Lässt Gott sich studieren?

Das IGW wirbt seit einer Weile mit dem Slogan „Ich studiere Gott“. Dass man über diesen Satz stolpert, ist natürlich gewollt, so funktioniert gute Werbung. Vermutlich soll er sagen, dass das Studium beim IGW vergleichsweise unkonventionell ist und weniger „theoretisch“ als anderswo. Man kann ihn freilich auch so verstehen, als würde dahinter der Anspruch stehen, hier etwas in Reinform vermittelt zu bekommen, was andere nur als x-ten Aufguss servieren: Die einen studieren „Gott“, andere bloß Theologie. Hier das Original, das der müde Abklatsch.

Die Frage nach der Wahrheit dieses Satzes bleibt so oder so: Lässt Gott sich studieren? Und wenn ja, wie würde so etwas aussehen?

Studieren bedeutet im Lateinischen, nach etwas zu streben oder sich um etwas zu bemühen. Im Deutschen – und das ist hier ausschlaggebend – bedeutet Studieren das wissenschaftliche Lernen und Forschen in einem bestimmten Wissensbereich. Es geht um einen diskursiven und methodisch reflektierten Weg zu einem tieferen Verständnis eines Gegenstands, den man durch möglichst genaue Beobachtung und Untersuchung besser verstehen will. Wissenschaftliches Arbeiten, das weiß auch das IGW, orientiert sich an bestimmten Standards von Rationalität, dafür gibt es dann auch akademische Abschlüsse.

Nun ist – und hier droht der Slogan eben Missverständnisse zu erzeugen – Gott gerade kein Gegenstand, der sich beliebig beobachten und erfassen lässt, sondern ein personales Wesen (und selbst bei diesen Begriffen spürt man schon, wie unsere sprachlichen Kategorien zu versagen drohen), das sich offenbaren muss, damit es erkannt werden kann. So, wie wir einen anderen Menschen auch erst dann kennenlernen, wenn er sich uns mitteilt (und uns dabei nichts vormacht). Man muss ihm irgendwie begegnen. Wann, wo und in welcher Form Gott uns begegnet, lässt sich leider gar nicht planen und systematisieren. Gott bleibt frei, Offenbarung ein wunderbares Geschenk (und ja, manchmal auch eine Last oder ein Erschrecken).

Aber oft – meistens sogar – passieren diese Begegnungen gänzlich unerwartet. Was ein „Studium“ dazu beiträgt, lässt sich also kaum vermessen: Statt in einem IGW-Kurs zu sitzen, könnte man auch verschiedenste geistliche Übungen machen, am Bett eines Kranken oder Sterbenden sitzen, oder auf die Oberfläche eines Gletschersees schauen. Augustinus hört Gott in einem Kindervers sprechen, Franziskus begegnet Christus in einem Aussätzigen, Abraham beim Blick an den Sternenhimmel und Jakob beim Ringkampf.

Was ein Studiengang leisten kann, ist, dass man eigene Erfahrungen der Offenbarung Gottes (die werden also notgedrungen vorausgesetzt) beschreibt und reflektiert, sie mit den Erfahrungen und Gedanken anderer Menschen (der VerfasserInnen des Alten und Neuen Testaments, heutiger und früherer TheologInnen) vergleicht und daraus eine zusammenhängende Perspektive auf unsere Welt und unser Leben im indirekten Lichte der Offenbarung Gottes entwickelt. Und sich dabei zugleich bewusst macht, dass unser Nichtwissen (sprich: unsere offenen Fragen) proportional mit dem Wissen zunimmt.

Ein gutes Studium wird auch immer die Sehnsucht nach Gott und die Offenheit für Gottesbegegnungen fördern, aber sie nicht verwechseln mit den Zeugnissen von solchen Begegnungen, die uns notwendigerweise nur in versprachlichter – und damit immer auch schon im Rahmen einer bestimmten Kultur und Tradition interpretierter – Form zugänglich sind. Als solche lassen sie sich allerdings tatsächlich studieren, und ein solches Studium kann gewinnbringend und sinnvoll sein.

Ließe Gott sich „studieren“, dann stellte sich sofort die Frage, ob Intellektuelle (oder wer sich das Studium finanziell leisten kann) nicht gegenüber den „Normalos“ im Vorteil sind. Um ihn jedoch im gängigen Sinn des Wortes studieren zu können, müsste man ihn irgendwie „Schauen“ oder unmittelbar bzw. direkt erkennen können, und genau das verneint das Christentum immer: Wir erkennen in Bruchstücken, wir sehen Gott in einem trüben Spiegel, schreibt Paulus in 1.Korinther 13 – kein Mikroskop, kein Radioteleskop, kein Sonar oder Röntgengerät fängt ihn ein, keine intellektuelle Methode und keine spirituelle „Technik“. Nicht unmittelbar, sondern immer vermittelt: Durch bestimmte Personen, Ereignisse, Worte, die das Ganze nicht weniger real machen, aber eben weniger objektivierbar: Keine „Fakten“, sondern Zeugnisse.

Damit hinkt die Theologie anderen Wissenschaften nicht einmal hinterher, sondern sie ist manchen in ihrer Bescheidenheit und dem Bemühen, nicht zu viel „wissen“ zu wollen und zu versprechen, auch ebenbürtig – und gelegentlich sogar einen Schritt voraus, denn auch in anderen Disziplinen ist Erkennen merkwürdig indirekt und alles vermeintlich gesicherte Wissen immer von Zweifel und Fragen umgeben. Wenn ein Studium das vermittelt und zur existenziellen Suche nach Gott ermuntert, dann kann man es doch eigentlich nur empfehlen.

Und nicht zuletzt werden solche in Bescheidenheit gebildeten Theologen dann Gotteserfahrungen anderer auch nicht herablassend kommentieren oder korrigieren, sondern zu einem fruchtbaren Gespräch über den Glauben beitragen. Gott zu lieben und ihm zu vertrauen ist die Sache aller Christen, egal ob und was sie studiert haben. Übernächste Woche bin ich selbst (daher beschäftigt mich das Ganze) beim IGW in Zürich. „Gott“ werde ich da leider kaum unterrichten können, aber dafür ein paar Jahrhunderte Kirchengeschichte.

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