Diese Woche hat mich die Geschichte von Simeon und Hanna aus Lukas 2,25ff begleitet. Weihnachten, der Messias und Gottes neue Welt sind nicht nur etwas für junge Mütter und Babys, sondern auch für die Alten. Allerdings begegnet uns hier nicht die Sorte alter Menschen, die in der Vergangenheit leben und störrisch behaupten, früher sei alles besser gewesen. Sondern zwei Alte, aus denen Gottes Geist zu den jungen Eltern spricht über ihren Sohn, der nicht ihnen gehört, sondern Gott. Zwei Propheten, die in der Erwartung des Neuen leben und denen es geschenkt ist, schon in seinen winzigen und bescheidenen Anfängen die ganze Bedeutung und Herrlichkeit zu erkennen. Weil das auch Hochbetagte noch können, braucht uns das Älterwerden also nicht zu schrecken.
Für den kleinen Jesus gilt, was mutatis mutandis für alle Christen gilt: Es ist noch nicht offenbar, was wir sein werden (1.Joh 3,2) – noch kein Auge hat gesehen, was Gott vorbereitet hat (1.Kor 2,9). Nicht aus der Vergangenheit, sondern erst aus Gottes Zukunft heraus wird deutlich, wer er ist. Er wächst in diese Rolle hinein im Gegenüber zu anderen Menschen, das müssen die Eltern verstehen. Simeon spricht davon, dass es Streit um Jesus geben wird und dass das auch für die Familie schmerzlich wird. Mit begrenztem Erfolg: In Markus 3 können wir verfolgen, wie die Familie den abtrünnigen Sohn wieder einfangen will und die Schriftgelehrten ihn für einen teuflischen Verführer halten. Jesus sagt sich von seiner Familie los. Und er bricht mit den Erwartungen, die die religiösen Autoritäten an ihn herantragen.
In Dtn 21,18f das im Hintergrund der Aktion von Mk 3,21 steht, folgt übrigens am Ende der Hinweis auf den Tod des Verfluchten am Holz. In genau diese Richtung bewegt sich Jesus mit der eigenwilligen Interpretation der Messias-Rolle. Er wird dieser Messias im Gegenüber zu Gott, der in der Taufe seinen Geist auf ihn kommen lässt und den er mit dem intimen „Abba“ anredet, und der neuen messianischen Gemeinschaft seiner Schwestern und Brüder. Simeon und Hanna sind eine Vorwegnahme dieser Gemeinschaft, und auch durch sie spricht Gottes Geist. Ein paar Verse weiter deutet Jesus schon einmal kurz an, dass sein Zuhause (also seine Identität) nicht in Nazareth liegt, sondern bei Gott dem Vater. Jürgen Moltmann hat in „Der Weg Jesu Christi“ geschrieben, dass Jesus in gewisser Weise auch für sich selbst ein Geheimnis bleibt.
Im Unterschied zu Jesus, für den es kein Vorbild gab, haben wir Christen in ihm einen „Prototypen“, an dem wir erkennen können, in welche Richtung unser Werden verläuft. Dennoch ist auch dieser Prozess nicht rückwärts gewandt. Er fordert von uns die Lösung von den Erwartungen und Traditionen unserer Herkunftsfamilien, sozialen Milieus, der politischen und religiösen (auch christlich-religiösen) Autoritäten; und er bindet uns an Gott, den Vater, und an einander als die Menschen des Weges. Der Jesus, dem wir ähnlich werden wollen, ist uns auf dem Weg vorausgeeilt. Wir finden ihn nicht in der Vergangenheit. Wir finden ihm, indem wir seinem Geist folgen und uns leiten lassen. Und weiter darum beten und darauf vertrauen, dass sein Friedensreich kommt. Das biologische Alter spielt dabei keine Rolle:
Denn Gott, der sprach: Aus Finsternis soll Licht aufleuchten! , er ist in unseren Herzen aufgeleuchtet, damit wir erleuchtet werden zur Erkenntnis des göttlichen Glanzes auf dem Antlitz Christi. Diesen Schatz tragen wir in zerbrechlichen Gefäßen; so wird deutlich, dass das Übermaß der Kraft von Gott und nicht von uns kommt. (…) Darum werden wir nicht müde; wenn auch unser äußerer Mensch aufgerieben wird, der innere wird Tag für Tag erneuert. (2. Kor 4,6-7.16)
Es ist noch kein Messias vom Himmel gefallen, könnte man sagen. Und auch wir haben Zeit, in Gottes Absichten und Möglichkeiten hineinzuwachsen und uns von anderen Einflüssen freizuschwimmen. Maria hat im Laufe der Zeit offenbar auch verstanden, was Simeon und Hanna damals gemeint hatten, als es um das Licht für die Völker der Welt ging. In diesem Sinne: Ein Geist-reiches und gesegnetes Jahr 2011!