Liebe, Zorn und Heiligkeit

Ich habe die (inhaltlich gar nicht neue) Aufregung um Rob Bells neues Buch kürzlich erwähnt, das Thema beschäftigt mich ja immer wieder. Ein paar Vorab-Verrisse habe ich überflogen, die Präzensenten scheinen mir aus der theologischen Schule von John Piper und Al Mohler zu stammen.

Hier prallen theologische Welten aufeinander, vor allem aber Gottesbilder. Und da ist es so wie in der Christologie: Wenn man mal auf dem falschen Fuß beginnt, hinkt alles, was danach kommt. Christologisch lag der Fehler lange Zeit darin, von einer abstrakten „göttliche Natur“ auszugehen, deren Attribute (Allmacht, Allwissen, Allgegenwart) dann die Menschlichkeit Jesu derart sprengten, dass es zu absurden Folgeschlüssen kommen musste. Etwa so, dass der irdische Jesus göttliche idiomata wie Allgegenwart „verhüllt“ ausübt.

Hier liegt m.E. ein ähnliches Problem auf Seiten der Kritiker vor: Gottes primäre Eigenschaft ist für sie die Heiligkeit. Heiligkeit zerfällt dann für sie in die zwei (konträren) Charakteristika von Zorn und Liebe. Man ist hier an die Dialektik von Gesetz und Evangelium erinnert, nur dass es eben Gottesattribute sind und keine Wirkweisen der Schrift. Und dieser Dualismus zieht sich nun ausgehend vom Gottesbild durch die ganze Heilslehre, daher eine streng symmetrisch gedachte doppelte Prädestination, in der die Verwerfung und ewige Qual eines Teils – möglicherweise des Großteils – der Menschheit als ein Akt erscheint, durch den Gott seine Heiligkeit erweist und seine Ehre mehrt. Daher auch das Insistieren auf der Vorstellung ewiger Höllenqualen – sie sind in dieser Logik eben auch nötig um der Ehre Gottes Willen.

Was auf den ersten Blick vielleicht noch wie eine Verschiebung von Nuancen wirkt, hat gravierende Folgen – vor allem seelsorgerliche, durchaus aber auch politische. Es beeinflusst nicht nur die Verkündigung (das berüchtigte „turn or burn“), sondern auch Kirchenstrukturen und den Umgang mit Macht. Denn natürlich liest man mit dieser Brille dann auch die Bibel und aus derselben die Bestätigung des eigenen Standpunktes heraus, der doch in Wirklichkeit schon die Prämisse des Denkens war.

Im Grunde muss sich diese Theologie also die Frage stellen lassen, die Papst Benedikt XVI in seiner Regensburger Rede an den Islam stellt: Ist Gott primär als absolut transzendenter, undurchschaubarer Wille zu verstehen, oder hat er sich auf den vernünftigen (darum geht es Benedikt in dem Zusammenhang) – wir könnten aber auch hinzufügen: liebenden und barmherzigen – Umgang mit seinen Geschöpfen festgelegt? Der Heiligkeitsbegriff als primärer theologischer Anker öffnet das Gottesbild für eine eine gewisse Persönlichkeitsspaltung. Mein Verdacht ist – man müsste der These mal genauer nachgehen, ein nettes Promotionsthema mit vielen Fußnoten – ob nicht gerade eine gewisse Schwierigkeit, mit den Ambivalenzen des Lebens und der Schrift fertig zu werden, dazu führt, dass man diese überspringt und letztlich in die Gottesvorstellungen selbst zurückverlagert. Problematische Gewalt entschwindet so im Schatten unhinterfragbarer und unantastbarer Heiligkeit.

Ordnet man dagegen Heiligkeit und Zorn der Liebe unter, sieht alles anders aus. Ein gewaltfreies Gottesbild wird möglich, das jedoch keineswegs harmlos ist. Gottes Zorn wird nicht als ein ausschließender Zorn in seine Heiligkeit, sondern als leidenschaftliche Solidarität mit den Opfern von Gewalt und Unrecht in seine Liebe integriert. Sein Ehrgeiz liegt darin, nicht nur die 99 Schafe zu behalten, sondern auch das eine verlorene noch zu finden. Dafür riskiert er alles. Wo meine Sympathien liegen, brauche ich nicht zu erklären.

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65 Antworten auf „Liebe, Zorn und Heiligkeit“

  1. Danke für die sehr präzise und unpolemische Analyse. Ich bin zwar auch nicht glücklich Gottes Liebe alá Härle über alles zu stellen (das wird oft sehr wolkig), aber besser als diese Version von Gottes Heiligkeit. Die Frage ist, ob Attribute an sich schon ein Problem sind. Die ostkirchen trennen ja oft in Gottes Wesen an sich (für uns unerkennbar) und seine energeia, seine Spuren auf der Welt.
    Dennoch finde ich es gut, wie Welker es dargestellt hat: wenn man universalist ist, muss man -im Interesse der Opfer – den Gedanken des Gerichts besonders betonen. Dazu würdde ja auch neben M. Volf auch „Gregor Etzelmüller, Zu richten die Lebenden und die Toten“ passen…

  2. Hi Peter, ich bin hier voll bei Dir und ich glaube auch, dass diese Fragen extreme Relevanz haben. Ich kämpfe damit gerade ziemlich. Wir lesen bei uns in der Gemeinde gerade durch die Bibel durch. Wir sind jetzt in Richter angekommen. Wenn ich die ersten paar Kapitel von Genesis mal ausnehme, war mein Eindruck von dem dort beschriebenen Gott eigentlich immer ein Gott der latenten Gewalt. Ich kann an einen solchen Gott nicht glauben, deshalb führt das bei mir dann zu grundsätzlichen Glaubenskrisen. Wie löst Du diese Gewalt, die Gott im Pentateuch und Josua zugeschrieben wird (Gott der permanent mit Strafe arbeitet und Andersgläubige ausrotten lässt) für Dich auf?

  3. @Tobias: Das geht für mich nur so, dass ich hier ein situations- und zeitgebundenes Gottesbild erkenne (der kriegerische Stammesgott), das inzwischen (und zwar schon im Alten Testament, mehr noch im Neuen) überwunden ist, das also mindestens so viel über die Menschen dieser Zeit sagt, wie über Gott. Das ist die eine Seite.
    Die andere wäre, dass Gott selbst in dieser Ära handfester Gewalt (bzw. beschreiben das ja spätere Erzähler so, der erzählte Zeitraum des deuteronomistischen Geschichtswerks umfasst ja mehrere Jahrhunderte) an der Seite der Underdogs kämpft, gegen die Großreiche, die alle anderen plattmachen, und ihre kleineren Kopien in den Nachbarstaaten. Wenn man davon ausgeht, dass die Endfassung der Bücher Josua bis Könige aus der Exilszeit stammt, dann liegt das Richterbuch vor allem nicht so weit weg von Schinderhannes, Robin Hood oder Spartakus – die waren ja auch nicht gewaltfrei. Und gerade weil es so lang her war, konnte man das so drastisch schildern. Da schwang schon die Hoffnung auf eine neue Revolution mit.

  4. @Peter: Das ist natürlich der Fluch des „chronologischen“ Lesens (chronologisch so, wie es die Bibel vorgibt). Ich hoffe mal, dass ich im weiteren Verlauf Deine Antwort mehr fühlen kann. Momentan fällt es mir echt schwer. Ich finde einfach keinen Bezug zu diesem Gott, der dort beschrieben wird. Der oft sein eigenes Volk und alle anderen sowieso ausrotten will. Der immer wieder besänftigt werden muss, etc. Auch die Robin-Hood-Theorie fällt mir schwer. Das kann man bei der Auszugs-Geschichte noch so sehen. Aber dann geht es ja darum, dass Israel in ein fremdes Land einfällt. Da sind sie doch die Agressoren, oder? Und es wird nicht nur ein Krieg beschrieben, sondern ein Völkermord (auch Frauen und Kinder auslöschen) angeblich angeordnet von Gott…

    Es fällt mir gerade einfach schwer, dass alles mit meinen Ideen von Gewaltfreiheit, Feindesliebe, etc. übereinzubringen.

    Kannst Du zu dem Thema gute Bücher empfehlen? (wobei meine Freunde mir sagen, ich soll die Antwort eher über das Herz finden, als über den Kopf)

    Im Übrigen: Es hilft mir, dass es intelligente Menschen wie Dich gibt, die diese Problematik sehen und trotzdem glauben. Das gibt mir Hoffnung.

  5. @ Tobias: zwei Bücher die die fundamentale Revolution im Gottesbild im Hinblick auf die Gewaltlosigkeit erklären sind von dem franko-amerikanischen Kulturantropologen Rene GIrard. Zum Einstieg ist „Ich sah den Satan vom Himmel fallen wie ein Blitz“ (Hanser 2002) zu empfehlen und dann die erst kürzlich wieder neu aufgelegte monumentale Studie „Das Ende der Gewalt. Analyse des Menschheitsverhältnisses“ (Heder 2009). Vor gut zehn Jahren hat das mein komplettes Weltbild neu justiert, ähnlich wie in letzter Zeit die Lekküre von Miroslav Volf und NT Wright.
    @ Peter: Was wir in Marburg im GT-Studiengang seit Monaten reflektieren, stimmt, dass eine kleine Äderung im Weltbild massive Auswirkungen auf Hermeneutik und Dogmatik wie Ethik nach sich zieht. Da die meisten heiß geführten Diskussionen immer nur auf den letzteren Ebenen geführt werden, selten jedoch die Ebene der Hermeneutik erreicht wird, geschweige sie reflektiert wird, sind letztlich Zirkelschlussargumente allgegenwärtig, die zu keiner neuen Einsicht führen.
    Danke für die geniale Hinführungen zu aktuellen Themen!

  6. @Gabriel: Ja, von Girard habe ich schon viel Gutes gehört, sowohl bei Richard Rohr, als auch bei Jamels Alison. Ich werde das mal auf meine Wunschliste setzen.

    Ich bin momentan halt in dem Dilemma, dass ich recht genau weiß, an was für einen Gott ich glauben will, nur nicht so genau, wo ich ihn finde…

  7. @Tobias:
    Ich kann Deine Überlegungen gut nachvollziehen und sehe uns alle da in einer Spannung, was unsere Gottesbilder betrifft. Unsere Erkenntnis ist halt immer nur bruchstückhaft. Wenn ich die Bibel lese, dann entdecke ich viele Facetten bei diesem Gott. Vom Gott, der diese Welt so kreativ erschaffen hat und eigentlich einen super Plan mit Adam und Eva hatte, bis hin zu dem Gott, der den Befehl erteilt, den eigenen Sohn zu opfern, es dann aber noch verhindert, über den Gott, der einen Ausrottungsbefehl gibt, bis hin zu dem Gott, der die Welt so liebt, dass Er…. und schließlich der Gott, der offensichtlich trennen wird zwischen den Jesus-Gläubigen und anderen.

    Ich versuche, das nebeneinander stehen zu lassen. Vielleicht mit der intellektuell total unbefriedigen Einstellung: „Eines Tages werde ich es hoffentlich kapieren.“
    Bis dahin setze ich den leidenschaftlich-eifersüchtig-liebenden Gott über den „Ausrottungs-Gott“. Und helfe mir mit solchen Beispielen wie diesem:
    Wenn ich sehe, wie jemand einem anderen das Messer an die Brust setzt, dann sehe ich Gefahr, Aggression und wahrscheinlich jede Menge Blut.
    Wenn ich aber länger hinschaue und die Beteiligten kennenlerne, dann entdecke ich möglicherweise, dass es sich um eine lebensrettende OP handelt, die zwar mit einem heftigen Einschnitt beginnt, aber mit einer Heilung enden soll.

    So bleibt Gott der Gott der Liebe, Barmherzigkeit und Gnade. Aber eben aufgrund Seiner Liebe muss Er all das Üble hassen, was gegen die Liebe, Barmherzigkeit und Gnade ist. Als Schöpfer und Richter über Sein Universum ist Er der Einzige, der objektiv beurteilen kann, wann man aufgrund der Liebe einen harten Einschnitt machen kann.

  8. @Tobias: Ich kann die Bibel nur von Jesus her lesen und seiner „Definition“ von Liebe. Dann aber wird deutlich, und das muss man wohl auch klar sagen, dass Völkermord wie er in den von Dir genannten Passagen beschrieben wird, mit Gottes Wesen nicht zu vereinbaren ist. Diese Klarheit ist notwendig. Sie ist aber auch das Resultat eines langen Prozesses, in dem „der nächste“ nicht nur als Angehöriger der eigenen Familie, Sippe, oder Nation verstanden wurde, sondern universal – bis hin zum Feind. Der Entwicklungsstand des Josuabuches hat, wenn man ihn als einen Schritt in die richtige Richtung, aber noch in großer Entfernung von diesem Ziel betrachtet, vielleicht einen Sinn. In sich selbst dagegen nicht. Was „den Alten gesagt“ ist, reicht heute einfach nicht mehr. Das ist schon seit 2.000 Jahren so.
    @berlinjc: Ich glaube nicht, dass wir es uns leisten können, das ethische Urteil in solchen Fragen ad infinitum zu suspendieren, nur weil die Geschichte in der Bibel steht und nicht in der Zeitung. Was sagst Du dann jemandem, der behauptet, Gott hat ihm gesagt, er müsse sich oder jemand anderen umbringen?

