Seit einer Weile lese ich Michael Frosts und Alan Hirschs neues Opus Faith of Leap. Es ist mit dicken Vorschusslorbeeren von Scot McKnight ausgestattet, und weil ich die letzte Begegnung mit dem stets anregenden Michael Frost in Kapstadt noch im Hinterkopf hatte, habe ich mich in dieses Manifest christlichen Abenteurertums vertieft. Wer die beiden kennt, wird auch da, wo sie sich nicht explizit zitieren, ihre Themen sofort wieder erkennen: Erstens die Mission als der Gedanke, um den sich alles dreht, zweitens die von dem Ethnologen Victor Turner formulierten Themen Liminality und Communitas, also die Notwendigkeit von Grenzerfahrungen für a) das Wachstum im Glauben und b) die Bildung einer verschworenen Gemeinschaft. In dem neuen Buch stellen sie das alles nun unter das Leitmotiv des Abenteuers und des Heldentums.
Beim Lesen der ersten 100 Seiten habe ich drei unterschiedliche Reaktionen bei mir beobachtet: Erstens Zustimmung zu den wesentlichen Inhalten, zweitens leichte Ermüdung durch den Stil – es wirkt, anders als bei The Shaping of Things to Come, weniger aus einem Guss, man meint fast, die beiden live zu hören, ohne die Stimmen unterscheiden zu können: Einer sagt was, der andere kommentiert, ergänzt, wirft noch einen anderen Aspekt ein, dann antwortet wieder der erste und es geht im assoziativen Zickzack weiter. Da wird man – ich wenigstens – als Leser schon mal etwas ungeduldig, zumal auch noch zahlreiche Zitate den Textfluss hemmen. Drittens fand ich es seltsamerweise einfach emotional anstrengend. Wie gesagt, im Ziel stimme ich ja zu, aber irgendwie scheint mir da bisher zu sehr Appell und Belehrung und zu wenig Inspiration und Verführung drin zu sein. Und manche Beispiele (zum Beispiel von Cortez, der die Schiffe verbrennen lässt) fand ich einfach unglücklich gewählt.
Nun war ich im (zentralen?) Kapitel, The Hero’s Journey. Die beiden wählen wieder einen interessanten Anmarsch. Ausgangspunkt ist das Buch „Hero with a thousand Faces“ von Joseph Campbell. Campbell hat die traditionelle Mythologie verschiedener Kulturen untersucht und dabei ein Grundschema oder eine Art archetypischen Mythos (auch Monomyth genannt) (re?)konstruiert. Ob Campbell sich in der Literaturwissenschaft damit durchgesetzt hat, wird nicht erläutert, wäre aber eine interessante Frage. Die Versuche, die verschiedenen religiösen Traditionen auf ein gemeinsames Schema oder einen gemeinsamen wesentlichen Inhalt zu reduzieren bzw. in eine Meta-Religion (ob Hegel oder Baha’i) aufzuheben, sind ja auch alle recht problematisch gewesen.
Dann beschreiben die beiden ausführlich, wie Disney Campbells Schema rezipiert und seit über 20 Jahren ungemein erfolgreich vermarktet hat. Schließlich verweisen sie auf C.S. Lewis Äußerungen zum Thema „Mythos“, für den in Christus der vollkommene Mythos ganz zur historischen Tatsache geworden ist. Stark verkürzt lautet die These des Kapitels also: Im Grund verweisen alle Mythen auf das Evangelium und im Grunde sehnen sich alle Menschen, Christus als dem archetypischen Helden nachzueifern und ähnlich zu werden. Das ist, wenn ich es richtig sehe, ein primär anthropologisches Argument, gar nicht so verschieden vom größten Romantiker unter den Theologen, Friedrich Schleiermacher, der Jesus zwar nicht als den Prototypen des Abenteurers, sondern des mit Gott unmittelbar verbundenen Menschen ansah.
