„Nicht ein einziger Brief wurde zugunsten von Mr. Madoff eingereicht. Keine Freunde, keine Familienangehörigen. Das sagt viel aus.“ So lautet das Fazit des Richters im größten Betrugsprozess der Geschichte. Der Bericht des Spiegel trägt den Titel „Möge Gott dir keine Gnade gewähren“ – die Worte stammen von einem der vielen Menschen, deren wirtschaftliche Existenz Madoff zerstört hat. Wenn das nächste Mal das Gleichnis von Schalksknecht zur Predigt ansteht, bietet sich dieser Vergleichspunkt für die Höhe und Dreistigkeit des Betrugs durchaus an.
Es gibt also nach wie vor diesen Sachverhalt der – finanziellen wie moralischen – Schuld. Und wie zu Jesu Zeiten kann das einen Menschen auch die Freiheit kosten. Madoff muss 150 Jahre hinter Gitter, er wird im Gefängnis sterben.
Am selben Tag las ich bei Anselm Grün zum Thema Erlösung und der Frage, wie die biblischen Bilder für die Erlösung durch Jesus heute verstanden werden können, den folgenden Satz:
Der Blick in die Finanzwelt war offensichtlich für Jesus selbst und die biblischen Autoren eine Hilfe, das Geheimnis der Vergebung und Erlösung von Schuld zum Ausdruck zu bringen. Was finanzielle Schulden sind, weiß heute jeder. Und oft genug drücken diese Schulden. Manchmal sind sie so hoch, dass sie sich nicht zurückzahlen lassen (…) Gott erweist sich am Kreuz nicht als Buchhalter, der über unsere Schulden Buch führt, sondern als großzügiger Geldverleiher, der uns unsere unbezahlbare Schuld erlässt.
Man muss gar keine Milliarden wie Madoff veruntreuen. Manches, was ich anderen zufüge oder schuldig bleibe, lässt sich nicht wieder gut machen, zumal nicht mit Geld – ob das nun körperlicher, seelischer oder sozialer Schaden ist. Manche verpasste oder verpatzte Gelegenheit, Gutes zu tun und sich für das richtige einzusetzen, kommt kein zweites Mal.
Die Geschichte vom Schalksknecht kehrt sich im Fall Madoff aber auch irgendwie um: Früher oder später stehen die Geschädigten, die ihm jetzt die Pest an den Hals wünschen, vor der Frage, ob sie zur Vergebung bereit sind (und so auch selbst frei werden von der Fixierung auf dieses Unrecht und dessen Folgen).
Soll nun der kleine Fisch dem Großen vergeben, der Unschuldige (oder nur-ein-kleines-bisschen-Schuldige) dem über alle Maßen Schuldigen? Nicht im Sinne von Straffreiheit vor der Justiz, aber wenigstens so weit, dass man die persönliche Anklage fallen lässt und Madoff wieder als Mitmenschen sieht? Vielleicht hilft das klare Gerichtsurteil ja dabei. Allerdings: Ein Schritt dahin könnte eben diese Einsicht sein, dass Madoffs Schuld zwar vom Ausmaß her alles Bisherige in den Schatten stellt, qualitativ aber eben auch nur das ist, was wir „Normalos“ alle in der einen oder anderen Form kennen: ein Schaden, den wir nicht aus eigener Kraft (und weil „unbezahlbar“ auch nicht mit unserer Kreditkarte) wieder gut machen können.
Armer Betrüger! Kein Vermögen, kein Freund – kein einziger. Nur Verwünschungen von denen, die einmal ihr Vertrauen in ihn setzten.
Unser Gott handelt anders. Er gab uns alles, seinen Sohn. Und wir nahmen ihm alles, das Leben. Aber nicht nur, dass er uns vergibt, nein, er liebt uns weiterhin. Unfassbar!
Nur in der Vergebung verändert sich das Menschenherz, verändert sich die Welt.
Tja, ich die Welt kennt keine Vergebung….
150 Jahre…und ein Kinderschänder etc. kommt besser weg…
Die Welt ist ungerecht…
Fragen:
Sollen wir dem, der an uns schuldig geworden ist, Vergebung aufzwingen? Wissen wir, ob er Vergebung will? Was, wenn er gar keine Schuldeinsicht hat? – Wichtig ist doch: Kann ich vergebungsbereit sein?
Verletzt werden ist schlimm, verletzt bleiben ist schlimmer….sagte ein Lehrer und er begründete es so: Vergibst du nicht, lässt du selber den Splitter in der Seele und jeder Gedanke an die Verletzung tut neu weh. Du erlaubst Gott nicht, dich zu heilen, sondern über den behaltenen Splitter erlaubt man die Fortsetzung der Verletzung und rührt selber immer wieder dran. Die erste Ebene der Vergebung kann man mit einer Operation vergleichen. Der Splitter wird gezogen und die Wunde kann anfangen zu heilen.
Danach erst kann man sich mit der Beziehung zum Täter und mit dem materiellen Verlust aus einer besseren Ausgangsposition heraus auseinandersetzen.
Und die Schrift sagt: …wenn er es bereut, vergib ihm…Lk 17,3. Das ist die zweite Ebene der Vergebung im Konfrontations- und Versöhnungsgespräch. Fehlt die Reue und Umkehr, ist hier eine Vergebung nicht gefordert oder angebracht. Die Vertrauensbasis ist und bleibt solange zerstört.