  9. @Peter:
    Mag sein, dass ich es mir da zu einfach mache, aber ich gehe mal von der Bundestheologie aus. Der alte Bund hat es erforderlich gemacht, dass das Volk Israel eine Staatsform anstrebte, sprich: mit eigener Regierung, eigenem Land etc. Es ging sehr viel um das „irdische Bürgerrecht“. Vor diesem Hintergrund gehörten politisch-militärische Auseinandersetzungen dazu.
    Der neue Bund regelt eher das „himmlische Bürgerrecht“ (mit „eher“ meine ich, dass es dennoch auch irdische Auswirkungen hat). In der himmlischen Dimension geht es nicht mehr um die Festigung des Irdischen samt Staatsgebiet. Jetzt geht es darum, „das Feld zu behalten“ im Kampf für Gott und gegen den Satan, aber eben nicht mehr gegen „Fleisch und Blut“.
    Damit ist der tatsächliche Kampf zwischen Menschen, zumindest von christlicher Seite, prinzipiell ausgeschlossen.

    Der Wendepunkt der Bundesschlüsse ist das Kreuzes- und Auferstehungsgeschehen. Damit hat Gott sowohl irdisch als auch himmlisch den Zorn und Hass auf die Sünde entladen. Eben weil Er leidenschaftlich liebt, kann Er das Übel nicht einfach passieren lassen. Der/das Böse muss getilgt werden. Da Jesus diese Konsequenz getragen hat, ist nun jeder Mord und Totschlag ohne göttliche Grundlage. Denn die Strafe ist gezahlt. Gott kann aufgrund Seiner Treuer und Gerechtigkeit Tötungshandlungen nicht mehr befehlen. Er würde damit in Widerspruch zum Kreuzesgeschehen setzen.

    So meine ich, vor allem „am Kreuz“ den liebenden als auch den zornigen Gott sehen zu können.

  10. @berlinjc: so weit, so gut. Nun stellt sich die Frage ja trotzdem noch rückblickend für Tobias: War/ist das derselbe Gott vor und nach dem Kreuz? Oder hat sich da etwas entladen an Zorn und Gewalt, das nun weg ist? Ist also durch Jesus aus einem latent oder offen gewalttätigem Gott nun ein friedlicher geworden?

  11. @Peter:
    M.E. gilt das:
    Keine Ahnung! 🙂

    Aber mal vorgetastet…
    Wenn ich daran festhalten will, dass die Bibel so etwas wie verbalinspiriert ist, dann komme ich nicht umhin, davon auszugehen, dass es sich um denselben Gott handelt, dessen Wesen ewig unwandelbar ist.
    Das heißt aber nicht, dass Gott stets auf die gleiche Weise handeln würde.
    Eben aufgrund des neuen Bundes fährt Er ein neues Programm, bleibt aber vom Wesen derselbe.

    Er ist wie der Karatemeister mit dem 100000.Dan, der zugleich Mediziner ist. Grundsätzlich will Er heilen. Wenn’s aber nicht anders geht, kann er auch treten und hauen.
    Er ist dieselbe Person, die aber zu gegebener Zeit unterschiedliche Fähigkeiten einsetzen kann.

    Daher verstehe ich Ihn so:
    Er liebt Seine Schöpfung nach wie vor. Deswegen hasst Er das, was Seine Schöpfung kaputt macht, auch nach wie vor. Aber aufgrund des „Kreuzesprogramms“ ist ein besonderer Schutzbereich für alle entstanden, die „sich unter das Kreuz stellen“.

    Die Frage ist aber auch:
    Was von den AT-Texten verstehen wir wirklich?
    Wie gut kennen wir die damaligen Hintergründe wirklich?
    Sicher haben Archäologen, Historiker, Sprachwissenschaftler schon eine Menge zu Tage befördert. Und doch besteht in einigen Punkten sicher noch Unsicherheit.
    Will meinen:
    Ohne die herausfordernden Stellen, die auch Tobias genannt hat, verdrängen zu wollen, lohnt es sich schauen, wie oft Gott tatsächlich solche für uns grausamen Handlungen befohlen hat und wie oft es „nur“ um einen Verteidigungskampf ging. Daraus resultiert für mich dann auch ein Gottesbild. Ist Er – gemessen an der Anzahl der Angriffs- und Verteidigungshandlungen – tatsächlich der Aggro-Gott oder doch eher der schützende Gott?
    Die Denkweise ist eine völlig andere.
    Ist Er mehr der Aggro-Gott, dann finde ich es in der Tat sehr herausfordernd, Ihn mit dem in Zusammenhang zu bringen, der uns durch Jesus nahegebracht wird.
    Ist Er mehr der schützende Gott, dann empfinde ich die Spannung schon weniger stark.

    Die Spannung reduziert sich dann auch weiter, wenn ich die Jesus-Zitate lese vom ewigen Feuer (womit ja nicht immer ewige Qual der Betroffenen gemeint sein muss), vom Gott, der richten wird, vom Ort des Heulens und Zähneklapperns… wieiviel Harmonie legen wir in unser Jesus-Bild? Ist derjenige, der Tische umstößt und mit der Peitsche zuschlagen kann, wirklich der zu 100% Friedfertige?

    Wenn ich mir das so durch den Kopf gehen lasse, fange ich an, mich gegen die Verknüpfung von „Grausamer AT-Gott“ bzw. „Liebevoller NT-Gott“ zu sträuben…

  12. @berlinjc: das habe ich ja schon deutlich gemacht, dass es keinen platten Gegensatz von “Grausamer AT-Gott” bzw. “Liebevoller NT-Gott” gibt. Die Stellen sind ja nicht nur „herausfordernd“, sondern schlicht abstoßend und empörend.
    Nur stellst Du Dir mit Deinem Schriftverständnis eben das Bein, und genau das tritt ein, was ich oben gemeint habe: Die Ambivalenz der Schrift wandert in Dein Gottesbild und Du breitest den Mantel der Heiligkeit drüber, wenn du sagst, dass wir das eigentlich weder verstehen noch beurteilen können.
    Ich glaube dagegen, dass wir solche Texte hinreichend verstehen können und dann auch ein klares Urteil treffen. Und zwar keines, das nur auf Wahrscheinlichkeiten beruht (eher so/weniger so), die letztlich doch nur Ungewissheiten nach sich ziehen – nicht die gesunde, konstruktive Ungewissheit kindlichen Vertrauens, sondern die Angst vor einem Gott, der im allerletzten unberechenbare Willkür ist.

  13. @Peter:
    Was Du versuchst, ist, Gott bis in’s Letzte verstehen zu wollen.
    Das will ich ebenso und Tobias gleichermaßen.
    Mir geht es nicht um einen „Mantel der Heiligkeit“ (da hast Du etwas hineingelesen), aber ich bezweifle, dass es der Wortlaut der Bibel zulässt, dass wir einen Gott erkennen, der stets nach unserer Definition der Liebe und Gnade und allem anderen Schönen handelt. Ist unsere Definition von Liebe denn dieselbe, die Gott hat?

    Die Alternative scheint doch die zu sein, dann die empörenden Textstellen nicht am Wortsinn zu messen, sondern sie zu „vergeistlichen“, sie wegzuradieren oder als rein menschlichen Zusatz darzustellen (oder was auch immer, aber auf jeden Fall, diese Texte nicht Gott in die Schuhe zu schieben). Und was ist „empörend“? Für manche ist ja schon der Gedanke an einen Gott empörend oder dass dieser Gott eine Dreieinheit hat oder Er Seinen Sohn opfert…

    Wie geschrieben:
    Ich will auch mehr von Gottes Wesen verstehen und meine das nicht als Totschlagargument, aber doch als anmerkungswürdig: Als Mensch Gott völlig verstehen zu wollen, ist wie der Versuch einer Auster, die Existenz von Schiffen zu erkennen. Ich verstehe mich selbst ja nicht immer, geschweige denn andere Menschen.
    Mit dieser Haltung mache ich mich an die Erforschung Gottes ran, quasi wie die Auster, die ein paar Millimeter vorangekommen ist, froh über jeden Aspekt, der mir deutlicher wird, aber eben in der Annahme, dass ich zu beschränkt bin, um alles kapieren zu können. So ist mein „Keine Ahnung“ und meine „eher, tendentiell“ usw. zu verstehen.

    Das ist bislang meine sicherlich beschränkte Sichtweise. Ich bin gespannt, was Du noch entdeckst und veröffentlichst. Das meine ich tatsächlich ganz offen und neugierig.

  14. @berlinjc: Ich will nicht Gott bis ins letzte verstehen, sondern einen klaren Standpunkt zum Thema Gewalt. Und der ist m.E. nicht zu erreichen, wenn man alle Texte der Bibel rein formal und ohne jeden Bezug zu ihrem Inhalt (bzw. eine Gewichtung desselben) unmittelbar auf Gott zurückführt. Das zementiert eine Ambivalenz und „heiligt“ die genannten Gewaltakte, die (das vergrößert die Spannung) für Dich ja dann auch buchstäblich so geschehen sein müssen.

    Wenn Dein Gott unwandelbar ist, aber (dispensationalistisch gedacht…) zwei ziemlich unterschiedliche „Programme“ fährt, dann wirft das sofort die Frage auf, ob er sich in beiden gleich gültig ausdrückt, oder ob man in dem einen Verhalten mehr und im anderen weniger erkennen kann, wer und wie Gott wirklich ist. Und von da aus müsste man Aussagen über Gott dann gewichten. Wenn das nicht möglich ist, dann gibt es auch keine Verlässlichkeit, Gott könnte ja jederzeit auch wieder ins andere Programm schalten.

    Was mir ein bisschen Kopfzerbrechen macht ist dies: Wenn ich Dir einen Widerspruch aufzeige, antwortest Du immer mit dem Hinweis, der sei eben nicht zu ergründen und aufzulösen. Süffisant gesagt: Dafür, dass Du eine Auster bist, weißt Du dann aber doch eine Menge über Gott. Und Du weißt es, weil Du in Deiner Austernschale eine Bibel hast und in einer Austernschule oder -gemeinde eine bestimmte Auslegungsweise gelernt hast. Wenn nun ein theologisches Sandkorn wie dieses dazukommt, dann wird es in undurchschaubares, schillerndes rhetorisches Perlmutt gepackt, in dem sich dann lediglich wieder das Bekannte spiegelt…

  15. @Peter:
    M.E. geht es nicht darum, unbedingt eine Ambivalenz zu verringern.
    Es geht mir auch nicht darum, „rein formal und ohne jeden Bezug zu ihrem Inhalt“ jeden Text auf Gott zurückzuführen. Hört sich ein bisschen nach „Nicht-Nachdenken“ an…
    Es geht mir tatsächlich darum, diesen Gott, so gut es uns möglich ist, zu verstehen. Ich gehe davon aus, dass wir auch nur von Ihm her die empörenden Taten verstehen können, sofern wir sie denn verstehen können. Daher kann ich einen Standpunkt zum Thema „Gewalt“ in diesem Fall nicht vom persönlichen Gottesverständnis lösen. Da will ich gerne Gott bis in’s Letzte verstehen.

    Ich weiß nun nicht, ob ich wirklich ein Dispensationalist bin. Aber ein grober Umriss Seines Planes wird sicherlich deutlich. Je nachdem, ob wir die Sache richtig deuten, wiederum mit einem dramatischen Ende, das zwar Heilung verheißt, aber durchaus gewalttätige Zwischenstationen hat. Was ist das für ein NT-Gott, der zum Schluss Seine Feinde vernichtet und zwischen Jesus-Gläubigen und anderen trennt? Passt das in unseren Wunsch nach Harmonie und Frieden? Bei mir eher nicht. Schön wär’s, wenn sich zum Schluss alle in den Armen liegen. Vielleicht könnte ich das sogar einem fanatischen Gewaltverbrecher wünschen, dass er zum Schluss Versöhnung und Frieden erfährt. Aber der Wortlaut der Bibel spricht eine andere Sprache.
    Das ist ja nun keine Ambivalenz, die wir uns aussuchen, weil wir so ein komisches Gottesbild haben, sondern die im Text selbst steckt.

    Ich bezweifle, dass ich „immer mit dem Hinweis“ antworte, eine (ich schreibe mal „Spannung“ und nicht „Widerspruch“) Spannung sei eben nicht aufzulösen. Deshalb schrieb ich doch, dass ich das Nach- und Weiterfragen schätze und auf Deine weiteren Entdeckungen neugierig bin. Ich will eine Auflösung gar nicht ausschließen, sehe sie aber bislang noch nicht. Ist einfach ein ehrliches Eingeständnis und nicht als Verweigerung zu lesen.

    Meine Hinweise auf meine beschränkte Sichtweise hat m.E. gar nicht so viel mit irgendeiner Bibelschule zu tun, sondern ist eher biografisch und menschlich zu verstehen. Und wenn schon „Bibelschule“, dann vielleicht die, die auch Paulus kannte, als er schrieb:
    „O welch eine Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege!“ (Röm 11,33)
    Ohne das Weiterdenken vernachlässigen zu wollen, spüre ich auch bei Paulus einen Moment, wo er sich manches nicht so recht erklären kann. Muss ja nicht der Weisheit letzter Schluss sein, ist aber ehrlich.

