Die Zeit hat neulich den Kenianer James Shikwati interviewt, der sich neben anderen ernsthaften Stimmen aus Afrika schon vor Jahren sehr kritisch zur Wirkung der Entwicklungshilfe in Afrika geäußert hat – und das auch weiter tut. Die (Hinter-)Gründe dafür erläutert er so:
Das Betriebssystem der afrikanischen Köpfe, die Software, ist korrumpiert worden durch die Entwicklungshilfe-Industrie, wie wir sie kennen. Zu denken, man lebe auf einem armen Kontinent, obwohl man natürliche Ressourcen hat, um die die reichen Länder kämpfen, ist ein Resultat dieser geistigen Korruption. Es ist die ganze Idee der Entwicklungshilfe, dass man sich hilfsbedürftig fühlt, obwohl man eigentlich alles hat, um selber mehr Einkommen zu generieren.
Die Kritik gilt aber auch den Regierenden in Afrika:
An den sogenannten Regierungen in Afrika. Wie wurden diese eingesetzt? Sind sie eine Fassade, die von den Kolonialherren vor ihrem Abzug etabliert wurde? In Wahrheit sind sie einfach eine Clique von Eliten, die den Interessen der reichen Länder dient und die die afrikanische Bevölkerung als ihre Gegner ansieht. Und die Entwicklungshilfe stützt diese Fassaden-Regierungen. Ein weiterer Punkt ist: Schauen Sie mal auf das globale Wirtschaftssystem. Afrika verschickt Rohstoffe – Erze, Kaffeebohnen – in die reiche Welt, wo dann die eigentlich profitable Weiterverarbeitung betrieben wird. Und von dieser riesigen Mehrwertschöpfung kriegen wir einen kleinen Teil als Entwicklungshilfe zurück.
Just diese Woche kamen zu diesem Thema wieder schlechte Nachrichten. Friedensnobelpreisträgerin Ellen Johnson Sirleaf wird Vetternwirtschaft vorgeworfen. Aber davon einmal abgesehen – welche Hilfen können und sollen Europäer denn tatsächlich sinnvollerweise leisten in Afrika? Trifft Shikwatis Kritik auch auf die Arbeit humanitärer und kirchlicher Organisationen zu (die oft nicht mit den Regierungen, sondern mit Partnern an der Basis arbeiten), wäre das also ein anderes Thema als staatliche Entwicklungshilfe? Oder erzeugt doch schon die Hilfe an sich ungesunde Abhängigkeit, jedenfalls in den Köpfen, so dass es zu dem Effekt kommt, den er im Interview beschreibt: Alle verlassen sich auf die Feuerwehr und deshalb fragt kaum jemand, warum es ständig brennt?
Leonardo Boff hat schon vor 25 Jahren den „Assistenzialismus“ als unzureichend kritisiert, weil mit vielen Hilfsaktionen (Essen, Kleider, Medikamente) zwar einzelnen Menschen geholfen wird, das Volk aber doch immer Objekt der Mildtätigkeit anderer bleibt. Ebenso reicht der „Reformismus“ nicht aus, der zwar den Fortschritt allgemein oft fördert, aber die gesellschaftlichen Strukturen nicht so verändert, dass alle, auch die Armen, vom Wachstum profitieren. Reich werden nur die Eliten.
Wie problematisch die Prämissen mancher gut gemeinter Aktionen sind (und wie fatal deren Folgen sein können), zeigt auch die aktuelle Diskussion über „Kony 2012“, zu der Julia Leininger – ebenfalls in der Zeit – heute schreibt:
Invisible Children pflegt dabei ein Afrikabild, das dem ganzen Kontinent schadet: Angesichts eines scheinbar unkontrollierbaren Chaos, ausgelöst von Individuen, die offensichtlich das Böse verkörpern, benötigt es eine von den Vereinigten Staaten angeführte militärische Kampagne, um diese grenzenlose Brutalität im „Herzen Afrikas“ zu stoppen.
„Oder erzeugt doch die Hilfe an sich ungesunde Abhängigkeit …“
Ein Problem bei vieler Hilfe (auch hier in Kambodscha) ist, dass einige Organisationen die Armen nicht empowern, sondern für eigene Zwecke (Konversion, eigenen Ruf, Fundraising …) fügig machen und somit von einer Abhängigkeit in die nächste (diesmal christlich) geführt werden. Es werden paternalistisch „strings attached“ die es dem Armen unmöglich machen das Leben in Freiheit und Eigenverantwortlichkeit zu leben. Nach dem Motto: Wir geben Hilfe, ihr dafür eure Rohstoffe, haltet die Flüchtlinge fern, lasst uns die Preise bei den Agrarprodukten diktieren, ihr lasst uns eure Arbeitskräfte zu billiglöhnen ausbeuten … ; wir geben Hilfe, ihr bekehrt euch zum Christentum; wir geben euch Hilfe, ihr adoptiert unsere Verhaltensweisen, oder seid uns loyal gegenüber. Manchmal hindern Hilfsorganisationen den Aufstieg der Armen, weil sie ihren Einfluss auf sie schwinden sehen. Das ist jetzt nur ein Aspekt, aber ich glaube nicht dass Hilfe an sich ist das Übel ist, sondern die „strings attached“, mit der man bevormundet. Mit der Bedürftigkeit der Armen darf kein Handel betrieben werden, sowohl von den Eliten in den Ländern als auch vom Westen insgesamt. Ich glaube beides geschieht intensiv.
Wie sollte die Hilfe für Afrika konkret aussehen?
Die effizienteste Hilfe ist immer noch die Bildungs- und Wirtschaftsförderung. Ein größerer Teil der jährlich über sechs Milliarden Euro deutscher Hilfe könnte in Risikokapital umgewandelt werden. Mit Krediten könnten dann etwa Konserven- oder Zuckerfabriken errichtet werden. Das würde die Menschen eher aus der Armut befreien. In Kamerun werden Tonnen von Gemüse exportiert, die dann in Frankreich in die Dose kommen. Warum kann das Gemüse nicht in Afrika verarbeitet und dann exportiert werden?
Hilfe taugt oder nicht, zeigt sich daran, inwieweit sie das Engagement der Afrikaner stärkt und sie dazu bringt, sich selbst um die Entwicklung ihres Kontinents zu kümmern. Schon 2009 kamen Wissenschaftler des Hamburger Weltwirtschaftsinstituts (HWWI) und der Universität Saarbrücken zu dem Ergebnis, dass die so genannte Wirkungsprüfung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (BMZ) und der Durchführungsorganisationen nur unzureichend organisiert ist. Zudem kritisieren sie, dass staatliche Institutionen bei dieser Überprüfung die ausländischen Partner nicht ausreichend einbinden. „Während die Kirchen und die Deutsche Welthungerhilfe das intensiv und erfolgreich tun, verzichtet die staatliche Seite weitgehend darauf.“ Das gefährde die Glaubwürdigkeit einer Kontrolle der eigenen Arbeit.Viele junge Afrikaner werfen uns doch heute schon vor, dass wir Entwicklungszusammenarbeit in der heutigen Form nicht deshalb leisten, weil wir von ihrer Wirksamkeit überzeugt sind, sondern weil es für uns der einfachste und billigste Weg sei, Engagement gegen Armut und Ungerechtigkeit in der Welt zu demonstrieren.
Volker Seitz, Autor „Afrika wird armregiert“
Guter Hinweis – danke!