate und schaltet keine Werbespots?

    Was ihr im Geheimen von mir gehört habt, sollt ihr von den Dächern der Häuser rufen…
    Fällt mir dazu spontan ein.
    Also wohl eher nein.

    1. Da wäre die Frage, wie wörtlich dieses Aussage gemeint ist. Freilich ist das Evangelium eine öffentliche Angelegenheit. Aber ob man die medialen bzw. oft eben auch imperialen Propagandastrategien kopieren sollte, bleibt immer noch die Frage. Plakate sind etwas sehr unpersönliches und sie verkürzen die Botschaft notgedrungen auf (platte?) Slogans. Meistens: Komm in unsere Veranstaltung. Genau das tun die Jünger in Lukas 10 nicht.

  4. Plakate? Jesus hat viel Gleichnisse und Geschichten erzählt, als Slogans fallen mir spontan nur die Seligpreisungen ein. Allerdings sind die inhaltlich wieder in einem „Seminarblock“ = Bergpredigt eingebunden. Wenn schon Plakate dann so etwas wie Koans. Wäre glatt mal einen Versuch wert wie darauf im Konsumrausch reagiert wird.

  5. Hab das Buch heut bekommen und bin nach eilig verschafftem Kurz-Überblick begeistert und gespannt.

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