    Aber vielleicht drehe ich mich auch hier zu viel herum…
    Zur Sache an sich ein Gedanke:
    Möglicherweise haben wir ein sehr zeitgenössisch geprägtes Verständnis von einem lieben Gott. Vielleicht ist dieser Gott eifersüchtig-liebend parteiisch. Sprich: Wenn Er sich für ein Volk namens Israel entscheidet, dann auch mit Haut und Haaren. Jeder, der dann Sein Volk angeht, wird nicht in die Versöhnung eingeschlossen, sondern wird mit harten Bandagen bekämpft.
    Gleiches im NT:
    Wer nicht mit Jesus ist, ist gegen Ihn. Wer nicht die Erlösung gem. Röm 3,23 ff. hat, der lebt noch in Römer 1. Wer zum Schluss nicht zu Gottes Gemeindevolk gehört, wird entfernt. Dahinter stünde eine parteiische Liebe, die für jedes neue Familienmitglied eifert, aber sich gegen jeden stellt, der sich von der Familie fern hält.
    Sein Ruf ist dann die Gnade; diese soll zur Umkehr führen. Wer aber nicht umkehrt, bleibt in der Nicht-Gnade.
    Ich finde das durchaus hart, aber konsequent. Erschreckend, aber auch faszinierend.

    Diese parteiische Liebe wäre verlässlich, eben weil sie so entschieden auftritt.
    Wer erst einmal unter der Hand dieser Liebe ist, wird von dieser nicht mehr losgelassen.

  16. @berlinjc

    „Möglicherweise haben wir ein sehr zeitgenössisch geprägtes Verständnis von einem lieben Gott. Vielleicht ist dieser Gott eifersüchtig-liebend parteiisch. Sprich: Wenn Er sich für ein Volk namens Israel entscheidet, dann auch mit Haut und Haaren. Jeder, der dann Sein Volk angeht, wird nicht in die Versöhnung eingeschlossen, sondern wird mit harten Bandagen bekämpft.“

    Damit habe ich zwei Probleme. Einmal im Licht der von mir genannten Texte: Es ist ja nicht etwa so, dass hier jemand Israel angreift, sondern Israel greift an. Die Begründung ist der Götzendienst der Völker im Land. Wenn ich das jetzt wörtlich nehme, müssten nicht zumindest erst einmal Propheten hingeschickt werden, die zur Umkehr aufrufen? Mir ist hier Peters Ansatz deutlich sympathischer, auch wenn ich noch nicht sicher bin, ob ich ihn als konsistent betrachten kann.

    Das zweite Problem ist, dass es aus meiner Sicht einfach nicht zu der Lehre Jesu passt. Zumindest nicht so, wie ich ihn zu verstehen glaube.

    Und: ich versuche, es nicht mein Ziel sein zu lassen, Gott komplett zu verstehen. Ich weiß, dass es ein Kampf für mich ist (das habe ich oben mit Herz vs. Kopf gemeint). Allerdings glaube ich halt, wenn es einen Gott gibt, dann ist er anders, als die Strukturen dieser Welt. Das ist es doch, was mich an Jesus fasziniert, dass er die Strukturen dieser Welt durchbrochen hat. Wenn Gott auch bedingt liebt und seine Macht ausnutzt, um seinen Willen zu bekommen, sehe ich in ihm nicht den Gott, den ich durch Jesus zu sehen glaube.

    Abgesehen davon: danke für das gute Gespräch hier. Ich begrüße es sehr, dass hier nach Antworten gerungen wird, statt sich gegenseitig mit Dreck zu bewerfen (wie es in der Rob-Bell-Sache gerade passiert).

  17. @berlinjc: Ich merke, ich lese das NT auch anders als Du, vor allem diese Gerichtspassagen. Sie sind für mich viel diesseitig-konkreter zu verstehen.
    Um so größer auch meine Schwierigkeiten mit dem parteiiichen Gott. Der passt für mich auch nicht mehr zu dem Gott Jesu, der nicht nur zur Feindesliebe aufruft, sondern sie exemplarisch vorlebt.
    Ich bin gespannt, wie das Gespräch weitergeht. Ich meinte übrigens nicht eine konkrete Bibelschule, sondern prägende Denktraditionen. Eine davon ist Dein Festhalten an der Verbalinspiration: Alle Aussagen der Bibel unter einen Hut bringen zu müssen ohne Widersprüche anerkennen zu können (oder sie jeweils zu Scheinwidersprüchen umzudeuten), das verursacht eben diese Spannungen, die für mich (und Tobias auch, vermute ich), nicht zu halten sind – nicht wegen des Zeitgeistes, sondern um des Evangeliums willen.

  18. Hallo,
    Vielleicht muss man wirklich mal bei der Hermeneutik ansetzen. Die Frage ist ja, was Offenbarung ist und was sie mit der Bibel zu tun hat. Offenbarung in der Bibel hat für mich nichts damit zu tun, dass hinter der Stimme des Autors die Stimme Gottes direkt steht, sondern Gottes Reden trifft auf unsere Möglichkeit zu hören und zu verstehen. Wenn jetzt – und da bin ich mir historisch nicht sicher, dass dem so wäre – es sehr schwer bis unmöglich gewesen wäre für ein kleines Volk im vorderen Orient an eine Gottheit zu glauben, die nicht in irgendeiner Form auch gewalttätig ist, dann könnte man sagen: Gott hat sich in diese Gottesvorstellung inkarniert. Gott hat mit der religiösen Vorstellungswelt, mit den ethischen und unethischen Ansichten und den psychologischen Rachegelüsten der Menschen gearbeitet. Wäre es nicht möglich, dass -so wie die Geschichte vom Goldenen Kalb in den texten die Möglichkeit offenbahrt echten Gottesdienst mit Götzendienst zu vermischen – auch in den biblischen Texten noch Formen von Götzendienst (Ressentiment, Rachegelüste etc.) vorkommt? Wäre nicht deshalb Jesus nötig, um ein klareres Gottesbild zu bekommen?
    Damit wird die Frage nach diesen Gewaltgeschichten nicht völlig geklärt. Lustig ist ja, dass die Historiker der Meinung sind, dass es diese brutale Landnahme so nicht gab. Man hat also einen Bericht (im Gegensatz zu den meisten der paganen Umwelt) der nicht etwa geschönt ist, sondern brutalisiert. Man könnte sich jetzt überlegen, ob das nicht ne Funktion hat: man lässt die Gewalt in den Texten, damit man in der Realität von der Gewalt absehen kann. Was sich ein wenig zu psychologisch kosntruiert klingt hat ja durchaus auch biblische Grundlagen. In Römer 12 wird die Feindesliebe geboten mit dem Hinweis, dass Gott ja der Richter ist.

  19. Ein gutes Buch, das sich mit den Spannungen zwischen at und NT auseinandersetzt ist auch Klaus nurnberger’s „Biblical Theology in Outline“ (cluster publications, Pietermarizburg, 2004)

  20. Zum Thema Gottesbild und Gewaltfrage:
    Es ist mir bis heute nicht wirklich einsichtig, warum manche kritisch denkenden Zeitgenossen der Meinung sind, dass ein Gottesbild, in welchem auch dunkle und beängstigende Aspekte intergriert sind, notwendigerweise zu einer Legitimierung menschlicher Gewalt führt. Der auf Gott angewendete Liebesbegriff einer völlig gewaltfreien und ausschließlich auf machtlose Zuneigung hinauslaufenden Menschenfreundlichkeit beinhaltet letztlich eine Auflösung des Gottesbegriffs und verliert ebenfalls den denkenden und wahrnehmenden Kontakt zur Wirklichkeit von Schöpfung und Geschichte. Der Gedanke eines „Gewaltmonopols“ hilft mir weiter. Damit kann der fundamentalte Unterschied zwischen Gott und Mensch konsequent ins Ethische gezogen werden. Im Alten Testament ist das noch nicht ausgeprägt, ich finde ihn aber im Neuen Testament umso deutlicher (z.B. Römer 12,19). Die theologische Aufgabe, in exklusivem Bezug auf Gott seine Liebe mitsamt den schweren Aspekten seines Wesens und der irdischen Gewalterfahrung zusammenzudenken, ist nicht mit katholisch-philosophischer Vernünftigkeit zu lösen. Wohl waltet im Umgang Gottes mit uns eine „Logik“, ein „Stil“, eine „Treue“ und ein zielorientierter und von daher „berechenbarer“ Wille; Er verfährt nicht willkürlich und sprunghaft mit uns. Aber vernünftig und der Ratio zugänglich ist das dennoch nicht. Reformatorische Theologie hat sich vom philosophischen Ansatz katholischen Denkens deutlich distanziert. Es müsste denkerisch also noch einen Weg zwischen Katholizismus und Islam (sehr holzschnittartig, ich weiß) geben.

    1. @WB: Guter Gedanke, das Gewaltmonopol. Die (Theo)Logik auf Deine frage liegt für mich hier: Wir werden in das Bild dessen verwandelt, den wir anbeten (vgl. 2.Kor 3,18)

  21. @WB: Mir ging es ja erst mal um die tatsächliche göttliche Legitimierung *menschlicher* Gewalt im Pentateuch und Josua.
    Dass Gott aus unserer eingeschränkten Sicht auch dunkle Aspekte haben kann, kann ich mir vorstellen. Auf der anderen Seite steht natürlich auch die biblische Aussage, z.B. in 1. Johannes 5. Klar, hier ist die Frage, wie man diese Begrifflichkeiten füllt.

    Was *mir* nicht ganz klar ist, ist, warum Gewaltlosigkeit und „nur Liebe“ oft mit Machtlosigkeit und illusorischer Menschenfreundlichkeit gleichgesetzt werden. Es sind doch zwei Unterschiedliche Dinge, ob ich an einen Gott glaube, der klar sagt, was falsch läuft und zur Umkehr aufruft (was Jesus ja eindeutig getan hat) oder an einen Gott, der alle hasst und ausrottet, die nicht für ihn sind. Mir fehlt hier oft die Sicht eines pädagogischen Mittelwegs zwischen Misshandlung und antiautoritärem Laissez-faire.

  22. @Wie beim Staat: Du als Bürger darfst keine Gewalt verüben, das bleibt dem Staat vorbehalten (vgl. Arnes Kommentar zu Röm 12). Der allerdings hat strenge Regeln, Rache oder Lynchjustiz ist damit ausgeschlossen, Eskalationen verhindert. Theoretisch wenigstens.

  23. Ein weiterer Gedanke zur Frage von Tobias (Wieso befiehlt Gott Gewalt?):
    Möglicherweise ist unsere Sicht zu individualistisch. Wir sehen stark den Einzelnen, das einzelne Kind, das einzelne Schicksal.
    Im AT und m.E. auch im NT geht es mehr um den Blick auf das Gesamte. Der Einzelne taucht natürlich auf und ist wertvoll und muss auch persönlich Verantwortung tragen.
    Aber Gott scheint noch mehr den Organismus als Ganzes zu sehen: das Volk Israel, die Gemeinde, der einzelne Stamm, das Ehepaar, die Familie.
    Wenn es dann um Haftungsfragen geht, ist eben nicht nur der Einzelne betroffen, sondern ein Organismus.
    So lässt Gott Gericht zu (oder befiehlt die Vollstreckung sogar) an ganzen Völkern, Stämmen oder Familien.

    Die AT-Stellen, in denen Gott einen Angriffskrieg befiehlt, sind relativ wenige. Sie sind dennoch vorhanden. Soweit es aus der Bibel ersichtlich ist, waren das keine Hauruck-Aktionen. Wenn Gott liebevoll ist, dann wird Er den betroffenen Städten und Völkern vorher einige Chancen gegeben haben, von ihrem gottlosen Lebensstil zu lassen. Wenn wir daran denken, wie lange Gott Propheten nach Israel gesandt hat, um zu warnen oder wie er Jona in Gang setzte, um Ninive zu retten, dann wird Seine Geduld und Liebe deutlich. So ist gemäß Seines Wesens davon auszugehen, dass Er auch die feindlichen Stämmen Chancen gegeben hat und Geduld offenbarte. Sie sind kein Spielball für Seine Machtfantasien. Sie hatten die Möglichkeiten, das Böse zu lassen, aber haben sich dennoch gegen Gott entschieden.
    Die göttlichen Vollstreckungsbefehle im AT zeigen dann, dass irgendwann eine Chance auch verspielt sein kann.

    Nur zur Klärung:
    Ich behaupte nicht, dass das die Lösung ist. Ich versuche nur, laut mitzudenken.

    1. @berlinjc: Ein paar Einwände aus dem lauten Weiterdenken:
      1. Einer der wichtigsten Unterschiede zwischen Judentum und anderen antiken Kulturen/Religionen ist die außergewöhnliche Bedeutung des einzelnen. Das beginnt schon mit Abraham und gipfelt in Jesus.
      2. Gewalt ist Gewalt, ob nun ein einzelner oder ein Volk umgebracht wird, ist qualitativ kein Unterschied, nur quantitativ.
      3. Nochmal die Frage wenn es damals richtig/legitim war, kann es dann heute falsch sein oder umgekehrt? Inwiefern sollte das Kreuz an der Wertung von gewalt etwas geändert haben, selbst wenn Gott bei Jesus „Dampf abgelassen“ hätte?
      4. Wenn Gottes Volk die Gottlosen wegen ihres Unglaubens umbringen durfte, ja musste (!), dann hast Du damit die Tür für alle möglichen Kreuzzüge geöffnet. Aber das Jonabuch zeigt ja das genaue Gegenteil: Jona will die Vernichtung und Gott verhindert sie zu Jonas großem Verdruss.
      5. Gibt es noch einen Unterschied zu radikalislamischen Vorstellungen vom Dschihad? Außer eben zu sagen, das sei (darauf läuft es nun ja doch wieder hinaus) das „Alte Testament“?

