Denken ist Glaubenssache

Ich arbeite mich derzeit durch das ungemein interessante Buch The Master and His Emissary von Iain McGilchrist. Er geht den Grundlagen menschlichen Denkens, Erkennens und Verhaltens nach und verbindet Neurowissenschaften mit Kulturtheorie.

Denken beruht im Wesentlichen auf dem Sprachvermögen, und hier geht es neben Wortschatz und Grammatik auch um die Frage von metaphorischem Reden und Denken. Aller Erfahrung, sagt McGilchrist, ist Erfahrung von Differenz, und alles Wissen (da verweist er auf Gregory Bateson) beruht auf Unterscheidung. Bei Wissen und Wahrnehmung geht es also immer um Beziehungen zwischen Dingen, und vielleicht gilt dies für jegliche Form von Existenz, wie manche Aspekte der Quantenphysik nahelegen.

Jedes Ding ändert sich daher, wenn sich sein Kontext ändert. Wenn wir etwas betrachten, dann geschieht dies im Blick auf Ähnlichkeiten und Unterschiede zu anderen Dingen. Je nachdem, womit man etwas nun vergleicht, treten bestimmte Aspekte hervor und andere zurück. Das Modell, das unserer Auffassung zugrunde liegt, bestimmt, was uns auffällt. McGilchrist schreibt:

Wenn es der Fall ist, dass unser Verstehen eine Wirkung der Metaphern ist, die wir verwenden, dann gilt ebenso, dass es ihre Ursache ist: unser Verstehen bestimmt die Auswahl einer Metapher, anhand derer wir es verstehen. Die gewählte Metapher ist sowohl Ursache als auch Wirkung der Beziehung. Daher offenbart sich, wie wir über uns selbst und unser Verhältnis zur Welt denken, schon in den Metaphern, die wir unbewusst wählen, um darüber zu sprechen. Diese Entscheidung verfestigt unsere Teilansicht des Themas weiter. Paradoxerweise scheinen wir genötigt, etwas – einschließlich unserer Selbst – gut genug zu verstehen, um das angemessene Modell zu wählen, bevor wir es verstehen können. Unser erster Sprung bestimmt, wo wir landen.

Jedem Erkennen geht also ein mehr oder weniger geglückter intuitiver Sprung voraus, der sich nicht umgehen lässt. Als besonders fatal erweist sich dies im (Wissenschafts-)Positivismus, der in seinem Beharren auf „Tatsachen“ stets mechanistische Metaphern verwendet und auch gar keine anderen versteht. Freilich gibt es auch analoge Engführungen in der Theologie und anderen Wissenschaften. McGilchrist hält diese Verarmung für schwerwiegend.

Dieser Mangel macht übrigens einen guten Teil der Frustration aus, die man erlebt, wenn man zum Beispiel die spannende und unterhaltsame Diskussion in Gott – wo steckst Du? zwischen Harald Lesch, Manfred Spitzer und Gunkl verfolgt, wo letzterer immer wieder deutlich hinter dem Einfallsreichtum seiner Gesprächspartner zurückbleibt und sich auf Karikaturen und Polemik beschränken muss.

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