Etwas verunglückt fand ich die kurzen Ausführungen zu geistlichen Übungen. Da haben die beiden etwas nicht verstanden, fürchte ich, wenn sie kritisieren, dass es keine „Übungen“ zum Thema Risiko gebe, und dass in der Literatur kein Zusammenhang zwischen geistlichen Übungen und konkreter, einsatz- und risikofreudiger Nachfolge hergestellt werde. Geistliche Übungen sind dazu da, sich in Zeiten relativer Stabilität fit zu halten, um plötzlich auftretenden Herausforderungen gewachsen zu sein. Ganz ähnlich wie man im Sport dosiert und maßvoll auf einen Wettkampf hin trainiert, aber eben in dem vollen Bewusstsein, dass der Wettkampf, in dem man dann alles gibt, nicht die Alltagssituation sein kann. Man könnte aber umgekehrt gerade das Gebet als Abenteuer entdecken, so wie Henri Nouwen das getan hat, und damit den unnötigen Gegensatz aufheben:
… das Gebet zieht uns weg von der Beschäftigung mit uns selbst, ermutigt uns, vertrautes Gelände zu verlassen, und fordert uns heraus, eine neue Welt zu betreten, die unser Herz und Verstand mit seinen engen Grenzen nicht fassen kann. Gebet ist daher das große Abenteuer, weil der Gott, mit dem wir eine neue Beziehung eingehen, größer ist als wir und alle unsere Berechnungen und Vorsichtsmaßnahmen missachtet.
Ich bin gespannt, wie es weitergeht in den nächsten Kapiteln. Meine Fragen im Augenblick sind:
- Abenteuer und Heldentum sind ja nun keine zentralen biblischen Kategorien. Mut schon eher. Setzt sich hier die neoromantische Tendenz aus „der Wilde Messias“ fort, wo solche Begriffe dazu dienen, wieder Interesse und Leidenschaft zu wecken und Abstumpfung und Gewohnheitstrott zu durchbrechen?
- Sollte man das Evangelium als den wahren Ur-Mythos etikettieren, der die Sehnsüchte aller Menschen bewusst oder unbewusst lenkt und allen anderen Mythen zugrunde liegt? Oder muss man das Evangelium eher als Anti-Mythos lesen und Jesus oder Paulus als Anti-Helden, die zwar dem Risiko nicht aus dem Weg gehen, wohl aber anders kämpfen und Erfolg anders verstehen als Odysseus oder König Artus?
- Sind moderne, areligiöse Kunstmythen wie Tolkiens Herr der Ringe oder die zahllosen pseudo-archaischen Retortensagen und Destillate, die Hollywood verfilmt hat, nicht in vieler Hinsicht noch ein ganz anderer Fall, den man gesondert betrachten müsste?
- Wie verhalten sich Held und Gemeinschaft zueinander? Ist es das Ziel antiker Heldensagen, jeden einzelnen Menschen zur Nachahmung anzuleiten oder gar anzutreiben oder drückt sich da eher das Bewusstsein aus, dass eine Gemeinschaft zwar immer wieder Helden braucht, die über sich hinauswachsen und sie retten, dass aber der Held gewissermaßen immer eine stellvertretende Aufgabe an seiner Gemeinschaft hat, so wie die großen Richter des Alten Testaments?
- Kann man Heldentum planen und machen, oder ist es eher so, dass man sich die wahren Abenteuer gerade nicht aussucht, sondern oft gegen seinen Willen berufen und ins kalte Wasser geworfen wird? Müsste man von da aus nicht eher fragen, wo wir schon längst im kalten Wasser schwimmen oder einen Ruf gehört haben, als darüber, wie man Grenzerfahrungen der Liminalität „künstlich“ herbeiführt?
- Widerspricht das Ideal der ständigen oder wiederholten Schwellenzustände nicht der Weisheit, die sich in vielen archaischen Übergangsriten ausdrückt, dass nämlich das Ziel die erneute Eingliederung in den sozialen Kontext ist, aber in einer neuen, veränderten Rolle, nämlich als Erwachsener? Anders gefragt: Läuft der gedankliche Ansatz dieses Buches auf eine Art permanente Adoleszenz hinaus und entspricht damit einer eher problematischen Tendenz unserer Zeit, die das Erwachsen- (und damit letztlich auch das Altwerden) so weit wie möglich hinausschieben möchte?