  24. @Peter: Wobei wir natürlich – zumindest theoretisch – auch wieder Gewaltenteilung haben (d.h Legislative, Exekutive und Judikative und wenn es ganz gut läuft auch noch die freie Presse).

    @berlinjc: Ich habe damit echt meine Probleme. Für mich ändert das nichts, wenn ich das Volk als Ganzes sehe. Ich meine… Kreuzzüge, Kolonialismus, Inquisition, Zwangsmissionierung, etc. wurden doch genau mit solchen Argumenten durchgeführt. Inwiefern ist das anders? Die waren auch überzeugt, dass Gott ihnen das aufgetragen hat.

  25. @Tobias:
    Für mich ändert eine „Sippenhaftung“ auch nicht so viel. Der wortwörtliche Tatbestand eines richtenden Gottes bleibt ja. War nur ein „Nebengedanke“, weil Gottes Befehl gegen ganze Völker erging.

    Ich sehe nach wie vor einen Dreh- und Angelpunkt im Kreuzesgeschehen. Am Kreuz ist viel geschehen (völlige Hingabe und Gewaltlosigkeit Jesu, Liebe bis zum Letzten, Solidarität mit den Sündern…), aber auch die Liebe und der Zorn Gottes wurden deutlich. Er hat mit dem Kreuz selber eine Kehrtwende im Umgang mit göttlicher Gewalt beschlossen. Seit dem Kreuz gibt es keinerlei Grundlage mehr dafür, dass wir im Namen Gottes Gewalt anwenden (anderer Aspekt: Staatiche Gewalt – s.o.).
    Das ist für mich ein großer Unterschied.

  26. Ich will übrigens hier mal eine Zwischenbemerkung machen: Peter hat ja oben gemeint, dass es vielleicht auch mir um das Evangelium geht. Ich weiß nicht, ob ich diese Würdigung verdiene. Ich bin mir gerade absolut nicht mehr sicher, was ich noch glaube. Aufgewachsen bin ich klassisch evangelikal. Heute kann ich damit nur noch wenig anfangen. Dass ich darüber noch nachdenke, liegt daran, dass mich Jesus immer noch fasziniert.

    So, aber jetzt zurück zum Thema. Und zurück zu der Annahme, dass die ganze Sache mit Jesus und Gott glaubwürdig ist. Für mich scheint dann die zentrale Frage zu sein: Hat Jesus uns gezeigt, wie Gott ist und schon immer war und zwar auch noch am Kreuz? Oder hat das Kreuz Gottes Beziehung zu uns irgendwie verändert, bzw. hat Gott sich entschieden, sich durch das Kreuz zu verändern?

    Mir scheint das auch der zentrale Streitpunkt zwischen Theologen wie John Piper und Rob Bell zu sein…

  27. @Peter:
    1. Meine ich ja: Natürlich hat der Einzelne Verantwortung und Bedeutung. Es gilt aber auch ein Sowohl-als-auch. Bsp.: Im NT wird der einzelne Gläubige als „Tempel“ bezeichnet, aber auch die Gemeinde. Oder gem. 1,Kor 5, 1ff: Der betroffene „Sünder“ ist verantwortlich für seine Tat. Die Gemeinde wird aber ebenso in Verantwortung gezogen. Der Einzelne ist nicht ohne die Gesamtheit zu verstehen. Gott macht Geschichte mit Einzelnen, aber in der Regel, um das Ganze zu bewegen.

    2. Klar. Wobei dann durchaus zu bedenken ist, dass es auch gerechtfertigte Gewalt gibt (s.a. medizinische Eingriffe, die vom Tatbestand her als gerechtfertigte Körperverletzung behandelt werden). Abgesehen davon: Es dürfte auch zu klären sein, was Gewalt ist. Wurde Jona gewaltsam von Gott behandelt?

    3. Hat das Kreuz etwas an der Wertung von Gewalt geändert? Das meinte ich nicht. Das Kreuz hat sogar gezeigt, dass Gott Gewalt gegen Seinen eigenen Sohn anwandte. Wozu? Um einen Schutzraum für Sünder zu schaffen. Laut der NT-Texte besteht noch immer Gottes Zorn, gleichermaßen wie Seine Liebe, denn eine Liebe muss zornig auf das Lieblose sein. Die Bindung an Jesu Kreuzestod ist die alttestamentliche Freistadt. Wer dort ist, ist frei von Gottes Zorn und die Liebe gilt schrankenlos. Damit ist Gottes Gewalt eingeschränkt worden. Ferner: Jesus befiehlt die Feindesliebe und hat sie dann konsequent bis zum Kreuz gelebt. So steht das Kreuz eben auch für diese Feindesliebe.
    Für Gott mag es noch Fälle geben, in denen Er Gewalt zulässt und befürwortet (z.B. Armageddon, um Satan & Tod zu beseitigen). Aber wir können wegen des Kreuzesgeschehens keinen Auftrag mehr zur Gewaltanwendung haben.

    4. Das AT zeigt ja eher, dass Gott die Ungläubigen verschont hat. Nochmals: Wir reden hier von relativ wenigen Fällen, in denen Gott einen Angriffskrieg befohlen hat. Das war nicht die Norm. Er führt grundsätzich keinen Krieg gegen die Ungläubigen, sondern will sie gewinnen. Es mag aber Situationen geben, in denen der Unglaube wahre Horrorszenarien nach sich zieht. Es gibt ein „Zuviel“. Es wäre schön, hätte man manchen Schlächter der Weltgeschichte „bekehren“ können. Aber wenn ein solcher partout nicht will, dann mag selbst uns der Gedanke aufkommen, dass ein Ende mit Schrecken besser ist als ein Schrecken ohne Ende. Mir geht es da so mit manchen Kinderschändern…
    Mit dieser Sichtweise ist eben keine Tür für Kreuzzüge geöffnet, wie ja der Verweis auf Jesus & das Kreuz demonstriert.

    5. S.a. 3& 4 – ja, da ist ein Unterschied. Weder Gott noch Jesus als Sohn Gottes haben je prinzipiell den Krieg oder Gewalt gegen Menschen befohlen. Vor allem nie, um den Glauben voranzubringen. Ganz anders als der Wortlaut des Koran.

  28. @Tobias:
    M.E. hat sich Gott nicht geändert.
    Ich meine das von Beginn an zu sehen, nur mal exemplarisch: Adam und Eva sind Ebenbilder Gottes, gewollt & geliebt, Er hat einen guten Plan mit ihnen. Sie wenden sich von Ihm ab. Er geht auf Distanz, damit sie nicht auch noch vom Baum des Lebens essen, was zur Folge gehabt hätte, dass sie ewig mit ihrer Sünde leben müssen. Zum Eigenschutz wirft er sie hinaus, bedeckt sie vorher noch mit Fell – eine liebevolle Geste – und schmiedet gleichermaßen den Rettungsplan in Gen 3,15 (Proto-Evangelium).
    Hier sehen wir Gottes konsequente Liebe, die bis zum Kreuz und – Gott sei Dank – bis zur Auferstehung geht.
    Sein Rettungsplan durchlief scheinbar mehrere Phasen, angefangen mit der Berufung Abrahams, über Mose usw bis hin zur hellsten Zeit mit Jesus.

    Was ich nicht verstehe, ist, warum Er sich so viel Zeit mit der Rettungstat Jesu gelassen hat. Es wäre doch so schön erlösend gewesen, wenn Er das alsbald nach der Misstrauenstat von Adam und Eva getan hätte.

  29. @berlinjc: Ich habe noch einiges dazu zu sagen, nur gerade wenig Zeit. Aber Deinen Punkt 5 kann ich gerade einfach nicht so stehen lassen unter der Prämisse, dass das, was in der Bibel Gott in den Mund gelegt wird auch von Gott kommt.

    Wann hast Du das letzte Mal Mose 4+5 und Josua komplett gelesen? Hier nur mal ein paar Auszüge:

    „Ihr werdet jetzt bald aufbrechen, um euer Land in Besitz zu nehmen, und der Herr, euer Gott, wird es euch gelingen lassen. Er wird sieben Völker vor euch vertreiben, die größer und stärker sind als ihr: die Hetiter, Girgaschiter, Amoriter, Kanaaniter, Perisiter, Hiwiter und Jebusiter.1
    2 Wenn der Herr sie in eure Gewalt gibt, dürft ihr keinen Friedensvertrag mit ihnen schließen. Ihr dürft sie nicht verschonen, sondern müsst den Bann an ihnen vollstrecken. Ihr dürft euch auf keinen Fall mit ihnen verschwägern. Eure Töchter dürft ihr keinem Mann aus diesen Völkern geben und für eure Söhne dürft ihr keine Frau aus diesen Völkern nehmen.
    4 Sonst könnten sie von ihnen dazu verleitet werden, sich vom Herrn abzuwenden und andere Götter zu verehren. Dann würde der Herr über euch zornig werden und euch in kürzester Zeit vernichten. „(5.Mose 7, 1-2 – Ja, hier spricht Mose, aber Mose spricht hier immer im Namen Gottes).

    Eigentlich das ganze Kapitel 7 ist hier „lesenswert“. Dann weiter in Josua

    „Aber hört her: Die Stadt ist dem Herrn geweiht und steht unter seinem Bann mit allem, was darin ist. Kein Mensch und kein Tier darf am Leben bleiben.“ (Josua 6, 17 – Auch hier spricht Josua, allerdings im Namen Gottes.)

    Kurz darauf wird auch deutlich, dass dieselbe Meinung auch Gott in den Mund gelegt wird:

    „Sie erschlugen nach dem Befehl des Herrn alles, was in der Stadt lebte, mit dem Schwert: Männer und Frauen, Kinder und Alte, Rinder, Schafe und Esel.“ (Josua 6, 21)

    Und weiter:

    „Darauf sagte der Herr zu Josua: »Hab keine Angst, sei nicht verzagt! Nimm alle Kriegsleute mit dir und zieh noch einmal hinauf vor die Stadt Ai. Ich habe den König von Ai, sein Volk, seine Stadt und sein Land in deine Hand gegeben.
    2 Du sollst mit der Stadt und ihrem König genauso verfahren wie mit Jericho und seinem König; “ (Josua 8, 1-2)

    „Außer der Hiwiterstadt Gibeon schloss keine andere Stadt mit den Israeliten Frieden. Alle mussten erobert werden.
    20 Der Herr hatte ihre Bewohner so starrsinnig gemacht, dass sie den Israeliten Widerstand leisteten; denn er wollte, dass sie alle dem Bann verfielen und ohne Erbarmen vernichtet würden. So hatte er es Mose befohlen. “ (Josua 11, 19-20).

    Ich könnte hier jetzt munter weitermachen. Aus meiner Sicht ist 4.+5.Mose und Josua voll von Gewalt Gottes… hat nicht viel Spaß gemacht, das zu lesen!

  30. @Tobias:
    Nr.5 habe ich so gemeint: Wenn Gott prinzipiell keinen Krieg bzw. Gewalt befiehlt, dann ist das die Hauptrichtung Gottes. Von Prinzipien gibt es Ausnahmen, die als Ausnahme entsprechend selten sind. Eine Ausnahme hast Du eben aufgelistet.

    Fü rmich heißt das:
    Gott ist ein Gott der Liebe.
    Eben weil Er liebt, muss Er gegen alles sein, was lieblos ist.
    Wäre Er für das Lieblose, wäre Er nicht mehr Liebe.
    Daher kann Ihn auch nur Sein Wesen der Liebe zum Handeln motivieren.

    Wenn Gott nun einen Angriffskrieg gegen bestimmte Stämme befohlen hat, dann muss wirklich extrem viel Böses in diesen Stämmen passiert sein.
    Nur ein menschliches Beispiel:
    Wenn ein Mitschüler mein Kind beklaut, werde ich nicht zu diesem Täter gehen und ihm eine runterhauen. Man wird das Gespräch suchen, vergeben und neu starten.
    Wenn jemand mein Kind systematisch foltern würde und er das ebenso mit anderen Kindern täte und ich wüsste, dass er es immer wieder tun würde, dann wäre jedes weitere Gespräch zwecklos. So ein Mensch müsste entweder für sein Leben lang eingesperrt werden oder tatsächlich vernichtet werden. Ansonsten würde er sofort wieder mit seinen Taten weitermachen.
    Den Vernichtungsbefehl, den Gott bei Josua gibt, möchte ich vor diesem Hintergrund sehen, dass sich bei diesen Völkern so viel Schlechtes angesammelt hat, dass eine Besserung nicht mehr möglich war.
    Zudem sehe ich darin, dass es womöglich um die Existenz des Volkes Israel ging.
    Wie geschrieben: der Diebstahl selbst rechtfertigt keine radikalen Wege. Wenn es aber um die Existenz von Menschen geht, sind radikale Maßnahmen mitunter nötig (z.B. der finale Rettungsschuss).
    Das ist etwas, was kein Mensch im Ganzen beurteilen kann, sondern es obliegt der Allwissenheit Gottes. Wenn die Liebe so einen Befehl gibt, dann muss es wirklich extrem hart gewesen sein.

