Den Tipp verdanke ich Michael, aber es ist wirklich erstaunlich, wie aktuell und fast schon prophetisch die Worte Bonhoeffers vom 30.4.1944 heute in unserer Situation klingen:
Die Religiösen sprechen von Gott, wenn menschliche Erkenntnis (manchmal schon aus Denkfaulheit) zu Ende ist oder wenn menschliche Kräfte versagen – es ist eigentlich immer der deus ex machina, den sie aufmarschieren lassen, entweder zur Scheinlösung unlösbarer Probleme oder als Kraft bei menschlichem Versagen, immer also in Ausnutzung menschlicher Schwäche bzw. an den menschlichen Grenzen: das hält zwangsläufig immer nur solange vor, bis die Menschen aus eigener Kraft die Grenzen etwas weiter hinausschieben und Gott als deus ex machina überflüssig wird; das Reden von den menschlichen Grenzen ist mir überhaupt fragwürdig geworden (ist der Tod heute, da die Menschen ihn kaum noch fürchten, und die Sünde, die die Menschen kaum noch begreifen, noch eine echte Grenze?), es scheint mir immer, wir wollten dadurch nur ängstlich Raum aussparen für Gott; – ich möchte von Gott nicht an den Grenzen, sondern in der Mitte, nicht in den Schwächen, sondern in der Kraft, nicht also bei Tod und Schuld, sondern im Leben und im Guten des Menschen sprechen. An den Grenzen scheint es mir besser, zu schweigen und das Unlösbare ungelöst zu lassen. Der Auferstehungsglaube ist nicht die „Lösung“ des Todesproblems. Das „Jenseits” Gottes ist nicht das Jenseits unseres Erkenntnisvermögens! Die erkenntnistheoretische Transzendenz hat mit der Transzendenz Gottes nichts zu tun. Gott ist mitten in unserm Leben Jenseits. Die Kirche steht nicht dort, wo das menschliche Vermögen versagt, an den Grenzen, sondern mitten im Dorf.
Und am 5.5.1944 schrieb er weiter
(…) „Ist nicht die individualistische Frage nach dem persönlichen Seelenheil uns allen fast völlig entschwunden? Stehen wir nicht wirklich unter dem Eindruck, daß es wichtigere Dinge gibt, als diese Frage (- vielleicht nicht als diese S a c h e, aber doch als diese F r a g e! ?)? Ich weiß, daß es ziemlich ungeheuerlich klingt, dies zu sagen. Aber ist es nicht im Grunde sogar biblisch? Gibt es im Alten Testament die Frage nach dem Seelenheil überhaupt? Ist nicht die Gerechtigkeit und das Reich Gottes auf Erden der Mittelpunkt von allem? und ist nicht auch Römer 3, 24 ff. das Ziel des Gedankens, daß Gott allein gerecht sei, und nicht eine individualistische Heilslehre? Nicht um das Jenseits, sondern um diese Welt, wie sie geschaffen, erhalten, in Gesetze gefaßt, versöhnt und erneuert wird, geht es doch. Was über diese Welt hinaus ist, will im Evangelium f ü r diese Welt da sein; ich meine das nicht in dem anthropozentrischen Sinne der liberalen, mystischen, pietistischen, ethischen Theologie, sondern in dem biblischen Sinne der Schöpfung und der Inkarnation, Kreuzigung und Auferstehung Jesu Christi.“
Volltreffer!
„Für diese Welt da sein“: Dieser Gedanke spielt auch eine zentrale Rolle bei einem christlichen Autor der Gegenwart – Magnus Malm. Leidenschaftlich wendet er sich in „Abschied von Babel“ gegen eine „Vergeistlichung“ des Evangeliums, gegen das Abwenden der Christen von der „Welt“ und damit letztlich von den Menschen. Wie bei Bonhoeffer verweist er auf die Inkarnation, die Fleischwerdung Gottes; wenn Gott Fleisch wird und das Menschsein damit so adelt, wie darf sich der Mensch, der Gott kennt, dann so vom Menschen abwenden? Ein paar kurze Zitate, die Bonhoeffers Gedanken sehr nahe kommen:
„Die Wahrheit des Evangeliums bekräftigen, heißt die Wirklichkeit des Menschen bekräftigen.“
„Wie soll die Welt glauben können, dass Gott eine neue Erde schaffen wird, wenn die Christen der alten Erde den Rücken kehren?“
„Die Beziehung zwischen dem Himmlischen und dem Irdischen erhält ihre letzte Verdichtung in Jesus Christus. Das Himmlische ist nicht das Ziel der Flucht von der Erde, es ist die Lebensquelle der Erde.“
„Es stimmt nicht, dass Jesus für das Geistliche im Dasein steht; Jesus steht für das g a n z e Dasein. In der von den Mächten der Finsternis besetzten Welt ist Jesus die Freiheitstür, die Gott weit geöffnet hat. Durch diese Tür geht der Weg zurück in Gottes Herrlichkeit und Gemeinschaft, von der der Mensch sich zu Beginn seiner Geschichte abwandte, und durch diese Tür geht auch der Weg zurück in die irdische Schöpfung, von der wir uns im Namen von Technologie und Frömmigkeit immer mehr abgewandt haben.“
„In Christus eröffnet sich eine Vertrautheit mit allem Erschaffenen, ein Zuhausesein in der ganzen Welt, die ihm gehört. Es gibt nichts Erschaffenes, das außerhalb seiner leidenschaftlichen Fürsorge und kreativen Energie läge.“