Hallo Peter, gute Gedanken,
nur kurz zu Campbell. Ich kenne weder ihn noch die Literaturwissenschaft gut genug, aber ich würde behaupten, dass das einfach die strukturalistische Schule ganz gut wiedergibt, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts einige osteuropäische Literaturwissesnschaftler und dann natürlich Claude Levi-Strauss, der die verschiedenen Mythen auf das wilde Denken zurückgeführt hat und allen sozusagen die eine Rationalität unterstellt. Ich denke tatsächlich, dass diese Ansätze nicht neu sind in der Theologie und das bestimmt sowas von Frost und Hirch schon angedacht und durchdacht worden ist. Mir gefällt die Idee mit dem Anti-Mythos. Man denke nur an Paulus, der aufzählt wie er in – was es Thessaloniki? – auf der Flucht vor seinen Gegnern über die Mauer in einen Korb gelassen worden ist? N T Wright hat mal herausgestellt, dass normalerweise bei einer Belagerung der, der Soldat zuerst über die Mauer gegangen ist und vermutlich nicht überlebt hat, als großer Held gefiert wurde. Ich würde sagen, dass das Christentum manchmal eher das Heldentum eher karikiert als selbst ein Beispiel dafür zu sein. Vielleicht ist diese Heldentums Geschichte eine gute Metapher für Jugendfreizeiten, aber ob es wirklich die beste Metapher für das Christentum ist, wage ich zu bezweifeln. Wenn es in der Geschichte des Christentums an einer ecke nciht fehlt, dann ja wohl bei falsch verstandenen Heldentum.
Grüße
Arne
Danke für die weiterführenden Gedanken, Arne! Dann müssten wir mal poststrukturalistisch an Campbell herangehen? Wobei sich die Rezeption je fast eher auf Disney-Niveau abspielt…
Richard Rohr hat eine ganz passable (weil gebrochene!) Adaption des Heldenbegriffs hinbekommen und auch den Sinn von Übergangsriten scheint er besser erfasst zu haben als unsere beiden australischen Freunde (von geistlichen Übungen ganz zu schweigen). Gut, er macht das ja auch schon ein Weilchen…
Ja aber irgendwie scheint das ein amerikanisches oder „englischsprachiges“ Thema zu sein. Welcher Europäer rollt nicht sofort mit den Augen, wenn von Geigenmusik untermalt der Soldat zu Boden geht als er den Kameraden retten will etc. pp. Also von wegen transkulturelles Motiv, ich würde eher sagen ein Motiv, dass sich gut macht in Gesellschaften, die gerne mal Kriege führen und das sozial natürlich irgendwie nützlich ist.
Also alle, außer Deutsche, Holländer, Schweizer und Skandinavier 😉
Ja, ich vermag in der Bibel eigentlich auch nur „Antihelden“ zu entdecken. Wo ich groß in drei Kategorien einteilen kann:
1.) Die Ekelhaften, die die sinnlos rummorden und huren. Z.B. David.
2.) Die Unfreiwilligen wie Z.B. Jona.
3.) Die Tragischen wie Z.B. Hiob.
Außerhalb der Wertung ist für mich Salomo. Das ist irgend wie ein „Querschläger“. 🙂
Gruß
Olaf
Danke, Peter, für die zusammenfassenden Gedanken. War drauf und dran, mir das buch zu holen und durchzuarbeiten. Nun bin ich durch Deine Zusammenfassung allerdings etwas abgeschreckt. Da ich von den beiden insgesamt mittlerweile sowieso schon 4 oder 5 Bücher gelesen habe, werd ich’s mir dann wohl schenken (nicht lassen). Bin trotzdem gespannt darauf, was Du hier noch dazu posten wirst.
Viele Grüße,
Philipp
@Olaf: Na ja, man kann David schon etwas differenzierter sehen…
@Phil: Wenn Du schon so viel von den beiden gelesen hast, dann lohnt es sich vermutlich wirklich nicht. Und jeder von beiden hat laut Facebook schon das nächste Buch am Start. Unfassbar.
Nach „The shaping“ hat mit „The forgotten ways“ nochmal richtig umgehauen. Aber „ReJesus“ und „Untamed“ haben mich dann kaum noch überrascht. Bei „Exiles“ habe ich es bislang nicht über die 80 Seiten hinaus geschafft. Vielleicht mache ich da aber erstmal weiter…
Tja, die Jungs schreiben und schreiben und schreiben. Manche Beispiele finde ich, werden allerdings recht einseitig dargestellt. Ist mir besonders im Handbuch zu TFW aufgefallen. Die Theorien werden durch Beispiele untermauert. Wenn man die Beispiele dann aber zufällig konkret vor Ort kennt, überzeugt manches doch nicht mehr so sehr. Von daher frage ich mich, ob viel schreiben immer so sinnvoll ist.
Was wäre denn Deiner Ansicht nach ein gutes Pendant zu den zweien. Roxburgh habe ich auch mal gelesen und live erlebt? wen könnte ich noch verpaßt haben bzw. wer aus dieser Schiene hat Dich denkerisch noch besonders weitergebracht?