    Was ich noch zum Punkt ergänzen will:
    Bei Josua handelt es sich um eine historisch einmalige Situation, die sich in diesem Maße an keiner Stelle beim Volk Israel oder dem „Gemeinde-Volk“ des NT wiederholt hat.
    Schon deswegen lässt sich daraus kein Muster und keine Berechtigung für ein System von „Heiligen Kriegen“ ableiten.

  31. Ok, ich hatte das „prinzipiell“ nicht so verstanden, wie Du.

    Ich kann das jetzt natürlich nicht beurteilen, wie „verkommen“ die Kanaaniter waren. Es wird aber schon als Hauptgrund angegeben, dass sie anderen Göttern gedient haben. Die Israeliten taten ja auch immer wieder, was Gott missfiel und wurden trotzdem nicht ausgerottet (obwohl er es ein paar Mal wollte, aber Mose hat ihn immer noch davon abgehalten).

    Die Abgrenzung zum Jihad kann ich auch nicht wirklich beurteilen, weil ich den Koran dazu viel zu wenig kenne. Ich vermute aber, dass gemäßigte Muslime dazu Ähnliches sagen würden, wie Du.

    Meine Schwierigkeit ist einfach, dass ich es eben nicht als Ausnahme sehen kann. Wenn ich von dem Anfang von Genesis absehe, finde ich, dass Gott im Pentateuch und in Josua einfach durchgehend als Gott beschrieben wird, der zornig ist und ständig besänftigt werden muss (durch Opfer, durch Mose). Es wird an mehreren Stellen klargemacht, dass er Segnet, wenn die Leute seinem Willen folgen und straft / tötet, wenn sie davon abweichen. Da sind dann die Kriege gegen die Andersgläubigen irgendwie nur noch letzte Konsequenz. Mir fehlt da total die Beziehung und Liebe, wie ich sie verstehe. Versteh mich nicht falsch. Ich meine nicht ein blauäugiges Hinwegsehen über Missstände. Aber ich finde, es gibt dort kaum Stellen, wo mal ausgedrückt wird, dass Gott sich an den Menschen freut.

    Natürlich ist das später in der Bibel und besonders bei Jesus anders. Das löst für mich aber nicht das Dilemma dieser Bücher, die ja für das Judentum sehr zentral sind.

    Vielleicht lag es auch an meiner allgemeinen momentanen Verfassung, aber ich fand es über weite Strecken eine Qual diese Texte zu lesen.

  32. Noch drei Gedanken, die mir eben noch kamen:

    1. Wenn ich über Dein Szenario nachdenke, würde ich glaube ich zumindest Bedauern erwarten. Also, ähnlich wie bei der Sintflut, dass Gott sagt, er kann das Unrecht nicht mehr ertragen, dass die Menschen sich antun, etc. Stattdessen wird es quasi als Genugtuung Gottes dargestellt.

    2. Bei der Sintflut (auch wenn man das nur symbolisch versteht) hat Gott geschworen, so etwas nie wieder zu machen. Das galt dann wohl nur für „die ganze Menschheit“, nicht für Teile davon?!

    3. Für mich klinge die o.g. Schilderungen einfach mehr nach späteren Rechtfertigungen der Israeliten. Meine Güte, wenn Gott amals wirklich so in die Naturgesetze eingegriffen hat, wie ihm zugeschrieben wurde, dann hätte er diese Völker einfach auch komplett unfruchtbar machen können. Dann hätte sich das Problem innerhalb von ein paar Generationen erledigt (ok, ich bin mir gerade auch nicht sicher, ob das besser gewesen wäre…)

  33. Wenn ich nochmal als Hobbypsychologe reden darf: was, wenn in diesen Texten Kämpfe geschildert worden, die in Wirklichkeit IN den Leuten stattgefunden haben? Was, wenn es hier in Wirklichkeit um die Kämpfe der Israeliten mit ihrer Identität besonders im Angesichts des immer wieder drohenden Abfalls/Rückfalls in den Polytheismus geht?
    Und wenn ich dann nochmal als Theologe reden darf: ich denke, es geht auch um das Problem des Bösen. Es gibt einfach gegen das heilende Handeln Gottes Widerstände. Und wenn man dann doch die Bibel mal versuchsweise so liest, als ob es „Fortschritte in der Erkenntnis Gottes gab“ oder auch Gott dazugelernt hat! man denke nur an den Begriff der Reue Gottes, dann könnte man ja auch davon ausgehen, dass hier Gott und Mensch beide gemeinsam aneinander gelernt haben. Unter anderem haben sie gelernt, dass das Problem des Bösen nicht durch einen einfach Dualismus zwischen denen hier drin (gut) und denen dort draußen (böse) zu lösen ist. So ist in der gesamten Bibel von Kämpfen, Konflikten und Gewalt die Rede (weil das ein realistisches Bild der Welt ist), aber diese Gewalt wird immer mehr vergeistigt. So sieht man, dass hinter den vordergründigen Bösen (der Götzendienst) überindindividuelle Mächte und Gewalten stehen, die man nicht durch einfache Gewalt bekämpfen kann und die vor allem auch „in jedem von uns“ Fuß gefasst haben. Deshalb muss das Problem des Bösen anders angegangen werden, als die ersten Versuche, im Buch Josua. Danach kommt die Zeit der Richter, die fehlschlägt. Danach das Königstum, das fehlschlägt. Und dann das Exil als eine Zeit der Reinigung.

  34. @Tobias:
    Ich kann Deine Gedanken sehr gut verstehen. Mir wäre eine sofort einleuchtende Erklärung auch lieber. Wiewohl ich mich, wie viele auch, seit Jahren mit Gott beschäftige, bleibt Er trotz mancher Erkenntnisse auch immer Mysterium. Schade, dass uns die Bibel keine genaueren Erklärungen gibt.

    Weshalb ich so auf meiner Linie trete und nachdenke, liegt natürlich daran, dass ich an der Prämisse festhalte, dass es so etwas wie Verbalinspiration gibt. Wenn ich diese ablehnen würde (was nicht prinzipiell, zumindest theoretisch gesehen, falsch sein muss), dann würde ich letztlich an den Aussagen Jesu zweifeln bzw. diese z.T. ablehnen oder relativieren müssen.
    Zum einen bestätigt Jesus an mehreren Stellen die Gültigkeit des Gesetzes und der Propheten. Ziemlich viele AT-Bücher finden irgendwo ein Zitat bei Ihm. An keiner Stelle negiert Er das „Gesetz und die Propheten“, auch, wenn Er es mitunter anders auslegt oder auf den Punkt bringt. Sprich: es gibt Hinweise darauf, dass Jesus selbst das AT im weitesten Sinne als Wort Gottes ansieht.
    Zum weiteren finden wir bei Jesus ziemlich radikale Aussagen, was das ewige Feuer betrifft, das Gericht Gottes, die Verdammung usw.
    Wenn Gott ein Gott der Liebe ist, der deshalb keine Gewalt befürworten dürfte, dann müsste ich fast logischerweise dahin kommen, auch die Worte Jesu hier zu relativieren oder als nachträgliche Einfügung Seiner Jünger zu deuten. Auf jeden Fall wären auch etliche Jesu-Worte nicht mehr als gesichert anzusehen, eben weil sie nicht in mein Bild eines „lieben Gottes“ passen.

    Ich hoffe, dass Du verstehst, was ich hier ausdrücken will.
    Damit meine ich nicht, dass alles wortwörtlich zu verstehen ist oder dass wir die kulturelle Exegese vernachlässigen sollten. Ich plädiere für das Nachdenken und Hinterfragen.
    Aber noch sehe ich nicht, wieso ich dann manche „empörenden“ AT-Stellen vergeistlichen oder sonstwie deuten sollte, auf jeden Fall aber nicht im Wortsinn verstehen sollte, und ähnlich empörende Stellen bei Jesus ernst nehmen sollte.
    Wenn mein Gradmesser meine Definition von Liebe und Empörung ist, dann werde ich auch zig Stellen bei Jesus streichen müssen.
    Und damit habe ich ernsthafte Schwierigkeiten.

    Das war jetzt nichts zu den von Dir letztlich angeführten Punkten, abe ich wollte das nur mal nebenher anmerken… muss jetzt los….

    1. … und noch ein Nachtrag:

      Weshalb ich so auf meiner Linie trete und nachdenke, liegt natürlich daran, dass ich an der Prämisse festhalte, dass es so etwas wie Verbalinspiration gibt. Wenn ich diese ablehnen würde (was nicht prinzipiell, zumindest theoretisch gesehen, falsch sein muss), dann würde ich letztlich an den Aussagen Jesu zweifeln bzw. diese z.T. ablehnen oder relativieren müssen.

      Der Fehler liegt meiner Meinung nach darin, dass für Dich der Glaube an die Schrift den Glauben an Jesus begründet. Historisch war es aber im Christentum umgekehrt. Und hier unterscheidet sich die moderne Doktrin von der Verbalinspiration qualitativ von dem vorkritischen Bibelverständnis etwa bei Luther, der kein Problem hatte, im Grenzfall auch einmal „Christum gegen die Schrift zu treiben“. Ich halte das für eine folgenschwere Verwechslung von Urkunde und Inhalt. Es ist ja auch eine sehr formale Begründung der Schriftautorität, die einen immensen Bedarf an Präzisierungen nach sich zieht. Aber um die Integrität der Schrift zu retten riskierst Du – vorsichtig gesagt – für meinen Geschmack die Integrität Gottes (s.o.).

  35. @Anarchie: Mir ist Dein Ansatz ja grundsätzlich sympathisch. Allerdings leuchtet er mir trotzdem noch nicht so richtig ein, scheint nicht so recht zu „passen“. Die schrittweise Erkenntnis Gottes schon eher. Oder wie ein nicht-glaubender Bekannter einmal gesagt hat, nachdem er die Bibel gelesen hatte: „Ich hatte den Eindruck, dass Gott auch erwachsen werden musste“. Das finde ich irgendwie treffend.

    @berlinjc: Ich kann Deine Gedankengänge sehr gut verstehen. Das sind auch für mich die Punkte, mit denen ich kämpfe. Darauf zielte auch meine ursprüngliche Frage ab, wie Peter das für sich unter einen Hut bekommt. Natürlich sind auch die Worte Jesu wieder durch die Evangelisten gefiltert. Aber es stimmt schon, Jesus stellt sich in die jüdische Tradition und in dieser sind die o.g. Bücher identitätsgebend.

    Auf der anderen Seite finde ich es auch faszinierend, wie Jesus das oft komplett auf den Kopf stellt. Der Gott des Pentateuch lässt die Völker ausrotten, weil sie Israel schlecht beeinflussen könnten. Jesus schickt seine Jünger zu den Völkern, um sie positiv zu beeinflussen. Im Pentateuch wird penibel geregelt, wann man was zu opfern hat. Jesus sagt „Wenn ihr nur verstanden hättet, was es heißt „Ich habe Lust an der Liebe und nicht am Opfer“. Jesus berührt die Aussätzigen und macht sich damit unrein, usw. Jesus sagt: Der Sabbath ist für den Menschen da, nicht der Mensch für den Sabbath.

    Ich meine… es wundert mich nicht, dass die religiöse Elite seiner Zeit ihn umbringen wollte.

  36. @berlinjc:
    nur ganz kurz: es sind zwei verschiedene Dinge zu sagen, man sieht die Bibel irgendwie als Gottes Wort an und zu sagen, sie sei Wort für Wort eingegeben/fehlerlos etc. Denn letzteres ist eine sehr junge Theorie, die im 19. Jahrhundert entstanden ist. Sprich: Jesus glaubte mit Sicherheit nicht an die Verbalinspiration.
    Vielleicht muss man genau an den Punkt arbeiten bevor man an das Problem „Gewalt in der Bibel“ geht. Gibt es wirklich nur die Alternative zwischen: alles,was einem nicht passt zu relativieren gegen Kadavergehorsam dem Buchstaben gegenüber (oder dem, was man durch sein Vorverständnis als den Wortlaut der Bibel zu erkennen glaubt).
    @Tobias: Das mit dem erwachsenwerden ist interessant. Kennst du: „Gott eine Biographie“? Ein Buch, dass genau diesem Gedanken spielerisch nachgeht.

  37. Vielleicht kann ein Beispiel helfen: die TRC. Nach dem unblutigen Ende der Apartheid in SuedAfrika und dem Begin des neuen, demokratischen SA, wurde die „Truth and Reconciliation comission“ (TRC) unter Vorsitz des „Arch“ (=liebevolle Bezichnung fuer unseren Erzbischof i.R. Tutu) ins Leben gerufen. Dies war kein „Gericht“, das sie Tater in die Hoelle und die Opfer in den Himmel geschickt haette. Keine Spielwiese fuer Rachegefuehle, Vergeltung und retributive Gerechtigkeit. Vielmehr ging es darum, Opfern UND Taetern einen Raum zur GEMEINSAMEN Vergangenheitsbewaeltigung zu geben. (Der Abschlussbericht der TRC enthaelt einige eindrucksvolle Beispiele dafuer!)

    Fuer mich zeigt das, wie der Uebergang von einer „Hermeneutik der Gewalt“ zu einer „Hermeneutik der Gewaltfeiheit (oder des Gewaltverzichtes)“ aussehen koennte. Und ich denke, dass letztere notwenig ist, um die Bibel in einer Weise zu lesen, die auch heute noch Sinn macht. Derartige hermeneutische Trajektorien lassen sich durchaus schon innerhalb der Bibel erkennen (man vergleiche Psalm 110 – eine Orgie der Gewalt – mit dem Zitat am Ende der Pfingstpredigt Apg 2:35 in ihrem jeweiligen Kontext! Fuer weitere Beispiele innerbiblischer Reinterpretationen im Sinne einer „Hermeneutik der Gewaltfreiheit“ sie das o.g. Buch von Klaus Nurnberger). Aber, wie das mehrfach zitierte Beispiel des Jonah-Buches zeigt, handelt es sich nicht um eine Entwicklung, die sich einfach als AT zu NT denken laesst, wenn der Erzaehler Jonah nicht einfach sterben laesst (wie er es sich selber wuenschen wuerde, 4:3!), sondern durch Staude und Wurm eine wichtige paedagogische Wendung einfuehrt.

    In Mt 26:53, wo der Gewaltverzicht Jesu als Gewaltverzicht des Vaters verstanden wird findet diese Paedagogik Gottes ihr Vollendung (man denke aber auch an Lk 9:51-56!). Der Gott, der uns in Jesus begegnet ist – von der Krippe bis zum Kreuz – in Gott der Ohnmacht – und damit ein Gott der Ohnmaechtigen.

    Ich kann dies duchaus als ein „erwachsenwerden Gottes“ sehen (nicht wie Karen Armstrong, die in ihrem bestseller „A History of God“ doch recht Einseitig auf die angebliche und tatsaechliche Hermeneutik der Gewalt in der Geschichte des Christentums abhebt.)
    Gott eine solche „Progressivitaet“ zuzugestehen ist natuerlich nur moeglich, wenn man eine realistische Vorsellung von der Bibel und ihrer sog. „Inspiration“ unterhaelt und sie nicht zum Goetzen macht.

  38. @Anarchie:

    Die Verbalinspirationslehre ist bereits in der altprotestantischen Orthodoxie ausformuliert worden, nicht erst im 19. Jahrhundert. Wohlgemerkt: sie ist dort ausformuliert worden, in nuce besteht sie in der ein oder anderen Form schon viel länger. Es ist viel wahrscheinlicher (mehr noch: anhand der Schriften der Kirchenväter etwa auch leicht belegbar), dass schon die ersten Christen selbst jedes einzelne Wort der Tora und der anderen heiligen Schriften als autoritativ ansahen und nur selten großen Überlegungen anstellten, wie sich hier Menschenwort und Gotteswort zueinander verhalten.

    Die Tatsache, dass es im Neuen Testament doch zu beträchtlichen Akzentverschiebungen und Umstürzen kommt, ist darauf zurückzuführen, dass in Jesus Christus als dem menschgewordenen Gotteswort eine noch größere oder, besser gesagt, endgültige Autorität auf den Plan tritt. Wo sich damit Spannungen zu alttestamentlichen Aussagen oder auch Spannungen innerhalb des Neuen Testaments ergeben, ist die Reflexion dessen in der Regel ein nachfolgender Akt, keiner, der diesen Spannungen zwingend vorausgeht.

    Eben das ist der Grund dafür, dass z.B. auch noch in Luthers Schriften viele Aussagen zu finden sind, die mit verbalinspiratorischen Gedanken inhaltlich 1:1 deckungsgleich sind – und völlig unvermittelt neben solchen Aussagen zu stehen kommen, die sich wie moderne Bibelkritik ausnehmen. Die Verbalinspirationslehre ist ein Versuch, solche Unstimmigkeiten und Spannungen auszuräumen, indem zum ersten Mal überhaupt in der Dogmengeschichte eine wirklich systematische Lehre von der Heiligen Schrift entwickelt wird – mit dem Ergebnis freilich, auf einer Seite des Pferdes herunterzufallen, und wohl auch herunterfallen zu müssen.

  39. Ein weiterer Gedanke:
    Wie wäre es, wenn sich Gott auf die Entwicklung der Menschen bzw. des Volkes Israel eingestellt hätte und wir damit nicht von einem „Erwachsenwerden Gottes“, sondern von einem „Erwachsenwerden des Gottes-Volkes“ reden müssten?

    Analog zur Kindererziehung:
    Der Versuch, einem Baby zu erklären, dass um 19:00 Uhr Schlafenszeit ist, ist ein vergebliches Bemühen. Das wird es erst mit vielleicht 3-4 Jahren anfangen, zu verstehen und erst mit vielleicht 30 Jahren als sinnig empfinden.
    Der Versuch, einem einjährigen Kind zu erklären, dass das Hauen anderer nicht immer weiterhilft, ist vergeblich. Es wird Hauen und man kann nur versuchen, das in gute Bahnen zu lenken und das Schlimmste zu verhindern.

    Übertragen auf das Volk Israel:
    M.E. erst in der späteren Ägyptenzeit und dann erst nach und nach in der Zeit der Wüstenwanderung begann es wohl zu begreifen, dass es ein Volk ist. Wobei die Aufteilung in Stämmen noch immer auch Differenzen aufzeigte. Das Volk war quasi im Kleinkindstadium.
    Der göttliche Versuch, es zum richtigen Zeitpunkt in das verheißene Land zu bringen, scheiterte. Möglicherweise war das der Zeitpunkt der Zeitpunkte. Möglicherweise war das das einzige Zeitfenster für die nächsten Jahrhunderte, um gewaltfrei hineinzukommen. Aber das Volk wollte nicht.
    Das nächste Zeitfenster war schon schwieriger zu nehmen. Gewalt war nun unvermeidlich. Die Alternative wäre vielleicht der Totalverlust des israelischen Volkes gewesen, dem Gott aber Verheißungen gegeben hatte, an die Er sich gebunden hatte.
    Sie mussten überleben!
    Aufgrund des Kleinkindstadiums kannte das Volk aber nur die Ebene des Hauens. Die Konzepte von Feindeliebe usw. konnte es nicht noch verstehen.
    So war die Gewalttat gegen andere Völker unvermeidlich, unter der Prämisse, dass es das einzig mögliche Zeitfenster für die nächsten Jahrzehnte war, dass das Volk andere Konzepte noch nciht gerafft hätte, dass die anderen Völker ebenfalls nicht auf Gottes Umkehrrufe gehört hatten und das Böse in ihnen das Limit überschritten hatte.

    Erst nachdem das Volk nach und nach kapiert hatte, dass es das Einhalten von bestimmten Regeln nicht hinkriegte und eigentlich Gnade brauchte, wurde es offener für andere Konzepte…

  40. @berlinjc
    guter Gedanke. Nur dass ich es nicht als „entweder – oder“ sehen wuerde, sondern als zwei Seiten einer Medalie, sozusagen (wobei das „Volk Gottes“ wohl mit dem „erwachsenwerden“ manchmal etwas hinterherhinkt – siehe Kreuzzuege, Inquisition etc).

  41. @berlinjc, Re: 5.3. 14:07: Ich glaube auch nicht im eigentlichen Sinne an ein Erwachsenwerden Gottes. Eher an eine sich entwickelnde Gotteserkenntnis. Das heißt für mich aber dann auch, dass ich halt mit den Aussagen, dass Gott eigentlich gerade am Anfang sehr konkret „von Angesicht zu Angesicht“ geredet hat so meine Probleme habe.

    Re: 4.3. 14:43:
    Du schriebst:
    „2. Klar. Wobei dann durchaus zu bedenken ist, dass es auch gerechtfertigte Gewalt gibt (s.a. medizinische Eingriffe, die vom Tatbestand her als gerechtfertigte Körperverletzung behandelt werden).“
    Medizinische Eingriffe halte ich hier für ein schlechtes Beispiel, da sie ja normalerweise einvernehmlich stattfinden (außer bei Notfällen – aber auch da in der Annahme des Einverständnisses). Besser wäre evtl. das Beispiel von Freiheitsentzug wegen Gesetzesüberschreitung, oder? Allerdings hat das finde ich auch einen anderen Charakter, als die doch eher blutrünstigen Schilderungen in Josua.

    Weiter schreibst Du:
    „3. Hat das Kreuz etwas an der Wertung von Gewalt geändert? Das meinte ich nicht. Das Kreuz hat sogar gezeigt, dass Gott Gewalt gegen Seinen eigenen Sohn anwandte.“
    Das habe ich nie verstanden. Wo siehst Du, dass Gott Gewalt gegen Jesus anwendet? Für mich ist Gott der, der in Jesus die Gewalt der Menschen offenbar macht. Gott steht doch nicht auf Seiten der religiösen Elite und schreit „Kreuzigt ihn!“, sondern Gott hängt blutig am Kreuz und sagt „Vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“. Das ist für mich ein totaler Unterschied. Alles andere trennt für mich Gott auf seltsame Weise auf.

    „Laut der NT-Texte besteht noch immer Gottes Zorn, gleichermaßen wie Seine Liebe, denn eine Liebe muss zornig auf das Lieblose sein.“
    Die Frage ist, ob sich Gottes Zorn gegen die Menschen richtet, oder gegen die „Mächte und Gewalten“, denen wir uns meistens kampflos ergeben „wie Schafe, die zur Schlachtbank geführt werden“.

    „Aber wir können wegen des Kreuzesgeschehens keinen Auftrag mehr zur Gewaltanwendung haben.“
    Amen!

    „Es mag aber Situationen geben, in denen der Unglaube wahre Horrorszenarien nach sich zieht. Es gibt ein “Zuviel”. Es wäre schön, hätte man manchen Schlächter der Weltgeschichte “bekehren” können.“
    Naja, es wird in den Fällen aber halt nicht wirklich moralisch argumentiert. Und es wird Gewalt mit Gewalt bekämpft. Aber egal, ich glaube, wir werden hier nicht auf einen Nenner kommen.

    Wie gesagt, ich kann vieles von Deiner Sicht nachvollziehen, auch wenn ich emotional nicht mitgehen kann. Und ich bin mir wie gesagt auch nicht sicher, ob ich eine Theologie finden kann, mit der ich leben kann, oder ob ich die Konsequenz ziehen sage muss, dass ich nicht glauben kann.

    Nochmal danke für Deine Offenheit zum Gespräch! Einen schönen Sonntag Abend!

  42. @Tobias
    danke für deine Offenheit über die eigene Ratlosigkeit, die eine interessante Diskussion möglich gemacht hat. Ich bin kein Theologe, doch finde ich in diesen ganzen Überlegungen eines Sache erstaunlich: an keiner Stelle ist bisher die persönlich erfahrbare aktuelle Offenbarung Gottes einem Menschen gegenüber in Betracht gezogen worden. Wir glauben doch an einen lebendigen, aktiven Gott, der nicht nur aus der Vergangenheit heraus, sondern auch aus seinem gegenwärtigen Wirken heraus verstanden werden muss. Und dass er gegenwärtig wirkt, steht zumindest für mich persönlich außer Zweifel.

    > oder ob ich die Konsequenz ziehen muss, dass ich nicht glauben kann.

    An diesem Punkt stand ich selber auch einmal – und eigentlich hatte ich die Konsequenz daraus schon gezogen, um mein christlich sozialisiertes Gottesbild ad acta zu legen. Spannenderweise war das dann der Punkt in meinem Leben, an dem Jesus Christus sich mir auf eine Weise verständlich machen konnte, wie nie zuvor. Ganz persönlich und ganz unmittelbar, lebensverändernd. Es haben sich nicht alle Fragen und die teilweise Unverständnis über biblische Schilderungen dadurch aufgeklärt. Aber sie sind in den Hintergund gerückt gegenüber dem Erleben, dass der HERR mir seine Liebe selber tief ins Herz gelegt hat. Das ist DER Teil vom Wesen Gottes, den ich verstehen sollte und den ich verstanden habe.

    Theologisch beurteilt ist das vielleicht ein sehr subjektivistisches Verständnis. Aber ist es nicht so, dass Menschen das Göttliche vor allem subjektiv erfassen können und sollen? An der vermeindlich objektiven Beurteilung des Wesens Gottes soll sich versuchen, wer mag – mir hat es nicht wirklich geholfen. Und solange sich das, was ich in meinem Leben als lebensverändernd erlebe, mit dem deckt, was ich aus der Bibel über das Wesen Jesu Christi erkennen kann, bin ich mir sicher, dass ER selber in mein Leben hinein wirkt und ich nicht einem autosuggestiven Trugbild aufgesesssen bin 😉

    Ich möchte daher dazu ermutigen, sich mit diesen schwierigen Fragen, mit dem ganzen eigenen Nicht-Verstehen, direkt an den zu wenden, um des es dabei geht. Und Gott zu bitten, dass er sich ganz direkt und persönlich in einer Art offenbart, die du verstehen kannst und die Konsequenzen für deine eigene Lebenswirklichkeit haben wird. Für diesen Weg des ehrlichen Fragens und auf-Antwort-wartens wünsche ich dir gespannte Geduld und letztlich einen echten „Lichtblick“. Um dann mit Hiob sagen zu können: „Höre doch, und ich will reden! Ich will dich fragen, und du sollst es mich wissen lassen! Vom Hörensagen hatte ich von dir gehört, jetzt aber hat mein Auge dich gesehen.“

  43. @alle: danke fürs muntere und konstruktive Weiterdenken. Ich war übers Wochenende weg und lese erst jetzt alles nach.

    Die Kleinkind-Analogie mit dem Zurückhauen ging mir auch im Kopf herum. Walter Wink zitiert auch mal Gandhi, der sinngemäß sagte, gewaltfrei könne nur jemand kämpfen, der auch bereit gewesen wäre, dies gewaltsam zu tun – weil es mehr Mut, Disziplin und Kampfgeist erfordert, nicht weniger, und weil man sicher sein muss, dass man die bessere Strategie gewählt hat, nicht die unterlegene. Entwicklungspsychologisch ist das stimmig.

    Mit all dem relativieren (!) wir natürlich die biblischen Aussagen, über die Tobias (und nicht nur er) gestolpert ist, als zumindest vorläufig. Aber daran führt praktisch kein Weg vorbei. Für uns hier heute ist das halt nicht mehr uneingeschränkt „Gottes Wort“ oder anders herum: Das sind eben keine zeitlos „wahren“ Sätze, sondern sie sind an ihren historischen Kontext gebunden. Im besten Fall ist es ein überholtes Durchgangsstadium der Offenbarung Gottes.

  44. @Peter: Ich stimme Dir da grundsätzlich in allen Punkten zu, würde aber doch etwas ergänzen bzw. weiter ausführen wollen. Es ist ja zumindest nicht ganz unproblematisch, davon zu sprechen, man dürfe die biblischen Schriften nicht mehr „uneingeschränkt ‚Gottes Wort'“ nennen und könne in ihnen daher allenfalls „ein überholtes Durchgangsstadium der Offenbarung Gottes“ erkennen.

    Unproblematisch ist das natürlich aufgrund der Kanonfrage nicht – weder für „Laien“, für die solche isoliert getätigten Aussagen eine erhebliche Verunsicherung bedeuten können, mit der sie dann allzu oft alleine gelassen werden, noch für ausgebildete Theologen, die sich mit Verweis auf solche Aussagen allzu schnell aus der Verantwortung einer dem biblischen Kanon gegenüber angemessenen Exegese stehlen können. Auch das Josua- und das Richterbuch sind nun einmal Teil dieses Kanons und insofern – wenn man ihnen auch keine uneingeschränkte Verbindlichkeit zumessen möchte oder kann – zumindest nicht unverbindlich, nicht nur die erbaulichen und isoliert genommen umso harmloseren Teile der Vätergeschichte, Psalmen, Propheten etc.

    Von daher würde ich so ansetzen, den Begriff „Wort Gottes“ dort, wo man ihn verwendet, immer etwas mit Leben zu füllen – und zwar so, dass dabei klar wird, dass Gott nicht als zeitlos-metaphysische Idee zur Sprache kommt, sondern tatsächlich in und mit der Geschichte redet, mit allen Brüchen, Unstimmigkeiten, Unsicherheiten etc., die notwendigerweise damit verbunden sind. Gerade von daher kann dann ja im Neuen Testament das Christusgeschehen als endgültiges Zu-Wort-Kommen Gottes verstanden werden. „Wort Gottes“ heischt so verstanden nie nach Unterwerfung (ein Muster, das gerade im evangelikalen Bereich – wenn auch selten laut ausgesprochen – immer noch virulent ist), sondern nach hörendem und verstehendem Nachvollzug, der menschliche Zweifel und Anfragen nicht unterbindet, sondern geradezu erfordert.

    „Überholt“ ist strenggenommen damit dann auch nicht die Offenbarung Gottes „an sich“ (sofern es eine solche aufgrund ihrer „Geschichtlichkeit“ dann überhaupt noch geben kann), sondern die Art und Weise, wie sie zu einer bestimmten Zeit rezipiert wurde – „überholt“ dann allerdings auch nicht zwangsläufig für diese, sondern für unsere Zeit. Erst das erlaubt es uns, solche Offenbarung, obwohl sie für uns fremdartig und anstößig erscheint, nicht einfach auf dem Müllhaufen der Geschichte zu entsorgen, sondern ihre immerhin relative Verbindlichkeit und Autorität anzuerkennen, indem sie eben als Teil des Kanons unaufgebbares Glaubenszeugnis bleibt und uns und unsere Theologie so immer wieder provozieren und hinterfragen kann.

  45. @Tobias Lampert: da stimme ich fröhlich zu – ich hatte „überholt“ wirklich nur auf die Gewalt-Passagen bezogen, um die es hier ging, und nicht den dogmatischen Lokus de sacra scriptura abhandeln wollen. Diese Texte allerdings sind seit der Bergpredigt eben etwas, das „den Alten“ gesagt war. Für uns heute gilt ein anderes Gebot, und dahinter führt kein Weg mehr zurück. Damit entsteht hoffentlich auch zwischen Christen und Andersdenkenden wieder so etwas wie Verlässlichkeit.

    Eine andere Frage ist natürlich, in welcher Form die Geschichtsbücher des AT (die Torah mal beiseite gelassen) überhaupt als „verbindlich“ beschrieben werden können. Als ethisches Vorbild also bestimmt nicht. Als eine Abfolge zu glaubender „Fakten“? Als ein narratives, in Teilen vielleicht auch legendenhaftes Zeugnis von Gottes Treue gegenüber seinem widerspenstigen Volk? Als rückblickendes „connecting the dots“, bei dem es um das religiöse Selbstverständnis und die Wandlungen des Gottesbildes geht?

    Vielleicht kann man ja sagen: Die Erinnerung an eine nicht gewaltfreie Vergangenheit nicht komplett zu tilgen steht Christen (und Juden) gut zu Gesicht auf dem Weg in einer hoffentlich friedlichere Zukunft. Diese Brüche einfach so hart stehen zu lassen und nicht zu übermalen ist also eine der Stärken, die wir aus dem Lesen der Bibel gewinnen können. Aber eine gewisse Lesekunst ist dazu schon vonnöten…

  46. @berlinjc: Kleiner Nachtrag (fast hätte ich „Fußnote“ geschrieben) – Mit der Formulierung, dass Gott Gewalt gegen seinen eigenen Sohn anwendet, schaffst Du ein theologisches Riesenproblem. Wenn nämlich Gewalt ein innertrinitarisches Verhalten Gottes ist – und als solches beschreibst Du es de facto – dann ist sie genau das, was wir als „Wesenseigenschaft“ bezeichnen, denn zwischen Gottes Wesen und seinem Verhalten kann es keine Differenz geben. Das wäre dann der monströse Gott, den viele fürchten und an den Du, wie ich vermute, im Grunde auch nicht glaubst. Für mich ist der Gedanke völlig inakzeptabel.

  47. Es ist in der Tat schwierig, die Geschichtsbücher des AT als „verbindlich“ zu beschreiben. Ich sehe diese Beschreibung allerdings als einen zweiten Schritt an – die Kanonizität dieser Schriften an sich gibt ja schon ihre Verbindlichkeit vor. So wenig damit die Beschreibung ihrer Verbindlichkeit obsolet geworden ist (im Gegenteil!), so entlastend finde ich das aber auch. Wir werden davon entlastet, selbst definieren zu müssen, was „Wort Gottes“ ist und was nicht – uns also unseren Kanon selbst zusammenstückeln zu müssen und damit immer in die Versuchung zu geraten, uns ein eigenes Evangelium, aber auch ein eigenes Gesetz zu basteln.

    Mir ist dieser Punkt wichtig – nicht, um unbequemen Denkaufgaben aus dem Wege zu gehen, sondern um das zur Geltung zu bringen, was Simon oben auf seine Weise zum Ausdruck gebracht hat: wenn wir nicht Angesprochene sind, ist unser Reden und Denken umsonst.

    So eine Rückbesinnung auf das eigene Angesprochensein stellt unser Reden und Denken dann aber auch ins Licht der Verheißung Gottes, dass sein Wort nicht leer zurückkommen wird. Wo wir keine Augen mehr für dieses Licht haben, führen Reden und Denken zwangsläufig in selbstgemachte Sackgassen und Verzweiflung. Ich spüre solche Verzweiflung immer wieder in Gesprächen mit Kommilitonen, Christen und Nichtchristen, die sich intensiv mit der Bibel beschäftigen und sie einfach nicht „auf einen Nenner bringen“ können. Ich kenne diese Verzweiflung schmerzlich genug aus eigenem Erleben – der einzige „Nenner“, auf den ich die Bibel bringen kann und der die Verzweiflung überwindet, ist die Erfahrung dieser Anrede Gottes.

  48. Gut, dass Du das mit der Verbalinspiration nochmal ansprichst, Peter – ich habe ja oben schon auf den Knackpunkt des Ganzen hinzuweisen versucht. Ich glaube, an genau diesem Punkt kommt es auch zu den größten Streitigkeiten und Uneinigkeiten, die unlösbar bleiben müssen, solange der Knoten der Schriftfrage nicht geplatzt ist oder zumindest als solcher erkannt wird:

    Wir können uns hier und heute nur noch theoretisch, kaum aber erfahrungsmäßig den Glauben an Jesus ohne das „Medium“ der Heiligen Schrift oder auch nur des NT vorstellen. Genau das führt oft zur Vertauschung von Erkenntnisgrund und Sachgrund. Wer sich des Unterschieds dieser beiden nicht bewusst ist, gerät in diejenige Gefahr, die Du in Deinem Ausgangspost beschrieben hast: Ambivalenzen ins Gottesbild vorzuverlagern, und eben nicht nur ins Gottesbild, sondern auch in die Gotteslehre, die damit (manchmal auch nolens volens) immun gegen kritische Anfragen gemacht wird. In der Gefahr stehen aber nicht nur Anhänger der Verbalinspiration – grundsätzlich ist das eine Gefahr für jeden; ich habe nur den Eindruck, dass sie bei ersteren besonders akut ist.

    Vielleicht lässt sich das verdeutlichen anhand eines Experiments: ich würde Verbalinspirationisten hin und wieder gerne empfehlen, sich einmal für ein paar Wochen oder Monate ohne Bibel in die Pampa zu begeben und danach zu reflektieren, wie verkommen ihr Glaube in dieser Zeit geworden ist. Ich würde behaupten, auch nach dieser Zeit ist Jesus für sie noch derselbe, vielleicht sogar viel lebendiger – obwohl so manches Bibelwort, so manche biblische Erzählung etc. durcheinandergeworfen, unscharf etc. wurde. Das ändert nichts daran, dass wir in der Bibel einen Schatz haben, der nicht hoch genug angesehen werden kann – und dass wir uns nach so einer lektürelosen Zeit womöglich umso begieriger darauf stürzen würden. Aber es würde m.E. vermutlich so einige Vorstellungen, die mit der Verbalinspirationslehre verbunden sind, ins rechte Licht rücken …

  49. @Simon: Danke für Deine wichtige Anmerkung. Ja, ich neige leider dazu, immer wieder zu theoretisieren. Ich weiß auch nicht so recht, wie ich es abschalten soll. Gerade wenn ich Bibel lese, finde ich das extrem schwierig.

    Ich bin mir dessen aber bewusst und versuche hier eine bessere Balance zu finden. Ich glaube auch, dass die Antwort wohl nicht in einer schlauen Theorie liegen wird.

  50. @Peter:
    – „Gewalt Gottes gegen Jesus Christus“…
    Vielleicht ist „Gewalt“ nicht der richtige Begriff.
    Aber ich entdecke im Kreuzesgeschehen u.a. den Sühnegedanken. Anders kann ich diverse Bibelstellen dazu nicht verstehen. Wenn also auf Sünde der Tod folgt und Jesus für unsere Sünden gelitten hat, dann hat Gott ein Gesetz aufgestellt, das den Tod beinhaltet. Und den Tod finde ich schon gewalttätig. Zum einen hat Jesu Vater dessen Tod zugelassen. Zum anderen scheint es doch, dass Er diesen Stellvertreter-Tod auch gewollt hat.
    Wenn dem anders sein sollte, müsstest Du mir Deine Sicht zu den Sühne-Versen usw. erklären.

    – „Verbalinspiration“…
    Klar, das AT & NT existierten zuerst im Erlebnis, dann im Mündlichen und dann erst schriftlich… nach einigen Filterprozessen.
    Dennoch gibt es einen großen Unterschied zwischen mir und den Verfassern, vor allem, was das NT betrifft:
    Ich bin kein Live-Zeuge der Ereignisse und bin auch kein Bekannter eines Live-Zeugen.
    Je nach theologischer Tradition besteht aber ein Großteil des (m.E. das gesamte) NT aus diesen Personengruppen.
    D.h. für mich: Ich bin Jesus nicht per Handschütteln begegnet und auch seinem Bruder oder seiner Mutter nicht. Ich kenne Ihn zuerst von der Bibel her und interpretiere meine Erlebnisse viel von der Bibel her.
    Würde ich meine Erfahrungen zum Maßstab setzen, dann käme ich womöglich gar nicht zu Jesus, sondern zu Allah oder anderen oder gar keinem. Damit bin ich nicht dagegen, den eigenen Erfahrungen einen gewissen Wert beizumessen, zumal ich meine Subjektivität nicht ausschließen kann.
    Aber tatsächlich ist die Primär-Quelle meines Glaubens die Bibel.

    Wie soll ich denn jetzt zwischen zuverlässiger/richtiger/vertrauenswürdiger Info aus der Bibel unterscheiden und dem Gegenteil?
    Woran mache ich das fest?
    Mal plakativ und bissel überzogen dargestellt:
    a) Entweder ich beharre auf der Ebene „Bibel = Wort Gottes“ und komme bei manchen Bibelstellen zu einem „Das ist eben ein Mysterium“-Achselzucken.
    b) Oder ich schneide die Verse raus, die nicht in mein Gottesbild passen, weil ich meine, dass ich alles von Gott verstehen muss. Und wenn ich was nicht verstehe, dann kann es nicht zu Gottes Wesen passen.

    a) ist natürlich eine z.T. krampfige Schiene, die oft versucht, alle Spannungen in der Bibel glattzubügeln. Ich vermute, dass es keine „reine“ Theologie gibt, die die Lebendigkeit der Bibel formatieren kann. Oft wird hier die eigene Bibel-Lese-Brille übersehen und man zementiert die Dogmen – letztlich genauso wählerisch wie mancher unter b).
    b) kann dann dahin führen, dass ich auch die vielen unschönen Gerichtsworte Jesu, seinen Peitscheneinsatz im Tempel und seinen auf den ersten Blick fiesen Umgang mit manch Bittenden umdeuten muss, weil sie ja nicht zum lieben Gott passen. Die Gewalt-Stellen des AT lassen sich hier und da auch im NT finden.

    Soweit meine Gedanken, unfertig und in der Hoffnung, dass es noch einen dritten (oder vierten…) Weg gibt, mit den „Problem-Stellen“ der Bibel umzugehen.

  51. @berlinjc: Was Du unter dem Stichwort Verbalinspiration schreibst, hat mit Verbalinspiration an sich wenig zu tun, sondern mit der Frage nach der Inspiration der Heiligen Schrift überhaupt. Was genau bedeutet denn nun für Dich „Inspiration“?

    Die Alternative, die Du weiter unten dann mit a) und b) eröffnest, zeigt m.E. gerade, wir sehr wir einem linearen Denken verhaftet sind, das unter Umständen mehr von den Prämissen neuzeitlicher Logik geprägt ist, als wir uns eingestehen wollen. Ich sehe a) und b) nun wirklich nicht als einziges Alternativpaar oder als nicht erweiterbar durch weitere Alternativen, sowenig sie schon für sich genommen stimmig sind: Die Gleichung „Bibel = Wort Gottes“ kann äußerst banal sein, weil damit noch gar nicht geklärt ist, was „Wort Gottes“ eigentlich bedeutet (siehe meine Ausführungen dazu oben). Und auch mit der steilsten Offenbarungstheologie wird man hinsichtlich b) nicht drum herumkommen, die Selektivität des eigenen Wahrnehmens einzugestehen. Das gilt für Vertreter der Verbalinspiration genauso wie für deren Gegner. Und es kann auch bei ersteren vorkommen, dass sie schon systembedingt einen blinden Fleck in ihre Theologie integrieren.

  52. @Tobias:
    Für mich bedeutet „Inspiration“ ungefähr das:
    Gott hat die Schreiber der Bibel dazu motiviert und angeleitet, das Erlebte und Gehörte aufzuschreiben (die entsprechenden, wenn auch wenigen Bibelstellen hierzu lasse ich mal weg). Es war kein Diktat, sondern Gottes Wort durch Menschen.
    Dabei kommt die Persönlichkeit des Einzelnen voll zum Tragen.
    Und Gott scheint hindurch.
    Ganz evangelikal beziehe ich das auf die „Urschriften“ und sehe damit die Möglichkeit, dass manche Verse aus heutigen Übersetzung falsch oder missverständlich sein können.
    All das entbehrt nicht der gründlichen Auslegung, wobei ich mich bemühe, die grammatikalisch-historische Auslegungsmethode zu verwenden. Damit komme ich hier und da zum Ergebnis, dass es in der Bibel reines Menschenwort gibt oder gar satanisches Wort. Die „Göttlichkeit dieser Wörter“ besteht lediglich darin, dass sie insoweit wahr sind, als dass sie geschehen sind.

    Zum linearen Denken:
    Sicherlich bin ich dem verhaftet. Muss auch nicht per se falsch sein.
    Muss auch nicht richtig sein.
    Allerdings wehre ich mich gegen ein völliges Aufweichen in Richtung Subjektivität. Das Motto dort wäre: „Weil wir alle nur beschränkte Wesen, können wir eigentlich kein gesichertes Wissen bzw. eine garantierte Gewissheit haben.“
    Ich arbeite lieber mit Arbeitshypothesen. „Bislang ist XY meine Erkenntnis.“
    Daher auch meine „eher, könnte, möglicherweise, tendentiell“.
    M.E. gibt es eine Wechselwirkung zwischen Wirklichkeit und Denken. Mit unserem Denken (und Tun) prägen wir die Wirklichkeit und deuten die Wirklichkeit. Andererseits weist die Wirklichkeit unserem Denken und Handeln Möglichkeiten und Schranken auf. So können wir uns an der Wirklichkeit „reiben“. Daraus entstehen dann logische Schlüsse und manch lineares Denken… oder auch mal ein ganzheitliches oder gar zirkuläres Denken.

    Wenn es mehr als zwei Möglichkeiten gibt, spricht man m.E. nicht mehr von Alternativen. Welche dritte oder vierte Möglichkeit siehst Du denn?

  53. Jetzt sehe ich mich doch noch mal genötigt zum Thema „inwiefern sind die Geschichtsbücher Wort Gottes“ mich zu äußern und auf den hervorragenden (aber nicht unbedingt eingängigen) Artikel des Philosophen (und Theologen?) Paul Ricoeur hinzuweisen:
    http://www.religion-online.org/showchapter.asp?title=1941&C=1772
    Dort macht Ricoauer etwas, das diese Diskussion nicht völlig auflöst, aber was eine Sache noch mal präzise benennt: man kann nicht von der einen Art von Offenbahrung in der Bibel sprechen, es gibt vielmehr verschiedene Genres in denen man jeweils sehr unterschiedlich überhaupt von Offenbahrung sprechen kann, Das wäre das prophetische Genre, das narrative Genre, das präskriptive Genre (zehn Gebote etc), das hymnische Genre und das Weisheitsgenre. Probleme entstehen, wenn man „Offenbahrung“ immer durch die Brille des prophetischen Genres versteht nämlich, dass die Stimme Gottes hinter der Stimme des AUtors zu suchen ist. Im narrativen Genre geht es genau um das nicht; der Autor verschwindet sogar. Im narrativen Genre bedeutet Offenbahrung, dass Gottes Spur in einem (oder mehreren) Ereignissen entdeckt wird. Das ist jetzt natürlich nur ein sehr formaler Einwand, der noch nichts inhaltliches (also zur Gewaltfrage) klärt. Aber dennoch: wenn es nicht darum geht, dass man zB das Buch Josua als solches „retten“ muss weil ja Gott es irgendwie diktiert hat, sondern dass es darum geht, dass im Ereignis „das Volk Israel bekommt ein Land“ das Wirken Gottes durchscheint, kann man vielleicht das Gewaltproblem anders diskutieren.

  54. @berlinjc: Ich denke, wir brauchen jetzt nicht mehr groß über unsere unterschiedlichen Sichtweisen reden. Wir gehen momentan beide unseren Weg. Du bist mir auf jeden Fall sehr sympathisch. Du vertrittst Deine Meinung sehr höflich und bescheiden und versuchst nicht, sie anderen aufzudrängen. Davor habe ich großen Respekt! Danke dafür!

    Ich habe mittlerweile in der Bibel weitergelesen und es wird nicht wirklich besser. Jetzt war gerade die Simson-Geschichte dran. Klar, die hat offensichtlich Legenden-Charakter. Aber auch durch eine solche Legende sollte ja dann „Gott hindurchscheinen“. Was machst Du damit, wenn Simson „Vom Geist Gottes erfüllt“ wird und dann mal eben 30 Philister tötet, weil er sein Geheimnis ausgeplaudert hat. Mir ist nicht klar, wie solche Geschichten – selbst in Gleichnisform – zu Gott passen. Muss man erst studieren, um hierin einen Sinn sehen zu können?

  55. @Arnachie: Ja, soweit bin ich auf jeden Fall auch schon. Aber auch in einer Geschichte spürt man ja den „Geist“ dahinter, also was die Schreiber ausdrücken wollten. Natürlich kann es sein, dass wir das heute auf Grund der Kultur anders verstehen. Aber dann ist die Frage inwieweit man die Geschichten (ohne Studium?) überhaupt noch verstehen kann.

    Mir geht es auch bei Josua nicht so sehr darum, dass ich glaube, das sei so geschehen und ich müsste das jetzt in mein Weltbild einordnen. Eher, dass ich mich frage, was wollen mir die Schreiber damit sagen und sagt mir das irgendwas über Gott. Ich hätte auch bei einem Roman, der nicht den Anspruch hat, mir was über Gott zu sagen, dieselben Probleme wenn ich den Eindruck hätte, er verherrlicht Gewalt.

  56. @berlinjc: Wenn Du es ganz ursprünglich lateinisch haben willst, dann ist eine Alternative immer die Wahlmöglichkeit zwischen lediglich zwei (meist einander ausschließenden) Optionen, da hast Du recht! Ich habe mich in dem Fall dem Einfluss der französischen Sprache hingegeben, in der die Alternative nur noch eine von zwei oder mehr möglichen Optionen bezeichnet. 🙂

    Also, zunächst nochmals zur Ausführung Deines Schriftverständnisses – mit Verbalinspiration hat das, wie schon zuvor vermutet, in der Tat wenig zu tun, zumal es ja an zahlreichen Einzelpunkten Definitionsfragen gibt (z.B. „Gott scheint hindurch“). Eine dritte Möglichkeit hat Arnachie bereits vorweggenommen: die Hermeneutik Paul Ricœurs z.B. lässt diese a)-b)-Variante bereits hinter sich. Ähnliches könnte man von anderen neuzeitlichen Hermeneutiken sagen – ich bringe mal z.B. noch Gadamer ins Spiel.

    Ich wehre mich, wie Du, gegen ein „völliges Aufweichen in Richtung Subjektivität“ – ich denke allerdings auch, dass dort, wo dieser Vorwurf erhoben wird, oftmals noch gar nicht recht verstanden ist, worum es einer bestimmten Auslegungsmethode oder Hermeneutik wirklich geht und wie sie „funktioniert“ (das ist jetzt sehr uneigentlich gesprochen). Man sollte Subjektivität nicht mit Willkür verwechseln, auch nicht mit Empirie o.ä. – es geht zunächst einmal ganz elementar darum, dass wir es, der Grammatik, Schrift, Vokabular etc. mit Menschenwort zu tun haben. Mehr menschliches „Subjekt“ geht kaum.

    Anstatt angesichts dessen irgendwie ein leichtes Unwohlsein zu verspüren, kann man das durchaus zum Ausgangspunkt einer biblischen Hermeneutik machen, ohne Gott als Autor abzuschreiben – im Gegenteil: ich glaube, das ist z.B. schon bei Luther in nuce umgesetzt, Johann Georg Hamann hat es dann mit seinem Wahlspruch „Gott ein Schriftsteller!“ zum hermeneutischen Programm gemacht.

  57. @Simon:
    Ich glaube, ich stehe gerade an einem ähnlichen Punkt, wie du damals standst. Das theologische Nachdenken über Gott bringt mich nicht weiter. Es verärgert mich sogar meistens noch um so mehr, wenn ich sehe, was für „komische“ Gottesbilder die Leute in den Gemeinden haben.
    Um „Sicherheit“ zu bekommen, dass es diesen Gott wirklich gibt (und ich es mir nicht nur wünsche) bitte ich seit November immer wieder diesen Gott, dass er mir diese Sicherheit gibt.
    Leider tut sich nix.

    Deswegen jetzt die Frage:
    Wie hat sich Jesus dir verständlich gemacht, als du dein christlich sozialisiertes Gottesbild abgelegt hast? Wie konntest du Gottes Liebe wahrnehmen, wo du doch nicht mal wusstest, ob da überhaupt jemand ist? Ich kann es mir schon so überhaupt nicht vorstellen, wie ich Gottes Liebe denn erfahren soll, wenn ich ihn weder sehen, noch hören noch sonst irgendwas von ihm wahrnehmen kann.

    Nach 25 Jahren Leben als „Christ“ machen mich diese ganzen Zweifel gerade ziemlich fertig. Was will mir Gott damit zeigen?

  58. @Martin:
    Sehr gerne erzähle ich dir, wie und was bei mir persönlich passiert ist. Aber ich bitte um Verständnis, dass ich das nicht unbedingt in diesem Forum machen möchte, sondern privat. Dafür ist mir das irgendwie zu „kostbar“… Wenn dir das recht ist, kann Peter dir gerne meine Mailadresse geben. Bis dann.

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